Testlauf für einen Papstbesuch im Irak

Kardinal ScolaKardinal Angelo Scola ist im Nahen Osten. Der Erzbischof von Mailand, also von Europas größtem Bistum, ist von zwei Patriarchen eingeladen worden: zum einen Kardinal Béchara Boutros Raï, dem maronitischen Patriarchen von Antiochien, der in der Nähe der libanesischen Hauptstadt Beirut residiert; und zweitens Erzbischof Raphaël I. Sako, dem chaldäischen Patriarchen von Babylon, Irak. Hochkarätige Gastgeber sind das; Scola ist eine bekannte Größe im christlich-islamischen Dialog, er vertritt Europas – jedenfalls wie sie sich selbst sieht – wichtigste Ortskirche, nämlich die italienische; und da ist noch etwas. Irgendwie ist diese Reise auch ein Testlauf für einen Papstbesuch, falls Franziskus seine wiederholten Bemerkungen wahrmacht und wirklich einmal in den Irak reist.

Wir sprachen mit Kardinal Scola über seine Eindrücke, zunächst aus dem Libanon, der einmal als Modell-Land für das Zusammenleben religiöser Gruppen galt und, von der Prozentzahl her, die größte katholische Gemeinschaft in ganz Nahost aufweist. „Die Lage ist sehr beunruhigend, vor allem wegen der politischen Spaltung.“ Immer noch haben sich die politischen Lager nicht auf einen neuen Staatspräsidenten einigen können; das Amt steht nach dem Proporz, der am Ende des libanesischen Bürgerkriegs entwickelt wurde, einem maronitischen Christen zu.

„Der Patriarch drängt sehr darauf, dass endlich eine Straße für die Einigung gefunden wird. Diese ganze Frage ist eindeutig vom allgemeinen Kontext der Lage in Nahost beeinflusst; die auswärtigen Bezugspunkte haben zum einen mit der Hisbollah und ihrem Draht nach Syrien zu tun, zum anderen mit Saudi-Arabien. Die Lage ist deswegen so beunruhigend, weil sie nicht nur die Politik komplett lahmlegt, sondern auch die Wirtschaft runterzieht. Ich habe allerdings die Bischöfe sehr, sehr entschlossen erlebt, dieser Herausforderung die Stirn zu bieten und zumindest als katholische Riten geschlossen aufzutreten. Es geht um ein starkes ökumenisches Zusammenhalten, um dem Land ein klares christliches Angebot zu machen und um diese Spaltung unter den Christen zu überwinden, die eindeutig ein Skandal ist.“ Denn es sind ja nicht nur die muslimischen Gruppen im Libanon, die sich untereinander nicht einigen können; auch eine wichtige christliche Fraktion hält, aus einem ganzen Knäuel von Gründen und taktischem Kalkül heraus, zur schiitischen Hisbollah. Und das setzt auch die christlichen Kräfte in der Politik schachmatt.

Wie ein neues Sarajewo

„Syrien ist in einer ausgesprochen ernsten Situation“, fährt Kardinal Scola im Interview mit Radio Vatikan fort. „Vor allem das Leiden von Aleppo ist nicht akzeptabel: Das ist wie ein neues Sarajewo! Man sollte zumindest einen humanitären Korridor zustande bekommen, um wenigstens dieser Stadt etwas Erleichterung zu verschaffen. Das Problem ist, dass sich Europa darum kümmern müsste – es müsste wenigstens versuchen, die Lage etwas besser zu verstehen. Ich schließe wie auch Papst Franziskus eine humanitäre Intervention nicht aus, als Chance zur Befreiung.“

Der Kardinal von Mailand hat als Gast an der Synode der maronitischen Bischöfe des Libanon teilgenommen. Wir fragten ihn: Was sagen eigentlich die libanesischen Bischöfe dazu, dass Europa solche Bauchschmerzen mit Mittelmeer-Flüchtlingen hat? „Der Libanon ist ein Land, das zusätzlich zu den anderthalb Millionen palästinensischen Flüchtlingen, die es schon seit Jahrzehnten beherbergt, weitere anderthalb Millionen Syrien-Flüchtlinge aufgenommen hat! Darum ist es vom Libanon aus schwer zu verstehen, welche Mühe wir damit haben, Immigranten aufzunehmen. Ich selbst nehme für mich mit, dass wir als Kirche wirklich die erste Anlaufstelle sein sollten. Aber dann braucht es natürlich auch eine Einwanderungspolitik, die der Staat auf die Beine stellen muss; und da sieht man, dass die europäische Einigung eher noch ein Ziel ist, das es erst zu erreichen gilt. Ich glaube: Als erster muss der, der Schwierigkeiten hat, umarmt werden!” (rv)

Laudato Si’: Worum es geht

Laudato Si„Laudato Si’”, gelobt seist du, Herr: So heißt die vielerwartete Umweltenzyklika von Papst Franziskus, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wurde. Auf 220 Seiten präsentiert das Lehrschreiben ein neues Verständnis von ganzheitlicher Ökologie. Es bietet eine umfassende Vision des Menschen, der im Geflecht des großen Ganzen steht: in Beziehung zu Gott, zu sich selbst, zu den anderen Menschen und zur Schöpfung. Diese ganzheitliche Ökologie will Franziskus als neues Grundmuster der Gerechtigkeit etablieren.

Zunächst bietet „Laudato Si’” einen Überblick über die Umweltkrise der Welt. Danach wird versucht, „zu den Wurzeln der gegenwärtigen Situation vor­zudringen, so dass wir nicht nur die Symptome betrachten, sondern auch die tiefsten Ursachen“. Daraus leitet der Papst eine Reihe von Vorschlägen für die Politik ab. Da seiner Auffassung nach Änderung nur als Änderung des einzelnen Menschen beginnen kann, formuliert er zugleich „Leitlinien zur menschlichen Reifung“, die aus der christlichen Spiritualität schöpfen. Die Enzyklika schließt mit zwei Gebeten, das erste für die Gläubigen anderer Religionen, das zweite für Christen.

Gewisse zentrale Themen im ökologischen Verständnis von Franziskus durchziehen den gesamten Text. Zum Beispiel: die enge Bezie­hung zwischen den Armen und der Anfälligkeit des Planeten; die Überzeugung, dass in der Welt alles miteinander verbunden ist; die Kritik am neuen Machtmodell und den Formen der Macht, die aus der Technik abgeleitet sind; die Einla­dung, nach einem anderen Verständnis von Wirt­schaft und Fortschritt zu suchen; der Eigenwert eines jeden Geschöpfes, der menschliche Sinn der Ökologie; die Notwendigkeit aufrichtiger und ehrlicher Debatten; die schwere Verantwor­tung der internationalen und lokalen Politik; die Wegwerfkultur und der Vorschlag eines neuen Lebensstils. (rv)

Papst trifft Kardinal Burke

Kardinal BurkePapst Franziskus hat den Souveränpatron des Malteserordens, Kardinal Raymond Leo Burke, im Vatikan getroffen. Das teilte der Pressesaal mit. Auch der Großmeister des Malteserordens, Frau´Matthew Festing, nahm an dem Treffen teil. Über Inhalt des Gesprächs teilte der Vatikan nichts mit. Der Malteserorden ist derzeit mit Hilfe für Migranten im Mittelmeer sowie in Südostasien beteiligt. In ihren jüngsten Mitteilungen machte der Malteserorden darauf aufmerksam, dass „Religionsgemeinschaft verstärkt für Migranten“ einstehen sollten. Der US-amerikanische Kurienkardinal Raymond Leo Burke war bis November 2014 Präfekt des obersten Gerichtshofs des Vatikans. (rv)

Papstenzyklika: Vatileaks funktioniert noch

DokumenteLaudato Si’, die Enzyklika von Papst Franziskus zu Umwelt und Schöpfung, ist geleakt. Eine italienische Zeitung stellte am Montag Nachmittag eine Version des Textes ins Internet. Vatikansprecher Pater Federico Lombardi stellte dazu in einer Stellungnahme fest, dass es sich dabei nicht um den endgültigen Text der Enzyklika handle und dass die Embargo-Regeln, welche die Veröffentlichung von Texten durch Journalisten bestimmen, in Kraft blieben. Man erwarte journalistische Korrektheit, die erfordere, dass man auf die offizielle Veröffentlichung des endgültigen Textes warte, so Lombardi.

Ein Kommentar zum Vorgang von Pater Bernd Hagenkord: Sabotage! (rv)

USA: Doppelter Rücktritt wegen Missbrauchskrise

USANeuanfang im US-Bistum Saint Paul and Mineapolis: Wie der Vatikan an diesem Montag bekannt gab, hat Papst Franziskus die Rücktritte des Erzbischofs Jon Nienstedt und seines Weihbischofs Lee A. Piché angenommen. An ihrer Stelle wird zunächst der Koadjutor des Erzbistums Newark, Bernard A. Hebda, das Bistum als Apostolischer Administrator leiten. Ein neuer Bischof ist noch nicht ernannt worden.

Im Januar hatte die Staatsanwaltschaft Anklage gegen das Bistum erhoben, Kinder seien nicht ausreichend vor Missbrauch geschützt gewesen. Konkret geht es um den Schutz von drei Jungen vor einem mittlerweile ehemaligen Priester. Auch innerkirchlich hatte es immer wieder Kritik am Umgang mit Fällen von sexuellem Missbrauch gegeben, die sich vor allem gegen den Erzbischof und seinen Weihbischof gerichtet hatte. Es sei bewusst weggesehen worden, als Fälle vorgebracht wurden, hatten zuletzt auch Verantwortliche des Bistums öffentlich moniert. (rv)

Franziskus würdigt den Reformator Jan Hus

Jan HUSPapst Franziskus hat den böhmischen Reformator Jan Hus (1369-1415) gewürdigt. Der „renommierte Prediger“ und Rektor der Prager Universität sei lange Zeit „Streitobjekt“ unter den Christen gewesen, aber heute zu einem „Anlass des Dialoges“ geworden, sagte Franziskus an diesem Montag vor Kirchenvertretern aus der Tschechischen Republik. Die Delegation der Böhmischen Brüder und der hussitischen Gemeinschaft war in Begleitung des emeritierten Erzbischofs von Prag, Kardinal Miloslav Vlk, in den Vatikan gekommen, um anlässlich des 600. Todesjahres von Jan Hus an den Apostelgräbern eine Versöhnungsliturgie zu feiern.

In seiner Ansprache ging der Papst auf Jan Hus‘ „tragischen Tod“ vor 600 Jahren ein. Der böhmische Priester war 1415 auf dem Konzil von Konstanz zum Tode verurteilt und am 6. Juli als Ketzer verbrannt worden. Papst Johannes Paul II. habe 1999 sein „tiefes Bedauern über den grausamen Tod von Jan Hus“ ausgedrückt und ihn als Kirchenreformer gewürdigt, erinnerte Franziskus. Im Zeichen des kirchlichen Dialoges müsse daran die Forschung heute anknüpfen, um Jan Hus' Verdienste für die heutige Zeit fruchtbar zu machen:

„Im Lichte dieser Annäherung muss das Studium zur Person und zum Wirken von Jan Hus (…) weitergeführt werden. Eine solchermaßen ohne ideologische Beeinflussung durchgeführte Forschung wird ein wichtiger Dienst an der geschichtlichen Wahrheit und an allen Christen und der gesamten Gesellschaft auch jenseits der Grenzen eurer Nation sein.“

Franziskus zeigte sich zuversichtlich, dass die „Auseinandersetzungen der Vergangenheit“ endgültig überwunden werden könnten, und rief die Kirchen zu einem gemeinsamen „Weg der Versöhnung und des Friedens“ auf. Das christliche Zeugnis sei umso überzeugender, je mehr es von einer einigen Christenheit vorgebracht werde, äußerte er mit Blick auf das Zweite Vatikanische Konzil. „In diesem Sinne hoffe ich, dass sich freundschaftliche Beziehungen auch auf der Ebene der lokalen Gemeinschaften und Gemeinden entwickeln.“

(rv)

„Es besteht keine kirchliche Pflicht, Ablässe zu erwerben“

Heiliges Jahr 2015/16Ablass? Schreck lass nach – sogar für viele Katholiken ist ‚Ablass’ ein Reizwort. „Sobald das Geld im Kasten klingt“ usw., viele wissen, dass der Handel mit Ablassbriefen im frühen 16. Jahrhundert einer der Hauptgründe für die Spaltung der westlichen Christenheit war. Trotzdem spielt der Ablass noch heute eine Rolle, zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit etwa (das am 8. Dezember beginnt) gewährt Papst Franziskus Ablässe. Grund genug, damit wir uns einmal damit beschäftigen: Wir tun es zusammen mit dem bekannten deutschen Theologen und Kirchenhistoriker Arnold Angenendt.

„Eine Sünde gegenüber Gott besteht im Christentum besteht darin, dass ich Gott verlasse, dass ich gegen Gott handle, dass ich ihm entgegentrete.“ So erklärt uns Angenendt diese Woche am Rand eines Historikerkongresses in Rom die Grundlagen der christlichen Lehre von Sünde und Schuld. „Die Umkehr, die im Christentum gefordert ist, kommt aus dem Herzen: Ich muss mich neu auf Gott ausrichten, ich muss das Falsche, das ich begangen habe, bereuen, ich muss den Schmerz empfinden. Das kann bis zur Qual gehen; denken Sie an die vielen Menschen, die anderen einen Schaden zugefügt haben, der nicht mehr reparabel ist!“

Wie gehe ich nun mit einer solchen Schuld um? Die erste Antwort darauf heißt: Ich bereue. „Und wenn es ernst ist mit der Reue, dann fasse ich auch einen Vorsatz. Ich ändere mein Leben, ich suche von dieser Falscheinstellung loszukommen. Ich versuche, was ich anderen Böses angetan habe, auch wieder gutzumachen. Das ist die Aufforderung, die christlich mit der Reue über die Sünde und mit dem Vorsatz verbunden ist.“

Erlass einer zeitlichen Strafe

So weit, so grundlegend für das christliche Denken über Sünde, Schuld und Vergebung. Wie kommt da aber nun der Ablass ins Spiel? Von der Definition her ist Ablass der „Erlass einer zeitlichen Strafe vor Gott für Sünden, die hinsichtlich der Schuld schon getilgt sind“, so hat es Papst Paul VI. einmal formuliert. Im Neuen Testament und im Urchristentum kommt der Ablass nicht vor, er entsteht erst etwa ab dem 6. Jahrhundert, als die Privatbeichte das öffentliche Schuldbekenntnis vor der Gemeinde ablöst. Schon relativ früh wird der Erlass von Sündenstrafen mit dem Geben von Almosen verknüpft.

Angenendt: „Das irische Buß-System hat bekanntlich in der westlichen Kirche neuartig gewirkt. Da gibt es einmal die komprimierten Bußformen, und dann gibt es die ‚Redemptionen‘, wie das terminologisch heißt. Diese ‚Redemptionen‘ bedeuten: Ich nehme mir einen Priester oder, besser, einen Mönch, der für mich Bußübungen macht und der Messen feiert. Und was tut jetzt der Büßer selber? Der muss zu der Messe, die da für ihn gefeiert wird, gar nicht hingehen! Also, da kommt eine Tendenz auf, dass jemand sich an der inneren Umkehr vorbeischlängeln kann, und das ist natürlich christlich völlig unmöglich. Der Mensch muss sich vom Herzen her umwenden, und es muss ihm auch im Verstand hochheilig sein, dass er eine neue Lebensrichtung einschlägt. Und doch ist das im frühen Christentum passiert: Also, man kann die Schuld und die Strafe auf einen anderen übertragen, ein anderer übernimmt das also.“

Ich riskiere für dich mein Heil im ewigen Leben…

Der emeritierte Professor aus Münster nennt dazu ein Beispiel aus dem 12. Jahrhundert. „Papst Eugen III., ein Schüler Bernhards von Clairvaux, wollte einen Ritter dazu bewegen, seine Ehe wiederherzustellen, und schreibt ihm: ‚Ich übernehme für dich alle Schuld, die du vorher auf dich geladen hast, und riskiere damit mein Heil im ewigen Leben.‘ Das ist natürlich eine ungeheure Aussage – eine ungeheure Bereitwilligkeit, aber das ist christlich letztlich nicht möglich, denn der Papst ist ja für seine Person unschuldig, und ein Unschuldiger kann von Gott nicht verurteilt werden!“

Aber das 12. Jahrhundert, in dem Eugen III. wirkte, war zugleich der Moment, in dem die Theologie von Sünde und Schuld, und damit auch der Ablass, radikal neu gedacht wurden. „Das ist eines der anregendsten Jahrhunderte, die große Wende im Mittelalter! Die Person, die menschliche Würde, die innere Einstellung werden neu entdeckt, das ganze Feld der Buße wird neuinterpretiert, und in diesem Zusammenhang ist Abaelard zu sehen“: Petrus Abaelardus, Pariser Philosoph, Frühscholastiker, einer der hellsten Köpfe seiner Zeit.

„Und da kommt die neue Theologie mit Abaelard, die sagt: Also, in dem Moment, wo ich wirklich bereue, bitterlich weine, verzeiht Gott mir. Da ist keine Gefahr mehr, dass Sie in die Hölle verwiesen werden könnten! Aber es bleiben ‚zeitliche Bußstrafen‘, und Abaelard erklärt diese zeitlichen Bußstrafen sofort so: Du musst dich korrigieren! Du musst nicht eine Portion Strafe auf dich nehmen, du musst deine innere Einstellung korrigieren!“

Greif in den Gnadenschatz hinein

So gesehen, gehört der Ablass – der von den Päpsten zunächst nur sehr zurückhaltend gehandhabt wurde – zur DNA des Christentums, so Angenendt. Auch wenn die östlichen Kirchen die Entwicklung nicht mitvollzogen haben, und auch wenn der Protestantismus des 16. Jahrhunderts bestritt, dass das kirchliche Amt über Gottes Heil für uns Menschen verfügen dürfe. Eine wichtige Etappe im christlichen Denken zum Ablass ist für Angenendt das 13. Jahrhundert: Da entwickelten Theologen und Kirchenrechtler die Lehre von einem unerschöpflichen Gnadenschatz, den Jesus sein Leiden für uns erworben hat. „Die Mystiker sagen: Greife in den Gnadenschatz Jesu Christi hinein, indem du mit Jesus Christus leidest, seinen Kreuzweg gehst, auf die Auferstehung hoffst. Dann korrigierst du dich von deinen falschen Sünden, von deiner falschen Einstellung, du bist in der Nachfolge Jesu Christi; dann bist du auf dem rechten Weg, und dann spielen Strafen usw. überhaupt keine Rolle mehr.“

Für die Mystiker, etwa den Dominikaner Heinrich Seuse, war es allerdings kein Bischof, kein Kardinal, kein Papst, der den Schlüssel zum Gnadenschatz in der Hand hatte. „Da sagen die Mystiker: Du musst in den Schatz selber hineingreifen, durch Mitleiden mit Jesus Christus! Wenn du das tust, dann greifst du in den Schatz, dann brauchst du gar keine kirchliche Vermittlung!“ Doch dem emeritierten Kirchenhistoriker scheint eine kirchliche Vermittlung bei diesem ‚Gnadenschatz’, beim ‚Ablass’, dennoch wichtig: Wir Menschen stehen doch immer „in einem Geflecht“, argumentiert er.

„Jeder Mensch ist zum Beispiel dadurch gläubig, dass er von anderen Gläubigkeit aufgenommen hat, sich davon hat beeinflussen lassen. In jedem Menschen sind die Empfindungen, Gedanken, Töne vieler, vieler anderer Menschen – insofern stehe ich nie alleine, und wenn ich auf den richtigen Weg Jesu Christi kommen will, ist es gut, wenn ich viele andere sozusagen in mich hineinlasse, die mich befördern auf meinem Weg zu Gott. Wie da eine kirchliche Oberverteilung zu denken ist, da würde ich sagen, das ist allenfalls nachgeordnet. Der erste Appell ist: Du musst dich aufmachen, du musst deine Sünden bereuen, du musst einen neuen Weg einschlagen, einen Vorsatz fassen – und da können dir andere behilflich sein, indem sie dir beistehen.“

Warum man das Wort Ablass besser vermeidet

Dass es in der Ablasspraxis viele Missbräuche gegeben hat, wird kein ernsthafter Historiker heute bestreiten. Ablässe wurden für die verschiedensten Anlässe gewährt: zur Unterstützung eines Kirchenbaus (Beispiel: St. Peter in Rom), aber auch als Anerkennung von frommen Werken. Einen vollkommenen Ablass (ähnlich dem, der am Ende des 11. Jahrhunderts den Kreuzfahrern gewährt wurde) gab es zu Jubiläumsjahren der Kirche, 1300 zum ersten Mal. Seit dem 12. Jahrhundert ist das Wirken von Ablasspredigern belegt, die Beschwerden über sie waren bald weit verbreitet, auch das IV. Laterankonzil 1215 beschäftigte sich damit.

Angenendt deutet den Ablass „medizinell“. „Und man sollte das Wort Ablass vermeiden, man sollte dazu sagen: Du musst dich in eine Neuorientierung aufmachen, damit du wieder zu Gott zurückfindest und damit du dich in der Neuausrichtung auf Gott auch befestigst – damit du die bösen Sündenfolgen, die dich wie Stricke festhalten, abwirfst und durchbrichst und zu Gott findest!“ Warum er nicht so gerne das Wort ‚Ablass’ gebraucht? Angenendts Antwort: Weil dadurch der Eindruck erweckt werden könnte, andere nehmen mir das ab. „Das geht nicht! Ich muss selber die innere Umkehr vollziehen, und ich muss auch selber alles Mögliche tun, damit ich den Schaden, den ich angerichtet habe, wiedergutmache, und damit ich die innere Einstellung, die ich hatte, verändere und neu ausrichte auf Gott. Das kann man nicht als Strafe bezeichnen, sondern das nennt man eine medizinelle Strafe der Umänderung der eigenen Einstellung.“

Ich weiß nicht, wie man leben kann ohne diese Hoffnung

Letztlich könne nur Gott Sünden vergeben, bekräftigt Angenendt: „weil wir im eigenen Leben erfahren, dass wir Ungutes, das wir anderen Menschen angetan haben, nicht wieder gutmachen können. Das sagt selbst Jürgen Habermas… Und insofern hoffen wir auf Gott, dass er das wiedergutmacht, was wir nicht wiedergutmachen können. Das ist die Gnade Gottes. Ich weiß nicht, wie man leben kann ohne diese Hoffnung: Gott stellt das wieder her, macht das wieder richtig, was ich Böses getan habe.“ Und Gott werde dann in seiner Gnade auch ertragen, wenn ich mich „von den Fesseln der falschen Einstellung, der sündigen Einstellung nicht freimachen kann“. „Dann wird er darüber hinwegsehen und mich in seine Arme schließen und mich als reuigen Sünder in sein Herz aufnehmen.“

Muss ich jetzt also als Katholik doch irgendwie Verständnis für den Ablass aufbringen, ja mich vielleicht einmal im Leben um einen Ablass bemühen? Nein – muss ich nicht. „Die Kirche überlässt es“, schrieb Paul VI. 1967, „jedem einzelnen, in der heiligen und rechten Freiheit der Kinder Gottes solche Mittel der Läuterung und der Heiligung zu gebrauchen“ – oder auch nicht. Angenendt unterstreicht das: „Es besteht keine kirchliche Pflicht, Ablässe zu erwerben. Das ist wichtig: Der Ablass ist nicht heilsentscheidend. Mein ‚ceterum censeo‘ lautet: Indulgentias esse negligendas! Man kann darüber hinweggehen. Viel entscheidender ist, dass ich mich selber aufmache, dass ich mir von anderen helfen lasse, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen.“

Angenendt gehörte zu den Referenten der Tagung „Ablasskampagnen des Spätmittelalters – Martin Luther und der Ablassstreit von 1517“, die das Deutsche Historische Institut zusammen mit der Theologischen Fakultät der Waldenser zu Beginn dieser Woche in Rom ausgerichtet hat. (rv)

Papst würde gerne Kenia besuchen

Zentralafrikanische RepublikBei seiner Afrikareise im kommenden November könnte Papst Franziskus womöglich auch Kenia besuchen. Das sagte er an diesem Freitagabend im Gespräch mit Priestern in Rom. Franziskus bestätigte auf die Frage eines afrikanischen Priesters hin, dass er in die Zentralafrikanische Republik und nach Uganda reisen werde. Dann fügte er hinzu: „Kenia ist eine Möglichkeit, aber das ist noch nicht sicher, weil es da Probleme mit der Organisation gibt.“ Kenia ist in den letzten Jahren mehrfach von islamistischen Anschlägen heimgesucht worden. Von Plänen für eine Kenia-Reise des Papstes war bislang nichts bekannt.

Franziskus beantwortete auf einem Welttreffen katholischer Priester im Lateran Fragen. Dabei kündigte er vor den etwa tausend Teilnehmern des Treffens auch an, die katholische Kirche sei dazu bereit, sich mit allen christlichen Kirchen auf einen einheitlichen Ostertermin zu einigen. Erneut sprach der Papst mit Blick auf die armenische Tragödie vor hundert Jahren ausdrücklich von einem „Völkermord“; dagegen hatte unlängst die türkische Regierung protestiert.

„Kirche ohne Diskussion ist ein Friedhof“

Mit Nachdruck mahnte der Papst die Priester, die Kirche dürfe keinen Proselytismus betreiben: „Das ist die Karikatur der Evangelisierung!“ Stattdessen sollten sie es dem Heiligen Geist überlassen, „dass er die Neugier der Menschen weckt, wenn sie sehen, wie jemand mit seinem Leben denen dient, die von anderen ausgesonder werden“. Dabei komme es sehr auf die „Sprache der Gesten“ an: „Niemanden verurteilen, deinem Feind nicht mit gleicher Münze heimzahlen, sich benehmen wie der gute Samariter – Zeugnis geben und dem Heiligen Geist das Übrige überlassen!“

Wie schon bei der Eröffnung der letzten vatikanischen Bischofssynode zur Neuordnung der Ehe- und Familienpastoral warb Papst Bergoglio für die Freiheit der Rede. „Was die Urkirche vor der Spaltung bewahrt hat, war der Mut des Paulus, eine klare Rede zu führen, und der Mut der Apostel, sich der Diskussion zu stellen.“ Eine Kirche, in der nicht diskutiert werde, sei „tot“, sei „ein Friedhof“. Die Priester sollten sich davor hüten, die Laien zu „klerikalisieren“ („Lasst die Laien in Ruhe ihre Arbeit machen!“), und sollten aufpassen, dass sich der Teufel nicht „über das Portemonnaie“ bei ihnen einschleiche. Franziskus wörtlich: „Das Volk Gottes vergibt einem Priester, wenn er mal der Versuchung nachgibt oder wenn er zuviel trinkt – aber nicht, wenn er der Macht und dem Reichtum frönt.“ (rv)

Irak: Kultur-Genozid im Gang

IrakDie Christen im Irak sind Opfer eines kulturellen Genozids. Das sagt der Bischof von Erbil, Bashir Warda, im Gespräch mit Radio Vatikan. Die Gläubigen seien gezielt verfolgt, vertrieben oder getötet worden. Die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ sei aber nicht nur aus religiösen Gründen hinter den Christen her, sondern auch aus anderen Gründen. „Da ist ein Genozid im Gange – es geht nicht allein um die Tötung von Menschenleben, sondern es geht um weit mehr“, so Bischof Warda: Das Ziel der Islamisten sei es, die Geschichte und die Traditionen der Christen im Irak zu zerstören.

„Die Erinnerung und Bewahrung unserer Tradition hängt von den tausenden Gläubigen ab, die jetzt auf der Flucht sind. Doch gleichzeitig hat sich in ihren Köpfen ein neues Bild eingeprägt – jenes der Vertreibung. Wir hoffen sehr, dass diese Erfahrung nicht die Erinnerung an die alten Traditionen verdrängt.“

In diesen Tagen wurde das traurige einjährige Gedenken an die Vertreibung der Christen aus Mosul begangen. Nichts deute darauf hin, dass die Gläubigen bald wieder zu ihren Häusern zurückkehren könnten, so Bischof Warda:

„Als ich mit einigen Flüchtlingen aus Mosul sprach, sagten sie mir, dass sie keine Hoffnung haben, überhaupt je wieder zu ihren Häusern zurückzukehren. Die irakische Regierung hat zwar versprochen, alles Mögliche zu tun, um Mosul zurückzuerobern, doch die Lage vor Ort sieht anders aus: Wir sehen keine konkreten Erfolge oder Bemühungen.“

Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ist im Irak und Syrien trotz Luftangriffen der „Anti-Isis-Koalition“ weiter auf dem Vormarsch. So steht die Terrormiliz inzwischen vor den Toren der syrischen Ortschaft Hassake. Ob sich Syriens Präsident Baschar al-Assad überhaupt noch im Land befinde, sei unklar, melden Nachrichtenagenturen. (rv)

Kirchenhistoriker: „Franziskus hat zwei Asse im Ärmel“

Papst FranziskusDiese Woche trafen sich die Kardinäle des sogenannten K9-Rates mit dem Papst, um über die weiteren Schritte der Kurienreform nachzudenken. Es ist kein Novum in der Kirchengeschichte, dass ein Papst die römische Kurie ändern will. Der Kirchenhistoriker Massimo Faggioli doziert an der St. Thomas-und Paul-Universität im US-Bundesstaat Minnesota. Er hat vor Kurzem neue Recherchen im Vatikanischen Geheimarchiv und der Vatikan-Bibliothek gemacht und festgestellt: Fast jeder Papst des 20. Jahrhunderts hat sich mit einer Kurienreform befasst.

„Man findet aber im ganzen Vatikan – sei in der Vatikanischen Bibliothek noch im Archiv – kein einziges Werk, dass die Geschichte der Kircheninstitution als Ganzes genau aufzeigt. So etwas würde uns sonst zeigen, wie sich die Reformvorhaben im Laufe der Zeit entwickelt oder verändert haben.“

Die Kurie in Rom gelte als „älteste noch funktionierende Bürokratie der Welt“, fügt Faggioli an. Franziskus habe als Reformer zwei „Asse im Ärmel“, um erfolgreich Änderungen der Kurie durchzuführen, so der Professor für Kirchengeschichte.

„Der größte Unterschied zwischen Papst Franziskus und seinen Vorgängern im 20. Jahrhundert ist, dass der heutige Papst nie in Rom studiert oder gearbeitet hat. Das macht ihn gewissermaßen ,freier und objektiver´ bei der Aufarbeitung seines Reformprogramms. Zweitens muss man bedenken, dass das Konklave von 2013 zu einem historischen Zeitpunkt stattfand, an dem die römische Kurie wohl einen ihrer Tiefpunkte in Sachen Ansehen genoss. Deshalb sehe ich eine große Gelegenheit, dass die Reformbestrebungen Erfolg haben werden.“

Die Grundfrage der Kurienreform sei auch aus historischen Gründen die gleiche wie früher geblieben: Soll die Zentrale der katholischen Kirche einem bestimmten politischen Modell oder theologischen Ideen folgen? In der Vergangenheit orientierte sich die Kurie vor allem an politischen Systemen, so Faggioli. Franziskus hingegen scheine eher für die theologische Variante einzustehen. Als einen Beweis hierfür nennt der Historiker die Papstrede an die Kurie vom Dezember 2014, in welcher Franziskus „15 Plagen“ in der Zentrale des Heiligen Stuhls benannte. (rv)