Am Tag nach dem historischen Besuch sind die Reaktionen gemischt. „Applaus und Kritik“, titelt die israelische Zeitung „Ha`aretz“. Generell sprechen Israels Medien wenig von dem Ereignis; sie erwähnen in der Regel die Kritik an Pius XII., reden aber von einer wichtigen Geste Benedikts. Der jüdische Staat, den der Papst letztes Jahr besuchte, wurde in seiner Synagogenrede nicht ein Mal erwähnt. Israels Vize-Premier Silvan Shalom erklärt, er habe Benedikt „im Interesse des Weltfriedens“ gebeten, sich gegen die atomare Bewaffnung des Iran auszusprechen.
Die Visite hat „das Klima freundlicher gemacht“, meint Roms Oberrabbiner Riccardo Di Segni. Sein Eindruck sei sehr positiv – vor allem, weil der Papst signalisiert habe, dass er nicht mehr hinter das Konzil zurückwolle. „Ein herrlicher Tag, der der Welt vorführt, wieviel sich in den Beziehungen Juden-Christen getan hat“ – das sagt der Rabbiner David Rosen, ein alter Hase des Dialogs. Es stimme schon: Johannes Paul sei der erste gewesen, der den Schritt in eine Synagoge gewagt habe. Doch der jetzige Papst habe das, was sein Vorgänger vormachte, nun „institutionalisiert“. Benedikt „beginnt unsere Haltung zu Pius XII. zu verstehen“, glaubt Riccardo Pacifici, der der jüdischen Gemeinde Roms vorsteht. Wie Benedikt sich erhoben habe, als die Holocaust-Opfer erwähnt wurden – das sei ein Bild, das von diesem Besuch bleiben werde.
Der Präsident der italienischen Rabbinervereinigung, Giuseppe Laras, sieht hingegen „nichts Neues“ und „keinen Grund, der zu mehr Optimismus über unsere Beziehungen verleiten könnte“. Laras war dem Ereignis ferngeblieben. Aber „die, die gekommen sind, haben damit recht behalten“, sagt der italienische Historiker Giorgio Israel. Überlebende des Holocaust haben dem Papst einen Brief geschrieben, in dem sie kritisieren, dass Pius XII. nicht öffentlich gegen die Judenvernichtung der Nazis protestiert hat: Dieses Schweigen habe „unser Leben und das unserer Kinder geprägt“. Etwa hundert Lefebvre-Anhänger und Traditionalisten haben in Verona eine Sühnemesse gefeiert, um gegen den Papstbesuch in der Synagoge zu protestieren: Der von der Kirche geführte Dialog sorge dafür, „dass die Nichtkatholiken in ihren Irrtümern verharren“. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Fouad Twal, zeigte sich enttäuscht über einige pro-israelische Äußerungen jüdischer Redner während des Treffens.
„An die Kritiken und Spaltungen vor dem Besuch wird man in Zukunft nicht mehr denken, sie sind unwesentlich“, schreibt die Historikerin Anna Foa im Leitartikel der „Pagine Ebraiche“, zu deutsch „Jüdische Seiten“. Viel sei erreicht worden: klare Bekenntnisse zum Dialog von jüdischer Seite, „ein klares Bekenntnis des Papstes zum Konzil und zur engen Verbindung zwischen Christen und Juden“. All dies bedeute, „dass die Blicke sich nun nach vorne richten“. (rv)
Tag: 18. Januar 2010
Papst besucht Synagoge – ein Bericht
Papst Benedikt XVI. hat die Synagoge von Rom besucht. Am Sonntag Abend stellte er sich in dem jüdischen Gebetshaus am Tiberufer deutlich hinter die Dialog-Initiativen seiner Vorgänger. Der Besuch fand unter starken Sicherheitsvorkehrungen statt; immer wieder kam es während des Papstbesuchs bei der ältesten jüdischen Gemeinde des Westens zu spontanem Beifall, zu Tränen und Emotionen. Beobachter sprachen schon im Vorfeld von einem „historischen Besuch“, der allerdings auch von Polemiken begleitet war. Auch öffentlich wurde der Papst in der Synagoge auf jüdisches Unbehagen angesprochen, was den Seligsprechungsprozess für Papst Pius XII. betrifft. Ein hochrangiger jüdischer Vertreter forderte eine Öffnung der Vatikan-Archive zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und äußerte Respekt auch denen gegenüber, die diesem Papstbesuch ferngeblieben seien. Das gilt etwa für den Präsidenten der Italienischen Rabbinerkonferenz, Giuseppe Laras. Vor dem Betreten der Synagoge legte Benedikt, der u.a. vom deutschen Kurienkardinal Walter Kasper begleitet wurde, im römischen Ghetto einen Kranz nieder für die Menschen, die von hier aus in die Nazi-Vernichtungslager abtransportiert wurden. Der römische Oberrabbiner Riccardo Di Segni wies darauf hin, dass der neuere Dialog mit dem Judentum eine Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils sei. Das Konzil dürfe nicht in Frage gestellt werden, meinte er mit einer deutlichen Anspielung auf die Piusbruderschaft. An dem Ereignis in der Synagoge nahmen auch islamische Gäste teil. Aus Jerusalem waren der Lateinische Patriarch Fouad Twal und Israels Vize-Regierungschef Silvan Shalom angereist. In der Synagoge hatten auch viele Überlebende des Holocaust Platz gefunden. Papst Benedikt hielt ein eindringliches Plädoyer für eine Fortsetzung des katholisch-jüdischen Dialogs trotz aller Irritationen. Die Lehren des letzten Konzils seien auch in dieser Hinsicht „ein fester Bezugspunkt“. Er hob die Einzigartigkeit des Holocaust hervor und lobte Initiativen des Vatikans zur Judenrettung in Zeiten des Holocaust. Auf die Polemik um Pius XII. ging der Papst aus Deutschland nicht ein. Wie sein Vorgänger Johannes Paul II., der 1986 als erster Papst der Neuzeit die römische Synagoge besucht hatte, schloss auch Benedikt seine Ansprache mit einem Psalm-Zitat in hebräischer Sprache. (rv)