MÜNCHEN – Am heutigen 24. Mai, dem Gedenktag „Maria, Hilfe der Christen“, begehen Katholiken seit 2007 den Gebetstag für die Kirche in China. Die Lage der Christen in der kommunistischen Volkrepublik ist angespannt: Während es nach Jahrzehnten der Eiszeit wieder Gespräche zwischen der Volksrepublik und dem Heiligen Stuhl gibt, schränken neue Regelungen kirchliche Arbeit und Verkündigung weiter ein. Katharina Wenzel-Teuber, Mitarbeiterin am „China-Zentrum“ mit Sitz in Sankt Augustin, sieht Schritte der Versöhnung, aber auch die Gefahr neuer Spannungen innerhalb der Gemeinden. Berthold Pelster, Experte für Fragen der Religionsfreiheit bei „Kirche in Not“ Deutschland, hat mir ihr gesprochen.
Berthold Pelster: Am 24. Mai beten Katholiken weltweit für die Kirche in China. Ein Weltgebetstag für ein ganz bestimmtes Land. Das ist ziemlich einzigartig. Was ist so besonders an China?
Katharina Wenzel-Teuber: Es ist ein großes Land mit einer alten Kultur, das die Zukunft der Welt maßgeblich mitgestalten wird. Die katholische Kirche ist dort eine kleine Minderheit, wenn auch mit einer langen Geschichte. Sie befindet sich in einer schwierigen Lage. Die Kommunistische Partei Chinas versucht seit 60 Jahren, eine vom Papst und der Weltkirche unabhängige nationale Kirche zu errichten. Das ist ihr zwar nicht wirklich gelungen, hat aber zu einer schmerzlichen Spaltung der katholischen Kirche Chinas in zwei Gemeinschaften geführt. Papst Benedikt XVI. hat 2007 einen Brief an die chinesische Kirche geschrieben, um ihr Orientierung in dieser komplexen Lage zu geben und zur Versöhnung aufzurufen. Die Katholiken auf der ganzen Welt bat er, im Gebet ihre brüderliche Solidarität zu bekunden. Papst Franziskus führt diesen jährlichen Aufruf zum Gebet für China fort.
Ist die katholische Kirche in China diesen Zielen der Einheit und Versöhnung seit Einführung des Gebetstages nähergekommen?
Tatsächlich haben sich chinesische Diözesen und Gemeinden an vielen Orten um Versöhnung bemüht. Dabei hat es Fortschritte gegeben – manchmal gerade dann, wenn die staatlich anerkannte, sogenannte „offizielle“ Kirche sich gegen behördliche Übergriffe auf das kirchliche Leben zur Wehr zu setzen versuchte, etwa bei den massenhaften Kreuzabrissen von Kirchendächern in der Provinz Zhejiang im Süden Chinas vor einigen Jahren. Es gibt aber auch immer wieder Rückschläge. Versöhnung braucht Zeit. Insgesamt aber scheint mir bei den chinesischen Katholiken das Bewusstsein gewachsen zu sein, dass sie alle zur einen Kirche gehören, trotz der großen Unterschiede.
Die kommunistische Regierung in der Volksrepublik China nimmt sehr großen Einfluss auf das religiöse Leben. Am 1. Februar 2018 sind die staatlichen „Vorschriften für religiöse Angelegenheiten“ in einer neuen und erweiterten Fassung in Kraft getreten. Kritiker befürchten, dass diese neuen Richtlinien zu schärferen Kontrollen und härteren Maßnahmen des Staates führen und vor allem den nicht-registrierten Gruppen und Gemeinden ziemliche Probleme bereiten könnten. Wie ist Ihre Einschätzung?
Auch vorher schon war religiöse Betätigung nur im vom Staat kontrollierten Rahmen erlaubt und legal – also an registrierten religiösen Stätten und mit behördlich zugelassenem Klerus. Bisher wurde aber vielfach religiöses Leben toleriert, das in rechtlichen Graubereichen stattfand. Die revidierten „Vorschriften“ sollen diese Grauzonen offenbar schließen. Sie enthalten mehr Verbote als bisher und konkrete Strafanordnungen. Geldstrafen von bis zu 4.000 Euro drohen jetzt beispielsweise Menschen, die Voraussetzungen für nicht genehmigte Gottesdienste schaffen, indem sie zum Beispiel Räume dafür zur Verfügung stellen. Stärkere Kontrolle gilt künftig den Auslandskontakten der Religionen, außerdem den religiösen Diensten im Internet und der Trennung von Erziehung und Religion. Seit 1. Februar wurde mehrfach gemeldet, dass Versammlungsstätten im Untergrund mit Verweis auf die Vorschriften geschlossen wurden. Ende März wurde der Verkauf von Bibeln auch in Onlinebestelldiensten gestoppt. Besorgniserregend sind Meldungen aus einigen Regionen, dass Minderjährige keine Gottesdienste mehr besuchen und die Gemeinden keine Religionskurse für Kinder mehr abhalten dürfen.
Trotz der vielen Probleme und Einschränkungen für die Religionsgemeinschaften fühlen sich offensichtlich viele Menschen in China zur Religion hingezogen. Wie lebendig sind die verschiedenen Religionsgemeinschaften im heutigen China?
Sehr lebendig! Dabei gibt es eine große religiöse Vielfalt, von den traditionellen Volksreligionen bis zu Islam und Christentum. Die Zahl der Christen hat sich in den vergangenen 70 Jahren sprunghaft erhöht, auch wenn es nur Schätzungen gibt, was ihre Zahl anbelangt. Es gibt heute etwa zehn Millionen Katholiken in China. Die Zahl der Christen insgesamt ist enorm in die Höhe geschnellt: Die Zahl der Gläubigen in den protestantischen Gemeinden liegt zwischen 38 und 80 Millionen.
Welche Erklärung haben Sie dafür, dass in einem Land mit einer atheistischen Staatsdoktrin so viele Menschen eine Religion praktizieren?
Es gibt ein Wertevakuum. Viele Menschen suchen nach Orientierung und auch nach Gemeinschaft.
Die kommunistische Partei warnt immer wieder vor einer „Infiltration aus dem Ausland“, vor allem auch vor einer „Infiltration mittels der Religion“. Welche Befürchtungen hat die Partei?
Sie hat Sorge, dass Gedanken ins Land kommen, die die eigene Herrschaft gefährden – etwa die Idee von „universalen Werten“. Außerdem befürchtet sie, dass religiöse Loyalitäten in Konflikt mit der Loyalität zu Partei und Staat kommen könnten, die für sie unbedingt an erster Stelle stehen muss.
Seit einiger Zeit propagiert die Staatsführung ein neues Leitbild für die Religionsgemeinschaften. Der Begriff dafür lautet: „Sinisierung“. Was ist damit gemeint? Droht dabei die Gefahr, dass Glaubensinhalte verfälscht werden?
Gemeint ist, dass sich die Religionen einerseits der traditionellen Kultur Chinas, andererseits der sozialistischen Gesellschaft Chinas anpassen sollen. Dabei geht es nicht nur um Äußerlichkeiten: Es werden auch „Forderungen an die religiösen Regeln und Lehren“ gestellt. Es wird sich zeigen, wie die chinesischen Theologen mit der Aufforderung zur Sinisierung des Christentums umgehen. Die Gefahr, dass dabei Glaubensinhalte verfälscht werden, ist durchaus vorhanden. Inkulturation ist ja ein Anliegen der Kirchen selbst, aber sie braucht Freiräume, wenn sie echt sein soll.
Seit 2014 gibt es Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der chinesischen Regierung. Über Inhalt und Ergebnisse dieser Gespräche ist bislang wenig nach außen gedrungen. Worum geht es in diesen Gesprächen? Und was ist nach Ihren Erkenntnissen bislang erreicht worden?
Seit 60 Jahren ist die Streitfrage, wer das Recht auf die Ernennung der chinesischen Bischöfe hat, zwischen Rom und Peking ungelöst. Ziel der gegenwärtigen Verhandlungen ist ein Kompromiss in Form eines Abkommens. Die genauen Inhalte und Bedingungen sind nicht bekannt.
Gibt es Risiken für diese Vorgehensweise? Und von welchen Gesichtspunkten lässt der Vatikan sich leiten?
Sicher gibt es Risiken. Es könnte zu weiteren Spannungen innerhalb der Kirche kommen. Da der Staat derzeit seine Politik gegenüber den Religionen verschärft, dürfte außerdem nach einem Abkommen das Überleben der Kirche im Untergrund sehr schwierig werden. Dem Heiligen Stuhl wiederum geht es um die Einheit der Kirche. Es geht außerdem – wie Kardinalstaatssekretär Parolin gesagt hat – darum, realistische pastorale Lösungen zu finden, die es den chinesischen Katholiken erlauben, ganz katholisch und gleichzeitig ganz chinesisch zu sein. (CNA Deutsch)
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