Vatikan: Levada verteidigt den Papst

 

Der Präfekt der Glaubenskongregation weist Vorwürfe der „New York Times" gegen den Papst zurück. In einem ausführlichen Statement „zieht" – wie die Nachrichtenagentur Reuters formuliert – der US-Kardinal William Levada „die Samthandschuhe aus" und geht im Detail auf den Fall des pädophilen Priesters Lawrence Murphy ein. Die „New York Times" hatte den Umgang des heutigen Papstes, damals Kardinal Joseph Ratzinger, mit diesem Fall aus den fünfziger und sechziger Jahren scharf kritisiert. Levada, der bis 2005 Erzbischof von San Francisco war, urteilt, der Artikel und ein Kommentar des Blattes „lassen jedwede Fairness vermissen"; keiner habe so viel wie der heutige Papst gegen eine Vertuschung und Verschleppung von kirchlichen Missbrauchsfällen getan. Vom Fall Murphy sei der Vatikan erst in den neunziger Jahren informiert worden – lange, nachdem auch polizeiliche Ermittlungen gegen den Priester eingestellt worden seien. „Der Kernfehler des Artikels besteht darin, dem heutigen Papst und nicht den Entscheidungsträgern im Erzbistum Milwaukee vorzuwerfen, dass der Priester nicht suspendiert wurde." Gleichzeitig erwähne der Artikel der „New York Times" nicht, dass der heutige Papst sich vehement für das Erstellen von Richtlinien für den Umgang mit Missbrauchsfällen eingesetzt habe.

Die Glaubenskongregation unter Kardinal Ratzinger habe sich gleich, als sie Mitte der Neunziger vom Fall Murphy informiert wurde, für einen kanonischen Prozess gegen den Priester ausgesprochen. Erst als sie erfuhr, dass Murphy im Sterben lag, habe sie zum Suspendieren des Prozesses geraten. Das bedeute aber keine „Nachsicht" gegenüber Murphy, so Levada: „Meine Lesart ist vielmehr, dass die Kongregation verstanden hatte, dass ein komplexer kanonischer Prozess unnütz ist, wenn der Beschuldigte im Sterben liegt." Übrigens sei der Prozess damals tatsächlich nicht ausgesetzt worden, sondern bis zu Murphys bald darauf folgendem Tod weitergegangen. Als Christ, schreibt Kardinal Levada, habe er keinen Zweifel daran, „dass Murphy jetzt vor seinem Richter steht".

Der oberste Glaubenshüter des Vatikans geht auch auf Vorwürfe gegen den jetzigen Papst aus der Zeit ein, als Ratzinger Erzbischof von München war. Es sei „anachronistisch, wenn die New York Times so tut, als müssten die, die 1980 Verantwortung trugen, irgendwie schon das, was wir 2010 über Missbrauch wissen, intuitiv gefühlt haben".

Die Zeitung lasse es dem Papst gegenüber an „Gerechtigkeit" fehlen und wärme nur Vorurteile auf, so Levada in seinem langen Schreiben. Er bitte sie, „ihren Angriff auf Papst Benedikt XVI. noch einmal zu überdenken und der Welt ein ausgewogeneres Bild von einem Führer zu bieten, auf den man zählen sollte". (rv)

US-Kirchenrichter: „Papst ist über alle Zweifel erhaben“

Papst Benedikt XVI. vertritt eine klare Linie in Sachen „Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche". Das sagt der Präsident des Kirchengerichts der Erzdiözese von Milwaukee, P. Thomas Brundage. Er sei der erste Papst, der sich mehrmals öffentlich für die sexuellen Übergriffe in der Seelsorge entschuldigt habe. Auch sei Benedikt XVI. der erste Papst, der offiziell Missbrauchsopfer persönlich getroffen habe. P. Brundage war u.a. für den Fall „Murphy" zuständig, der in den vergangenen Tagen wieder in die Schlagzeilen kam. Die US-Zeitung „New York Times" erhob vor wenigen Tagen schwere Vorwürfe gegen den heutigen Papst bzw. damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger. Dazu P. Brundage:

„Kardinal Joseph Ratzinger – der heutige Papst Benedikt XVI. – hat meiner Meinung nach überhaupt keine Rolle gespielt im Fall vom P. Lawrence Murphy. Benedikt XVI. etwas vorzuwerfen, ist unlogisch und eine falsche Information. Als die Missbrauchsfälle der Glaubenkongregation anvertraut wurden, wurden die Fälle rasch, korrekt und mit der dafür nötigen Sorgsamkeit behandelt. Ich habe keinen Zweifel daran, dass dies dem damaligen Präfekten, Kardinal Ratzinger, zu verdanken ist."
In den vergangenen 25 Jahren, also als Kardinal Joseph Ratzinger Präfekt der Glaubenskongregation war, habe die katholische Kirche intern viel für die Verhinderung solcher Fälle sowie für die Aufarbeitung der Übergriffe getan.

„Alle katholischen Diözesen in unserem Land haben seit Jahren Vorkehrungen beschlossen und durchgeführt, um Kindern vor Tätern zu schützen. Kein anderer Papst oder Bischof hat jemals in der Kirchengeschichte so viel unternommen, um die katholische Kirche von dem Übel der sexuellen Übergriffe zu befreien. Heute ist die katholische Kirche vielleicht in dieser Hinsicht sogar der sicherste Ort für Kinder und Jugendliche." (rv)

Vatikan: Julian Kardinal Herranz Casado feiert 80. Geburtstag

Kardinal Herranz Casado feiert am 31.03.2010 seinen 80. Geburtstag. Der Spanier ist emer. Präsident des Päpstl. Rates für die Interpretation von Gesetzestexten und wurde von Papst Johannes Paul II. am 21.10. 2003 zum Kardinal erhoben. Seine Titelkirche ist die Diakonie „S. Eugenio“ und er ist im Vatikan in mehreren Dikasterien als Mitglied tätig. Mit seinem 80. Geburtstag verliert Kardinal Herranz Casado sein aktives Wahlrecht  in einem künftigen Konklave. Das Kardinalskollegium umfasst derzeit 182 Purpurträger, von ihnen sind 108 wahlberechtigt und 74 ohne Wahlrecht. (vh)

D: Hotline für Missbrauchsopfer

 

Ab diesem Dienstag gibt es eine Beratungshotline für Opfer sexuellen Missbrauchs in katholischen Einrichtungen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat sie an diesem Morgen vorgestellt. Bischof Stephan Ackermann, ihr Missbrauchs-Beauftragter, sagte in seiner Bischofsstadt Trier: „Wir wollen mit diesem Angebot die Opfer ermutigen, sich bei uns zu melden, gleich ob es sich um verjährte oder um aktuelle Fälle handelt. Wir wollen ansprechbar sein, wollen wissen, was erlitten wurde und den Betroffenen bei der Aufarbeitung beistehen. Das Thema sexueller Missbrauch darf nicht länger als gesellschaftliches Tabu behandelt werden – wir alle müssen lernen, offener darüber zu sprechen und die Opfer in den Mittelpunkt zu stellen." Die Hotline wird in Trägerschaft der Deutschen Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit der Lebensberatung im Bistum Trier realisiert.
Bischof Ackermann dankte den Opfern, die bisher den Mut gefunden haben, zu erzählen, was ihnen angetan wurde: „Sie tragen damit wesentlich dazu bei, dass wir als Kirche in Zukunft aufmerksamer hinschauen werden, was in unseren Einrichtungen, in unseren Schulen, Jugendgruppen und Kindergärten passiert. Ich sage ganz deutlich: Wir werden alles uns Mögliche dafür tun, dass sich sexueller Missbrauch in Einrichtungen der katholischen Kirche nicht wiederholen wird!"
Weiter appellierte der Bischof an „diejenigen, die als Täter schuldig geworden sind, sich zu ihren Taten zu bekennen. Nur so öffnet sich der Weg zu Wahrheit und Versöhnung."
Andreas Zimmer ist der Leiter des Arbeitsbereichs Beratungsdienste beim Bistum Trier. Er betonte vor den Journalisten: „Die Beratungen folgen dem Grundsatz, dass die Kontrolle über das Vorgehen bei den Anrufern bleibt. Wem sexuelle Gewalt durch sexuellen Missbrauch zugefügt wurde, der musste erleben, dass ein anderer ihm die Kontrolle genommen hat, als er ihn zum Opfer machte. Unsere Berater werden darauf achten, dass nur die Anrufer entscheiden, wie die weiteren Schritte aussehen. Wir wollen Türöffner sein und die Anrufer ermutigen, den nächsten Schritt zu gehen."
Die kostenlose Hotline ist dienstags, mittwochs und donnerstags von 13.00 Uhr bis 20.30 Uhr unter 0800-120 1000 erreichbar. (rv)

Experte: Große Schritte hin auf orthodoxes Konzil

1,5 Millionen orthodoxe Christen gibt es in Deutschland – damit sind sie die drittgrößte Kirche im Land. Jetzt haben sich die sieben Nationalkirchen auf deutschem Boden zu einer orthodoxen Bischofskonferenz vereinigt – nach zwanzig Jahren Vorbereitungszeit. Tihomir Popovic von der Nachrichtenagentur SOK der serbisch-orthodoxen Kirche erklärt:

„Die orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland ist im Prinzip ein Zusammenschluss aller kanonischen orthodoxen Diözesen in Deutschland: Griechische, serbische, russische, bulgarische, rumänische etc. Sie hat eine beratende Funktion; jeder Bischof ist weiterhin seiner Mutterkirche gegenüber verantwortlich. Darüber hinaus gibt es aber Bereiche, in denen diese Bischofskonferenz als Einheit auftritt, z.B. in den Bereichen Religionsunterricht an Schulen, Pastoral in den Justizvollzugsanstalten usw.“
Geleitet wird Deutschlands orthodoxe Bischofskonferenz vom griechisch-orthodoxen Metropoliten Agoustinos aus Bonn. Die Geschäfte führt von Bochum aus Ipodiakon Nikolaj Thon, ein enger Mitarbeiter des russisch-orthodoxen Erzbischofs Longin. Deutschlands Orthodoxe wollen durch den neuen Verbund zunächst einmal erreichen, dass ihre Stimme im Land vernehmbarer wird.

„Der wichtigste Grund ist, dass die jetzige Situation der Orthodoxie nicht kanonisch ist: Wir haben eigentlich in den Canones nicht vorgesehen, dass auf ein und demselben Territorium zwei oder drei Bischöfe ihre Jurisdiktion haben, und das ist jetzt in der Tat der Fall. Das, was jetzt vollzogen wird, ist eigentlich eine Annäherung an eine kanonische Situation, die aber erst ein Ökumenisches Konzil der orthodoxen Kirche lösen kann.“
Schon seit Anfang der sechziger Jahre ist der Prozess hin zu einem solchen orthodoxen Konzil im Gange; erst letztes Jahr tagte in diesem Sinn die vierte Panorthodoxe Konferenz in Chambésy bei Genf. Sie beschloss u.a., dass in allen zwölf orthodoxen Diasporagebieten gemeinsame Bischofskonferenzen eingerichtet werden – und schon wenige Monate darauf wird das jetzt u.a. in Deutschland konkret. Popovic meint:

„Das zeigt die Bereitschaft aller orthodoxen Ortskirchen, diesen Prozess voranzutreiben und dieses Konzil tatsächlich in absehbarer Zeit stattfinden zu lassen. Ich denke, jetzt gibt es keine politischen Prozesse mehr, die dem im Wege stehen: Kein Osmanisches Imperium mehr und auch keinen Eisernen Vorhang, kein kommunistisches Imperium im Osten Europas – jetzt müsste es eigentlich dazu kommen!“ (rv)

Kardinal Cordes: „Jetzt nicht in Depression verfallen“

Der deutsche Kardinal Paul Josef Cordes rät den Katholiken in Deutschland, jetzt „nicht in eine Depression (zu) verfallen“. Das sagte er im Gespräch mit Radio Vatikan. Er könne sich vorstellen, so ließ der Leiter des Päpstlichen Hilfswerks „Cor Unum“ erkennen, dass Benedikt XVI. in seiner „Urbi et Orbi“-Botschaft einige ermutigende Worte in Richtung Deutschland finden wird.„Es gibt eine Wendung auch in der deutschen Sprache, dass man von dem österlichen „Scherz“ spricht, vom „risus pascalis“. Ich würde mir sehr wünschen, dass diese Freude, die aus dem Glauben kommt, einen neuen Impuls gibt – auch in Deutschland, gerade in der jetzigen Situation, für die deutsche Kirche, die deutschen Bischöfe, die Priester und das ganze Volk Gottes. Ich bin ziemlich sicher, dass der Heilige Vater gerade aus seiner Verwurzelung in Jesus Christus und aus seiner Glaubensstärke heraus sehr dazu beitragen wird, dass die Christen in Deutschland neu aufleben. Dass sie nicht in eine Depression verfallen, in eine Selbstbezogenheit, in eine Nabelschau, die ihre Energie lähmt, sondern dass sie, wenn sie den Heiligen Vater am Ostersonntag mit seiner Botschaft hören, neu aufatmen und sicher sind: Christus ist mit ihnen! Und auch wenn der Widerstand in der Gesellschaft vielleicht groß ist, bedeutet das nicht, dass Gott sie verlassen hat.“ (rv)

Italien: „Zölibat überdenken“ – „Nein, doch nicht“

Die Zölibatspflicht sollte überdacht werden. Das schlägt der italienische Kardinal Carlo Maria Martini in einem Beitrag für die österreichische Tageszeitung „Die Presse" vor. „Die Grundfragen der Sexualität müssen im Dialog mit den neuen Generationen neu überdacht werden", schreibt der ehemalige Erzbischof von Mailand. Diese Grundfragen müssten gestellt werden, um das verlorene Vertrauen wiederzugewinnen, so Martini mit Blick auf die Missbrauchs-Skandale. Der Turiner Kardinal Severino Poletto hat Martini am Montag widersprochen: Er sei gegen eine Revision des Zölibatsversprechens. Priester sollten nicht zu „Funktionären" werden, sondern weiterhin „24 Stunden am Tag im Dienst der Kirche sein". Auch Vatikan-Kardinal Walter Kasper hat sich in einem Zeitungsinterview, das an diesem Montag veröffentlicht wurde, dagegen gewandt, unter dem Eindruck der Missbrauchsfälle jetzt eine Zölibatsdebatte zu beginnen.

Das Thema Missbrauch ist inzwischen auch in Italien in den Mittelpunkt des Medieninteresses gerückt. So hatte die Zeitschrift „L`Espresso" zuletzt mehr als vierzig Vergehen von Geistlichen zwischen der Toskana und Südtirol recherchiert. – Kardinal Carlo Maria Martini stand von 1980 bis 2002 an der Spitze des Erzbistums Mailand und war eine der herausragenden Gestalten der italienischen Kirche. Für eine monatliche Rubrik mit Antworten auf Leserfragen zu kirchlichen und religiösen Themen in der Mailänder Tageszeitung „Corriere della Sera" wurde der über 80-jährige Kardinal im Februar mit dem renommierten italienischen Journalistenpreis „Premiolino 2010" geehrt. (rv)

 

Vatikan: Der Todestag Johannes Pauls II.

Vor fünf Jahren starb Papst Johannes Paul II. Sein Todestag fällt in diesem Jahr auf den Karfreitag, deswegen gedenkt der Papst schon an diesem Montag seines Vorgängers. Heute Abend wird er im Vatikan eine Messe für ihn feiern, Radio Vatikan überträgt über unsere Partnersender. Wir alle haben die Bilder der letzten Tage des Lebens des polnischen Papstes noch vor Augen. P. Bernd Hagenkord erinnert:

„Mane nobiscum, domine, bleibe bei uns, Herr: mit diesen Worten laden die Jünger von Emmaus den geheimnisvollen Reisenden ein, bei ihnen zu bleiben, während er weitergehen will, am ersten Tag nach dem Sabbat, an dem das unglaubliche geschehen war.“

So beginnt die letzte Osterbotschaft Papst Johannes Pauls II., gehalten zum Segen Urbi et Orbi auf dem Petersplatz, Ende März 2005. Der Papst selbst ist zu schwach, um zu sprechen, Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano liest sie für ihn vor. Bleiben und Weitergehen, Tod und Leben, Johannes Paul spricht auch über sich selbst: Sein Tod steht im vor Augen. Bereits seit Wochen und Monaten war spekuliert worden über seinen Gesundheitszustand und den bevorstehenden Tod. Die letzten Tage über, während der Osterwoche, wurden immer wieder Rosenkränze für den sterbenden Papst auf dem Petersplatz gebetet. Erzbischof Leonardo Sandri, damals Substitut – also in etwa der Innenminister des Vatikan – verkündet während einem dieser Rosenkränze am 2. April die Nachricht des Todes: Der Papst ist heimgekehrt ins Haus des Herren, lasst uns für ihn beten. (rv)

Vatikan: 25 Jahre Weltjugendtag

Papst Benedikt XVI. hat die vor 25 Jahren begründeten katholischen Weltjugendtage gewürdigt. Er erneuerte am Sonntag auf dem Petersplatz den Appell an die junge Generation, Zeugnis von Jesus Christus abzugeben. Er sei erfreut, dass auch in der Gegenwart viele Jugendliche sich ohne Scheu zu Christus bekennten. Am 31. März 1985 hatte Johannes Paul II. im Zusammenhang mit dem damaligen UNO-Jahr der Jugend die katholische Jugend der Welt nach Rom einberufen. Seither finden katholische Weltjugendtage jährlich auf Ebene der örtlichen Kirchen und alle zwei bis drei Jahre mit einem großen internationalen Treffen statt. Das nächste internationale Weltjugendtreffen gibt es im August 2011 in Madrid. (rv)

Wocheninterview mit Abt Werlen: „Es geht nicht um Sexualität“

 

Über drei Monate nachdem der Jesuitenpater Klaus Mertes den „systematischen und jahrelangen" sexuellen Missbrauch am Berliner Canisius-Kolleg publik machte, ebbt die Enthüllungswelle ebenso wenig ab wie die Empörung. So eine Zwischenbilanz der deutschen Zeitung „Die Welt" an diesem Sonntag. In unserem Wocheninterview haben wir dem Schweizer Benediktinerabt Martin Werlen gefragt, ob sich die Fokussierung auf die Kirche nicht einfach eine Medienkampagne sei. Abt Werlen ist bei der Schweizer Bischofskonferenz für die Bereiche „Sexuelle Übergriffe in der katholischen Kirche" sowie „Medien" zuständig.
„Ganz entscheidend ist, dass wir als Kirche unseren Fokus von den Medien wegnehmen und auf die Schwierigkeiten, die wir tatsächlich in unserer Kirche haben, uns fokussieren und angehen. Das Problem, das wir haben sind nicht die Medien. Das Problem, das wir haben ist ein Problem in unseren eigenen Reihen unserer Kirche. Auch wie wir mit Übergriffen in der Vergangenheit umgegangen sind. Und auch wenn das nicht an die Öffentlichkeit gekommen wäre, ist das Problem da. Und diese ganzen Fragen haben unsere Glaubwürdigkeit in den vergangenen Jahrzehnten massiv auch beschädigt, auch wenn es nicht öffentlich war. Es ist eigentlich traurig, dass uns die Medien zu diesem Sprung helfen mussten, dass wir das angehen, aber jetzt sollten wir eigentlich dankbar sein und uns dieser Herausforderung stellen."
Der Vatikan hat ja bereits seit einigen Jahren Richtlinien erlassen. Dasselbe wurde auch in den meisten deutschsprachigen Bischofskonferenzen gemacht. Eigentlich wäre doch von Seiten der katholischen Kirche alles abgeschlossen.
„Die Arbeit ist nicht abgeschlossen, ganz klar. Das Problem ist auch nicht Rom. Das Problem ist in jeder Diözese, in jeder religiösen Gemeinschaft – und dort vor Ort müssen wir das angehen. Also ich für meine Gemeinschaft, in meinem Verantwortungsbereich, setze eine externe Untersuchungskommission ein, die die Vergangenheit aufarbeitet bis heute, wo alle Mitbrüder sich beteiligen, inklusive ich selbst. Ich denke, das ist die beste Voraussetzung, dass wir das Problem, das wir selbst haben, aufarbeiten können und auch konkrete Folgerungen für die Zukunft, für Prävention daraus schließen können. Ich denke aus der Aufarbeitung dieser Schwierigkeiten wird sich einiges neues Ergeben für die Arbeit der Prävention."
In der Schweiz gibt es ein bischöfliches Fachgremium, das sich mit den Missbrauchsfällen auseinandersetzt.
„Diese Einrichtungen haben sich sehr bewährt. Allerdings ist mit einem Fachgremium oder einem Schreiben mit Richtlinien die Mentalität noch nicht geändert. Das braucht sehr viel Zeit. Das braucht sehr viel Überzeugungsarbeit und Sensibilisierungsarbeit. Und wie wenig diese Arbeit bis jetzt gelungen ist, zeigt sich auch in der Fokussierung auf die Sexualität. Bei einem Übergriff geht es nicht in erster Linie um Sexualität. Ein sexueller Übergriff ist immer sexualisierte Gewalt, sexualisierte Macht. Und das größte Problem, das wir in der Kirche haben und das fällt uns noch schwieriger, das anzugehen als die Sexualität, ist das Problem der Macht. Es ist ein Missbrauch von Macht und das ist ein Problem, das uns als Christen auch sehr beschäftigen müsste, weil es gerade das Problem (der Umgang mit Macht) ist, das Jesus Christus auch direkt anspricht."
Bald geht das Priesterjahr zu Ende. Hat denn Ihrer Meinung nach der Patron der Priester, der Heilige Jean-Marie Vianney, auch in diesen schwierigen Stunden für die katholische Kirche etwas zu sagen?
„Ja, wenn er in seinem Wort, das uns eine unglaubliche Herausforderung ist, wenn er sagt, bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll der Diener aller sein. Und bei diesen Übergriffen kommt Macht zum Vorschein, Machtmissbrauch. Gerade das, was es bei uns so nicht geben dürfte. Dort werden wir mit einem Kernproblem unseres Glaubens konfrontiert in der jetzigen Situation. Und wenn wir uns diesem Problem stellen, wenn wir uns diese Frage wirklich stellen, dann bin ich überzeugt, dass unsere Kirche sehr wachsen kann, dass unsere Kirche sehr an Glaubwürdigkeit gewinnen kann. Dass aber viel von Machtpositionen, die jetzt noch massiv verteidigt werden, auch verloren gehen können – aber zum Guten für die Kirche."
Zurück zum Priesterjahr und Missbrauchsfälle: Sehen Sie weitere Verbindungen?
„Ich denke, dass da gerade der Patron dieses Priesterjahres, der Heilige Pfarrer von Ars und seine sehr sehr gute Wegweisung sein könnte. Ein Aspekt, den ich bisher kaum wahrgenommen habe in der Öffentlichkeit. Also man hat sich meistens beschränkt auf einzelne Aussagen von ihm, die dort in die Zeit hineingesprochen wurden und für uns heute manchmal auch sehr befremdlich wirken, weil sie doch eine ganz andere soziale Situation hinter sich haben, ein ganz anderen religiösen Umkreis. Aber es gibt etwas, das wir heute sehr ernst nehmen und lernen könnten von Pfarrer von Ars. Er kam nach Ars in eine völlig desolate Situation der Pfarrei dort. Und er hat sich der Situation gestellt. Er ist nicht mit irgendeinem Bild von Pfarrei gekommen und das musste umgesetzt werden. Sondern er hat sich in diese Situation hinein gestellt, Gläubige in diese Situation hinein gestellt und so konnte daraus etwas Großes entstehen. Und ich glaube diesen Punkt könnten wir gerade heute sehr sehr viel von Pfarrer von Ars lernen. Wir müssen nicht eine ideale Kirche haben, die es nicht gibt. Wir müssen nicht einen Schein wahren oder eine Fassade wahren, hinter der nicht viel steht. Sondern wir müssen uns der Situation stellen, wie sie jetzt ist und Dietrich Bonhoeffer hat das mal sehr schön zum Ausdruck gebracht, als er gesagt hat: „Die Gefahr ist, dass wir das Bild der Gemeinschaft mehr lieben als die Gemeinschaft selbst." Und diesen Prozess müssen wir auch in der Kirch gehen. Wir müssen uns verabschieden vom Bild, das wir von der Kirche haben und das wir lieben zu der Kirche die wir lieben. Und zu der gehören auch viele Menschen, die versagen, wir alle. Aber sich dieser Situation stellen und in dieser Situation versuchen, Christus nachzufolgen, das hat der Pfarrer von Ars hervorragenderweise gemacht."
Wie haben Sie die vergangenen Wochen persönlich erlebt?
„Ich habe in den vergangenen Wochen und Tagen sehr tiefgreifende Kirchenerfahrungen gemacht. Ich habe versucht sehr offen zu kommunizieren. In der Gemeinschaft, aber auch nach außen und vor allem auch im Auftrag der Bischofskonferenz, meine Aufgaben, die ich als Mitglied des Fachgremiums sexueller Übergriffe und als Verantwortlicher für Medien und Kommunikation. Und die Rückmeldungen haben mich teilweise zu Tränen gerührt. Vor allem auch von Opfern, die danken für diese Haltung. Und was mich sehr überrascht hat auch gerade von den Opfern, diese unglaublich sensible und differenzierte Wahrnehmungsweise. Ich habe entdeckt, dass es den Opfern nicht darum geht, Rache zu üben, sondern es geht darum, dass wir uns der Situation stellen, dass wir nichts mehr vormachen, dass Verantwortung übernommen wird und dass wir daraus etwas lernen. Und wenn Opfer das entdecken, dann unterstützen sie uns auf diesem Weg. Und ich glaube nicht, dass unsere Gemeinschaft in den letzten Jahrzehnten jemals eine so große Unterstützung, ein so großes Wohlwollen erfahren haben, wie in den letzten Tagen. Und was vor allem auch sehr gut angekommen ist, dass ich ganz klar gesagt habe, wir stehen auch zu Mitbrüdern, die Fehler begangen haben. Sie sind unsere Mitbrüder und unsere Gemeinschaft bewährt sich gerade da, wo wir zu unseren Mitbrüdern stehen. Und das wünsche ich mir nicht nur in den Ordensgemeinschaften, sondern auch in den Diözesen, dass sie erfahren dürfen, dass der Bischof, dass die Gläubigen hinter ihnen stehen, auch wenn sie Fehler begangen haben. Und gerade diese Haltung dfes Vertrauens ermöglicht es auch, Menschen die große Fehler begangen haben sich überhaupt zu öffnen. Und sonst führt das geradezu zu einer Vertuscherei, es führt zu dem, dass es nicht an die Öffentlichkeit kommt, dass es nicht angegangen werden kann, dass nicht damit gearbeitet werden kann und das ist der beste Nährboden auch für künftige Übergriffe."
Gibt es einen Wunsch, den Sie in diesen Tagen vor Ostern, äußern wollen?
„Ich wünsche mir sehr, dass wir nach dem Vorbild des Heiligen Pfarrer von Ars, jetzt den Mut haben uns als Kirche dieser Situation zu stellen. Nicht Angst haben um unsere Macht oder Macht, die wir verlieren, sondern entdecken, dass uns diese Situation grad viel näher an Jesus Christus binden kann und zu dem führen kann, was eigentlich Kirche ist." (rv)