Der Vatikanstaat beteiligt sich auch in diesem Jahr wieder am „Europäischen Tag des offenen Denkmals". Am 25. September sind deshalb bei freiem Eintritt die Vatikanischen Museen sowie alle für Besucher zugänglichen römischen Katakomben offen. An der vom Europarat koordinierten Veranstaltung nehmen 50 Länder des europäischen Kontinents teil. (rv)
Jahr: 2011
Vatikan: „Jetzt dem Hass eine Absage erteilen“
Der französische Kurienkardinal Roger Etchegaray spricht der Nachrichtenagentur imedia gegenüber vom Terrorismus als „einer furchtbaren Prüfung unserer Zeit". Terrorismus fusse auf Angst: „Dadurch wird der Terrorisierte zum Terroristen seiner selbst". Etchegaray leitete lange den Päpstlichen Friedensrat. Sein Kardinalskollege und Landsmann Jean-Louis Tauran glaubt, dass „den Religionsführern nach dem 11. September klargeworden ist, wie dringend eine Pädagogik der Begegnung ist". Der Terror vor zehn Jahren habe „den interreligiösen Dialog nie in Gefahr gebracht, im Gegenteil, neue Partnerschaften sind entstanden". Kardinal Tauran, der den Päpstlichen Dialograt leitet, äußerte sich gegenüber der katholischen Tageszeitung „La Croix". Wörtlich meinte er: „Den Zusammenprall der Kulturen haben wir zwar vermieden – aber jetzt müssen wir den Zusammenprall der Ignoranz verhindern. Denn hinter der Angst vor dem Anderen steht häufig das Nichtwissen."
Tauran empfing an diesem Samstag eine Gruppe von muslimischen Jugendlichen aus Indonesien. Nach Angaben der Nachrichtenagentur ansa wollen diese den Papst zu einer internationalen Friedenskonferenz einladen. Die Konferenz soll im Oktober 2012 auf der indonesischen Insel Bali stattfinden, die selbst vor einigen Jahren Schauplatz eines Terroranschlags war. (rv)
Irland: Regierung antwortet dem Vatikan
Die Regierung hat positiv auf die Antwort des Vatikans auf den Cloyne-Report reagiert. Der Heilige Stuhl hatte Anfang September detailliert Vorwürfe zurückgewiesen, dass er irische Bischöfe in der Vergangenheit zum Vertuschen von Missbrauchsfällen ermuntert habe. Ein Statement der Regierung, die Mitte Juli schwere Vorwürfe gegen den Vatikan erhoben hatte, begrüßt das ausführliche Schreiben aus dem Vatikan. Allerdings sei die Regierung unter Ministerpräsident Enda Kenny weiterhin der Ansicht, ein Brief des Nuntius aus dem Jahr 1997 sei „von einigen Mitgliedern des Klerus als Vorwand genutzt worden, um sich einer vollen Kooperation mit den staatlichen Behörden zu entziehen". Das Statement erläutert, die scharfen Bemerkungen von Regierungsmitgliedern aus Dublin in Richtung Rom spiegelten „akkurat" den „öffentlichen Ärger einer überwältigenden Mehrheit des irischen Volkes über das Versagen der katholischen Kirche Irlands und des Heiligen Stuhls" beim Umgang mit Missbrauchsfällen wider. „Es ist die Hoffnung der Regierung, dass trotz der außergewöhnlichen Meinungsunterschiede doch Lehren aus dem furchtbaren Versagen der Vergangenheit gezogen worden sind." Dublin setze künftig „auf vollständigste Kooperation mit dem Heiligen Stuhl und der katholischen Kirche in Irland". Irland müsse „ein sicherer Ort für Kinder und Jugendliche" sein; alle, die in diesem Bereich Verantwortung trügen, seien „vollkommen dem irischen Gesetz und seinen Anforderungen unterworfen". In seiner Erklärung hatte der Vatikan auch seinen „Abscheu gegenüber den pädophilen Verbrechen" in kirchlichen Kreisen Irlands in der Vergangenheit ausgedrückt und „schwere Versäumnisse" der Kirche beim Umgang mit Missbrauchsfällen eingeräumt. (rv)
Vatikan: Papstbrief zum 11. September
Zur Erinnerung an den Terror vom 11. September vor zehn Jahren hat sich auch Papst Benedikt XVI. zu Wort gemeldet. In einem Brief an den Erzbischof von New York, Timothy Dolan, schreibt er von „düsteren Geschehnissen" und ruft „die unendliche Barmherzigkeit des Allmächtigen für die Tausenden von Opfern" an. Zur „Tragik" des 11. September komme verschärfend hinzu, „dass die Attentäter vorgaben, im Namen Gottes zu handeln", so Benedikt XVI. „Noch einmal" müsse „unmissverständlich festgestellt werden, dass keinerlei Umstände welcher Art auch immer Terrorakte rechtfertigen können". Wörtlich schreibt der Papst: „Jedes Menschenleben ist wertvoll in den Augen Gottes".
Der Brief des Papstes lobt „den Mut und die Großzügigkeit des amerikanischen Volkes bei den Rettungsarbeiten". Sie hätten nach dem Terror des 11. September gezeigt, „dass sie mit Hoffnung und Vertrauen vorwärtsschauen wollen". Er bete darum, dass „ein klares Bekenntnis zu Gerechtigkeit und einer globalen Kultur der Solidarität" dazu beitrage, die Welt von „Gewalttaten" zu befreien. Benedikt wörtlich: „Wer die Bedingungen für mehr Frieden und Wohlstand schafft, der garantiert eine hellere und gleichzeitig sichere Zukunft."
Bei seiner USA-Reise im April 2008 hatte Benedikt XVI. auch den Ground Zero in New York besucht. Dabei entzündete er eine Kerze und betete für die Opfer der Terroranschläge. (rv)
Kardinal Koch: „Papstbesuch ist Zeichen der Ermutigung“
Aus Sicht des ökumenischen Dialogs wird der Papstbesuch in Deutschland viel bringen. Davon ist der vatikanische Ökumene-Verantwortliche, der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch, überzeugt. Die Erwartungen an den Papstbesuch sind groß. Die Erwartungen an den Papstbesuch sind groß, das Treffen in Erfurt wird als wichtig eingeschätzt, aber gleichzeitig wird von vielen Seiten auch vor einer Überforderung gewarnt. Diese Meinung teilt auch Kardinal Koch.
„Wir können uns sicher erwarten, dass der Papst ein Zeichen der Ermutigung und der Vertiefung setzen wird. Wir können uns aber nicht erwarten, dass dasjenige, was gleichzeitig gelöst werden muss, nun einseitig vom Papst gelöst werden soll. Beispielsweise ist in der Erklärung über die Rechtfertigungslehre von Augsburg 1999 ganz klar ausgesagt, welche Fragen noch offen sind. Diese Fragen müssen im ökumenischen Dialog geklärt werden. Es wäre eigentlich nicht ganz fair, vom Papst zu erwarten, er würde nun einseitig diese Lösung bringen."
Beim Treffen des Papstes mit den Protestanten sei sowohl das Gespräch als auch das Gebet wichtig, so Kardinal Koch. Die Gespräche mit der Evangelischen Kirche Deutschlands werden im Erfurter Augustinerkloster, wo der Reformator Martin Luther lebte, stattfinden.
„Es hat eine sehr wichtige Bedeutung, weil Deutschland das zentrale Reformationsland ist. Der Papst selber ist Deutscher und kennt sich im ökumenischen Dialog sehr gut aus. Er hat sehr viel dazu beigetragen. Deshalb wird er sicher der katholischen Kirche in Erinnerung rufen, dass der Weg der Ökumene unhintergehbar ist. Es gibt kein zurück. Wir müssen mit Zuversicht auf den zukünftigen Weg gehen."
Hintergrund
Im Rahmen seiner Deutschlandreise wird Papst Benedikt XVI. am 23. September das evangelische Augustinerkloster in Erfurt besuchen. Dort wird der Papst mit einer evangelischen Delegation, die vom Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, geleitet wird, zu einem Gespräch zusammenkommen. Nach der etwa halbstündigen Begegnung im Kapitelsaal wird in der Kirche des Augustinerklosters mit einer Gemeinde aus etwa 300 geladenen Gästen ein ökumenischer Wortgottesdienst gefeiert.
Im Folgenden finden Sie die Namen der Personen, die am ökumenischen Gespräch im Kapitelsaal teilnehmen werden.
Evangelische Kirche:
1. Präses Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD
2. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, Präses der Synode der EKD
3. Landesbischof Jochen Bohl, stellvertretender Vorsitzender des Rates der EKD
4. Dr. Hans Ulrich Anke, Präsident des Kirchenamtes der EKD
5. Prof. Dr. Michael Beintker, stellvertretender Vorsitzender der Kammer für Theologie der EKD
6. Tabea Dölker, Mitglied des Rates der EKD
7. Dr. Elke Eisenschmidt, Mitglied des Rates der EKD
8. Landesbischof Dr. Ulrich Fischer, Mitglied des Rates der EKD und Vorsitzender der Vollkonferenz der Union Evangelischer Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (UEK)
9. Landesbischof Dr. Johannes Friedrich, Mitglied des Rates der EKD und Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD)
10. Dr. Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD
11. Dr. Friedrich Hauschildt, Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD
12. Bischöfin Ilse Junkermann, Evangelische Kirche in Mitteldeutschland
13. Prof. Dr. Christoph Markschies, Vorsitzender der Kammer für Theologie der EKD
14. Bischof Martin Schindehütte, Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD
15. Kirchenpräsident Jann Schmidt, Mitglied des Rates der EKD
16. Marlehn Thieme, Mitglied des Rates der EKD
17. Prof. Dr. Christiane Tietz, Mitglied des Rates der EKD
18. Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber, Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und Catholica-Beauftragter der VELKD
19. Prof. Gesine Weinmiller, Mitglied des Rates der EKD
20. Bischöfin Rosemarie Wenner, Präsidentin der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF)
Römisch-katholische Kirche:
1. S. H. Papst Benedikt XVI.
2. Kardinal Tarcisio Bertone, Kardinalstaatssekretär S. Heiligkeit
3. Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen
4. Kardinal Walter Kasper, Präsident em. des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen
5. Kardinal Paul Josef Cordes, Präsident em. des Päpstlichen Rates Cor unum
6. Kardinal Walter Brandmüller, Präsident em. der Historikerkommission des Vatikans
7. Kardinal Karl Lehmann, Bischof von Mainz
8. Erzbischof Giovanni Angelo Becciu, Substitut des Staatssekretariats
9. Erzbischof Dr. Jean-Claude Périsset, Nuntius in Deutschland
10. Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
11. Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender, ehemaliger Nuntius in Deutschland
12. Bischof Dr. Josef Clemens, Sekretär des Päpstlichen Rates für die Laien
13. Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller, Bischof von Regensburg
14. Bischof Dr. Joachim Wanke, Bischof von Erfurt
15. Prälat Dr. Georg Gänswein, Sekretär S. Heiligkeit
16. Msgr. Alfred Xuereb, Zweiter Sekretär S. Heiligkeit
17. Msgr. Dr. Winfried König, Leiter der deutschsprachigen Abteilung im Staatssekretariat
18. P. Dr. Hans Langendörfer SJ, Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
19. Msgr. Prof. DDr. Rüdiger Feulner, Apostolische Nuntiatur Berlin
20. Msgr. Dr. Tuomo Vimpari, Apostolische Nuntiatur Berlin (rv)
Vatikan: Was Bischöfe lernen können
Es ist mittlerweile eine gute Tradition geworden: Neu ernannte Bischöfe aus aller Welt kommen nach Rom, um zu lernen, um Erfahrungen auszutauschen und nicht zuletzt auch um mit „älteren" Amtsbrüdern zu sprechen. Unter den zum diesjährigen Kurs als Refernt Eingeladenen ist der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx. Sein Thema an diesem Donnerstag war die Leitungsaufgabe des Bischofs. Dabei geht es zwar auch um die Theorie, so Marx im Interview mit Radio Vatikan. Ihm geht es aber vor allem um Berichte aus der persönlichen Praxis.
„Ich finde, dass es sehr wichtig ist, dass man bei aller guten Theorie auch davon erzählt, wie man es selber macht und wie man von dem, was vielleicht nicht gelungen ist, lernen kann. Ich möchte jedenfalls den Bischöfen auch sagen, dass man als Bischof noch viel zu lernen hat."
Viele Neubischöfe kommen mit Leitungserfahrungen in ihr Amt, die eine Pfarrei betreffen, keine größeren Einheiten. Marx weist aber darauf hin, dass der Kern ähnlich ist: Es ist der Umgang mit Menschen. Man müsse mit vielen Menschen zusammen arbeiten können, mit Konflikten umgehen können und sie auf ein Ziel hin orientieren. Gleichzeitig bringe das Amt aber tatsächlich auch völlig neue Elemente mit sich …
„weil ein Bischof viel stärker in der Gesamtöffentlichkeit des Bistums steht und auch in der Öffentlichkeit der Gesellschaft. Da braucht es eine Zeit, sich einzuarbeiten, erst recht, wenn man als Fremder in eine Diözese kommt. Ich selber habe das ja zweimal erlebt und weiß, was es heißt, in einer großen Diözese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, die miteinander auch den Weg gehen, mit dem Bischof zusammen. Denn alleine kann man ein Bistum nicht leiten."
Es brauche immer die Mitarbeit anderer, vor allem der Priester. Insgesamt sei viel Engagement des Gespräches, des Zuhörens und des gemeinsamen Suchens nach Zielen nötig. Was das Bischofsamt im letzten Jahr vor allem geprägt hat, war die Diskussion und der Umgang mit dem Missbrauch. Auch hieraus hat Kardinal Marx einiges an Erfahrungen gezogen, Dinge, die er auch den neuen Bischöfen weitergeben will:
„Auf jeden Fall aktiv zu handeln, authentisch und deutlich die klare Linie der Aufklärung zu fahren; ein offenes Verhältnis zu den Medien haben, die sehr aufmerksam sind, manchmal natürlich auch nicht wohlwollend, das ist klar, aber das muss man eben wissen. Da ist einiges, was man auch den Bischöfen weitergeben kann, denn natürlich wird es immer Konflikte und Probleme mit Priestern geben – nicht nur in der Frage des Missbrauchs –, da sollte man im Gespräch und in der Vereinbarung, was man von einem Priester erwartet, sehr deutlich und konsequent handeln und nicht diffus." (rv)
Polen/Vatikan: Kardinal Andrzej Maria Deskur ist tot
Der aus Krakau stammende enge Vertraute des früheren Papstes Johannes Paul II. starb am Samstag im Alter von 87 Jahren. Deskur stammte aus einer ursprünglich französischen Familie; er wurde 1924 im polnischen Kielce geboren. 1950 erhielt er in Krakau die Priesterweihe. 1973 ernannte ihn Paul VI. zum Leiter der Päpstlichen Medienkommission, die heute ein eigener Päpstlicher Rat ist. Johannes Paul nahm ihn schließlich 1985 ins Kardinalskollegium auf. In einem Beileidstelegramm würdigt Papst Benedikt den Verstorbenen an diesem Sonntag für seinen Einsatz in der christlichen Medienarbeit. Deskur sei „auf kohärente und großzügige Weise seiner Berufung treu" gewesen und habe „seine langjährige Krankheit im Geist des Evangeliums angenommen". Das Requiem für den Kardinal soll am Dienstag im Petersdom gefeiert werden. Mit Deskurs Tod zählt das Kollegium der Kardinäle jetzt 193 Mitglieder. 114 von ihnen sind derzeit papstwahlberechtigt. Die Zahl der Kardinäle aus Polen liegt bei acht; vier davon sind derzeit papstwahlberechtigt. (rv)
Vatikan: Neue Leitung des Governatorates
Papst Benedikt XVI. hat an diesem Samstag den Rücktritt des Präsidenten des päpstlichen Governatorates und des Päpstlichen Rates für den Vatikanstaat, Kardinal Giovanni Lajolo, angenommen. Das meldet der vatikanische Pressesaal. Damit scheidet der langjährige Diplomat aus Altersgründen aus dem Amt des Regierungschefs des kleinsten Staates der Welt. Lajolo, der in seiner Karriere unter anderem Nuntius in der Bundesrepublik Deutschland war, wird das Amt aber noch bis zum 1. Oktober ausführen. Sein Nachfolger wird Erzbischof Giuseppe Bertello, bislang Päpstlicher Nuntius in Italien. (rv)
D: Wiederverheiratete, „eine Frage der Barmherzigkeit“
Es ist für ihn eine „Frage der Barmherzigkeit": Der Freiburger Erzbischof, Robert Zollitsch, rechnet mit Reformen im Umgang der Kirche mit Menschen, die geschieden und wiederverheiratet sind. Der Wochenzeitung „Die Zeit" sagte er wenige Wochen vor dem Papstbesuch in Deutschland – und auch in Freiburg – wörtlich: "Wir stehen ja ganz allgemein vor der Frage, wie wir Menschen helfen, deren Leben in wichtigen Dingen unglücklich verlaufen ist. Dazu gehört auch eine gescheiterte Ehe."
„Darüber werden wir in nächster Zeit intensiv sprechen", so Zollitsch. Und er zeigt sich überzeugt, dass die katholische Kirche in den nächsten Jahren in dieser Frage weiterkomme. Der Erzbischof bezieht sich in dem Interview auch auf Bundespräsident Christian Wulff, der als Katholik geschieden ist und wieder geheiratet hat: Wulff sei ein Katholik, der „seinen Glauben lebt und darunter leidet, wie die Situation ist".
„Erzbischof Zollitsch hat in keiner Weise die Unauflösbarkeit der Ehe in Frage gestellt. Das steht auch überhaupt nicht zur Disposition, das ist in der katholischen Kirche selbstverständlicher Bestandteil ihres Glaubens."
Darauf weist der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff hin. Er hat gerade ein Buch zum Thema geschrieben – der Titel: „Chancen zur Versöhnung"… mit Fragezeichen. Im Gespräch mit dem Kölner Domradio meint er:
„Was Erzbischof Zollitsch angemahnt hat, ist ein barmherziger Umgang mit denjenigen Christen, die in ihrer ersten Ehe gescheitert sind, vielleicht auch schuldlos verlassen wurden, und die nun aus Gründen, die sie in ihrem Gewissen, in der Deutung ihrer Lebenserfahrung verantworten können, ein zweites Mal geheiratet haben, vielleicht auch um Verantwortung für den Partner und Kinder, die in dieser zweiten Ehe leben, zu übernehmen."
Diese Christen sind von Sakramenten ausgeschlossen. Überdies, und das ist weniger bekannt, sind sie auch mit anderen Kirchenstrafen belegt: Sie dürfen zum Beispiel kein kirchliches Amt übernehmen, im Pfarrgemeinderat oder als Lektor. Bei einem kirchlichen Dienstherrn müssen sie sogar die Kündigung befürchten.
„Da lautet der Vorstoß nun, dass diese kirchenrechtlichen Disziplinarmaßnahmen, die die Kirche bisher für unabdingbar hält, überprüft werden und dass man einen anderen Weg geht, der barmherziger ist und der auch mehr dem Wesen der Eucharistiefeier entspricht, die ja nicht nur eine Anerkennung für tadelloses Verhalten darstellt, auch nicht nur die Dankesfeier der Erlösten ist, sondern gleichzeitig auch selbst sündenvergebende Kraft hat: der ausgestreckte Arm der Liebe Gottes, den er auch den Sündern hinhält, so dass auch die wiederverheirateten Geschiedenen an der Eucharistiefeier teilnehmen könnten. Dadurch würde deutlich, dass die Kirche auch Versöhnungsgemeinschaft ist."
Das ist sie allerdings auch jetzt schon. So besteht etwa unter kirchenrechtlich genau umrissenen Bedingungen die Möglichkeit abzuklären, ob die Ehe wirklich gültig zustande gekommen ist. Wenn nicht, kann sie annulliert werden, was den Weg für eine neue kirchliche Ehe freimacht. Zugegeben: ein manchmal langwieriges Verfahren, dessen Ausgang überdies von Fall zu Fall offen ist. Dem Moraltheologen Schockenhoff geht es aber um einen anderen Fall: Eine erste Ehe hatte Bestand, war gültig – und scheiterte. Wenn ein katholischer Partner in einer solchen Situation eine neue Verbindung eingehe, dann müsse es doch eine Möglichkeit geben, ihn zu den Sakramenten zuzulassen, vor allem zum Empfang der Kommunion.
„Das könnte die Kirche einmal dadurch tun, dass sie die Gewissensentscheidung der Betreffenden anerkennt und das moralische Verdikt, das über einer zivilen Zweitehe liegt, aufhebt. Wie gesagt, das kann ein verantwortlicher Weg sein, man kann von außen nicht jede Entscheidung für eine zivile Zweitehe als objektiv schwere Sünde qualifizieren. Man kann das Leben in einer zivilen Zweitehe auch nicht als fortgesetzten Ehebruch darstellen, wie das die kirchenamtliche Lösung tut. Sondern es ist durchaus möglich, dass die Einzelnen, auch wenn sie Schuldanteile beim Zerbrechen der ersten Ehe zu bereuen haben, das wiedergutmachen. Damit sie nun in der zweiten Ehe das leben können, was eigentlich von den menschlichen Werten her, auch nach katholischem Verständnis, einer Ehe entspricht: also Treue, Entschiedenheit für einander, das gegenseitige für einander Einstehen, Verantwortung für die Kinder."
Das wäre dann nicht „Ausdruck von Verantwortungslosigkeit oder von Verharren in offensichtlicher öffentlicher Sünde", sondern könne „durchaus ein verantwortlicher Lebensweg sein", glaubt Schockenhoff. Und wörtlich: „Das sollte die Kirche aus Respekt vor der Lebenserfahrung ihrer Gläubigen und ihrem eigenen Gewissensurteil anerkennen."
„Und diese Anerkennung könnte sie dadurch zum Ausdruck bringen, zum Beispiel in einer Segensfeier für in einer zivilen Zweitehe lebende Christen oder in einem Akt der
Wiederaufnahme in die Kommunionsgemeinschaft, da gäbe es verschiedene Möglichkeiten. Mit seinem Vorstoß möchte Erzbischof Zollitsch die Debatte innerhalb der deutschen Diözesen darüber eröffnen. Das ist sicher auch im Zusammenhang mit dem Dialogprozess zu sehen."
Beim Dialogprozess der deutschen Kirche, der vor kurzem in Mannheim startete, war tatsächlich der Ruf nach einer barmherziger auftretenden Kirche deutlich zu hören. Schockenhoff glaubt, dass im Rahmen des Dialogprozesses – und in der Tradition eines berühmten Hirtenbriefes von oberrheinischen Bischöfen vor zwanzig Jahren – die deutsche Kirche vielleicht zu einem neuen Umgang mit Geschiedenen und Wiederverheirateten findet. Dazu müssten sich jetzt die einzelnen Bischöfe einmal über die Frage austauschen.
Der erste, der damit anfängt, ist der Kölner Kardinal Joachim Meisner: Er hat sich, nachdem ihn viele Anfragen erreichten, den kompletten Text des Interviews mit Erzbischof Zollitsch kommen lassen.
„Und da war ich doch zunächst positiv überrascht – das muss ich ehrlich sagen – aufgrund der vielen Anfragen. Das erste, was ich sagen muss: Ich war froh, dass der Erzbischof von Freiburg das Interview gegeben hat und nicht der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Denn wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ein solches Interview gibt, dann kann er nur der Sprecher aller Bischöfe sein und dann muss er sich auch des Konsenses der Bischöfe vergewissern. Aber so hat der Erzbischof von Freiburg ein Interview gegeben und ich betone es noch einmal: Ich war sehr berührt von dem Glaubenszeugnis, das er darin gegeben hat."
Allerdings sieht der Kardinal von Köln nicht viel Spielraum für die Kirche, sich gegenüber Geschiedenen und Wiederverheirateten barmherziger zu gebärden. Schließlich dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die Kirche an der Unauflöslichkeit der Ehe rüttle.
„Ich kann nur ganz schlicht Folgendes sagen: Die Ehe ist und bleibt unauflöslich. Und zwar ist das keine Marotte der Kirche, sondern die Ehe ist die reale Repräsentanz für die unaufkündbare Hingabe Christi an die Kirche und damit an die Welt. Und das macht auch die große Würde und die Schönheit und vielleicht auch die Last der Ehe aus, weil die Hingabe Christi an die Welt, an die Menschen, an die Kirche unkündbar ist. Deswegen kann ich mir nicht vorstellen, dass die Unauflöslichkeit der Ehe von der Kirche aufgegeben werden kann."
Schon in der Bibel ist die unkündbare Ehe Abbild des dauerhaften Bundes Gottes mit seinem Volk. Das weiß auch der Moraltheologe Schockenhoff.
„In die Theologie der Ehe müssen natürlich die Unauflöslichkeit der Ehe, die Forderung nach Einhaltung der ehelichen Treue, die Monogamie, die Ausrichtung auf Kinder, als Grundaussagen auf weltkirchlicher Ebene gemeinsam bekannt werden. Das gehört zum katholischen Glaubensverständnis."
Das sei das eine – die seelsorgerische Praxis im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen sei aber das andere, meint Schockenhoff.
„Da könnte auch eine Ortskirche einen Vorstoß wagen, der dann von der Weltkirche zunächst einmal entgegengenommen oder auch positiv angenommen wird. Das müsste also nicht immer ein Akt des Papstes von oben sein, sondern da könnten auch die deutschen Diözesen untereinander, vielleicht als Ergebnis des Dialogprozesses, zu einer Neuregelung kommen".
Der Papst immerhin wird gelegentlich auch von Priestern darauf angesprochen, ob sie nicht barmherziger verfahren können mit wiederverheiratet Geschiedenen, die zu ihnen in die Kirche kommen.
„Ja, das ist ein schmerzliches Problem, und gewiss gibt es kein einfaches Rezept, mit dem es gelöst werden könnte. Wir alle leiden unter diesem Problem, weil wir alle in unserer Nähe Menschen haben, die sich in solchen Situationen befinden. Und wir wissen, dass es für sie schmerzhaft und leidvoll ist, weil sie in voller Gemeinschaft mit der Kirche stehen wollen."
Das meinte Benedikt XVI. im Sommer 2007 bei einem Frage-Antwort-Auftritt mit Priestern im Aosta-Tal. Was tun? Der Papst setzt zunächst einmal auf Prävention: Bessere Ehevorbereitung vor allem. Ein Priester könne heute nicht mehr einfach davon ausgehen, dass zwei Partner vor dem Altar heiraten wollen, weil sie wirklich zu einer christlichen Ehe entschlossen sind. Vielleicht geht es den beiden ja auch nur um ein schönes Foto fürs Familienalbum: Hochzeit in Weiß, weil das alle so machen.
„Und das, was heute alle tun, entspricht nicht mehr einfach nur der natürlichen Ehe gemäß dem Schöpfer, gemäß der Schöpfung. Das, was die meisten tun, ist zu heiraten mit der Vorstellung, dass die Ehe eines Tages scheitern könnte und man so eine andere, eine dritte und eine vierte Ehe eingehen könne. Dieses Modell »wie alle es tun« wird so zu einem Modell, das im Gegensatz zu dem steht, was die Natur sagt. So wird es normal, zu heiraten, sich scheiden zu lassen, sich wiederzuverheiraten, und niemand meint, dass es etwas sei, das gegen die menschliche Natur geht, oder wenigstens findet man nur sehr schwer jemanden, der so denkt."
Als Benedikt XVI. New York besuchte, da ging auch der frühere Bürgermeister Rudy Giuliani bei der Papstmesse in der St. Patrick Cathedral zur Kommunion: ein Katholik, der mittlerweile zum dritten Mal verheiratet ist. Benedikt XVI. betont: Die Priester müssten schon bei der Ehevorbereitung ganz klar machen, dass die kirchliche Ehe nicht auflösbar ist.
„Wir müssen hinter dem, was alle tun, das wiederentdecken, was die Natur selbst uns sagt. Und sie sagt etwas anderes als das, was heute zur Gewohnheit geworden ist. Sie lädt uns nämlich ein zu einer Ehe für das ganze Leben, in lebenslanger Treue, auch mit den Leiden, die das gemeinsame Wachsen in der Liebe mit sich bringt."
Doch der Papst aus Deutschland ist Realist: „Die Vorbereitung allein genügt nicht; die großen Krisen kommen später", sagt er. Und darum sei „eine ständige Begleitung" der Eheleute „wenigstens in den ersten zehn Jahren sehr wichtig". Aus seiner Sicht eine Aufgabe für die Pfarreien: nicht nur für die Seelsorger, sondern auch für Familien, die schon durch Krisen gegangen sind.
„Es ist wichtig, dass es ein Netzwerk von Familien gibt, die einander helfen, und verschiedene Bewegungen können hier einen großen Beitrag leisten."
Und wenn die Ehe trotzdem scheitert? Dann verweist Benedikt XVI. als erstes auf die Möglichkeit des Ehenichtigkeits-Verfahrens. Aber:
„Wenn es eine wirkliche Ehe war und sie also nicht wieder heiraten können, dann hilft die ständige Gegenwart der Kirche diesen Personen, eine andere Form des Leidens zu tragen: … das Leiden, in einer neuen Bindung zu stehen, die nicht die sakramentale Bindung ist und die daher die volle Gemeinschaft in den Sakramenten der Kirche nicht zulässt. Hier muss gelehrt und gelernt werden, mit diesem Leiden zu leben."
Der Papst ist davon überzeugt, dass die Menschen unserer Zeit ganz allgemein wieder „den Wert des Leidens lernen" und Leiden aushalten sollten.
„Wir müssen lernen, dass das Leiden eine sehr positive Wirklichkeit sein kann, die uns dabei hilft zu reifen, mehr zu uns selbst zu kommen, näher beim Herrn zu sein, der für uns gelitten hat und der mit uns leidet. Auch in dieser Lage ist daher die Gegenwart des Priesters, der Familien, der Bewegungen, die persönliche und gemeinschaftliche Nähe, die Hilfe der Nächstenliebe, eine ganz besondere Liebe, außerordentlich wichtig."
Die Christen sollten wiederverheiratet Geschiedenen „in vielerlei Form" ihre Liebe zeigen und ihnen zur Seite stehen. Dann könnten die Betroffenen erkennen, dass sie „von Christus geliebte Menschen" sind und „Glieder der Kirche, auch wenn sie sich in einer schwierigen Situation befinden".
Zurück zur Debatte in Deutschland: Der Nuntius hat in dieser Frage vor überhöhten Erwartungen an den Papstbesuch gewarnt. In Sachen wiederverheirat Geschiedene sei „die Lehre der Kirche klar und mit einer Veränderung nicht zu rechnen", so Erzbischof Jean-Claude Périsset. (rv)
Türkei: Rückgabe von Kircheneigentum – unser Dossier
Durchbruch in der Türkei: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan will Kirchen zurückgeben. So und ähnlich rauscht es in diesen Tagen im Blätterwald. Was ist los in Ankara? Will Erdogan wirklich einen der vielen gordischen Knoten im Verhältnis zu den Nichtmoslems durchschlagen? Oder droht das neue Dekret gleich wieder im Behördendickicht zu verschwinden?
Türkei und Religionen – das ist ein kompliziertes Thema. Vor allem, wenn es um die nicht-islamischen Gruppen und Religionsgemeinschaften geht. Und wenn dazu noch Eigentumfragen ins Spiel kommen. Das hat historische Gründe.
Nur drei religiöse Minderheiten sind in der Türkei offiziell anerkannt: Orthodoxe Griechen, Juden und Armenier. Sie bekamen ihren Status 1936. Eine etwas breitere Definition von Minderheiten in der Türkei bot zuvor der Vertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923: Er zog auch Kurden oder Aramäer in Betracht. Aber nicht die „westlichen" Kirchen: die römisch-katholische, die Lutheraner, die Freikirchen. Sie haben bis heute keinen Rechtsstatus in der Türkei.
Nicht Kirchen sind in der Türkei im Besitz von Immobilien, sondern Stiftungen: Das ist eine Hinterlassenschaft des Osmanischen Reiches. Dort hatte das Prinzip geherrscht, dass alles Land Gott gehört und der Sultan es für diesen verwaltete. Privater Grundbesitz war unbekannt. Stattdessen wies der Sultan den religiösen Gruppen auf deren Anfrage hin Grund und Boden zu, wenn sie Kirchen oder Krankenhäuser errichten wollten. Der rechtliche Rahmen hierfür waren „Vafiks": Stiftungen. 1936 mussten die Religionsstiftungen dem Staat Listen mit ihrem Besitz vorlegen. Jahrzehnte später brach eine Welle von Enteignungen los, die bis zum heutigen Tag nicht ganz verebbt ist.
Nun also das Dekret Erdogans: Es sieht die Rückgabe des seit 1936 enteigneten Besitzes an jüdische und christliche Stiftungen vor. Nicht an die Kirchen selbst, sondern an die Stiftungen:
„Die christlichen Kirchen in der Türkei existieren rechtlich gesehen überhaupt nicht, genausowenig wie die jüdische Gemeinschaft in der Türkei. Anstelle der christlichen Gemeinden, also der christlichen Kirchen, und auch der jüdischen Gemeinschaft sind`s eben diese Gemeindestiftungen, die eben die Eigner von Immobilien sind, die wir nun tatsächlich den christlichen Kirchen oder der jüdischen Gemeinschaft zuordnen würden – aber Faktum ist: Die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinschaft haben keine Rechtspersönlichkeit, sondern nur diese Gemeindestiftungen."
Das erklärt Otmar Oehring, der Menschenrechtsexperte des kirchlichen Hilfswerkes missio Aachen. Oehring ist in Ankara aufgewachsen; kaum einer im deutschen Sprachraum kennt sich mit dem Staat-Kirchen-Verhältnis in der Türkei so gut aus wie er. Oehring hat den Eindruck, dass 1936 viel schiefgelaufen ist – in dem Moment nämlich, als die religiösen Gruppen in Ankara eine Liste mit ihrem Eigentum einreichen sollten:
„Das ist damals nicht in der Weise kommuniziert worden, wie das heute wahrscheinlich der Fall wäre; viele haben überhaupt nicht gewußt, dass sie das tun wollten, und haben es dann eben auch nicht getan. Und 1974 hat der Oberste Gerichtshof der türkischen Republik dann entschieden, dass alles, was 1936 von diesen Gemeindestiftungen nicht als Eigentum registriert worden ist, an den türkischen Staat fällt."
Die Enteignungen begannen: Wohngebäude, Kirchenzentren, Garagen, Schuppen kamen – wie Oehring formuliert – „den Stiftungen auf einmal abhanden". Eines der enteigneten Gebäude ist heute übrigens ein Nachtklub. All das muss jetzt zurückgegeben werden – außer, wenn der Staat diese Immobilien in der Zwischenzeit an Dritte veräußert hat. In diesem Fall sind Entschädigungen zum Marktwert vorgesehen.
Istanbul, das frühere Byzanz, hat eine stolze Geschichte und ist immer noch Sitz des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Doch in der Stadt am Bosporus und auf zwei Inseln in den Dardanellen leben mittlerweile nur noch ca. 2.500 Griechen. Was sollen die jetzt auf einmal mit all diesen Immobilien, darunter womöglich dem Nachtklub, machen?
„Gut – man kann sich natürlich fragen, ob das sinnvoll ist oder nicht. Aber die eigentliche Frage ist: Soll hier Recht geschehen oder eben nicht? Und die türkische Regierung hat sich überraschenderweise darauf geeinigt, dass hier tatsächlich Gerechtigkeit geschehen soll – dass also wirklich all das, was den Gemeindestiftungen seit 1936 weggenommen worden ist, an sie zurückübertragen werden muss. Der Vorsitzende eines Gremiums der Generaldirektion für Stiftungen – ein Grieche – hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es tatsächlich nicht die Frage sein kann, ob die Griechen das alles überhaupt benötigen heutzutage (natürlich benötigen sie das nicht, um ihre seelsorglichen Aufgaben oder die im Sozial- und Bildungsbereich erfüllen zu können!). Aber sie haben natürlich einen Rechtsanspruch darauf! Und darum ist es richtig, dass sie das zurückkriegen."
Sie, die Griechen – oder gleich Jesus Christus selbst. In vielen Fällen ist nämlich Jesus, oder auch mal der heilige Georg, als Gründer einer Stiftung angegeben. So dass bisher manchmal türkische Gerichte Jesus vorgeladen haben, damit er bezeuge, dass ihm die Stiftung wirklich gehöre.
„Das Problem wird sich natürlich jetzt wieder stellen. Die türkischen Behörden und die Gerichte haben sich natürlich lange Jahre den Spaß gemacht, etwa nach dem heiligen Georg fahnden zu lassen. Und wenn er dann nicht aufgetaucht ist, haben sie dann mit der Begründung, dieser heilige Georg bzw. seine Erben seien nicht aufzufinden, eine Immobilie enteignet. Es scheint so, dass die türkische Regierung verstanden hat (oder verstehen wollte), dass das natürlich ein böses Spiel war – und auch wäre, wenn man das fortführen würde."
Die Fahndung nach Jesus oder dem heiligen Georg hat Erdogan jetzt offenbar eingestellt: Ihm ist es, glaubt Oehring, ernst mit der Rückgabe. Allerdings will der mit allen Wassern gewaschene Premier mit seiner Initiative auch keine schlafenden Hunde wecken. Darum wurde das Dekret eher versteckt veröffentlicht – in einem Text über die Arbeit des Ministeriums für Nahrungsmittel.
„Denn es hat in der Vergangenheit Streit gegeben über die Frage der Entschädigungen der nichtmuslimischen Gemeindestiftungen im Fall von Liegenschaften, die an gutgläubige Dritte veräußert worden waren. Da ist im Parlament von Abgeordneten argumentiert worden, dass man diesen schmutzigen Nichtmuslimen, diesen Ungläubigen, doch kein Geld nachwerfen sollte. Das tut jetzt die Regierung – und das muss man doch durchaus als einen sehr mutigen Schritt ansehen. Zumal eigentlich nicht klar zu sehen ist, aus welchem Grund sie das tun."
Wirklich nicht? Ist Erdogans Schachzug nicht in Wirklichkeit ein Signal an die Europäische Union, der die Türkei doch, wie wir in den letzten Jahren immer wieder gehört haben, beitreten will? Nein, das sieht Otmar Oehring nicht so.
„Sie scheinen das wirklich aus der Überzeugung heraus zu tun, dass das eigentlich getan werden muss."
Die Hoffnung auf die EU – die hat die türkische Regierung im stillen schon fast fahren lassen, das zumindest ist der Eindruck des Türkei-Experten von missio.
„Es ist natürlich immer von der EU gefordert worden, dass diese ganze Frage geklärt wird, das ist schon richtig. Aber im Grund genommen muss man klar sagen, dass der Wind des Beitritts zur EU total abgeflaut ist. In der Türkei geht eigentlich kaum noch jemand davon aus, dass es wirklich zu einem Beitritt zur EU kommen kann."
Und auch auf EU-Seite gibt es „Indizien, dass das zumindest mittelfristig nicht geschehen wird", etwa in der mittelfristigen Finanzplanung der EU. Auch kirchliche Partner in der Türkei, mit denen Oehring in Kontakt ist, haben das Gefühl: Die Regierung Erdogan tut jetzt einfach für das Verhältnis zu den Nichtmuslimen das, was sie schon seit Jahren angekündigt hat, ganz unabhängig von einem EU-Beitritt.
„Ganz klar gesagt: Es ist ein wichtiger, ein mutiger Schritt, ein überraschender Schritt. Aber es ist noch nicht das, was eigentlich von der Türkei erwartet wird, nämlich dass sie vollständige Religionsfreiheit im Sinne der internationalen Konventionen (u.a. auch der Europäischen Menschenrechtskonvention) umsetzen würde. Das muss durch eine neue Verfassung geschehen, und es gibt zwar schon eine Diskussion und auch Streit über die Erarbeitung einer neuen Verfassung, aber es ist in keinster Weise klar, wie es mit diesem Verfassungsprozess weitergehen wird."
Ein Sprung zurück, ins Jahr 2008: Da war die gleiche Frage wie jetzt eigentlich schon einmal gelöst worden. Reform des Stiftungsrechts, guter Wille der Regierung, lobende Schlagzeilen, religiöse Gruppen stellen über 2.000 Anträge auf Rückerstattung von Immobilien usw. Und dann war dasselbe passiert wie oft: Das meiste versandet im Apparat, scheitert an bürokratischen Hindernissen.
„Das gleiche Problem wird sich diesmal wieder zeigen, dass unter Umständen die zuständigen Behörden, bei denen jetzt Rückgabe bzw. Entschädigung beantragt werden muss, natürlich wieder spielen werden. Das ist eine alte Geschichte in der Türkei, dass die Behörden nicht immer das tun, was die Regierungen wollen, und umgekehrt. Ein Problem, das es hier ebenfalls geben wird, ist, dass natürlich in dieser Regelung drinsteht, dass die interessierten rechtmäßigen Eigentümer, also die Gemeindestiftungen, erstens die Rückgabe oder Entschädigung beantragen müssen – und dass zweitens diese Einzelfälle auch dem Parlament vorgelegt werden müssen. Und das Parlament wird dann praktisch über Rückgabe bzw. Entschädigung entscheiden."
Hier liegt eine Schwäche des Dekrets: Schließlich hat es auch bei den letzten Änderungen des Stiftungsrechts immer wieder heftigen Streit unter den Abgeordneten gegeben. Das könnte auch diesmal dafür sorgen, „dass das Ganze doch wieder ins Hängen kommt", wie Oehring formuliert. Er hoffe allerdings, dass Erdogan als Parteivorsitzender der islamischen AKP sein Gewicht bei dieser Frage in die Waagschale werfen wird.
Profitieren werden von Erdogans Dekret alle religiösen Minderheiten oder Gruppen, die Gemeindestiftungen haben: Dazu zählen auch die katholischen Armenier und Syrer – alle, die als Minderheiten entsprechend dem Vertrag von Lausanne von 1923 gelten. Aber eben nicht die Bahai, evangelische Kirchen, freikirchliche Gruppen – oder die römisch-katholische Kirche. Die hat keine Gemeindestiftungen, sondern nur ganz normale Grundbuchauszüge für einige ihrer Liegenschaften. Für andere hat sie gar nichts.
„Und das zeigt, dass es eben doch noch ein weiter Weg ist, bis die Türkei wirklich zu voller Religionsfreiheit kommt. Denn die römisch-katholische Kirche hat größte Probleme im Hinblick auf ihre Existenz: Sie hat keinen Rechtsstatus in der Türkei, existiert offiziell nicht, kann sich eigentlich rechtlich gesehen gar nicht organisieren im Land, kann auch kein Eigentum haben."
Es bleiben also auch nach Erdogans neuestem Schritt „viele Widersprüche": Die Gemeindestiftungen haben zwar Rechtspersönlichkeit, gleichzeitig existieren ihre Bezugskirchen und –gemeinschaften rechtlich gesehen in der Türkei überhaupt nicht. Heiliger Georg, hilf!
In osmanischer Zeit hielten Schutzmächte aus dem Westen, etwa Frankreich oder Italien, ihre Fittiche über die römisch-katholische Kirche in der Türkei. Das fiel ersatzlos weg, als sich nach dem Ersten Weltkrieg die türkische Republik gründete. Trotzdem hält die rechtlich nicht existente Kirche weiterhin viele ihrer Liegenschaften – sie nutzt zum Beispiel Kirchen, als deren Eigentümer im Grundbuch längst der türkische Staat eingetragen ist. Da gibt`s noch viele Fragen zu klären, sagt Türkei-Experte Oehring.
„Es hat von seiten der katholischen Ortskirche und auch von vatikanischer Seite immer wieder die Idee gegeben, dass man nach dem Modell des modus vivendi mit Tunesien einen entsprechenden modus vivendi auch mit der Türkei aushandeln sollte: dass also das Kircheneigentum der römisch-katholischen Kirche gesichert wird, ausgehend von einem Status quo an einem bestimmten Bezugstag. Meines Erachtens wäre das der falsche Weg, weil wir klar sehen, dass es in der Türkei seit geraumer Zeit – mindestens seit 2002 – Bewegung in der Frage gibt hin auf mehr Religionsfreiheit. Es wäre meines Erachtens außerordentlich ungünstig, wenn die katholische Kirche hier vorpreschen würde und sich einen anderen Status zuzueignen versuchen würde, als er dann für alle anderen Kirchen am Ende möglicherweise herauskommen wird…"
Istanbul. Die armenische Gemeinde in der Stadt ist seit dem Völkermord von 1915 bis 1917 stark geschrumpft – im ganzen Land soll es nur noch 60.000 Armenier geben. Istanbuls christliche Armenier feiern ihren Gottesdienst jeden Sonntag in einer anderen Kirche der Stadt: aus Angst, dass wieder einmal eine Immobilie vom Direktorat für Religionsstiftungen eingezogen wird. Unter dem Vorwand, die Kirche werde ja gar nicht mehr genutzt.
Kommt der heilige Wanderzirkus der Armenier von Istanbul jetzt an ein Ende? Das Dekret der türkischen Regierung macht zumindest Hoffnung darauf. Doch der Weg hin zu voller Religionsfreiheit in der Türkei ist noch lang – auch weil das Osmanische Reich sehr komplizierte Verhältnisse an seine Nachfolger vererbt hat. Ein religiöses Knäuel, das nicht leicht zu entwirren ist. (rv)