Dürfen muslimische Lehrerinnen in öffentlichen deutschen Schulen ein Kopftuch tragen? Dürfen sie es auch dann, wenn sich in der Schule jemand an dieser äußeren Symbolik stört? Und was ist mit den religiösen Symbolen des Christentums? Ist es zulässig, dass Lehrerinnen und Lehrer ein Kreuz tragen, auch wenn sich womöglich ein Andersgläubiger daran stößt? Mit diesen Fragen musste sich zu Beginn dieses Jahr das Bundesverfassungsgericht beschäftigen – und hat entschieden, so der Tenor des Beschlusses vom 27. Januar:
„Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines islamischen Kopftuchs der Fall sein kann.“
Dieses Urteil hat viel Bewegung in die Schulgesetze der deutschen Bundesländer gebracht. In acht Bundesländern fanden sich Regelungen, die Lehrern das Tragen religiöser Symbole grundsätzlich untersagen. Dies wurde bislang mit dem Neutralitätsgebot des Staates begründet. Nicht betroffen jedoch bislang: die christliche Symbolik. Dies nennt man das „Privilegium christianum“.
Die verschiedenen Bundesländer gehen recht unterschiedlich mit dem Urteil um. Deshalb die Frage an Professor Angar Hense vom Institut für Staatskirchenrecht in Bonn, einer Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz. Muss man die Sorge haben, dass es zukünftig keine einheitliche Praxis in Deutschland mehr geben wird, wenn es um Kopftücher, Kreuze, den Halbmond oder andere religiöse Symbole in der Schule geht?
„Es gab bei der Kopftuchgesetzgebung schon vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Einheitlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland, weil nur die Hälfte der Bundesländer eine gesetzliche Regelung getroffen hatte. Nämlich die, die das Kopftuch nicht ausdrücklich, aber der Intention nach generell verbieten wollte. Das hat das Bundesverfassungsgericht als gesetzliche Regelung gekippt und sich dafür ausgesprochen, anstatt generalisierender Regelungen konkrete Einzelfalllösungen zu präferieren.“
Wie im Einzelfall damit umzugehen ist, wenn die Störung des Schulfriedens durch religiöse Symbole behauptet wird, müssen die Länder nun regeln. Ansgar Hense:
„Es kann aber natürlich sein, dass die Frage der Gefährdung des Schulfriedens von Schulort zu Schulort unterschiedlich ausfallen wird. Das ist aber dann den konkreten Umständen vor Ort geschuldet.“
Dass die Kopftuchfrage jetzt zu einer werde, die nicht mehr generell, sondern die konkret geklärt werden muss, findet Hense nicht problematisch:
„Wenn es jetzt die Befürchtung gibt, dass Konflikte vermehrt auftreten können, würde ich als Jurist sagen, dass Freiheitsausübung immer anstrengend ist und immer wahrscheinlich Konflikte in sich birgt. Aber ich denke mir auch, dass die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung gut gerüstet ist, diese Konflikte zu bewältigen.“
In den Diskussionen ist die Sorge laut geworden, der Wegfall des sogenannten „Privilegium christianum“, wenn es um religiöse Symbole in der Schule geht, sei möglicherweise der Beginn einer noch weitergehenden Aushöhlung einer noch vorhandenen bevorzugten Stellung christlicher Kirchen in der Rechtsordnung Deutschlands. Frage an den Staatskirchenrechtler Hense: Welche Rolle spielt das „Privilegium christianum“ heute noch?
„Ich würde als Staatskirchenrechtler sagen, dass es eigentlich kein ,Privilegium christianum´ geben kann, weil es um gleiche Religionsfreiheit aller geht und die Gleichbehandlung der Religionsgesellschaften. Insofern war die Regelung in den Kopftuchgesetzen der Länder schon eher für unsere Regelungsstruktur in Deutschland untypisch. Und bemerkenswert ist auch, dass die abweichenden Richter, die das Sondervotum in der letzten Kopftuchentscheidung getroffen haben, auch gesagt haben, dass die Bevorzugung christlich-jüdischer Religionssymbole mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Insofern habe ich da jetzt wenig Sorge, dass bestimmte Religionen nicht mehr vorkommen können, sondern ich würde eher sagen, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch mal sehr deutlich macht, dass Religion und Kirchen als öffentlicher Faktor auch in der Öffentlichkeit vorkommen müssen.“
Eine andere Befürchtung lautet, dass sich Deutschland von einem religiös neutralen zu einem laizistischen Staat verändern könnte. Professor Hense:
„Ich glaube eher, dass mit dieser neuen Entscheidungen ein sehr deutliches Zeichen für die Religionsfreiheit auch im öffentlichen Raum gesetzt wurde.“ (rv)
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