Olympische Spiele: Brasilianische Sorgen über das Danach

Rio 2016Rio de Janeiro liefert sich einen Wettlauf mit der Zeit. Am 5. August fällt der Startschuss für die Olympischen Spiele, bis dahin muss noch gebaut werden. Und weil das unter Druck passiert, kostet es mehr als vorgesehen. Das Ergebnis: Die Gesellschaft ist gespalten darüber, ob sie sich über den Sportevent freuen soll oder klagen. Pater Leandro Lenin Tavares ist Olympiapfarrer von Rio de Janeiro und er zeichnet ein eher düsteres Bild von der Situation im Land heute.

„Einerseits freuen sich die Menschen über die Spiele, andererseits sind sie besorgt, was die Ausgaben angeht“, sagt Pater Leandro. „Die Bevölkerung ist auch besorgt, dass sie selber nach den Spielen nicht viel davon hat. Natürlich ist es gut, dass investiert wird, andererseits muss die Bevölkerung aber auch davon etwas haben. Und was die Menschen ganz besonders beschäftigt, über die Spiele hinaus, ist natürlich die politische Krise in Brasilien.“

Mitte Mai hatte der Senat des Landes Präsidentin Dilma Rousseff suspendiert, aus dem Folgekabinett mussten aber bereits ebenfalls Minister wegen Korruption zurücktreten, das Land kommt nicht zur Ruhe. Hinzu kamen vor einigen Tagen Massenproteste gegen Gewalt an Frauen. Anlass war die Vergewaltigung eines jungen Mädchens durch wahrscheinlich mehr als zehn Männer. Drittes Problemfeld ist die Gesundheitsfrage, zum Zika-Virus gehen derzeit sich widersprechende Meldungen über Ansteckungsgefahr und Gefährlichkeit um die Welt.

„Das sind beides sehr brasilianische Themen“, sagt Pater Leandro, sie würden nur unterschiedlich angegangen. Zum Virus etwa sei die Bevölkerung gut informiert, es gab Kampagnen gegen den Virus, alles sei unter Kontrolle. Was die Gewalt in den Städten angehe, sei die Situation anders. Während der Olympischen und Para-Olympischen Spiele sei die Stadt sicher, davon könne man ausgehen. „Was uns als Brasilianer und als Bewohner von Rio de Janeiro aber mehr interessiert und Sorge macht ist die Frage, was nach den Spielen ist. Wird es diese Sicherheit weiter geben? Wir wissen ja nun, dass wir es können, und wir brauchen Sicherheit in der Stadt.“

Von außen sehe es so aus, dass nach Weltjugendtag und Fußballweltmeisterschaft Brasilien mittlerweile Routine habe bei der Ausrichtung solcher Events. Dabei werde gern übersehem, wie komplex das alles sei und vor allem wie viele Ressourcen das benötige. Das Land habe gelernt, bewertet der Olympiapfarrer den Fortschritt, die Organisation liefe besser und man übernehme von den Vorgängerevents viel Know-How. „Die Touristen und die Athleten werden ein Rio de Janeiro sehen, das sie begeistert, aber sie sollen auch Hause fahren und unsere Probleme gesehen haben. Wir möchten ihnen eine wundervolle Stadt zeigen, aber wir werden unsere Probleme nicht verstecken. Wir möchten, dass sie hinter die Kulisse schauen.“

Hintergrund

Pater Leandro Lenin Tavares ist als Olympia-Kaplan Teil der offiziellen Organisation. Zu seinen Aufgaben gehört der interreligiöse Dialog vor Ort, im Olympiapark wird es ein Zentrum zu diesem Thema geben, beteiligt sind Christen, Juden, Muslime, Buddhisten und Hinduisten. (rv)

Kardinal Sarah: „Wenden wir uns gemeinsam dem kommenden Herrn zu“

Kardinal SarahPARIS – Kardinal Robert Sarah, Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, hat zu einem großen Nachdenken über die Eucharistie aufgerufen. Und er lädt Priester und Gläubige ein, sich nach Osten, zu Christus hin zu wenden. CNA dokumentiert das vollständige, von Aymeric Pourbaix geführte, Interview in „Famille chrétienne“ mit freundlicher Genehmigung des Kardinals und der französischen Kollegen. Das Original-Interview erschien in „Famille chrétienne“ Nr. 2002 des 28.05.2016.

Vor einigen Wochen haben Sie den Wunsch geäußert, das „Sakrament der Sakramente“, also die Eucharistie, „wieder im Zentrum“ zu sehen. Was ist der Grund dafür?

Ich möchte eine große Reflektion über diese Frage veranlassen, um die Eucharistie wieder in die Mitte unseres Lebens zu bringen. Ich stelle fest, dass viele unserer Liturgien den Charakter von Theatervorstellungen haben. Oft zelebriert der Priester nicht mehr die Liebe Christi durch sein Opfer, sondern eine Begegnung unter Freunden, ein Gemeinschaftsmahl, einen Moment brüderlichen Beisammenseins. Durch das Bemühen, kreative oder festliche Liturgien zu erfinden, entsteht für uns die Gefahr eines zu menschlichen Kultes, der auf der Höhe unserer Wünsche und der aktuellen Moden ist. Schritt für Schritt entfernen sich die Gläubigen von dem Geheimnis, das uns das LEBEN gibt. Für die Christen ist die Eucharistie eine Frage von Leben und Tod!

Wie kann Gott wieder ins Zentrum gerückt werden?

Die Liturgie ist die Tür zu unserer Vereinigung mit Gott. Wenn die eucharistischen Zelebrationen sich in menschliche Selbstzelebration transformieren, ist eine immense Gefahr im Verzug, denn Gott verschwindet. Wir müssen damit beginnen, Gott wieder in die Mitte der Liturgie zu rücken. Wenn ihr Zentrum der Mensch ist, dann wird die Kirche eine rein menschliche Gemeinschaft, eine schlichte NGO, wie es Papst Franziskus gesagt hat. Wenn umgekehrt Gott im Herzen der Liturgie ist, dann findet die Kirche wieder ihre Lebenskraft und ihren inneren Schwung. „In unserem Verhältnis zur Liturgie entscheidet sich das Schicksal der Kirche und des Glaubens“, schrieb in prophetischer Weise Kardinal Ratzinger.

Welches Heilmittel empfehlen Sie?

Die Wiederanerkennung der Liturgie als Werk Gottes setzt eine wahre Herzensbekehrung voraus. Das Zweite Vatikanische Konzil betonte einen Hauptpunkt: In diesem Bereich ist das Wichtige nicht das, was wir tun, sondern das, was Gott tut. Kein menschliches Tun kann jemals verwirklichen, was sich im Herzen der Messe befindet: das Opfer des Kreuzes.

Die Liturgie erlaubt uns, das Eingeschlossensein in den Mauern dieser Welt zu überwinden. Um die Sakralität und die Schönheit der Liturgie wiederzufinden, braucht es eine Arbeit an der Ausbildung der Laien, der Priester und der Bischöfe. Es handelt sich um eine innere Umkehr.

Um Gott wieder ins Zentrum der Liturgie zu rücken, braucht es auch die Stille: die Fähigkeit des Schweigens, um Gott und sein Wort zu hören. Ich bekräftige, dass wir Gott nur in der Stille und in der Betrachtung seines Wortes in den Tiefen unseres Herzens begegnen können.

Wie soll das konkret geschehen?

Bekehrung heißt sich Gott zuzuwenden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass unser Leib an dieser Bekehrung Anteil haben muss. Das beste Mittel ist sicherlich, als Priester und Gläubige in gemeinsamer Gebetsrichtung zum kommenden Herrn hin zu zelebrieren. Dabei handelt es sich nicht, wie man manchmal hören kann, darum, mit dem Rücken oder mit dem Gesicht zum Volk hin zu zelebrieren. Das Problem liegt nicht dort. Es geht darum, sich gemeinsam zur Apsis zu wenden, die den Osten symbolisiert, wo das Kreuz des auferstandenen Herrn thront.

Durch diese Weise der Zelebration erfahren wir bis in den Leib hinein den Primat Gottes und der Anbetung. Wir begreifen, dass die Liturgie unsere Teilnahme am vollkommenen Opfer des Kreuzes ist. Ich habe persönlich diese Erfahrung gemacht: so zelebrierend wird die Gemeinde mit dem Priester als ihrem Haupt voran im Augenblick der Elevation wie angehaucht vom Mysterium des Kreuzes.

Aber ist denn diese Form erlaubt?

Sie ist legitim und entspricht dem Buchstaben und dem Geist des Konzils. Als Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung habe ich in Erinnerung zu rufen, dass die Zelebration versus orientem von den Rubriken des Meßbuches autorisiert ist, welche die Momente festlegen, wo der Zelebrant sich zum Volk hinzuwenden hat. Um zum Herrn hin zu zelebrieren, braucht es also keine besondere Erlaubnis. In diesem Sinne habe ich in einem Kommentar, der im Juni 2015 im „Osservatore Romano“ publiziert wurde, vorgeschlagen, dass die Priester und die Gläubigen sich wenigstens während des Bußritus‘, des Glorias, der Orationen und des eucharistischen Hochgebetes nach Osten wenden.

Im Bewußtsein vieler ist die Umwendung der Altäre mit dem Zweiten Vatikanum verbunden? Ist das wahr?

Mehr als 50 Jahre nach Beendigung des Zweiten Vatikanischen Konzils wird es dringend, dass wir seine Texte lesen! Das Konzil hat niemals verlangt, zum Volk hin zu zelebrieren. Diese Frage wird durch die Konstitution Sacrosanctum Concilium nicht einmal behandelt… Vielmehr wollten die Konzilsväter die Notwendigkeit für alle betonen, in die Teilnahme am gefeierten Mysterium einzutreten. In den auf das Zweite Vatikanum folgenden Jahren hat die Kirche nach Mitteln gesucht, diese Intuition ins Werk zu setzen.

So ist die Zelebration dem Volk gegenüber eine Möglichkeit, aber keine Verpflichtung geworden. Die Liturgie des Wortes rechtfertigt ein Gegenüber zwischen Lektor und Hörern, den Dialog und die Pädagogie zwischen dem Priester und seiner Gemeinde. Aber von dem Moment an, wo man sich an Gott wendet – vom Offertorium an -, ist es wesentlich, dass der Priester und die Gläubigen sich gemeinsam nach Osten wenden. Das entspricht ganz und gar dem, was die Konzilsväter wollten.

Ich halte es für notwendig, dass man zu den Texten des Konzils zurückkehrt. Einige Anpassungen an die lokale Kultur sind wahrscheinlich nicht ausgereift genug gewesen. Ich denke an die Übersetzung des Römischen Meßbuches. In einigen Ländern wurden wesentliche Elemente ausgelassen, vor allem im Moment des Offertoriums. Im Französischen wurde die Übersetzung des Orate fratres verstümmelt. Der Priester müßte sagen: „Betet, Brüder, dass mein Opfer, das auch euer Opfer ist, Gott dem allmächtigen Vater wohlgefällig sei.“ Und die Gläubigen hätten zu antworten: „Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen zum Lob und zur Verherrlichung Seines Namens, für unser Wohl und das der ganzen heiligen Kirche.“ [Anm. des Übers.: Diese Passage ist im deutschen Meßbuch korrekt übersetzt, allerdings sind hier alternative Gebetseinladungen eingefügt worden, welche den Opfercharakter nicht zum Ausdruck bringen, so daß viele Gläubige das genannte Gebet gar nicht mehr kennen.] Bei der Audienz, die mir am Samstag, dem 2. April, gewährt wurde, hat der Papst bestätigt, dass die neuen Übersetzungen des Römischen Meßbuchs den lateinischen Text unbedingt respektieren müssen.

Was bedeutet für Sie die Teilnahme der Gläubigen?

Die Teilnahme der Gläubigen ist äußerst wichtig. Sie besteht vor allem darin, sich von Christus in das Mysterium seines Todes und seiner Auferstehung hineinziehen zu lassen. „Man geht nicht zur Messe, um einer Vorstellung beizuwohnen. Man geht dorthin, um am Mysterium Gottes teilzunehmen“, hat Papst Franziskus erst kürzlich in Erinnerung gerufen. Die Orientierung der versammelten Gemeinde zum Herrn hin ist ein einfaches und konkretes Mittel zur Förderung der wahren Teilnahme aller an der Liturgie.

Die Teilnahme der Gläubigen könnte somit nicht verstanden werden als die Notwendigkeit, „irgend etwas“ zu tun. In diesem Punkt haben wir die Lehre des Konzils entstellt. Im Gegenteil handelt es sich darum, Christus uns ergreifen zu lassen und uns mit seinem Opfer zu verbinden. Nur ein vom kontemplativen Glauben durchtränktes Schauen wird uns davor bewahren, die Liturgie zu einer Aufführung zu machen, wo jeder seine Rolle zu spielen hätte. Die Eucharistie läßt uns eintreten in das Gebet Jesu und in sein Opfer, denn Er allein kann im Geist und in der Wahrheit anbeten.

Welche Bedeutung misst die Kirche dieser Frage nach der Orientierung zu?

Zuerst sei gesagt, dass wir nicht die Einzigen sind, die eine Orientierung beim Gebet kennen. Der jüdische Tempel und die Synagogen waren immer geostet. Durch die Wiederentdeckung dieser Ostung können wir zu unseren Ursprüngen zurückkehren. Ich stelle auch fest, dass Nicht-Christen, die Muslime insbesondere, beim Gebet orientiert sind [Anm. d. Übers.: Das heisst, dass sie in einer bestimmten geographischen Richtung beten].

Für uns ist Jesus Christus das Licht. Jede Kirche ist zu Christus hin orientiert. Ad Dominum. Eine Kirche des in sich verschlossenen Kreises hätte ihre Daseinsberechtigung verloren. Um sie selbst zu sein, muß die Kirche im Angesicht des Herrn leben. Unser Bezugspunkt, das ist der Herr! Wir wissen, dass Er unter uns gelebt hat und dass Er auf dem östlich von Jerusalem gelegenen Ölberg zum Vater heimgekehrt ist. Und dass er auf dieselbe Weise wiederkehren wird. Zum Herrn hin ausgerichtet zu bleiben, heißt Ihn täglich zu erwarten. Der Herr soll sich nicht fortwährend beklagen müssen: „Sie kehren mir den Rücken zu und nicht das Gesicht!“ (Jer 2, 27).

Drückt sich darin eine eschatologische Dimension aus, eine Weise, sich der Zukunft zuzuwenden?

Die Eucharistie ist eine Vorwegnahme der endzeitlichen Wiederkunft Christi auf diese Erde. Sie antizipiert, was wir sein werden, sie richtet uns auf das Kommende hin aus, wenn Gott alles in allem sein wird. Und doch ist Christus, wenn der Priester spricht: „Das ist mein Leib“, schon hier! Somit antizipieren wir diese Kommunion, die wir im Himmel leben werden. Die irdische Liturgie bereitet die himmlische Liturgie vor, wo uns geschenkt werden wird, Gott ohne Hülle zu betrachten, von Angesicht zu Angesicht.

Ich denke, das Wichtige ist nicht, den Priester zu sehen, sondern einen gemeinsamen Blick auf den Herrn zu werfen. Hier geht es nicht mehr um Dialog, sondern um gemeinsame Anbetung, um unseren Weg auf den hin, der am Kommen ist. Wie Joseph Ratzinger betont hat, ist ein geschlossener Kreis nicht geeignet, der gemeinsamen Bewegung Ausdruck zu geben, die sich in derselben Gebetsrichtung ausdrückt. Unglücklicherweise ist die Position des Priesters zur Versammlung hin mancherorts die Ursache dafür, dass die betende Gemeinde sich in sich selbst verschließt. Sie ist nicht mehr geöffnet, weder zur kommenden Welt hin noch zum Himmel. Es wäre verheerend, wenn der Priester das Zentrum würde, der Hauptprotagonist der eucharistischen Zelebration.

Welchen Sinn hat es, sich nach Osten zu wenden, wenn man überall im Geist und in der Wahrheit anbeten kann.

Natürlich können wir überall beten. Aber wir sind keine reinen Geister. Wir haben einen Leib. In der Liturgie kommt uns Christus mit seinem Leib entgegen. Wir richten uns nicht auf eine Idee aus, auf etwas Abstraktes, sondern zu einer Person hin, die inkarniert und sichtbar ist, unter uns bleibend. Am Kreuz offenbart Jesus das Angesicht Gottes. Meine Pflicht als Priester ist es, jeden Christen einzuladen, sich von den irdischen Götzen abzuwenden, um sich von Christus anschauen zu lassen. Heben wir die Augen hinauf zum Kreuz!

Das Konzil erinnert daran, dass Christus gegenwärtig ist in seinem Wort, in der Person des Priesters und in der betenden Versammlung. Um diese Gegenwart wahrzunehmen, ist es wichtig, ins Mysterium Gottes einzutreten; es gilt, sich vom Mysterium tragen zu lassen und im Mysterium zu sein.

Einige Kirchen sind aus praktischen, baulichen Gründen nicht nach Osten hin ausgerichtet – das ist der Fall in St. Peter in Rom. In diesen konkreten Fällen drängte Benedikt XVI. darauf, dass in der Mitte des Altars ein Kreuz aufgestellt würde, damit alle, Priester und Gläubige, den Blick auf das Kreuz hin ausrichten und nicht auf das Gesicht des Priesters. Es ist wünschenswert, dass überall da, wo es möglich ist, eine Darstellung des gekreuzigten und auferstandenen Herrn in der Apsis thront als „geistlicher Osten“, der unseren Liturgien und Kirchen eine Sinnrichtung gibt, als Zielpunkt, zu dem hin alle sich ausrichten.

Befürchten Sie nicht, dass dies als ein Rückschritt aufgefaßt wird?

Die Tatsache, sich der Wahrheit zuzuwenden, ist kein Rückschritt… Ich glaube, man muß feinfühlig und pädagogisch vorgehen, aber ich denke, es kann nicht schaden, einmal Bilanz zu ziehen: hat unsere Art und Weise der Zelebration den Glauben an die Eucharistie, an die Realpräsenz Gottes wachsen lassen? Hat sie die Christen in ihrer Gottesliebe voranschreiten und kirchenferne Menschen wieder zurückkehren lassen? Ich glaube, dass die Liturgie in Gefahr ist. Der Mensch versucht, den Platz Gottes einzunehmen. Die Liturgie riskiert, ein rein menschliches Spiel zu werden.

Warum nicht zur Intuition des Konzils zurückkehren: Gott wieder seinen Vorrang geben? Dies scheint mir um so wichtiger, als gerade viele junge Menschen eine größere Ehrfurcht vor dem Heiligen fordern; sie wollen den Sinn der Liturgie wiederentdecken.

Welche Früchte wären von der Umwendung des Altares [Anm. d. Übers.: Hier ist gemeint, dass der Priester vor dem Altar so betet, dass er zum Altar und nach Osten bzw. zur Apsis hin schaut] zu erwarten?

Der Papst hat betont, dass wir im Westen den Sinn für die Anbetung verloren haben, weil Gott in unseren Liturgien nicht im Zentrum steht. Dem gegenüber liegt in der Liturgie des Ostens die Herrlichkeit Gottes im Herzen jeder Geste. Die Zentralität Gottes ist eine wesentliche Bedingung, wenn wir den Geschmack an der Anbetung wiederfinden wollen. Ich bin zuinnerst davon überzeugt, dass die Liturgie eine mystische Realität ist. Derjenige, der Gott von Angesicht gegenübertritt, erfährt eine wirkliche und tiefe Änderung in sich selbst. Wenn Mose mit Gott spricht, von Angesicht zu Angesicht, wird er von einem göttlichen Schein geprägt: die Haut seines Gesichtes strahlt Licht aus. Wenn wir Gott feiern und Ihn so feiern, dass wir Ihm gegenübertreten, dann wird dieses Leuchten da sein. Sein Glanz wird uns durchdringen, denn die Kirche ist wie der Mond. Sie besitzt das Licht, wenn sie die Strahlen von der Sonne empfängt. Es geht um unsere Fähigkeit, das Licht Christi zu den Menschen zu bringen. Ohne den Geist der Anbetung gibt es keine Evangelisierung, sondern nur eine leere, weltliche Geschäftigkeit.

Natürlich ist das Licht Christi nicht einfach äußerlich. Dieses Leuchten muß unser Bewußtsein und unsere Seele durchdringen, damit es eine innerliche Veränderung bewirkt. Wenn wir nicht Mystiker und Heilige werden, wie könnte die Kirche dann leben?

Ist dies ein Thema, das besonders die Priester betrifft?

Viele Priester leiden darunter, nicht mehr zu wissen, was ihr tiefes Wesen ausmacht! So viele von ihnen verlieren die Ausdauer und die Begeisterung, denn sie haben weder ein innerliches Leben noch Bande der Freundschaft zu Jesus. Sie sichern aufrichtig ihre Funktion ab, jedoch ohne Verbindung zu Gott. Durch das Anschauen des Volkes und das Sprechen zu ihm läuft der Priester Gefahr, sich selbst als das Zentrum der Aufmerksamkeit zu empfinden. Gemeinsam mit dem Volk zum Herrn hingewandt zu sein, würde ihm erlauben, seine Identität wiederzuentdecken, welche darin besteht, das Volk zu Gott hin zu führen und selbst hinter Christus zu verschwinden; die Priester müssen transparent werden, um sein Licht durchscheinen zu lassen. Wir müssen wie die Hostie werden, uns „transsubstantiieren“ lassen und Ebenbilder Christi sein. Denn der Priester ist der, der sich vor Gott aufhält, der die Welt zu Ihm hin orientiert. Er ist ein Vermittler, ein Werkzeug in Seinen Händen und nicht der Hauptprotagonist der Liturgie. Ich denke auch, dass die Zelebration zu Gott hin die Bedeutung des Gebetes vor dem Tabernakel wiederentdecken lassen wird.

Was die Gläubigen betrifft, so sind sie nicht gekommen, um mit dem Priester zu sprechen, sondern mit Gott. Durch den Priester lassen sie die Opfergabe ihres Lebens, ihrer Leiden und ihrer Freuden zu Gott hin aufsteigen.

Worin besteht die Wichtigkeit der liturgischen Erneuerung für die ganze Kirche?

Wir sind dem Konzil nicht treu gewesen, denn wir haben nicht konkret die Messe zur Quelle und zum Gipfel unseres Lebens gemacht, zum Herrn hin gewendet! Über die Woche sind die Laien durch ihre Aktivitäten in Beschlag genommen. Wenn man ihnen nicht die Möglichkeit gibt, Gott während der Messe zu begegnen, gehen sie nach Hause und finden ihre Probleme wieder vor: nichts hat sich grundlegend geändert. Schlimmer noch, sie kehren in eine grausame Welt zurück, die unbarmherzig ist und ohne Gott, eine Welt, die sie schwächt und sie mit bloß materieller Nahrung überfüttert zum Schaden der spirituellen Dimension.

Der Glaube der Kirche wird zunehmen, wenn wir die sakrale Dimension der Eucharistie wachsen lassen. Um dies zu tun, entfernen wir alles, was schadet: namentlich während der großen Zeremonien oder in den touristischen Kirchen die Fotografen, die den Eindruck vermitteln, es handele sich um Bühnenballett. Dann werden wir den Sinn der Kirche und den des Menschen wiederentdecken. Ich bin überzeugt, dass die ganze Krise, die die Kirche erfährt – die Krise der religiösen Praxis, die doktrinäre Krise, die moralische und die spirituelle – daher kommt, dass die Gegenwart Gottes in der Eucharistie nicht wahrgenommen, das heißt in der Praxis negiert wird. Wenden wir uns Ihm zu!

Gibt es eine liturgische Erziehung für die jungen Menschen?

Ich werde niemals das Vorbild der Missionare in meinem Heimatdorf vergessen. Die jungen Menschen brauchen wirklich geistliche Priester als Vorbilder. Johannes Paul II. erklärte, ausgehend von seiner eigenen Erfahrung des Ostens: „Die Zukunft der Kirche und der Mission hängt von den Kontemplativen ab.“ Ich glaube, dass die Liturgie eine mystische Schule werden muß, ein Weg, um das Mysterium Gottes wiederzuentdecken. Als Afrikaner möchte ich der Jugend unsere freudige Ehrfurcht vor dem Heiligen überliefern, unsere Begeisterung, vor dem Angesicht Gottes zu stehen.

Es reicht nicht, intellektuell oder theologisch begründete liturgische Reformen durchzuführen; es ist notwendig, dass Heilige uns helfen, in das Mysterium einzutreten, das wir feiern. Schauen Sie, wie der Pfarrer von Ars oder Pater Pio die Heilige Messe zelebrierten. „Ich sah ihn mehrere Male Tränen vergießen, während er das heilige Opfer der Messe feierte“, sagte jemand über den Pfarrer von Ars, „zeitweise war er so sehr bewegt, dass die Gläubigen es wahrnehmen konnten. Ein solches Feuer brannte in seinem Blick.“

Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Aymeric Pourbaix. Publiziert bei CNA mit freundlicher Genehmigung von Kardinal Sarah und Famille chrétienne, NR 2002 des 28.05.2016. (CNA Deutsch)

Kirche bittet, Lebensmittel und Medizin nach Venezuela bringen zu dürfen

VenezuelaCARACAS – Die Kirche will der notleidenden Bevölkerung Venezuelas mit Lebensmitteln und Medikamenten helfen: Die Caritas des Landes will am heutigen Freitag, 27. Mai, dazu einen dritten Antrag an die Regierung stellen. Die Lage der Menschen im Land hat sich in den vergangenen Tagen weiter verschlechtert.

Bereits Ende April hat die venezolanische Bischofskonferenz ihre Sorge ausgedrückt über die politische und wirtschaftliche Krise des Landes zum Ausdruck gebracht. Die Hirten forderten die Regierung Nicolás Maduros auf, der Caritas zu erlauben, „Nahrungsmittel, Medikamente und weitere nötige Vorräte ins Land zu bringen“.

Janeth Márquez, Direktorin der Caritas in Venezuela, sagte am vergangenen Donnerstag zu CNA, dass in Anbetracht einer ausbleibenden Antwort die Institution am 5. Mai „einen zweiten Antrag gestellt hatte, mit dem gleichen Anliegen, dass es uns angesichts der Krise (…) erlaubt sei, einen humanitären Korridor einzurichten.“ Die Autoritäten antworten aber immer noch nicht und deshalb werden wir morgen einen dritten Brief an das Büro des Vizepräsidenten der Republik, Jorge Arreanza, übergeben.

Leidtragende sind vor allem Kinder

„Morgen, mit dem dritten Brief, werden wir sehen, ob sie uns antworten, denn es ist auch dringend notwendig, dass sich eine Möglichkeit auftut und dass eine Zusammenarbeit uns Hilfe verschafft. Die Leute leiden, weil die notwendigen Medikamente nicht zur Verfügung stehen, die Lebensqualität der Menschen verringert sich“, warnte sie.

Vor diesem Hintergrund machte die Direktorin der Caritas darauf aufmerksam, dass „sich die Situation in Venezuela in den vergangenen Monaten verschlimmert hat“ und dass unter den Leidtragenden vor allem auch Kinder seien, von denen viele „die Schule verlassen“ und teilweise sogar „die Grenze zur Unterernährung überschreiten“. Sie sagte, die Bitten um Hilfe hätten um 100 Prozent zugenommen und bestand darauf, dass die einzige Form, um darauf antworten zu können „der Beitrag der internationale Kooperation sei.“

Deshalb „drängen wir darauf, dass diese Erlaubnis (der Einfuhr von Hilfsgüter) gegeben werde oder dass ein geeigneterer Mechanismus geschaffen werde, so wie es der Staat für angemessen erachte. Vor allem stellen wir einen Antrag, damit ein humanitärer Korridor uns erlaube, dieser Bitte oder einem Teil dieser Bitte nachzukommen.

Márquez sagte, dass die Caritas momentan auf die Anfragen antworte dank eines „Tröpfelns“, das durch reisende Personen ankommt, die „ein paar Medikamente mitnehmen, die uns von einigen Organisationen geschickt werden; aber es sind wenige, wirklich nur ein paar Tropfen.“

„Wir glauben, dass die Zusammenarbeit in diesen Momenten in großem Stil geschehen muss“ erklärte sie. Und erinnert daran, dass „die Lösung auch nicht durch die Kirche kommt“, denn was sie tun kann, ist „die Situation zu erleichtern, in der wir leben“. „Die Lösung kann nur durch einen Wandel in der Staatspolitik kommen“ fügte sie hinzu.

Auch gab sie an, dass „wir aufgrund des großen Mangels nichts tun können, auch wenn sie uns Geld schicken, denn es gibt weder die nötigen Medikamente noch Nahrungsmittel, um die Pakete zu kaufen zu können, die wir normalerweise an die bedürftige Bevölkerung austeilen.“

Der Mangel an Medikamenten hat in Venezuela ein neues Opfer gefordert, das das Volk gerührt und dem Präsidenten Nicolás Maduro weitere Kritik eingebracht hat. Es handelt sich um Oliver, ein Kind, das Krebs hatte und am vergangenen Mittwoch gestorben ist. Ein Bild von ihm ging im Februar um die Welt. Dort sieht man ihn, mit einem Plakat in der Hand, auf dem der Satz steht: „Ich möchte mich behandeln lassen. Friede und Gesundheit“. In den Apotheken gab es aber keine Medikamente und die Eltern mussten auf Spendensuche gehen. (CNA Deutsch)

Italien: Kardinal Capovilla verstirbt mit 100 Jahren

Kardinal CapovillaIm würdigen Alter von 100 Jahren ist der älteste Kardinal der Weltkirche, der Italiener Loris Francesco Capovilla, verstorben. Der langjährige Sekretär von Kardinal Angelo Giuseppe Roncalli, dem späteren Papst Johannes XXIII., verschied in einer Klinik in Bergamo. Papst Franziskus hatte ihn 2014 mit der Erhebung in den Kardinalstand geehrt. Aufgrund seines hohen Alters nahm Capovilla nicht am Konsistorium zur Kardinalskreierung bei; das Birett und den Kardinalsring überbrachte ihm Kardinaldekan Angelo Sodano in Sotto il Monte; dort lebte Capovilla im einstigem Haus seines Dienstherrn Roncalli.

Capovilla hätte am 14. Oktober seinen 101. Geburtstag gefeiert. Mit seinem Tod umfasst das Kardinalskollegium nun 213 Purpurträger, davon 114 Wähler. (rv)

Ecce Homo: Heute beginnt der 100. Katholikentag

100_Katholikentag LeipzigLEIPZIG – Papst Franziskus hat erstmals eine Videobotschaft vorbereitet, die sich an die Besucher richtet: Mehrere zehntausend Gäste werden zum 100. Katholikentag erwartet, der heute in Leipzig beginnt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird zwar nicht dabei sein, doch viele andere Prominente und Politiker haben sich angemeldet. Rund 1.000 Veranstaltungen werden auf dem fünftägigen Treffen organisiert, wobei die heiligen Messen an Fronleichnam und zum Abschluss am Sonntag die Eckpfeiler bilden; an allen Tagen wird die Beichte angeboten, das Sakrament, auf das Papst Franziskus mit dem Jahr der Barmherzigkeit aufmerksam machen will. Gebete und Lesungen der Heiligen Schrift, Anbetung und Exerzitien sind auch in vielfältiger anderer Form angeboten.

Das weitere Programm liefert Höhepunkte wie die Uraufführung des Oratoriums „Ecce Homo“ von Colin Mawbry, eine reiche Vielfalt an Angeboten rund um den Glauben und gesellschaftliche Fragen, allerdings auch umstrittene Workshops und Vorträge einzelner Interessensgruppen.

Mensch im Mittelpunkt

Der Katholikentag steht unter Motto: „Seht, da ist der Mensch“ — die deutsche Übersetzung des berühmten Zitats aus dem Evangelium nach Johannes, Ecce Homo. Damit verweist Pontius Pilatus auf den Herrn, Jesus Christus. In Leipzig soll damit „Menschsein und menschliche Würde“ in den Mittelpunkt gestellt werden. Auf den Plakaten sind deswegen auch große Portraitbilder verschiedener Menschen zu sehen, statt dem Erlöser. Im Leitwort wird erklärt, dass der Widerspruch nur scheinbar ist: Wer genauer hinsehe, erkenne im menschlichen Gegenüber, dass dieses auf Gott zeige „den Gott, an den wir Christen glauben, einen Gott, der mit den Menschen leidet“.

Den meisten Bewohnern Leipzigs wird diese Spannung der christlichen Botschaft ohnehin nicht klar sein: Keine vier Prozent von ihnen sind katholisch; zwei Drittel der Bevölkerung des Freistaats Sachsen sind konfessionslos.

Katholikentag in der Diaspora

Diesem Umstand, dass das einst christliche Ostdeutschland als eines der atheistischsten Regionen der Welt gilt, trägt auch das Programm des Katholikentags Rechnung: Dem Dialog mit Konfessionslosen, die Christen ja evangelisieren sollen, ist ein eigener Themenbereich gewidmet; auch insgesamt gibt es im Programm viele Anknüpfungspunkte für Menschen, die keine christliche Prägung haben oder suchen.

Ehe und Familie, Pflege und Sterben, Chancen und Risiken der Biomedizin, die Flüchtlingskrise und Masseinwanderung nach Deutschland: praktisch alle aktuellen gesellschaftspolitischen Themen finden ihren Platz. Was für Kritik und Debatten gesorgt hat: Ausgeschlossen von der Diskussion haben die Veranstalter, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), alle Politiker der AfD; andererseits eingeladen wurden Gruppen und Aktivisten, welche Kritikern zufolge für Ziele kämpfen, die mit dem katholischen Glauben nicht vereinbar sind; etwa die von Papst und Kirche deutlich verurteilte Gender-Ideologie sowie Befürworter gleichgeschlechtlicher Sexualität bis hin zur „Homo-Ehe“, welcher der Papst erst wieder in Amoris Laetita deutlich eine Absage erteilt hat. Für Diskussionsstoff ist also gesorgt, auch wenn nicht alle potentiellen Teilnehmer eingeladen sind. (CNA Deutsch)

Vatikan/Frankreich: Kardinal Barbarin spricht mit dem Papst

barbarinPapst Franziskus hat am Freitag Kardinal Philippe Barbarin in Audienz empfangen. Der Primas von Frankreich und Erzbischof von Lyon ist unlängst wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen in Kritik geraten. Er wird beschuldigt, von pädophilen Übergriffen durch Priester gewusst und nicht angemessen reagiert zu haben. Mitglieder der französischen Regierung verlangten seinen Rücktritt. Anfang der Woche hatte Franziskus derartige Forderungen gegen den 65-jährigen Erzbischof jedoch zurückgewiesen. Im Interview der französischen Zeitung „La Croix“ sprach sich Franziskus dafür aus, den Abschluss der staatlichen Ermittlungen abzuwarten. Nach seinen Erkenntnissen habe Barbarin die notwendigen Maßnahmen zur Aufklärung der Fälle ergriffen, so der Papst. (rv)

Logo der Armenienreise des Papstes veröffentlicht

Logo Armenien„Besuch im ersten christlichen Land“, so lautet das Motto der Papstreise nach Armenien. Franziskus wird das Land im Kaukasus vom 24. bis 26. Juni besuchen. Neben dem Motto wurde auch das Logo von den Gastgebern an diesem Donnerstag vorgestellt. Auf dem Logo wird der biblische Berg Ararat dargestellt sowie ein tiefer Brunnen, der das langjährige Gefängnis des armenischen Heiligen Gregor darstellen soll. Die Farben gelb und violett, die das Logo prägen, stehen für die armenische Kirche. (rv)

Vatikan: Kardinal Coppa verstorben

Kardinal CoppaAn diesem Montagnachmittag ist in Rom der italienische Kardinal Giovanni Coppa verstorben. Der ehemalige Vatikandiplomat und Botschafter in der Tschechischen Republik war 2007 von Papst Benedikt nach Erreichen des 80. Lebensjahres in den Kardinalsstand erhoben worden.

Das Kardinalskollegium besteht somit aus 214 Kardinälen, von denen 114 wahlberechtigt sind. Darunter sind 46 italienische Kardinäle, 20 von ihnen mit Wahlrecht. (rv)

Hinweis von VH: Somit gibt es 46 italienische Kardinäle und hiervon sind 25 Kardinäle mit aktivem Wahlrecht.

Der Völkermord und der Papst: Warum der Besuch von Franziskus für Armenier so wichtig ist

cna_Fanziskus im VatikanVATIKANSTADT – 100 Jahre nach dem Völkermord und mitten im Jahr der Barmherzigkeit: Die Armenien-Reise von Papst Franziskus vom 24. bis 26. Juni findet vor dem Hintergrund einer besonderen Zeit in der Geschichte des Landes statt. Darauf hat der Botschafter Armeniens am Heiligen Stuhl hingewiesen. Mikael Minasyan sagte, das armenische Volk habe durch seine Geschichte gelernt, stark zu sein. Er erinnerte an den Völkermord des Osmanischen Reiches während und nach dem ersten Weltkrieg, dem etwa 1,5 Millionen Armenier und andere Christen der Region zum Opfer fielen.

Das Jahrhundertgedenken an den Genozid diene auch dazu, Fortschritte anzuerkennen und der Heilung Rechnung zu tragen, fügte er hinzu.

„Die Armenier haben der ganzen Welt gezeigt, was es bedeutet, eine Ungerechtigkeit zu bewältigen. Sie gaben der Welt die Möglichkeit zu verstehen, was ein Völkermord anrichtet, und was die Leugnung eines Völkermords ist. Lassen Sie uns nicht vergessen, dass der Begriff des „Genozids“ definiert wurde anhand einer Studie des Völkermords an den Armeniern.“

Der Botschafter sagte auch, dass diese Jahr Gelegenheit biete, jene zu würdigen, welche die Armenier unterstützt haben und auf den Völkermord aufmerksam gemacht haben. Dazu gehöre auch Papst Franziskus, der anerkannt habe, dass der Völkermord auch religiös motiviert war, so der Botschafter.

Ökumene des Bluts: Messe für die christlichen Märtyrer

In der heiligen Messe am Barmherzigkeitssonntag, dem 12. April 2015, hatte der Papst den Massenmord der türkischen Osmanen als Völkermord bezeichnet – ein Begriff, der auch 2001 in der gemeinsamen Erklärung des heiligen Papstes Johanes Paul II. und dem armenischen Obersten Patriarchen Karekin II. verwendet wurde. Franzisus feierte die Messe an jenem Jahrestag des Jahrhundertgedenkens für die Gläubigen des armenischen Ritus, den die Armenier auch Metz Yeghern nennen, das Martyrium.

„Wir sind allen Menschen wirklich sehr dankbar, vom kleinsten bis zum größten, auch Papst Franziskus, der etwas Historisches damit leistete, im April diese Messe zu feiern und dabei die Dinge beim Namen zu nennen, und einen weiteren Begriff dafür zu prägen, eine „Ökumene des Bluts“. Denn die Armenier wurden auch vernichtet, weil sie Christen sind.“

„Papst Franziskus unternahm sicherlich einen absolute fundamentalen Schritt, indem er zur Messe im Petersdom die Hierarchie der Armenischen Apostolischen Kirche und der armenisch-katholischen Kirche einlud, und den heiligen Gregor von Nazianz zum Kirchenlehrer der universalen Kirche erklärte.“ Der Kirchenvater war Patriarch von Konstantinopel im vierten Jahrhundert.

Bereits seit seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires pflegt Franziskus enge Beziehungen mit den Armeniern. Argentinien war nach den Massakern und Massenmorden durch Muslime im ersten Weltkrieg Ziel vieler armenischer Flüchtlinge. Heute hat das lateinamerikanische Land eine der größten armenischen Gemeinden der Welt.

Auf dem nun veröffentlichten offiziellen Programm des Papstes bei seiner Armenien-Reise im Juni steht auch ein Besuch des Denkmal-Komplexes Zizernakaberd. Hier versammeln sich jedes Jahr am 24. April Armenier, um der Opfer des Völkermords zu gedenken. Außerdem wird es eine Reihe ökumenischer Begegnungen geben, Gespräche mit Vertretern anderer Religionen, und gemeinsame Gebete für den Frieden.

Das armenische Volk sei „hoch erfreut“ darüber, dass der Papst sie besuche, sagte der Botschafter des Landes, weil Franziskus ein großer Unterstützer der Armenier gewesen sei. Wie Minasyan betonte, sei dies vor allem wichtig, weil türkische Politiker bis heute den Völkermord abstreiten und massiven Druck auf alle auszuüben versuchen, die darauf hinweisen. Auch wenn die meisten Türken selber den Genzozid nicht mehr abstreiten würden, und auch privat Politiker dies einräumten, würden sie dies öffentlich leugnen.

Der Botschafter erinnerte in diesem Zusammenhang auch den andauernden Völkermord des Islamischen Staates an Christen und anderen in der Region sowie die Islamisierung der türkischen Regierung wie der ganzen Region. Die Anerkennung des Papstes und sein Gedenken des Völkermords an den Armeniern sei vor diesem Hintergrund besonders wichtig, so Minasyan.

„Jetzt sehen wir, dass in den letzten 100 Jahren die Zahl, der Prozentsatz der Christen radikal nachgelassen hat. In den vergangenen fünf Jahren war es wirklich dramatisch. Ich will nicht alles in einen Topf werfen, aber angefangen hat dies mit dem Völkermord an den Armeniern.“ (CNA Deutsch)

Louis Raphael Sako: Marschiert endlich ein!

Patriarch SakoDie Situation der Christen im Nahen Osten wird immer bedrängender, auch Papst Franziskus weist immer wieder mit bewegenden Worten darauf hin, dass seine Gedanken und Sorgen mit den Glaubensbrüdern in den von Krieg und Terror gemarterten Gebieten sind. Religiöse Minderheiten, und unter ihnen insbesondere die Christen, werden unaufhörlich Opfer von Verfolgung und Gewalt. Der sogenannte Islamische Staat, eine Terrororganisation ohne Beispiel in der jüngeren Geschichte, ist für unfassbare Gräueltaten in den von ihm besetzten Gebieten verantwortlich. Immer mehr Menschen entscheiden sich deshalb dafür, ihrem Heimatland den Rücken zu kehren. Mittlerweile hat der Terror des IS auch Europa erreicht, doch die Iraker und auch die christlichen Minderheiten leiden unter diesem Terror schon seit Jahren. Sie fühlen sich von der Internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen und einer marodierenden Mörderbande ausgeliefert.

Grund genug für den chaldäisch-katholischen Patriarchen Louis Raphael Sako I., der in Bagdad lebt und wirkt, einen flammenden Appell an die Weltöffentlichkeit zu richten, der aufhorchen lässt: „Marschiert endlich ein!“ ist das Buch betitelt, in dem er seiner Sorge um die Situation der Christen (und nicht nur) im Nahen Osten Ausdruck verleiht und ein beklemmendes Bild der Lage vor Ort zeichnet. Dabei geht er weiter zurück in die Geschichte seiner Heimat, eine beginnende Islamisierung bereits unter Saddam Hussein, die gravierenden Fehler der USA nach ihrem Einmarsch 2003, sowie eine packende Schilderung der Flucht der Christen aus Städten wie Mossul nach der Eroberung des IS sowie dessen brutaler Übergriffe während Gottesdiensten.

Er spricht offen von Völkermord im Irak und erinnert die Internationale Gemeinschaft an die Verantwortung, die sie für die Menschen in den vom Islamischen Staat besetzten Gebieten hat. Für ihn gibt es zu einem militärischen Einsatz keine Alternative, denn: „Wenn man diesen Terrorschwadronen keinen Einhalt gebietet, können sie innerhalb von einigen Monaten die kulturelle und religiöse Vielfalt in meinem Land auslöschen, weil keiner mehr ein Weiterleben in Todesangst ertragen kann. Mit den Barbaren des IS gibt es kein Verhandeln und keinen Dialog. Absolute Kompromiss- und Erbarmungslosigkeit kennzeichnen sie,“ so schreibt er selbst im Vorwort zu seinem Buch.

Eine über 2000-jahre alte Geschichte des fruchtbaren Zusammenlebens zwischen Christen und anderen Glaubensgemeinschaften in den Gebieten, in denen die Frohe Botschaft zuerst erklungen ist, könnte in den heutigen Tagen zu einem Ende kommen. Dieser Gefahr für den Nahen Osten und die gesamte Menschheit entgegen zu wirken – das ist der Wunsch des Patriarchen, für den er um tätige Hilfe der gesamten Weltgemeinschaft bittet.

„Marschiert endlich ein! Stoppt die Ermordung der Christen im Nahen Osten. Ein Aufschrei aus Bagdad“ von Raphael Louis Sako ist im Herder-Verlag erschienen und kostet etwa 15 Euro. (rv)