Unions-Fraktionschef Volker Kauder hat sich für einen großen öffentlichen Gottesdienst während des Papstbesuchs im September 2011 in Berlin ausgesprochen. Der Besuch des Kirchenoberhaupts in der Hauptstadt solle nicht nur ein politisches, sondern auch ein religiöses Ereignis sein, sagte Kauder am Mittwoch im Bundestag. Die Kirche solle auch zu einer missionarischen Präsenz in Berlin stehen, so Kauder, der selber evangelisch und mit einer Katholikin verheiratet ist. Zugleich dürfe das Programm der Reise – es ist derzeit noch nicht bekannt – nicht den Eindruck einer Trennung von Staat und Kirche in dem Sinne erwecken, dass die Etappe in Berlin für das Politische, die weiteren Stationen in Erfurt und Freiburg für das Religiöse stünden. „Das Christentum gehört eben auch zur Politik", so der Unions-Fraktionschef. Auch der Vorsitzende des Kardinal-Höffner-Kreises katholischer Unionsabgeordneter im Bundestag, Familien-Staatssekretär Hermann Kues (CDU), äußerte den Wunsch nach einem öffentlichen Gottesdienst in Berlin: „Kirche darf sich nicht verstecken", so Kues wörtlich. Die Zeitung „Der Tagesspiegel" hatte in ihrer Mittwochsausgabe von Bedenken des Erzbistums Berlin gegenüber einer öffentlichen Feier berichtet – und zwar wegen erwarteten Teilnehmermangels. Das Erzbistum wies die Spekulationen der Zeitung als unbegründet zurück.
Spricht Benedikt auch vor dem Bundestag?
Unterdessen wurde bekannt, dass Papst Benedikt bei seiner Deutschlandreise offenbar vor dem Deutschen Bundestag sprechen will. Bundestagspräsident Norbert Lammert informierte den Ältestenrat, dass der Papst sein Interesse an einer Rede vor dem Parlament bekundet habe, wie der Bundestag am Donnerstag in Berlin mitteilte. Offiziell wurde der Programmpunkt vom Vatikan aber nicht bestätigt. – Der Papst kommt vom 22. bis 25. September in die Bundesrepublik. (rv)
Jahr: 2010
D: Von Menschen und Göttern – und Kardinälen
„Von Menschen und Göttern" – so heißt ein Film über Mönche in Algerien, der jetzt auch in Deutschland angelaufen ist. Der Streifen des französischen Regisseurs Xavier Beauvois bekam beim Filmfestival in Cannes den „Großen Preis" der Jury; in Frankreich haben ihn schon über drei Millionen Menschen im Kino gesehen. Sehr angetan von dem „schlichten, aber eindringlichen" Film ist auch der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky. Er sagte dem Kölner Domradio:
„Der Film erzählt die Geschichte von neun Mönchen, die in einem kleinen Kloster in den Bergen Algeriens friedlich ein asketisches Leben führen, nur ihrem Glauben und der Hilfe anderer hingegeben. Aus den unwegsamen Berghängen vor den Klostermauern haben sie blühende Gärten geschaffen. Die Menschen aus den umliegenden Dörfern finden bei ihnen stets Hilfe. In medizinischen Fragen wie in anderen Nöten. Doch dann geraten die Ordensleute zwischen die Fronten. Islamistische Rebellen, im Kampf gegen die Regierung, bringen Gewalt und Zerstörung in die Region."
Eine wahre Geschichte – sie basiert auf der Entführung und Ermordung von neun Trappistenmönchen im Jahr 1996.
„Die Mönche spüren, dass der Terror vor ihrem Kloster nicht Halt machen wird. Ihr christlicher Glaube kann sie in große Gefahr bringen. Man legt ihnen nahe, das Kloster zu verlassen, doch sie zögern. Die gemeinsamen Jahre haben sie nicht nur zu einer Gebetsgemeinschaft gemacht. Sie sind Freunde, eine Familie mit einer bleibenden Aufgabe geworden. Die Menschen ihrer Umgebung verlassen sich auf sie und ihre Hilfe. Die Mönche diskutieren, zweifeln, kämpfen mit sich, schließlich entscheiden sie, dass sie gerade in der Gefährdung bleiben wollen. Jetzt und hier, an diesem Ort werden sie am meisten gebraucht, ungeachtet der Gefahr der sie sich persönlich aussetzen."
Der Film habe kein „happy end", so Kardinal Sterzinsky – die Mönche kämen, wie 1996 wirklich geschehen, ums Leben – übrigens unter bis heute nicht geklärten Umständen.
„Unwillkürlich will man meinen, nichts deutet hier darauf hin, dass Warten auf eine Erlösung aus dem Elend zum gewünschten Erfolg führt. Es kommt kein Erlöser, dennoch sagt der Film viel über Advent und Weihnachten. Er zeigt dass Solidarität mit den Armen wahre Größe ist und dem Leben Sinn gibt. Wir erleben in dem Film Menschen, die aus einem tiefen Glauben heraus mit ihrer Angst und ihrer Unsicherheit ringen. Und den Weg der Solidarität mit den Mitmenschen gehen, auch wenn es schier unmenschliche Kraft kostet und sogar die Hingabe des eigenen Lebens einschließt."
Er könne diesen Film nur empfehlen, so der Berliner Erzbischof. Er lasse die Botschaft von Weihnachten auf eine neue, aktuelle Weise verstehen. Gott zeige „einen Weg auf, wie das Elend der Menschen ertragen und überwunden werden kann". (rv)
Kardinal Turkson: Anschläge von Bagdad als Reaktion auf Nahost-Synode?
In seiner Friedensbotschaft hat sich Papst Benedikt besorgt über die Lage der Christen im Irak geäußert. Wir haben Kardinal Peter Turkson, den Präsidenten des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden, zu diesem Thema befragt. Der Kardinal stellte die Friedensbotschaft von Benedikt XVI. am Mittag der Presse vor. Sich einzuigeln, um sich zu schützen – das sei der falsche Weg, sagte uns der Kardinal mit Blick auf den Schutz christlicher Einrichtungen durch Betonmauern in Bagdad und Mossul.
„Wir müssen vielmehr nicht mehr Mauern aufbauen, sondern versuchen mit den Leuten zu reden. Sie sind im Grundprinzip Iraker, im Irak geboren, sie haben die irakische Staatsbürgerschaft. Aber wegen des Glaubens darf man nicht seine staatsbürgerlichen Rechte verlieren! Also keine Mauern bauen, sondern die Leute sollen verstehen, dass man nicht staatsbürgerliche Rechte wegen des Glaubens verlieren darf."
Turkson drängt auf mehr Einsatz europäischer Politiker für die Christen im Irak. Sie müssten mit der irakischen Regierung verhandeln, damit vor Ort Sicherheit geschaffen werde. Obwohl die Christen voll im Irak integriert seien, würden ihre Rechte dort nicht geachtet – sie würden als Fremdkörper gesehen, ihre Bürgerrechte würden missachtet. Und dann geht der aus Ghana stammende Kardinal auch auf das Attentat vom 31. Oktober in Bagdad ein, das zwei Priestern und über 50 Gläubigen das Leben kostete. Er sieht den Vorfall in Zusammenhang mit der Nahostsynode im Vatikan. Turkson:
„Das Attentat, das wir im Irak gehabt haben, wurde von einigen Leuten als Antwort für diese Synode ausgedrückt. Es gibt Leute, die das sozusagen als Strafe sehen." (rv)
Chile: Neuer Erzbischof (Metropolitan) von Santiago de Chile ernannt
Papst Benedikt XVI. hat Ricardo Ezzati Andrello zum neuen Erzbischof von Santiago de Chile ernannt. Wie der Vatikan am Dienstag mitteilte, hatte der Papst zuvor den Rücktritt von dessen Vorgänger Kardinal Francisco Javier Errázuriz Ossa angenommen. Der neue Metropolit für die Erzdiözese Santiago de Chile wurde war seit 2006 Erzbischof im chilenischen Concepción. Sein Vorgänger Errázuriz war seit 1998 Erzbischof seines Heimatbistums Santiago de Chile und gehört seit 2001 dem Kardinalskollegium an. Er verbrachte rund zwanzig Jahre in Deutschland, wo er in Vallendar bei Koblenz von 1971 bis 1990 in der Leitung der Schönstatt-Bewegung tätig war. (rv)
Italien/Israel: P. Cubbe wird „Gerechter unter den Völkern“
Israel ehrt den italienischen Jesuitenpater Raffaele de Ghantuz Cubbe (1904-1983) posthum mit der Medaille „Gerechter unter den Völkern": An diesem Dienstag überreichte der israelische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Mordechay Lewy, in Rom dem Neffen des Jesuiten die Medaille. Pater Cubbe starb vor 27 Jahren. Mario Galgano war für uns bei der Verleihung der Auszeichnung, die an Menschen verliehen wird, die Juden vor Verfolgung retteten.
P. Raffaele de Ghantuz Cubbe war in den 40er-Jahren Rektor einer Schule in Frascati in der Nähe Roms. Während des faschistischen Regimes rettete er mehrere jüdische Familien vor der antisemitischen Verfolgung. Doch auch Jahre danach erzählte er niemandem von seiner Tat. Sein Neffe Francesco de Ghantuz Cubbe erfuhr erst viele Jahre nach dem Tod seines Onkels davon.
„Wir erlebten unseren Onkel zu seinen Lebzeiten als eine fröhliche Person. Erst vor kurzem und nach dem Tod meines Onkels nahmen Überlebende mit mir Kontakt auf. Und so lernte ich eine neue Seite meines Onkels kennen. Ebenfalls erstaunlich ist für mich, dass ich noch nie etwas Negatives über ihn erfahren habe."
Eine Figur wie Pater Cubbe ist auch für den interreligiösen Dialog wichtig, sagt der Botschafter Israels beim Heiligen Stuhl, Mordechay Lewy.
„Jeder Einzelfall einer Rettung ist für uns bedeutend. Man muss ja bedenken, dass diese Retter selber unter großer Gefahr gelebt haben. Daher müssen solche Fälle besonders gewürdigt werden. Auch ist zu betonen, dass es unter den Priestern und Ordensleute sehr viele gegeben hat, die Juden gerettet haben. Das bedeutet aber nicht, dass sie alleine aktiv waren. Ich gehe davon aus, dass einige ihnen geholfen haben. Den menschlichen Instinkt soll man auch nicht schmälern. Deswegen sind wir froh, unsere Dankbarkeit zu zeigen."
Figuren wie P. Cubbe können auch die Beziehung zwischen dem Vatikan und Israel stärken, glaubt Botschafter Lewy.
„Ich bin sicher, dass diese Auszeichnung ein positiver Beitrag in dieser Richtung ist. Es gab sehr viele Missverständnisse. Vielleicht wird es noch einige davon geben, weil diese Zeit der Not und Unmenschlichkeit unter den Nazis – also die Shoah – sehr viele Unstimmigkeiten hervorgerufen hat, die nicht so leicht bereinigt werden können."
Es stecke sehr viel Aufarbeitung hinter der Ehrung P. Cubbes, fügt Botschafter Lewy an.
„Es hat mich sehr gefreut, dass der Prozess, der zu seiner Ehrung geführt hat, eine gemeinsame Handlung der Familien der Nachkommen des Jesuitenpaters und der Überlebenden ist. Dieser Zusammenschluss lässt mich für die Zukunft sehr hoffen."
Hintergrund
Seit 1963 ist eine öffentliche Kommission unter der Schirmherrschaft von Yad Vashem dafür zuständig, vorgeschlagene Personen nach bestimmten Kriterien zu prüfen und gegebenenfalls als „Gerechte aus den Völkern" anzuerkennen. Sie besteht aus in Israel bekannten Persönlichkeiten, die oft selbst Holocaustüberlebende sind und staatliche oder politische Ämter bekleiden oder bekleideten. Vorsitzender ist ein Richter am Obersten Gerichtshof Israels.
P. Rafaelle Ghantuz Cubbe war von 1942 bis 1947 Rektor bei der Schule Nobile Collegio di Mondragone bei Frascati. Danach ernannte ihn Papst Pius XII. zum Vizepräsidenten des Päpstlichen Hilfswerkes POA, die sich um die Überlebenden des Zweiten Weltkriegs kümmerten. Als Rektor der Schule in Frascati rettete P. Cubbe drei jüdische Kinder, ohne sie zum Katholizismus konvertieren zu wollen: Marco Pavoncello, Graziano und Mario Sonnino. (rv)
Peru: Menschenrechtspreis für Umweltbischof
Der peruanische Erzbischof Pedro Ricardo Barreto Jimeno hat am vergangenen Freitag einen Menschenrechtspreis als Auszeichnung für seinen Kampf gegen industrielle Umweltverschmutzung entgegen genommen. Sein Bistum Huancayo liegt in 3.300 Metern Höhe im Zentrum der peruanischen Anden, eine mineralienreichen Gegend. Seit 1922 stößt die Metallschmelzanlage La Oroya täglich 800 Tonnen giftige Gase in die Luft, und die Abwässer gelangen ungefiltert in die Umwelt. Die Schädigungen treffen neben den Beschäftigten besonders die Kinder der Gegend, für die sich Barreto besonders einsetzt.
„Ich stamme aus der Stadt Lima und hatte wenig Ahnung von Umweltproblemen. Vom ersten Augenblick an habe ich hier verstanden, dass eine der wichtigsten Herausforderungen für den Bischof der Schutz der Schöpfung Gottes ist. Hier muss die Soziallehre der Kirche mit der Realität in dieser Stadt in Beziehung gesetzt werden, einer Stadt, die zu den drei am meisten verschmutzten Städten der Welt zählt. Für mich war das schwer, da ich mich nicht wissenschaftlich mit der Frage auskannte; aber ich musste begreifen, dass viele Stimmen, ökonomische und politische, die Stimme der Kirche übertönen wollten."
Mit seinem Einsatz hatte Barreto sich nicht nur Freunde gemacht, besonders in letzter Zeit ist er angefeindet worden, bis hin zu anonymen Morddrohungen. Die Betreiberfirma der Metallschmelze ist US-amerikanisch. In den USA läuft auch ein Gerichtsverfahren gegen die Firma, die sich bislang weigert, staatliche Umweltauflagen umzusetzen. Blei, Kadmium und Arsenikum verursachen alle möglichen Schäden bis hin zu Krebs. Der Einsatz dagegen ist für Barreto eine genuin christliche Aufgabe. Der Preis „Angel Escobar Jurado", der ihm dafür jetzt verliehen wurde, wird von über 100 Menschenrechtsorganisationen im Land vergeben.
„Ich nehme den Preis als Repräsentant der katholischen Kirche an. Die kirchliche Soziallehre hilft uns, die Zeichen der Zeit, die Bedürfnisse von heute zu erkennen und gemeinsam den großen Herausforderungen zu begegnen, die der Respekt vor der menschlichen Würde und der Respekt vor der Umwelt, die Gott all seinen Söhnen und Töchtern geschenkt hat, uns stellen. Für mich ist das das Jesuswort sehr wichtig: ‚Wenn ihr in meinem Wort bleibt, werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen’." (rv)
Italien: Der Kardinal und der Müll Neapels
Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi muss sich am Dienstag einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen, sollte er verlieren, so will er Neuwahlen ausschreiben. Seine Gegner werfen ihm vor, sein Privatleben und das Fehlen politischer Leitung würden ihn zu einer Belastung für das Land machen.
Zum Symbol für die Probleme der Regierung Berlusconi ist die Frage der Müllentsorgung in Neapel geworden. Das Problem bleibt ungelöst, allen Versprechungen der Regierung zum Trotz. Der Kirche reichen die Maßnahmen nicht aus, der Erzbischof der Stadt, Kardinal Crescenzio Sepe, hat für den Donnerstag zu einem Sonder-Gebetstag aufgerufen. Scheinlösungen führen nicht weiter, so Sepe gegenüber Radio Vatikan.
„Es ist nicht nur ein Problem von heute, es ist ein schon lange andauerndes und schmerzhaftes Drama, es ist ein Makel nicht nur auf dem Image von Neapel, sondern man muss auch sehen, dass es ein Gesundheitsproblem ist und dass es die Menschenwürde jedes Bürgers verletzt. Es ist jetzt nutzlos, Namen zu nennen, aber natürlich gibt es Verantwortliche für diese Notsituation. Die Verantwortlichen müssen verstehen, dass es keine schnellen Lösungen gibt, sondern dass wir das Problem grundsätzlich lösen müssen, sonst bleibt uns der Makel auch auf unseren Gewissen erhalten."
Sepe will alle Verantwortlichen der Stadt zusammenbekommen, um an einer Lösung zu arbeiten, die nicht nur schnelle Erfolge sehen will. Dazu brauche es mehr als einen Maßnahmenkatalog, so Sepe:
„Wir haben diesen Gedenktag für Neapel einberufen, vor allem um das Bewusstsein dafür zu schärfen und zu mobilisieren. Es geht nicht nur um die Frage des Mülls, es geht um all die großen Probleme, die uns belasten. Wir brauchen eine Lösung unter der Beteilung aller, und wir müssen konkrete Zeichen setzen. Ich würde mir einen Augenblick der Reflexion wünschen, Momente des Zuhörens und auch der Buße. Einen Moment der Solidarität, der Aufmerksamkeit für die anderen, ein Zeugnis der Hoffnung für unsere Stadt und das ganze Gebiet." (rv)
D: Kardinal Marx neues Mitglied der Bildungskongregation
Kardinal Reinhard Marx ist von Papst Benedikt XVI. zum Mitglied der Bildungskongregation ernannt worden.Das gab der Vatikan an diesem Samstag bekannt. Die Vatikan-Ministerium ist für Priesterseminare und Priesterausbildung zuständig, außerdem muss sie Satzungen kirchlicher Universitäten oder Fakultäten bestätigen. Als drittem Schwerpunkt beschäftigt sie sich mit den kirchlichen Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. In diesen Bereich fällt auch die Frage des Religionsunterrichts an nichtkirchlichen Schulen. Dieses Amt ist die zweite weltkirchliche Aufgabe für Marx in Rom, seit 2008 ist er bereits Mitglied im päpstlichen Laienrat. (rv)
Wikileaks und der Vatikan: Ein Kommentar
Ein Kommentar zur Veröffentlichung von Dokumenten aus dem US-State Department über den Vatikan. Von unserem Redaktionsleiter Pater Bernd Hagenkord SJ.
Wikileaks, so weit das Auge reicht. Seit gestern können wir im Internet und dann auch bei Zeitungen, im Radio und auf Websites lesen und hören, was US-amerikanische Diplomaten an Informationen aus dem Vatikan an die eigene Regierung weitergegeben haben. Viel Erhellendes habe ich bis jetzt nicht lesen können. Spannend ist nur, dass diese Berichte jetzt als Quelle für Nachrichten behandelt werden. Oder besser: Wie sie behandelt werden. „Laut den von Wikileaks veröffentlichten Geheimberichten" heißt es, und dann werden die Einschätzungen der Diplomaten als Tatsachen berichtet. Der Vatikan sei verärgert gewesen über dies und habe Unterstützung für jenes gezeigt. Aus der Wiedergabe dessen, was die Diplomaten gemeldet haben, wird in den Köpfen ganz schnell Information über den Vatikan, und das ist schlechter Journalismus.
Erstens gilt immer noch: Selber recherchieren! Es gibt keinen Grund, all das ohne Zusatzinformationen und ohne zumindest ein Basiswissen in Sachen Vatikan einfach so für bare Münze zu nehmen. Es handelt sich nicht um Stellungnahmen offizieller vatikanischer Vertreter, es handelt sich auch nicht um Dokumente aus dem Vatikan: Es ist eine in Diplomatensprache formulierte Wiedergaben dessen, was US-amerikanische Diplomaten für die Meinung einzelner Vatikanmitarbeiter halten. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe.
Zweitens: Wenn ein Journalist investigativ tätig ist, wenn er versucht herauszubekommen, was andere lieber verheimlichen würden, dann hat das meinen Respekt. Solche Medien brauchen wir. Aber einfach alles, was da ist, ohne Differenzierung auf den Markt zu werfen und dann erst zu schauen, ob vielleicht etwas Interessantes dabei ist, das ist naiv. Und was Journalismus angeht, ist das sogar schädlich. Jedenfalls werden wir in näherer Zukunft keinen Bericht mehr über Diplomatie und internationale Beziehungen lesen, der nicht von US-Diplomaten und deren Dokumenten dominiert ist. Als ob die Meinung dieser Diplomaten die Richtschnur für Berichtenswertes sei. Ob das einer fairen Berichterstattung gut tut, bezweifle ich sehr stark. (rv)
China: „Ein ganz klarer Affront“
Begleitet von scharfen Protesten aus Peking ist dem chinesischen Schriftsteller Liu Xiaobo an diesem Freitag der Friedensnobelpreis verliehen worden. Er konnte die Ehrung nicht persönlich entgegennehmen, da er in China inhaftiert ist. Auch die Katholiken in China haben in diesen Wochen in ihrer Heimat wenig Grund zur Freude. Sie selbst ans Telefon zu holen, kann Radio Vatikan um dieser Gläubigen selbst willen nicht riskieren. Deshalb sprachen wir mit dem deutschen Missions- und Chinafachmann Georg Evers. Er sieht die derzeit laufende große Konferenz der regimetreuen „Patriotischen Vereinigung der Kirche in China" als ganz klaren Affront gegen den Heiligen Stuhl. An diesem Treffen hätten nicht nur Vertreter der „Patriotischen Vereinigung" teilgenommen, sondern gezwungenermaßen auch Vertreter der katholischen Bischofskonferenz.
„Bei der ganzen Veranstaltungen ging es um die Besetzung von zwei Schlüsselpositionen, die beide vor mehr zwei Jahren freiwurden, durch den Tod des Präsidenten der Patriotischen Vereinigung und durch den Tod des Vorsitzenden der Bischofskonferenz. Die Konferenz war eine Art angekündigter Zusammenstoß. Sie wurde mehrfach verschoben, und hinter der Szene ist viel verhandelt worden. Von Rom kamen Signale an die – sehr große Zahl der – mittlerweile vom Papst anerkannten Bischöfe, an der Konferenz jetzt nicht teilzunehmen."
Auch der frühere Bischof von Hongkong, Kardinal Joseph Zen, habe eindeutig von der Teilnahme am Pekinger Treffen abgeraten. Die chinesischen Religionsbehörden hätten gekontert, indem sie einige Bischöfe regelrecht „gekidnappt" und zur Teilnahme an der Konferenz gezwungen hätten.
„Also ist die Lage so, dass die Konferenz schon unter einem großen Druck der Religionsbehörden und auch der Kommunistischen Partei gestanden hat."
In den letzten Wochen habe sich das Pekinger Regime offensichtlich von einer seit ca. zwei Jahren eingespielten Praxis der Bischofsweihen abgewandt, mit der eigentlich auch Rom ganz gut habe leben können. Peking habe sich offenbar verhärtet, und die Weihe eines vom Papst nicht anerkannten Geistlichen zum Bischof im ostchinesischen Chengde sei ein trauriger Wendepunkt.
„Zum Glück, kann man vielleicht sagen, ist die Erwartung, die damit verbunden war, dass man ihn zum neuen Präsidenten der Patriotischen Vereinigung machen würde, nicht eingetreten; aber er hat immerhin den Posten des Generalsekretärs der Bischofskonferenz bekommen. Zum Vorsitzenden wurde jetzt der letzte Bischof gewählt, der vor vier Jahren illegitimer Weise geweiht wurde und vom Papst nicht anerkannt ist. Also, das ist ein ganz klarer Affront gegenüber dem Bestreben des Papstes, Versöhnung herzustellen." (rv)