Vatikan/Belgien: Papst bestärkt Bischöfe

Papst Benedikt XVI. hat den belgischen Bischöfen seine Nähe und Solidarität bekundet. An diesem Sonntag sendete das katholische Kirchenoberhaupt einen Brief an den Vorsitzenden der belgischen Bischofskonferenz, Erzbischof André-Joseph Léonard. Mit klaren Worten ging Benedikt XVI. auf die jüngsten Vorgänge in Brüssel ein. Dort hatte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag im Zuge von Ermittlungen in Missbrauchsfällen die in Brüssel versammelten Bischöfe für neun Stunden festgesetzt, ihre Handys und vertrauliche Unterlagen beschlagnahmt und zudem die Gräber von zwei Kardinälen aufgebrochen. Der Papst verurteile den Missbrauch von Minderjährigen durch Kirchenmitarbeiter aufs Schärfste. Die Kirche sei bei der Aufklärung zur Zusammenarbeit mit der staatlichen Justiz bereit, betonte der Papst in dem Brief vom Sonntag. Die Form der Untersuchung und insbesondere die Zerstörung von Gräbern seien jedoch schwerwiegend. – Der belgische Botschafter beim Heiligen Stuhl war am gleichen Tag – also bereits am Donnerstag – in den Vatikan einbestellt worden. (rv) 

Richterin Nußberger: „Westen kann von Osteuropa lernen“

Religionsfragen werden in Europa mehr und mehr zu Streitfragen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wird beispielsweise am kommenden Mittwoch über Kruzifixe an italienischen Schulen verhandeln. Wir haben Angelika Nußberger gefragt, inwieweit Religion ein Menschenrecht sei. Sie ist die neue Richterin des Menschenrechtsgerichtshofs. Die Kölner Völkerrechtlerin und Osteuropa-Expertin wird ab Januar im Straßburger Gremium mitwirken.
 „Religionsfreiheit ist natürlich auch ein Menschenrecht. Man versteht es einerseits als positives Recht, d.h. ein Recht, Religion zu haben, und andererseits ist es auch ein sogenanntes negatives Recht, und zwar kann man eben eine Religion auch nicht haben. Auch mit derartigen Fragen befasst sich der Gerichtshof."
Sie sind u.a. Expertin für Rechte in Osteuropa. Wie sieht es dort aus in Sachen Menschenrechte und Religionsfreiheit? Gibt es große Unterschiede zu Westeuropa?
„Ja, natürlich gibt es Unterschiede, weil in jenen Regionen die Religionsfreiheit nicht gewährleistet worden war. Das galt bis zur Wende Ende der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre. Seither wird jedoch die Religionsfreiheit gewährleistet. Es gab dann – wie man gut beobachten konnte – eine religiöse Renaissance. Damit sind natürlich sehr viele Fragen verbunden, die die Menschen in Osteuropa in anderer Weise betreffen als die Menschen in Westeuropa. Ich denke dabei an die Verhältnisse unter den Kirchen, ob gegeneinander oder miteinander. Es geht hierbei meist um Eigentumsrückgaben und es muss überhaupt ein Zusammensein eingespielt werden, wie man mit solchen Fragen überhaupt umgehen kann. Das ist ein neues Terrain, was sich hingegen in den sogenannten alten Demokratien über lange Zeit herausgebildet hat."
Können wir im Westen auch von den Osteuropäern in Sachen Menschenrechte und Religionsfreiheit lernen?
„Es gibt in den osteuropäischen Ländern ganz andere kulturelle Traditionen, die ihre besonderen Werte in sich tragen und die von uns auch gar nicht wahrgenommen werden. Ich beobachte aber mit einer gewissen Traurigkeit, wie dies in Osteuropa überdeckt wird durch eine große Kommerzialisierung, die nach der Wende kam. In Russland spricht man beispielsweise von „Sabornos". „Sabor" ist die Gemeinschaft, die sich in der Kirche trifft und davon wird ein Abstraktum gebildet. Dieses Verständnis der Zusammengehörigkeit wird als etwas Besonderes hervorgehoben. Ich kann das nicht ins Deutsche übersetzten. Es gibt kein Wort hierfür bei uns. Das ist auch schwer zu vermitteln. Sich damit zu befassen, bedeutet, dass man auch etwas von diesen Ländern lernen kann."
Und umgekehrt: Was müsste Ihrer Meinung nach in Osteuropa verbessert werden?
„Ich komme gerade zurück von einer Tagung der OSZE und des Max-Plank-Instituts in Kiew. Da ging es um richterliche Unabhängigkeit. Das ist sicherlich ein Bereich, in dem insbesondere in diesen Ländern sehr große Schwierigkeiten feststellbar sind. Sie wollen richterliche Unabhängigkeit aber sie wissen nicht, wie sie das erreichen können. Und es gibt auch Negativtraditionen, die sich in der sowjetischen Zeit entwickelt haben. Da waren die Richter eben nicht unabhängig. Diese Richter aus jener Zeit sind ja zum Teil noch da. Das Umdenken ist schwierig. Bei derartigen Fragestellungen kommen die Vertreter der Staaten oft zu den Juristen Westeuropas und fragen, wie man dies nun so gestalten könne, dass die Justiz sich bessert. Die Justiz wird von den dortigen Bürgern weiterhin als korrupt und abhängig empfunden. Das ist ein großer Missstand im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Das führt auch zu sehr viel Beschwerden beim Menschrechtsgerichtshof in Straßburg." (rv)

Boff: „Die Schattenseite der Kirche gehört zu uns, macht uns aber nicht aus!“

Wenn ein Befreiungstheologe dieser Tage durch Österreich und Deutschland reist, dann begegnet ihm in der Diskussion um Befreiung und Neubeginn auch immer wieder die Missbrauchsdebatte. Das hat Leonardo Boff vergangene Woche erfahren, bei seinen Stationen an der Universität Innsbruck und im Franziskanerkloster von Großkrotzenburg. Von der gegenwärtigen Situation der Befreiungstheologie in Lateinamerika, etwa dem entschlossenen Kampf brasilianischer Christen um den Erhalt des Amazonasgebietes, hat er seinen Zuhörern berichtet – und auf der anderen Seite ein offenes Ohr für die Anliegen der Menschen vor Ort aus ihrem eigenen Kontext heraus gehabt. Ein Stimmungsbild zeichnet der Befreiungstheologe dementsprechend so:
„Die Christen sind etwas perplex, weil sie sehen, dass die Kirche in eine moralische Krise geraten ist – dass die pädophilen Priester ein Skandal sind. Viele leiden darunter. Aber das ist kein Grund für mich, dass sie aus der Kirche austreten, denn diese Schattenseite der Kirche ist nun mal möglich und gehört zu uns. Das ist unsere Kirche! Jede Person hat eine Schattenseite und muss sich selbst damit auseinandersetzen und das überwinden. Dasselbe müssen wir mit der Kirche tun."
Jede Person, die gesund sei, könne schließlich krank werden, vergleicht Boff. Aber die Krankheit sei eben nicht Kern der Kirche – ihr Kern sei vielmehr das Evangelium. Nichts desto trotz müsse die Kirche demütig anerkennen, dass auch innerhalb ihrer eigenen Reihen Sünden und Fehler geschähen, die korrigiert werden müssten.
„Der Kirche muss meiner Ansicht nach geholfen werden, damit sie ihre Aufgabe und Funktion in der Welt weiterführen kann. Es wäre sehr schade, wenn die Kirche wegen dieser kritischen Situation herabgewürdigt oder ihre heilige Existenz als Vertreterin des Erbes Jesu in Frage gestellt werden würde. Deshalb muss sich die Kirche ihre Fehler eingestehen und transparent machen und um Verzeihung bitten. Und sich auch von Laien, von Fachmännern, wie Psychologen und anderen Experten, die verstehen, was da passiert ist, helfen lassen – um das künftig zu vermeiden, mit Maßnahmen, die solche Fälle schon im Vorfeld verhindern können."
Auch in Brasilien, im Nordosten des Landes, seien zwei Fälle sexuellen Missbrauchs in der Kirche bekannt geworden. Das sei aber, anders als in Deutschland oder Österreich, nicht als Phänomen der Kirche betrachtet worden, erklärt der Befreiungstheologe. Grundsätzlich seien die Kirchengemeinden in Lateinamerika und Europa unterschiedlich strukturiert, möglicherweise sei das Beispiel Lateinamerikas in der aktuellen Situation genauer zu überdenken:
„In meinen Augen sind die Priester, die Pfarrer und Ordensleute, sehr stark in das Volk integriert. Sie leben nicht distanziert vom Volk oder alleine in ihren Pfarreien oder Klöstern. Und dieser Umgang mit dem Volk macht die Integration von Beziehungen leichter. Sie werden menschlicher. Die Priester fühlen sich geliebt und leben auch tatsächlich diese Perspektive der Liebe, jenseits der sexuellen Komponente. Das macht auch das Zölibat leichter. Weil die Einsamkeit, die so schädlich ist, nicht so sehr zu spüren ist. Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass es bei uns weniger Probleme auf diesem Gebiet gab." (rv)

Vatikan: Benedikt XVI. – längster deutscher Papst

Am Sonntag, den 27. Juni 2010 hat Papst Benedikt XVI. das längste Pontifikat aller bisherigen deutschen Päpste erreicht. Seine Amtszeit beträgt am Sonntag 5 Jahre, 2 Monate und 9 Tage. Damit hat er Papst Leo IX. (5 Jahre, 2 Monate und 8 Tage) überholt. Die deutschen Päpste gliedern sich aufgrund ihrer Pontifikatsdauer dann wie folgt:

Lfd. Nr. Papst Von Bis J/M/T
1. Benedikt XVI. 19.04.2005 27.06.2010 5/2/9
2. Leo IX. 12.02.1049 19.04.1054 5/2/8
3. Gregor V. 03.05.996 18.02.999 2/9/16
4. Victor II. 13.04.1055 27.07.1057 2/3/16
5. Hadrian VI. 09.01.1522 14.09.1523 1/8/6
6. Clemens II. 15.12.1046 09.10.1047 -/9/15
7. Stephan IX. 02.08.1057 29.03.1058 -/7/28
8. Damasus II. 17.07.1048 09.08.1048 -/-/24

(vh)

Belgien: Papst Benedikt XVI. hat Jozef De Kesel zum neuen Bischof von Brügge ernannt

Der 63-Jährige war bislang Weihbischof von Brüssel-Mechelen. De Kesel ist damit Nachfolger von Roger Joseph Vangheluwe, der nach dem Eingeständnis sexuellen Missbrauchs am 23. April seinen vorzeitigen Rücktritt eingereicht hatte. Nach Studien in Gent, Löwen und Rom wurde De Kesel 1972 in Gent zum Priester geweiht. Anschließend lehrte er als Professor in verschiedenen Fachbereichen, unter anderem Fundamentaltheologie und philosophische Anthropologie, an den Universitäten Gent und Löwen. (rv)

Vatikan/Belgien: Protest gegen Polizeiaktion

Das vatikanische Staatssekretariat hat die gestrige Polizeiaktion in Brüssel scharf kritisiert. Damit sei ein Vertrauensbruch entstanden, schreibt das Staatssekretariat in einer Note an diesem Freitag. Dem belgischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Charles Ghislain, wurde die „tiefe Verwunderung“ des Vatikan auch persönlich mitgeteilt. Die katholische Kirche verurteile jegliche Missbrauchsfall und versichere ihre Zusammenarbeit mit der Justiz, hieß es in der Note. Jedoch sei man tief verwundert über die Art einiger Massnahmen sowie die Verletzung der Gräber der früheren Brüsseler Kardinäle Jozef-Ernest Van Roey und Leon-Joseph Suenens. Bei der Razzia sind unter anderem vertrauliche Akten beschlagnahmt worden, die eigentlich der Aufklärung und damit für die Opfer eingesetzt werden sollten.
 Der Vorsitzende der unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Missbrauchsfälle in Belgiens Kirche, Peter Adriaenssens, protestierte ebenfalls gegen die Polizeiaktion. Bei Ermittlungen wegen Kindermissbrauchs durchsuchte die Polizei am Donnerstag Büros im bischöflichen Palast des Erzbistums Brüssel-Mechelen. Adriaenssens erklärte, es gebe mit der Staatsanwaltschaft eine Absprache über die Vertraulichkeit der Unterlagen. Der Kommissionsvorsitzende wurde von Belgiens Kirche als unabhängiger Aufklärer der Fälle eingesetzt. Das Erzbistum Mechelen-Brüssel ist Zentrum der katholischen Kirchenprovinz Belgien. Erzbischof André-Joseph Léonard ist seit Januar Oberhirte des Bistums und auch Vorsitzender der belgischen Bischofskonferenz. Er ist der Nachfolger von Godfried Danneels. (rv)

Vatikan: Die Vatikanische Bibliothek soll am 20. September wiedereröffnet werden

Das kündigte der Präfekt der Vatikanischen Bibliothek, Cesare Pasini, in einem Interview mit der Vatikanzeitung „Osservatore Romano“ von diesem Freitag an. Seit rund drei Jahren ist die Bibliothek zwischen den beiden Korridoren der Vatikanischen Museen wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Der Präfekt kündigte einen verbesserten Service für Benutzer der Bibliothek an. – Die Vatikanische Bibliothek besitzt eine der wertvollsten Handschriften- und Büchersammlungen der Welt. Sie umfasst rund 160.000 Handschriften und Archivalien sowie mehr als eine Million Bücher. (rv)

D: Kein „Wildwest“ am Sterbebett

In einem Grundsatzurteil zur Sterbehilfe hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag einen Rechtsanwalt vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen. Auf der Grundlage eines Patientenwillens, auch wenn dieser mündlich geäußert ist, ist der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung nicht strafbar, so das Urteil. Der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung Eugen Brysch sagte kurz nach der Urteilsverkündung gegenüber dem domradio:
„Ich glaube, wir sollten genau hinschauen, auch wenn der Anwalt heute freigesprochen worden ist. Aber nicht alles, was straflos bleibt, ist auch geboten. Ich glaube, Wildwest darf am Sterbebett und erst recht bei Sterbenskranken keine Rolle spielen.“
Der Rechtsanwalt hatte seiner Mandantin dazu geraten, den Schlauch zur künstlichen Ernährung zu durchtrennen, um so die seit vielen Jahren im Wachkoma liegende Mutter sterben zu lassen. Die Mutter hatte für einen solchen Fall zuvor mündlich den Wunsch geäußert, die künstliche Ernährung einzustellen.
„Ich glaube, dass der Bundesgerichtshof außer Acht gelassen hat, dass beim Nichtvorliegen einer Patientenverfügung und darum ging es, lebenserhaltende Maßnahmen nur dann eingestellt werden dürfen, wenn dies zweifelsfrei der Patientenwille ist. Hier war eigentlich nur ein Vieraugengespräch Bestandteil, en passant mal eben zwischen der Tochter und der Mutter. Ich finde, das darf nicht ausreichen.“
Im Nachhinein lässt sich schlecht nachweisen, wie explizit sich die Mutter gegenüber der Tochter geäußert hat. Brysch fragt: Wenn die Mutter doch keine lebenserhaltenden Maßnahmen wünschte, warum wurde sie dann überhaupt künstlich ernährt? Auf die Frage, ob mit dem Zerschneiden des Schlauches eine aktive Sterbehilfe vorliegt, sagt Brysch:
„Niemand stirbt dadurch, dass ein Schlauch durchgeschnitten wird. Das war allen bekannt, auch dem Anwalt. Denn wenn sie kurzfristig die Ernährung einstellen, sind sie nicht innerhalb von einer Stunde tot. Am Ende hat der Anwalt, der sich jetzt als Sieger sieht, nur Verlierer übergelassen: Die Mutter wurde ohne ihre Tochter in ein Krankenhaus verlegt, bekam eine neue Magensonde. Die Tochter durfte ihre Mutter nie mehr sehen und der Sohn hat sich wenige Monate danach das Leben genommen. Also das ist Wüste und nicht das, was wir uns vorstellen in einer guten umfassenden Sterbebegleitung, wo palliative Therapie so etwas auch real werden lassen kann.“
Um den Angehörigen ein solches Dilemma zu ersparen, rät Brysch zu einer schriftlichen Patientenverfügung. Sie muss hinreichend konkret formuliert und auf die Krankheitszustände und die medizinischen Maßnahmen abgestimmt sein. An die Politik stellt der Vorsitzende der Hospiz Stiftung folgende Forderung:
„Der Gesetzgeber ist gefordert, Regelungen zu treffen, die den Patientenwillen von Schwerstkranken nicht zum Spielball fremder Interessen und erst recht Mutmaßungen anderer machen lässt. Hier muss das Patientenverfügungsgesetz eindeutige Regeln vorschreiben, dass mehrere Angehörige zu befragen sind, grundsätzlich diese Dinge auf den Krankheitszustand angewiesen werden sollen und dass darüber auch eine klare Dokumentation erfolgt. – Das ist in diesem Fall alles nicht geschehen.“ (rv)

Belgien: Protest gegen Polizeiaktion

Der Vorsitzende der unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Missbrauchsfälle in Belgiens Kirche, Peter Adriaenssens, hat gegen die Polizeiaktion in Brüssel protestiert. Bei Ermittlungen wegen Kindermissbrauchs durchsuchte die Polizei am Donnerstag Büros im bischöflichen Palast des Erzbistums Brüssel-Mechelen. Adriaenssens erklärte, es gebe mit der Staatsanwaltschaft eine Absprache über die Vertraulichkeit der Unterlagen. Der Kommissionsvorsitzende wurde von Belgiens Kirche als unabhängiger Aufklärer der Fälle eingesetzt. Das Erzbistum Mechelen-Brüssel ist Zentrum der katholischen Kirchenprovinz Belgien. Erzbischof André-Joseph Léonard ist seit Januar Oberhirte des Bistums und auch Vorsitzender der belgischen Bischofskonferenz. Er ist der Nachfolger von Godfried Danneels. (rv) 

England: Priesterlöcher und Spione – Mission während der Reformation

Vom 16. bis 19. September wird Papst Benedikt XVI. seine erste Reise nach Großbritannien antreten. Dass eine englische Königin den Papst aus Rom empfängt, wäre Ende des 16. Jahrhundert unvorstellbar gewesen. Besonders unter Königin Elisabeth I. (1533-1603) lebte die feindliche Gesinnung gegenüber der katholischen Kirche auf. Das englische Seminar in Rom hat eine Ausstellung über die vermutlich schwerste Zeit für britische Katholiken auf die Beine gestellt. Mit allen Sinnen sollen Besucher erleben, was Pilgerwesen und Mission damals bedeuteten.
 
„Wenn Sie ein Auge schließen, dann erscheint es von diesem Punkt aus zweidimensional": Der Leiter des englischen Seminares in Rom, Andrew Headon, steht vor dem Kern der Ausstellung „Non angli sed angeli" (Zu Deutsch: Keine Angelsachsen sondern Engel), dem Märtyrerbild. Als Trompe l´oeil können die Besucher das Bild zweidimensional erleben. Es zeigt den verwundeten Christus und zu seinen Füßen die beiden englischen Märtyrer: Den Heiligen Thomas von Canterbury und den Heiligen Edmund. Sie laden dazu ein, durch das Nordtor Roms, der Porta Flaminia, nach England zu ziehen und in den Himmel, wie Headon ergänzt. Seit der Reformationszeit ruft das Bild britische Seminaristen dazu auf, als Missionar gen Nord auszuziehen, hinaus aus dem sicheren Rom gen Norden.
„Wann immer die Seminaristen hörten, dass einer ihre Brüder einen Märtyrertod gestorben war, versammelten sie sich vor diesem Bild. Das gilt auch schon für die ersten Seminaristen. Sie kamen dann vor dem Bild zusammen, sangen das Te Deum und lobten Gott."
Zwischen 1581 bis 1679 starben 42 englische Seminaristen als Märtyrer. Begonnen hatte der Wandel des einst katholischen Britanniens mit der Exkommunikation von Heinrich VIII. Er hatte sich ohne päpstliche Erlaubnis wiederverheiratet. Über die Exkommunikation durch Papst Clemens VII. erbost, setzte er sich zum Oberhaupt der Church of England ein.
„Ich glaube, 400 Jahre nach der Reformation lässt sich nur schwer beurteilen, wie damals die Situation war, vor allem die politische Situation. Für die normale Bevölkerung galt damals, wer nicht zur anglikanischen Messe ging, musste eine Steuer bezahlen, wurde bestraft. Es lässt sich leicht sagen, sie hätten gegenüber dem Papst loyal bleiben sollen. Es gab damals einen so großen Druck auf das Volk."
Der Ausstellungstitel „non angli sed angeli" spielt auf eine Äußerung von Papst Gregor I. (ca. 540 – 604) an. Er soll beim Anblick britischer Sklaven gesagt haben, das sind keine Angelsachsen, sondern Engel. Später schickte er Missionare zu den britischen Inseln. Die Ausstellung beschreibt die beschwerliche Route, die Via Francigenia, die viele britische Pilger von Canterbury nach Rom nahmen. Headon erzählt von den damaligen Strapazen der Pilgerreise. Als Fremde waren die Pilger unterwegs, oftmals ohne Kenntnisse der Sprache vor Ort, wilde Tiere und Räuber lauerten am Wegesrand, es gab immer wieder regionale Kriege, von denen der Pilger aber nur ungefähre Informationen besaß. Auf die Rückkehrer, die als Missionare von Rom aus in die andere Richtung loszogen, lauerten zudem vielerorts Spione. Die Königin hatte sie scharenweise ausgesetzt. Schafften es die Missionare dennoch in Britannien anzukommen, war es für sie nicht leicht zwischen Feind und Freund zu unterscheiden. Sie mussten sich auf die in Rom genannten Kontaktdaten und Ansprechpartner verlassen. Messen wurden im Geheimen gefeiert. Falls sich ein Geistlicher schnell verstecken musste, gab es für den Ernstfall so genannte Priesterlöcher.
„Die Priesterlöcher waren verdeckt von hölzernen Vertäfelungen oder sie befanden sich in Kaminen. So dass jemand, der vor dem Haus stand, diese verborgenen Räume nicht sehen konnte. Wenn der Priester sich plötzlich verstecken musste, konnte er das innerhalb des Hauses tun und das manchmal auch für viele Tage."
Das englische Seminar in Rom ist die älteste britische Einrichtung im Ausland, erklärt der Leiter des Priesterseminars. Headon hat die Ausstellung mitorganisiert. Die Wurzeln des Seminars reichen zurück bis in Jahr 1362. Damals befand sich in dem Gebäude eine britische Pilgerherberge. Forscher seien in den alten Haushalts- und Gästebüchern der Herberge auf interessante Notizen gestoßen. So könnte zum Beispiel der britische Schriftsteller William Shakespeare Gast der Pilgerunterkunft gewesen sein:
„Es gibt eine Theorie, dass William Shakespeare hierher als Gast gekommen sein könnte. Zu Zeiten als das Seminar noch eine Pilgerstätte war. Es gibt unbekannte Jahre in Shakespeares Leben, wo wir nicht genau wissen, was er damals gemacht hat. Eine Möglichkeit ist, dass er damals in Italien war. Schließlich spielen einige seiner Stücke in Verona oder Venedig. Wenn er damals auch nach Rom gekommen ist, dann wäre die britische Herberge doch mit Sicherheit eine Anlaufstelle gewesen."
Die entsprechenden Einträge, die auf Shakespeares möglichen Aufenthalt in Rom hindeuten, sind in einem der kleinen Ausstellungsräume zu sehen. Die ganze Schau führt durch Kellergewölbe, die unterhalb des weitläufigen englischen Seminars in einer der römischen Altstadtgassen liegen. Gregorianische Klänge füllen die Räume. Auf dem Fußboden ist die Pilgerroute, die Via Francigenia, wie ein alter Kartendruck abgebildet. Dazu gibt es Videofilme, ein kleines begehbares Priesterversteck. Herzraum der Ausstellung ist die Krypta unterhalb der Seminarkirche. In der Mitte des hellverklinkerten Gewölbes steht eine Dreifaltigkeitsstatue. Dahinter ist auf einer Leinwand ein Mann projiziert, der in klassischer Pilgerkleidung im dunklen Kapuzenumhang und mit einem Stock durch einen Wald wandert. Hier lädt die Ausstellung zur Meditation ein, betont Seminarleiter Headon.
„Ich wollte eine lebendige Schau und die Geschichte des Instituts erzählen, aber ich wollte den Besuchern auch einen Eindruck von dem Pilgerwesen und der Mission geben. Die Ausstellung ist nicht nur interaktiv, weil es ein begehbares Priesterloch gibt, nein, die Ausstellung ist zum Beispiel mit der Meditation in derKrypta wie eine Pilgerreise angelegt, der Weg von Rom und wieder zurück."
Die Ausstellung „Non angli sed angeli – a pilgrimage and a mission" ist noch bis Ende Juli in Rom zu sehen. (rv)