Was kommt nach dem IS für Iraks Christen?

cna_FluechtlingslagerWASHINGTON, D.C. – Tausende Christen leben als Binnenflüchtlinge im Irak von humanitärer Hilfe. Was für eine Zukunft haben sie, wenn der Islamische Staat erst einmal beseitigt worden ist? Das ist die Frage, die besorgte Christen, Menschenrechtler und Aktivisten beschäftigt; auch in Washington und an den Vereinten Nationen.

„Wir sollten uns nun auf die Konsequenzen einer Befreiung der vom IS kontrollierten Gebiete vorbereiten, inklusive Mossul und der Nineveh-Ebene, sowie Regionen in Syrien“, sagte Carl Anderson, Oberster Ritter der Knights of Columbus vor einer Anhörung zum Thema „Die Anerkennung des Völkermords des IS: Was nun?“ im Regierungsviertel Washingtons.

Nach der Terror-Herrschaft des IS müsse „Pluralismus, Selbstverwaltung und Stabilität“ ermöglicht werden, betonte Dr. Tom Farr, Leiter des Projekts für Religionsfreiheit an der Georgetown University bereits Ende April in einer Rede vor dem Ständigen Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen.

Nach er weiter Teile des Iraks und Syriens im Jahr 2014 eroberte hatte, musste der Islamische Staat im vergangenen März ein Fünftel seines Territoriums einbüßen. Doch die Feldzüge der radikalen Muslime verursachten eine gewaltige Flüchtlingskrise. Hunderttausende Christen flohen vor den Islamisten aus Mossul und der Nineveh-Ebene ins irakische Kurdistan. Dort leben seit bald zwei Jahren die Menschen in Flüchtlingslagern in der Stadt Erbil. Sie überleben dank der Hilfe christlicher Organisationen wie Kirche in Not und anderer Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Ihre Lage bleibt jedoch prekär.

Die kurzfristige Nothilfe kann nicht eine langfristige Strategie ersetzen, eine stabile, wohlhabende und pluralistische Gesellschaft zu schaffen, nachdem der Islamische Staat besiegt worden ist.

Viele vertriebene Christen haben die Region bereits verlassen; manche kamen nach Deutschland, wo sie Gefahr laufen, von der Mehrheit der muslimischen Migranten und ebenfalls islamischen Sicherheitspersonal bedroht und bedrängt zu werden. In Erbil harren weiterhin 70.000 Binnenflüchtlinge, in Schiffscontainern, Wohnwägen und anderen Notunterkünften.

Es muss konkrete Pläne geben, Christen, die in der Region bleiben wollen, sich wieder in ihrer Heimat ansiedeln zu lassen. „Die Menschen sollten entscheiden können, welche Zukunft sie für sich wählen“, sagte Anderson.

„Es wurde viel darüber diskutiert, wie mit den Opfern des IS-Völkermords umzugehen sei“, fuhr Anderson fort. „Einige haben dafür plädiert, die Menschen sicher zurück in die Nineveh-Ebene zu bringen. Andere finden, sie sollten in Kurdistan bleiben können. Und wiederum andere haben vorgeschlagen, sie sollten auswandern. Aber das sind nicht notwendigerweise einander ausschließende, konkurrierende Vorschläge.“

Eine Ausnahme ist Mossul: Die Christen dieser Stadt können nicht heimkehren. Selbst wenn der Islamische Staat von dort vertrieben werden würde, was wahrscheinlich eine gewaltige Kraftanstrengung wäre, ist das Vertrauen der Christen in ihre muslimischen Nachbarn zerstört; möglicherweise für immer. Die bis dahin moderaten Muslime hatten ihre christlichen Nachbarn den Dschihadisten ausgeliefert, als diese im Jahr 2014 die Stadt einnahmen.

Selbst wenn also ihre Häuser noch intakt sein sollten, können Christen nicht unbedingt dorthin zurück und neben ihren ehemaligen Nachbarn leben. Eine andere Lösung muss gefunden werden.

Christen und Jesiden am Kampf beteiligen

Am 19. Mai verabschiedeten die US-Abgeordneten ein Gesetz, an dem zwei Zusatzartikel des Republikaners Jeff Fortenberry aus Nebraska angehängt waren.

Fortenberrys Artikel schaffen eine Blaupause für die Zukunft der Region. „Erstens gehört nun zur US-Strategie im Irak, Sicherheitszonen zu schaffen, in denen Völkermord-Opfer sicher in ihre Heimat zurückkehren können“, sagte er. „Und zweitens ermächtigt eine neue Vorschrift Minderheitengruppen wie Christen und Jesiden, sich mit ihren Verbänden in der integrierten Militärkampagne gegen den IS einzugliedern.“

„Christen, Jesiden und andere sollten weiterhin ein wesentlicher Teil der einst so reichen ethnischen und religiösen Vielfalt des Nahen Ostens sein“, sagte der Abgeordnete.

Doch die Zahl der christlichen Gemeinden im Nordirak ist seit der US-geführten Eroberung des Landes im Jahr 2003 stetig gesunken. Wenn nicht bald Flüchtlinge in der Region neu angesiedelt werden, sondern weiterhin in temporären Unterkünften und Flüchtlingslagern ausharren, dann ist es wahrscheinlich, dass sie das Land für immer verlassen und diese Gemeinden für immer verschwinden.

Diese wäre eine Katastrophe für die Zukunft des Nahen Ostens, betonte Dr. Farr gegenüber den Vereinten Nationen; es würde die religiöse Vielfalt in der Region genauso zerstören wie „jede Chance auf Stabilität, Selbst-Verwaltung und wirtschaftliche Entwicklung.“

Einige Experten, darunter Farr, haben eine „autonome, multi-religiöse, multi-ethnische ‘Sicherheitszone’“ vorgeschlagen, die ermöglichen soll, dass Christen in ihrer angestammten Heimat leben können.

Vorbild hier wären eventuell vergleichbare UN-Zonen der Vergangenheit, in denen internationale Schutztruppen die Bevölkerung vor dem Genozid und weiteren Angriffen durch den IS oder andere muslimische Milizen schützen müssten.

Selbst Farr räumt ein: Vieles müsste geschehen, bevor dieser Plan realistisch und realisierbar ist. Neben militärischem Schutz bräuchte eine solche Zone „eine interne Polizei, wirtschaftliche Anreize, gerechte und effektive Regierung, Behandlung für Traumata und psychologische Leiden, sowie Versöhnungsmechanismen“.

Außerdem müssten benachbarte Länder einer solchen Zone zustimmen, ebenso wie das irakische Kurdistan und die irakische Zentralregierung, so Farr.

Nach einer bestimmten Zeit könnte aus einer „Sicherheitszone“ hoffentlich eine semi-autonome Provinz werden, so Johnny Oram, Geschäftsführer der Chaldäisch-Assyrischen Wirtschaftsallianz in seiner schriftlichen Aussage zur Anhörung.

Die Region müsste sich selber regieren und schützen können müssen, betonte Oram. Nur so könne das Vertrauen der verfolgten Minderheiten wiederhergestellt werden.

Eine Zukunft für Christen

Eine völlig andere Vision für die Christen der Region hat Stephen Hollingshead, von der Gruppe In Defense of Christians. Die IDG ist eine Organisation zur Verteidigung der verfolgten Christen. „Diese UN-’Sicherheitszonen’ haben eine sehr durchwachsene Erfolgsbilanz“, sagte er. „Sie sind generell nicht sicher, und mit einer Ausnahme sind sie nie wirtschaftlich autark.“

Hollingshead leitet das Haven Project der IDG. Er plädiert nicht für eine vorübergehende Sicherheitszone, sondern gleich ein eigenständiges Territorium für Christen und andere Minderheiten, sei es ethnische oder religiöse – Dorf für Dorf.

Christen könnten hier nicht nur überleben, sondern blühen und sich selbst versorgen, schützen und um sich selbst genauso kümmern wie Handelspartner in der Region, so Hollingshead.

Die Nineveh-Ebene liegt zwischen Mossul im Westen und dem irakischen Kurdistan im Norden und Osten. Sie wäre für Hollingshead der geeignete Ort: Christen, die dort seit vielen Jahrhunderten leben, könnten die fruchtbare Ebene weiter landwirtschaftlich nutzen, sich selbst verwalten und vor aggressiven schützen.

Auch dieser Plan hat viele Variablen, räumt Hollingshead ein. Das sind einmal die kurdischen Peschmerga. Sie würden die Ebene einfach annektieren, sobald der IS besiegt wurde, wenn man sie ließe, so Hollingshead. Deshalb müssten Christen und Jesiden auch mit eigenen Kampfverbänden an der Bezwingung des IS beteiligt werden. Nur so wären sie gleichberechtigte Partner bei Friedensverhandlungen.

„Ich glaube, dass die Kurden bereit wären, eine Vereinbarung zu treffen – und ich bitte die USA, eine solche Verhandlung zu führen“, fuhr er fort. Hollingshead ist überzeugt: Die Kurden wären dazu bereit, ihren Anspruch auf die Ebene gegen eine Anerkennung ihres eigenen Rechts auf Selbstbestimmung durch die USA einzutauschen.

Eine solche Lösung ist alles andere als gewährleistet: Christen der Region haben nicht vergessen, dass ich die Kurden am Vökermord gegen die assyrischen Christen vor einem Jahrhundert beteiligten. Und sie sind bis heute argwöhnisch den Peschmerga gegenüber, betont Naomi Kikoler, stellvertretende Direktorin des Simon Skjodt Zentrums für die Prävention von Völkermord am US Holocaust Memorial Museum.

„Religiöse Minderheiten haben weiterhin wenig Vertrauen in die irakischen Sicherheitskräfte und die kurdischen Peschmerga. Sie werfen ihnen vor, sie im Stich gelassen zu haben, als der IS die Niniveh-Ebene angriff“, sagte Kikoler in einem schriftlichen Statement, dass am 26. Mai vor dem House Foreign Affairs Committee verlesen wurde.

„Viele haben weiterhin den Eindruck, als Bauern im politischen Schachspiel zwischen der irakischen Regierung und der kurdischen Regionalregierung um die umstrittenen Regionen verwendet zu werden“. Mit der Folge, dass sich religiöse Minderheiten darüber Sorgen machen, von wem und wie ihre Heimat regiert werde, sollten sie je zurückkehren.

Doch der Plan, darauf beharrt Hollingshead, ist möglicherweise die beste Chance für Christen und Jesiden auf eine langfristig sichere und stabile Heimat in der Region. „Man schiesst nicht auf Leute, mit denen man Handel treibt“, so Hollingshead. Wenn zwischen assyrischen Christen, Kurden und anderen gute Wirtschaftsbeziehungen gegenseitigen Wohlstand sicherten, dann führe dies zu Stabilität und Sicherheit.

So wie der Sindschar-Berg vom Islamischen Staat befreit wurde: So könnten, Schritt für Schritt, auch die Dörfer der Christen und Jesiden befreit werden, meint Hollingshead; durch kurdische, christliche und jesidische Kampftruppen, mit Unterstützung aus der Luft durch US-Streitkräfte. Mit Startkapital ausländischer Investoren könnten neue Betriebe und dadurch Arbeitsplätze entstehen. Ob und wie ein solcher Plan umsetzbar ist und wirklich umgesetzt werden könnte, ist freilich noch unklar – so oder so müßten Experten der internationalen Gemeinschaft, und vor allem der USA, die Region weiterhin sehr genau beobachten. (CNA Deutsch)

Olympische Spiele: Brasilianische Sorgen über das Danach

Rio 2016Rio de Janeiro liefert sich einen Wettlauf mit der Zeit. Am 5. August fällt der Startschuss für die Olympischen Spiele, bis dahin muss noch gebaut werden. Und weil das unter Druck passiert, kostet es mehr als vorgesehen. Das Ergebnis: Die Gesellschaft ist gespalten darüber, ob sie sich über den Sportevent freuen soll oder klagen. Pater Leandro Lenin Tavares ist Olympiapfarrer von Rio de Janeiro und er zeichnet ein eher düsteres Bild von der Situation im Land heute.

„Einerseits freuen sich die Menschen über die Spiele, andererseits sind sie besorgt, was die Ausgaben angeht“, sagt Pater Leandro. „Die Bevölkerung ist auch besorgt, dass sie selber nach den Spielen nicht viel davon hat. Natürlich ist es gut, dass investiert wird, andererseits muss die Bevölkerung aber auch davon etwas haben. Und was die Menschen ganz besonders beschäftigt, über die Spiele hinaus, ist natürlich die politische Krise in Brasilien.“

Mitte Mai hatte der Senat des Landes Präsidentin Dilma Rousseff suspendiert, aus dem Folgekabinett mussten aber bereits ebenfalls Minister wegen Korruption zurücktreten, das Land kommt nicht zur Ruhe. Hinzu kamen vor einigen Tagen Massenproteste gegen Gewalt an Frauen. Anlass war die Vergewaltigung eines jungen Mädchens durch wahrscheinlich mehr als zehn Männer. Drittes Problemfeld ist die Gesundheitsfrage, zum Zika-Virus gehen derzeit sich widersprechende Meldungen über Ansteckungsgefahr und Gefährlichkeit um die Welt.

„Das sind beides sehr brasilianische Themen“, sagt Pater Leandro, sie würden nur unterschiedlich angegangen. Zum Virus etwa sei die Bevölkerung gut informiert, es gab Kampagnen gegen den Virus, alles sei unter Kontrolle. Was die Gewalt in den Städten angehe, sei die Situation anders. Während der Olympischen und Para-Olympischen Spiele sei die Stadt sicher, davon könne man ausgehen. „Was uns als Brasilianer und als Bewohner von Rio de Janeiro aber mehr interessiert und Sorge macht ist die Frage, was nach den Spielen ist. Wird es diese Sicherheit weiter geben? Wir wissen ja nun, dass wir es können, und wir brauchen Sicherheit in der Stadt.“

Von außen sehe es so aus, dass nach Weltjugendtag und Fußballweltmeisterschaft Brasilien mittlerweile Routine habe bei der Ausrichtung solcher Events. Dabei werde gern übersehem, wie komplex das alles sei und vor allem wie viele Ressourcen das benötige. Das Land habe gelernt, bewertet der Olympiapfarrer den Fortschritt, die Organisation liefe besser und man übernehme von den Vorgängerevents viel Know-How. „Die Touristen und die Athleten werden ein Rio de Janeiro sehen, das sie begeistert, aber sie sollen auch Hause fahren und unsere Probleme gesehen haben. Wir möchten ihnen eine wundervolle Stadt zeigen, aber wir werden unsere Probleme nicht verstecken. Wir möchten, dass sie hinter die Kulisse schauen.“

Hintergrund

Pater Leandro Lenin Tavares ist als Olympia-Kaplan Teil der offiziellen Organisation. Zu seinen Aufgaben gehört der interreligiöse Dialog vor Ort, im Olympiapark wird es ein Zentrum zu diesem Thema geben, beteiligt sind Christen, Juden, Muslime, Buddhisten und Hinduisten. (rv)

Papst wird zwei Tage in Schweden bleiben

SchwedenPapst Franziskus weitet seine Reise nach Schweden vom kommenden Herbst aus. Ursprünglich wollte er nur einen Tag – 31. Oktober – bleiben und in Lund zusammen mit dem Lutherischen Weltbund an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren erinnern. Doch jetzt ist auch eine Begegnung mit den Katholiken und eine Messe zum Hochfest Allerheiligen am Tag darauf, dem 1. November, geplant. Das teilte der Vatikan an diesem Mittwoch mit.

Ein Vorab-Programm der Reise, das noch keinen offiziellen Charakter hat, spricht von einem doppelten Reformationsgedenken in Lund am 31. Oktober. Am Vormittag finde ein Gebetstreffen in der Kathedrale von Lund statt; am Nachmittag hingegen werde eine Veranstaltung in einem Stadion von Malmö an „das gemeinsame Zeugnis und den gemeinsamen Dienst von Lutheranern und Katholiken in der Welt“ erinnern. Der Ort, an dem Papst Franziskus tags darauf Katholiken trifft, ist noch nicht bekannt.

Am gemeinsamen Reformationsgedenken mit dem Papst in Lund wird der Präsident des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Younan, teilnehmen. (rv)

Papst ehrt George Clooney und andere Schauspieler

cna_Fanziskus im VatikanFranziskus: „Ich habe nie daran gedacht, als Papst aufzuhören, oder zurückzutreten wegen der vielen Verantwortungen“

VATIKANSTADT – Papst Franziskus hat am gestrigen Sonntag die Hollywoodschauspieler George Clooney, Salma Hayek und Richard Gere gelobt, im Rahmen einer Konferenz der „Scholas Occurentes“ Erziehungsinitiative für arme Gemeinden. Und angekündigt, nicht vom Papstamt jemals zurücktreten zu wollen.

Die Prominenten sollten „der Welt helfen, die Sprache der Gesten zurückzugewinnen“, so Franziskus in der Audienzhalle Paul VI. Im Rahmen der Veranstaltung erhielten die Schauspieler die „Olivenmedaille“ des Friedens.

Im Rahmen der Veranstaltung kündigte Franziskus überraschend an, er habe nicht vor, vom Amt des Papstes jemals zurück zu treten, wie Papst Benedikt XVI. „Ich habe nie daran gedacht, als Papst aufzuhören, oder zurückzutreten wegen der vielen Verantwortungen“, sagte Franziskus.

„Scholas Occurentes“

Die im Heimatland des Papstes gegründete Stiftung „Scholas Occurentes“ hat sich zum Ziel gesetzt, „Gemeinden zu integrieren“, vor allem arme, durch „Technologien, Sport, und künstlerische Vorschläge“, so der Web-Auftritt. Sie ist in 82 Ländern vertreten. Die Konferenz vom 27. bis 29. Mai stellte auch das jüngste Projekt von „Scholas“ vor: Eine neue Website, auf der Fragen an den Papst gestellt werden können“.

Franziskus lobte die Konferenz für ihr Kommunikationsklima in einer Welt, die riskiere, „fragmentiert“ zu werden. Er ermutigte die Teilnehmer, sich kleine Gesten anzugewöhnen wie jemandem in die Augen zu schauen, geduldig und tolerant zu sein. Die Welt dagegen sei „grausam“, so der Papst weiter, und „um eine neue Welt aufzubauen, müssen wir alle Formen von Grausamkeit verbannen. Und Krieg ist grausam“. Des weiteren sagte Franziskus, dass die Trennung von Menschen, Familien und Freunden Animosität und Hass schaffe, wogegen „soziale Freundschaft“ gegen „jede Art der Wegwerfkultur“ verteidige. (CNA Deutsch)

Kardinal Sarah: „Wenden wir uns gemeinsam dem kommenden Herrn zu“

Kardinal SarahPARIS – Kardinal Robert Sarah, Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, hat zu einem großen Nachdenken über die Eucharistie aufgerufen. Und er lädt Priester und Gläubige ein, sich nach Osten, zu Christus hin zu wenden. CNA dokumentiert das vollständige, von Aymeric Pourbaix geführte, Interview in „Famille chrétienne“ mit freundlicher Genehmigung des Kardinals und der französischen Kollegen. Das Original-Interview erschien in „Famille chrétienne“ Nr. 2002 des 28.05.2016.

Vor einigen Wochen haben Sie den Wunsch geäußert, das „Sakrament der Sakramente“, also die Eucharistie, „wieder im Zentrum“ zu sehen. Was ist der Grund dafür?

Ich möchte eine große Reflektion über diese Frage veranlassen, um die Eucharistie wieder in die Mitte unseres Lebens zu bringen. Ich stelle fest, dass viele unserer Liturgien den Charakter von Theatervorstellungen haben. Oft zelebriert der Priester nicht mehr die Liebe Christi durch sein Opfer, sondern eine Begegnung unter Freunden, ein Gemeinschaftsmahl, einen Moment brüderlichen Beisammenseins. Durch das Bemühen, kreative oder festliche Liturgien zu erfinden, entsteht für uns die Gefahr eines zu menschlichen Kultes, der auf der Höhe unserer Wünsche und der aktuellen Moden ist. Schritt für Schritt entfernen sich die Gläubigen von dem Geheimnis, das uns das LEBEN gibt. Für die Christen ist die Eucharistie eine Frage von Leben und Tod!

Wie kann Gott wieder ins Zentrum gerückt werden?

Die Liturgie ist die Tür zu unserer Vereinigung mit Gott. Wenn die eucharistischen Zelebrationen sich in menschliche Selbstzelebration transformieren, ist eine immense Gefahr im Verzug, denn Gott verschwindet. Wir müssen damit beginnen, Gott wieder in die Mitte der Liturgie zu rücken. Wenn ihr Zentrum der Mensch ist, dann wird die Kirche eine rein menschliche Gemeinschaft, eine schlichte NGO, wie es Papst Franziskus gesagt hat. Wenn umgekehrt Gott im Herzen der Liturgie ist, dann findet die Kirche wieder ihre Lebenskraft und ihren inneren Schwung. „In unserem Verhältnis zur Liturgie entscheidet sich das Schicksal der Kirche und des Glaubens“, schrieb in prophetischer Weise Kardinal Ratzinger.

Welches Heilmittel empfehlen Sie?

Die Wiederanerkennung der Liturgie als Werk Gottes setzt eine wahre Herzensbekehrung voraus. Das Zweite Vatikanische Konzil betonte einen Hauptpunkt: In diesem Bereich ist das Wichtige nicht das, was wir tun, sondern das, was Gott tut. Kein menschliches Tun kann jemals verwirklichen, was sich im Herzen der Messe befindet: das Opfer des Kreuzes.

Die Liturgie erlaubt uns, das Eingeschlossensein in den Mauern dieser Welt zu überwinden. Um die Sakralität und die Schönheit der Liturgie wiederzufinden, braucht es eine Arbeit an der Ausbildung der Laien, der Priester und der Bischöfe. Es handelt sich um eine innere Umkehr.

Um Gott wieder ins Zentrum der Liturgie zu rücken, braucht es auch die Stille: die Fähigkeit des Schweigens, um Gott und sein Wort zu hören. Ich bekräftige, dass wir Gott nur in der Stille und in der Betrachtung seines Wortes in den Tiefen unseres Herzens begegnen können.

Wie soll das konkret geschehen?

Bekehrung heißt sich Gott zuzuwenden. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass unser Leib an dieser Bekehrung Anteil haben muss. Das beste Mittel ist sicherlich, als Priester und Gläubige in gemeinsamer Gebetsrichtung zum kommenden Herrn hin zu zelebrieren. Dabei handelt es sich nicht, wie man manchmal hören kann, darum, mit dem Rücken oder mit dem Gesicht zum Volk hin zu zelebrieren. Das Problem liegt nicht dort. Es geht darum, sich gemeinsam zur Apsis zu wenden, die den Osten symbolisiert, wo das Kreuz des auferstandenen Herrn thront.

Durch diese Weise der Zelebration erfahren wir bis in den Leib hinein den Primat Gottes und der Anbetung. Wir begreifen, dass die Liturgie unsere Teilnahme am vollkommenen Opfer des Kreuzes ist. Ich habe persönlich diese Erfahrung gemacht: so zelebrierend wird die Gemeinde mit dem Priester als ihrem Haupt voran im Augenblick der Elevation wie angehaucht vom Mysterium des Kreuzes.

Aber ist denn diese Form erlaubt?

Sie ist legitim und entspricht dem Buchstaben und dem Geist des Konzils. Als Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung habe ich in Erinnerung zu rufen, dass die Zelebration versus orientem von den Rubriken des Meßbuches autorisiert ist, welche die Momente festlegen, wo der Zelebrant sich zum Volk hinzuwenden hat. Um zum Herrn hin zu zelebrieren, braucht es also keine besondere Erlaubnis. In diesem Sinne habe ich in einem Kommentar, der im Juni 2015 im „Osservatore Romano“ publiziert wurde, vorgeschlagen, dass die Priester und die Gläubigen sich wenigstens während des Bußritus‘, des Glorias, der Orationen und des eucharistischen Hochgebetes nach Osten wenden.

Im Bewußtsein vieler ist die Umwendung der Altäre mit dem Zweiten Vatikanum verbunden? Ist das wahr?

Mehr als 50 Jahre nach Beendigung des Zweiten Vatikanischen Konzils wird es dringend, dass wir seine Texte lesen! Das Konzil hat niemals verlangt, zum Volk hin zu zelebrieren. Diese Frage wird durch die Konstitution Sacrosanctum Concilium nicht einmal behandelt… Vielmehr wollten die Konzilsväter die Notwendigkeit für alle betonen, in die Teilnahme am gefeierten Mysterium einzutreten. In den auf das Zweite Vatikanum folgenden Jahren hat die Kirche nach Mitteln gesucht, diese Intuition ins Werk zu setzen.

So ist die Zelebration dem Volk gegenüber eine Möglichkeit, aber keine Verpflichtung geworden. Die Liturgie des Wortes rechtfertigt ein Gegenüber zwischen Lektor und Hörern, den Dialog und die Pädagogie zwischen dem Priester und seiner Gemeinde. Aber von dem Moment an, wo man sich an Gott wendet – vom Offertorium an -, ist es wesentlich, dass der Priester und die Gläubigen sich gemeinsam nach Osten wenden. Das entspricht ganz und gar dem, was die Konzilsväter wollten.

Ich halte es für notwendig, dass man zu den Texten des Konzils zurückkehrt. Einige Anpassungen an die lokale Kultur sind wahrscheinlich nicht ausgereift genug gewesen. Ich denke an die Übersetzung des Römischen Meßbuches. In einigen Ländern wurden wesentliche Elemente ausgelassen, vor allem im Moment des Offertoriums. Im Französischen wurde die Übersetzung des Orate fratres verstümmelt. Der Priester müßte sagen: „Betet, Brüder, dass mein Opfer, das auch euer Opfer ist, Gott dem allmächtigen Vater wohlgefällig sei.“ Und die Gläubigen hätten zu antworten: „Der Herr nehme das Opfer an aus deinen Händen zum Lob und zur Verherrlichung Seines Namens, für unser Wohl und das der ganzen heiligen Kirche.“ [Anm. des Übers.: Diese Passage ist im deutschen Meßbuch korrekt übersetzt, allerdings sind hier alternative Gebetseinladungen eingefügt worden, welche den Opfercharakter nicht zum Ausdruck bringen, so daß viele Gläubige das genannte Gebet gar nicht mehr kennen.] Bei der Audienz, die mir am Samstag, dem 2. April, gewährt wurde, hat der Papst bestätigt, dass die neuen Übersetzungen des Römischen Meßbuchs den lateinischen Text unbedingt respektieren müssen.

Was bedeutet für Sie die Teilnahme der Gläubigen?

Die Teilnahme der Gläubigen ist äußerst wichtig. Sie besteht vor allem darin, sich von Christus in das Mysterium seines Todes und seiner Auferstehung hineinziehen zu lassen. „Man geht nicht zur Messe, um einer Vorstellung beizuwohnen. Man geht dorthin, um am Mysterium Gottes teilzunehmen“, hat Papst Franziskus erst kürzlich in Erinnerung gerufen. Die Orientierung der versammelten Gemeinde zum Herrn hin ist ein einfaches und konkretes Mittel zur Förderung der wahren Teilnahme aller an der Liturgie.

Die Teilnahme der Gläubigen könnte somit nicht verstanden werden als die Notwendigkeit, „irgend etwas“ zu tun. In diesem Punkt haben wir die Lehre des Konzils entstellt. Im Gegenteil handelt es sich darum, Christus uns ergreifen zu lassen und uns mit seinem Opfer zu verbinden. Nur ein vom kontemplativen Glauben durchtränktes Schauen wird uns davor bewahren, die Liturgie zu einer Aufführung zu machen, wo jeder seine Rolle zu spielen hätte. Die Eucharistie läßt uns eintreten in das Gebet Jesu und in sein Opfer, denn Er allein kann im Geist und in der Wahrheit anbeten.

Welche Bedeutung misst die Kirche dieser Frage nach der Orientierung zu?

Zuerst sei gesagt, dass wir nicht die Einzigen sind, die eine Orientierung beim Gebet kennen. Der jüdische Tempel und die Synagogen waren immer geostet. Durch die Wiederentdeckung dieser Ostung können wir zu unseren Ursprüngen zurückkehren. Ich stelle auch fest, dass Nicht-Christen, die Muslime insbesondere, beim Gebet orientiert sind [Anm. d. Übers.: Das heisst, dass sie in einer bestimmten geographischen Richtung beten].

Für uns ist Jesus Christus das Licht. Jede Kirche ist zu Christus hin orientiert. Ad Dominum. Eine Kirche des in sich verschlossenen Kreises hätte ihre Daseinsberechtigung verloren. Um sie selbst zu sein, muß die Kirche im Angesicht des Herrn leben. Unser Bezugspunkt, das ist der Herr! Wir wissen, dass Er unter uns gelebt hat und dass Er auf dem östlich von Jerusalem gelegenen Ölberg zum Vater heimgekehrt ist. Und dass er auf dieselbe Weise wiederkehren wird. Zum Herrn hin ausgerichtet zu bleiben, heißt Ihn täglich zu erwarten. Der Herr soll sich nicht fortwährend beklagen müssen: „Sie kehren mir den Rücken zu und nicht das Gesicht!“ (Jer 2, 27).

Drückt sich darin eine eschatologische Dimension aus, eine Weise, sich der Zukunft zuzuwenden?

Die Eucharistie ist eine Vorwegnahme der endzeitlichen Wiederkunft Christi auf diese Erde. Sie antizipiert, was wir sein werden, sie richtet uns auf das Kommende hin aus, wenn Gott alles in allem sein wird. Und doch ist Christus, wenn der Priester spricht: „Das ist mein Leib“, schon hier! Somit antizipieren wir diese Kommunion, die wir im Himmel leben werden. Die irdische Liturgie bereitet die himmlische Liturgie vor, wo uns geschenkt werden wird, Gott ohne Hülle zu betrachten, von Angesicht zu Angesicht.

Ich denke, das Wichtige ist nicht, den Priester zu sehen, sondern einen gemeinsamen Blick auf den Herrn zu werfen. Hier geht es nicht mehr um Dialog, sondern um gemeinsame Anbetung, um unseren Weg auf den hin, der am Kommen ist. Wie Joseph Ratzinger betont hat, ist ein geschlossener Kreis nicht geeignet, der gemeinsamen Bewegung Ausdruck zu geben, die sich in derselben Gebetsrichtung ausdrückt. Unglücklicherweise ist die Position des Priesters zur Versammlung hin mancherorts die Ursache dafür, dass die betende Gemeinde sich in sich selbst verschließt. Sie ist nicht mehr geöffnet, weder zur kommenden Welt hin noch zum Himmel. Es wäre verheerend, wenn der Priester das Zentrum würde, der Hauptprotagonist der eucharistischen Zelebration.

Welchen Sinn hat es, sich nach Osten zu wenden, wenn man überall im Geist und in der Wahrheit anbeten kann.

Natürlich können wir überall beten. Aber wir sind keine reinen Geister. Wir haben einen Leib. In der Liturgie kommt uns Christus mit seinem Leib entgegen. Wir richten uns nicht auf eine Idee aus, auf etwas Abstraktes, sondern zu einer Person hin, die inkarniert und sichtbar ist, unter uns bleibend. Am Kreuz offenbart Jesus das Angesicht Gottes. Meine Pflicht als Priester ist es, jeden Christen einzuladen, sich von den irdischen Götzen abzuwenden, um sich von Christus anschauen zu lassen. Heben wir die Augen hinauf zum Kreuz!

Das Konzil erinnert daran, dass Christus gegenwärtig ist in seinem Wort, in der Person des Priesters und in der betenden Versammlung. Um diese Gegenwart wahrzunehmen, ist es wichtig, ins Mysterium Gottes einzutreten; es gilt, sich vom Mysterium tragen zu lassen und im Mysterium zu sein.

Einige Kirchen sind aus praktischen, baulichen Gründen nicht nach Osten hin ausgerichtet – das ist der Fall in St. Peter in Rom. In diesen konkreten Fällen drängte Benedikt XVI. darauf, dass in der Mitte des Altars ein Kreuz aufgestellt würde, damit alle, Priester und Gläubige, den Blick auf das Kreuz hin ausrichten und nicht auf das Gesicht des Priesters. Es ist wünschenswert, dass überall da, wo es möglich ist, eine Darstellung des gekreuzigten und auferstandenen Herrn in der Apsis thront als „geistlicher Osten“, der unseren Liturgien und Kirchen eine Sinnrichtung gibt, als Zielpunkt, zu dem hin alle sich ausrichten.

Befürchten Sie nicht, dass dies als ein Rückschritt aufgefaßt wird?

Die Tatsache, sich der Wahrheit zuzuwenden, ist kein Rückschritt… Ich glaube, man muß feinfühlig und pädagogisch vorgehen, aber ich denke, es kann nicht schaden, einmal Bilanz zu ziehen: hat unsere Art und Weise der Zelebration den Glauben an die Eucharistie, an die Realpräsenz Gottes wachsen lassen? Hat sie die Christen in ihrer Gottesliebe voranschreiten und kirchenferne Menschen wieder zurückkehren lassen? Ich glaube, dass die Liturgie in Gefahr ist. Der Mensch versucht, den Platz Gottes einzunehmen. Die Liturgie riskiert, ein rein menschliches Spiel zu werden.

Warum nicht zur Intuition des Konzils zurückkehren: Gott wieder seinen Vorrang geben? Dies scheint mir um so wichtiger, als gerade viele junge Menschen eine größere Ehrfurcht vor dem Heiligen fordern; sie wollen den Sinn der Liturgie wiederentdecken.

Welche Früchte wären von der Umwendung des Altares [Anm. d. Übers.: Hier ist gemeint, dass der Priester vor dem Altar so betet, dass er zum Altar und nach Osten bzw. zur Apsis hin schaut] zu erwarten?

Der Papst hat betont, dass wir im Westen den Sinn für die Anbetung verloren haben, weil Gott in unseren Liturgien nicht im Zentrum steht. Dem gegenüber liegt in der Liturgie des Ostens die Herrlichkeit Gottes im Herzen jeder Geste. Die Zentralität Gottes ist eine wesentliche Bedingung, wenn wir den Geschmack an der Anbetung wiederfinden wollen. Ich bin zuinnerst davon überzeugt, dass die Liturgie eine mystische Realität ist. Derjenige, der Gott von Angesicht gegenübertritt, erfährt eine wirkliche und tiefe Änderung in sich selbst. Wenn Mose mit Gott spricht, von Angesicht zu Angesicht, wird er von einem göttlichen Schein geprägt: die Haut seines Gesichtes strahlt Licht aus. Wenn wir Gott feiern und Ihn so feiern, dass wir Ihm gegenübertreten, dann wird dieses Leuchten da sein. Sein Glanz wird uns durchdringen, denn die Kirche ist wie der Mond. Sie besitzt das Licht, wenn sie die Strahlen von der Sonne empfängt. Es geht um unsere Fähigkeit, das Licht Christi zu den Menschen zu bringen. Ohne den Geist der Anbetung gibt es keine Evangelisierung, sondern nur eine leere, weltliche Geschäftigkeit.

Natürlich ist das Licht Christi nicht einfach äußerlich. Dieses Leuchten muß unser Bewußtsein und unsere Seele durchdringen, damit es eine innerliche Veränderung bewirkt. Wenn wir nicht Mystiker und Heilige werden, wie könnte die Kirche dann leben?

Ist dies ein Thema, das besonders die Priester betrifft?

Viele Priester leiden darunter, nicht mehr zu wissen, was ihr tiefes Wesen ausmacht! So viele von ihnen verlieren die Ausdauer und die Begeisterung, denn sie haben weder ein innerliches Leben noch Bande der Freundschaft zu Jesus. Sie sichern aufrichtig ihre Funktion ab, jedoch ohne Verbindung zu Gott. Durch das Anschauen des Volkes und das Sprechen zu ihm läuft der Priester Gefahr, sich selbst als das Zentrum der Aufmerksamkeit zu empfinden. Gemeinsam mit dem Volk zum Herrn hingewandt zu sein, würde ihm erlauben, seine Identität wiederzuentdecken, welche darin besteht, das Volk zu Gott hin zu führen und selbst hinter Christus zu verschwinden; die Priester müssen transparent werden, um sein Licht durchscheinen zu lassen. Wir müssen wie die Hostie werden, uns „transsubstantiieren“ lassen und Ebenbilder Christi sein. Denn der Priester ist der, der sich vor Gott aufhält, der die Welt zu Ihm hin orientiert. Er ist ein Vermittler, ein Werkzeug in Seinen Händen und nicht der Hauptprotagonist der Liturgie. Ich denke auch, dass die Zelebration zu Gott hin die Bedeutung des Gebetes vor dem Tabernakel wiederentdecken lassen wird.

Was die Gläubigen betrifft, so sind sie nicht gekommen, um mit dem Priester zu sprechen, sondern mit Gott. Durch den Priester lassen sie die Opfergabe ihres Lebens, ihrer Leiden und ihrer Freuden zu Gott hin aufsteigen.

Worin besteht die Wichtigkeit der liturgischen Erneuerung für die ganze Kirche?

Wir sind dem Konzil nicht treu gewesen, denn wir haben nicht konkret die Messe zur Quelle und zum Gipfel unseres Lebens gemacht, zum Herrn hin gewendet! Über die Woche sind die Laien durch ihre Aktivitäten in Beschlag genommen. Wenn man ihnen nicht die Möglichkeit gibt, Gott während der Messe zu begegnen, gehen sie nach Hause und finden ihre Probleme wieder vor: nichts hat sich grundlegend geändert. Schlimmer noch, sie kehren in eine grausame Welt zurück, die unbarmherzig ist und ohne Gott, eine Welt, die sie schwächt und sie mit bloß materieller Nahrung überfüttert zum Schaden der spirituellen Dimension.

Der Glaube der Kirche wird zunehmen, wenn wir die sakrale Dimension der Eucharistie wachsen lassen. Um dies zu tun, entfernen wir alles, was schadet: namentlich während der großen Zeremonien oder in den touristischen Kirchen die Fotografen, die den Eindruck vermitteln, es handele sich um Bühnenballett. Dann werden wir den Sinn der Kirche und den des Menschen wiederentdecken. Ich bin überzeugt, dass die ganze Krise, die die Kirche erfährt – die Krise der religiösen Praxis, die doktrinäre Krise, die moralische und die spirituelle – daher kommt, dass die Gegenwart Gottes in der Eucharistie nicht wahrgenommen, das heißt in der Praxis negiert wird. Wenden wir uns Ihm zu!

Gibt es eine liturgische Erziehung für die jungen Menschen?

Ich werde niemals das Vorbild der Missionare in meinem Heimatdorf vergessen. Die jungen Menschen brauchen wirklich geistliche Priester als Vorbilder. Johannes Paul II. erklärte, ausgehend von seiner eigenen Erfahrung des Ostens: „Die Zukunft der Kirche und der Mission hängt von den Kontemplativen ab.“ Ich glaube, dass die Liturgie eine mystische Schule werden muß, ein Weg, um das Mysterium Gottes wiederzuentdecken. Als Afrikaner möchte ich der Jugend unsere freudige Ehrfurcht vor dem Heiligen überliefern, unsere Begeisterung, vor dem Angesicht Gottes zu stehen.

Es reicht nicht, intellektuell oder theologisch begründete liturgische Reformen durchzuführen; es ist notwendig, dass Heilige uns helfen, in das Mysterium einzutreten, das wir feiern. Schauen Sie, wie der Pfarrer von Ars oder Pater Pio die Heilige Messe zelebrierten. „Ich sah ihn mehrere Male Tränen vergießen, während er das heilige Opfer der Messe feierte“, sagte jemand über den Pfarrer von Ars, „zeitweise war er so sehr bewegt, dass die Gläubigen es wahrnehmen konnten. Ein solches Feuer brannte in seinem Blick.“

Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Aymeric Pourbaix. Publiziert bei CNA mit freundlicher Genehmigung von Kardinal Sarah und Famille chrétienne, NR 2002 des 28.05.2016. (CNA Deutsch)

Papst berät sich mit Kurienspitze

Vatikan„Kabinettssitzung“ im Vatikan: Hinter verschlossenen Türen im Apostolischen Palast hat sich Papst Franziskus an diesem Montagvormittag mit den Leitern vatikanischer Dikasterien getroffen. Im Mittelpunkt der Gespräche stand die Reform des vatikanischen Mediensektors, die letztes Jahr begonnen hat. Der Präfekt des vom Papst 2015 geschaffenen Mediensekretariats, Dario Edoardo Viganò, stellte den anwesenden Kurienchefs seine Pläne vor.

Die Medienreform ist auf vier Jahre angelegt, soll also noch bis 2018 dauern. Zunächst wurden der Vatikanische Pressesaal, der Päpstliche Medienrat und die Internetdienste des Vatikans zusammengelegt, in diesem Jahr dann Radio Vatikan und das Vatikan-Fernsehzentrum CTV. Für 2017 steht die Zusammenführung von „Osservatore Romano“, der Verlagsbuchhandlung Lev, des Foto-Dienstes und der Druckerei an. Entstehen soll ein einheitliches Mediengebilde. Das letzte Jahr der Reform soll der Evaluierung und Konsolidierung dienen. (rv)

Kirche bittet, Lebensmittel und Medizin nach Venezuela bringen zu dürfen

VenezuelaCARACAS – Die Kirche will der notleidenden Bevölkerung Venezuelas mit Lebensmitteln und Medikamenten helfen: Die Caritas des Landes will am heutigen Freitag, 27. Mai, dazu einen dritten Antrag an die Regierung stellen. Die Lage der Menschen im Land hat sich in den vergangenen Tagen weiter verschlechtert.

Bereits Ende April hat die venezolanische Bischofskonferenz ihre Sorge ausgedrückt über die politische und wirtschaftliche Krise des Landes zum Ausdruck gebracht. Die Hirten forderten die Regierung Nicolás Maduros auf, der Caritas zu erlauben, „Nahrungsmittel, Medikamente und weitere nötige Vorräte ins Land zu bringen“.

Janeth Márquez, Direktorin der Caritas in Venezuela, sagte am vergangenen Donnerstag zu CNA, dass in Anbetracht einer ausbleibenden Antwort die Institution am 5. Mai „einen zweiten Antrag gestellt hatte, mit dem gleichen Anliegen, dass es uns angesichts der Krise (…) erlaubt sei, einen humanitären Korridor einzurichten.“ Die Autoritäten antworten aber immer noch nicht und deshalb werden wir morgen einen dritten Brief an das Büro des Vizepräsidenten der Republik, Jorge Arreanza, übergeben.

Leidtragende sind vor allem Kinder

„Morgen, mit dem dritten Brief, werden wir sehen, ob sie uns antworten, denn es ist auch dringend notwendig, dass sich eine Möglichkeit auftut und dass eine Zusammenarbeit uns Hilfe verschafft. Die Leute leiden, weil die notwendigen Medikamente nicht zur Verfügung stehen, die Lebensqualität der Menschen verringert sich“, warnte sie.

Vor diesem Hintergrund machte die Direktorin der Caritas darauf aufmerksam, dass „sich die Situation in Venezuela in den vergangenen Monaten verschlimmert hat“ und dass unter den Leidtragenden vor allem auch Kinder seien, von denen viele „die Schule verlassen“ und teilweise sogar „die Grenze zur Unterernährung überschreiten“. Sie sagte, die Bitten um Hilfe hätten um 100 Prozent zugenommen und bestand darauf, dass die einzige Form, um darauf antworten zu können „der Beitrag der internationale Kooperation sei.“

Deshalb „drängen wir darauf, dass diese Erlaubnis (der Einfuhr von Hilfsgüter) gegeben werde oder dass ein geeigneterer Mechanismus geschaffen werde, so wie es der Staat für angemessen erachte. Vor allem stellen wir einen Antrag, damit ein humanitärer Korridor uns erlaube, dieser Bitte oder einem Teil dieser Bitte nachzukommen.

Márquez sagte, dass die Caritas momentan auf die Anfragen antworte dank eines „Tröpfelns“, das durch reisende Personen ankommt, die „ein paar Medikamente mitnehmen, die uns von einigen Organisationen geschickt werden; aber es sind wenige, wirklich nur ein paar Tropfen.“

„Wir glauben, dass die Zusammenarbeit in diesen Momenten in großem Stil geschehen muss“ erklärte sie. Und erinnert daran, dass „die Lösung auch nicht durch die Kirche kommt“, denn was sie tun kann, ist „die Situation zu erleichtern, in der wir leben“. „Die Lösung kann nur durch einen Wandel in der Staatspolitik kommen“ fügte sie hinzu.

Auch gab sie an, dass „wir aufgrund des großen Mangels nichts tun können, auch wenn sie uns Geld schicken, denn es gibt weder die nötigen Medikamente noch Nahrungsmittel, um die Pakete zu kaufen zu können, die wir normalerweise an die bedürftige Bevölkerung austeilen.“

Der Mangel an Medikamenten hat in Venezuela ein neues Opfer gefordert, das das Volk gerührt und dem Präsidenten Nicolás Maduro weitere Kritik eingebracht hat. Es handelt sich um Oliver, ein Kind, das Krebs hatte und am vergangenen Mittwoch gestorben ist. Ein Bild von ihm ging im Februar um die Welt. Dort sieht man ihn, mit einem Plakat in der Hand, auf dem der Satz steht: „Ich möchte mich behandeln lassen. Friede und Gesundheit“. In den Apotheken gab es aber keine Medikamente und die Eltern mussten auf Spendensuche gehen. (CNA Deutsch)

Erzbischof Heße: Thema Flucht gehört zum Katholikentag

Erzbischof Stefan HeßeUm das Thema Flüchtlinge kommt man beim Katholikentag nicht herum, es ist wie ein roter Faden. Bereits bei der Ankunft im Bahnhof begegnet dem Besucher die Installation eines Flüchtlingsbootes, erstellt von Kindern. Aber auch in den Gesprächen auf den Podien und am Rande ist das Thema gegenwärtig. Das beobachtet Stefan Heße, Erzbischof vom Bistum Hamburg und Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz. Unsere Kollegin Pia Dyckmans hat mit Erzbischof Heße über seine Beobachtungen auf dem Katholikentag gesprochen.

Der Katholikentagspreis ging an eine Kantorei, die ein Musikstück zum Thema Flucht aufgeführt hat und Erzbischof Stefan Heße hat zusammen mit den Sternsingern im Rahmen ihrer Aktion „Leben retten“ die letzte Schiffsplanke entgegengenommen, mit der das „Leben retten“ –Boot vollendet wurde und nun im Leipziger Bahnhof ein Flüchtlingsschiff symbolisiert. Bischof Heße scheint das Thema Flucht omnipräsent. „Bis dahin, dass hier zu wenig Quartiere vorhanden waren für Teilnehmer und einige sind dann in eine nicht benutzte Flüchtlingsunterkunft, die noch nicht im Betrieb ist bzw. noch nicht gebraucht wurde, untergebracht worden. Die spüren sozusagen am eigenen Leib wie das ist, wenn man in so einem Camp lebt. Von daher habe ich den Eindruck, dass zieht sich durch den Katholikentag durch. Ich glaube, wir kommen an dem Thema gar nicht vorbei. Das ist das Megathema, dass uns die nächsten Jahre, Jahrzehnte beschäftigen wird, nicht nur mit der Willkommenskultur, die wir jetzt haben, sondern mit der Frage, wie geht Integration langfristig.“

Die Willkommenskultur war das beflügelte Wort im vergangenen Jahr. Menschenmassen, die mit Willkommenplakaten und Luftballons an den Bahnhöfen Deutschlands die Flüchtlinge empfangen haben. Heße bemerkt auf dem Katholikentag nicht so viel Kritik an der Willkommenskultur in Deutschland, eher Zustimmung. „Leipzig ist natürlich mit Legida schon bekannt, das Thema ist hier in der Stadt präsent. Ich selber kenne es aus Teilen meines eigenen Erzbistums. Wir haben aber auch in unseren Leitsätzen zur Flüchtlingsarbeit der deutschen Bischöfe auch vermerkt, dass es so kritische Tendenzen auch in unseren Gemeinden gibt. Es wäre also naiv davor die Augen zu verschließen. Im Gegenteil, man muss sich dem stellen, man muss damit kommunizieren und sehen, dass man in der Auseinandersetzung hoffentlich ein Stück nach vorne kommt.“

Aus Leipzig nimmt Heße Inspirationen für sein eigenes Bistum mit. Er ist Erzbischof von Hamburg, Schleswig-Holstein und dem Landesteil Mecklenburg. Sein Bistum hat gerade einmal sieben Prozent Katholiken, weit entfernt davon Volkskirche zu sein, wie Heße selber seine Situation beschreibt. Er weiß, dass Gott, Glaube und Kirche bei vielen Menschen heute weit weg ist. „Aber die Chance ist, die Leute sind unvoreingenommen. Es ist nicht so, dass die große Skepsis haben, sondern die kennen so wenig von Kirche und von Gott, dass wir fast wieder interessant wirken. Und ich mache die Erfahrung, wenn man persönliche Kontakte knüpft, ist das positiv und kann manches bewegen.“ Daher braucht es auch immer den Einzelnen, der sich berühren lässt und das hat Heße in Leipzig durchaus beobachten können. (rv)

Vatileaks 2.0: Aussagen von Fittipaldi und Chaouqui

Uffici GiudiziariVATIKANSTADT – Zum Abschluss der jüngsten Verhöre im Verfahren um die Entwendung und Verbreitung vertraulicher Dokumente des Heiligen Stuhls hat Pater Federico Lombardi von der nichtöffentlichen Sitzung erzählt. Der Sprecher des Presse-Amtes teilte mit, dass „nach Eröffnung der Verhandlung und gemäß Anordnung des Gerichtes, wie in der letzten Verhandlung vom 17. Mai verlesen, die Forderungen der Verteidiger der Angeklagten Chaouqui und Fittipaldi angehört wurden“. Dabei ging es um die „Tatbestände, die aus der Zeugenaussage des stellvertretenden Kommissars Gianluca Gauzzi Broccoletti in der Verhandlung vom 16. Mai 2016 zutage gekommen waren“, so Pater Lombardi, sowie die Stellungnahme des Kirchenanwalts bezüglich dieser Forderungen.

Der richterliche Senat hat sich somit für circa 20 Minuten zu einer nichtöffentlichen Sitzung versammelt; nach deren Beendigung hat er eine Anordnung erlassen mit der das Gericht: Einmal den Erwerb der von den Anwälten Sgrò und Musso erstellten Dokumentation beschlossen hat und zweitens der Forderung, erneut die Angeklagten Chaouqui und Fittipaldi anzuhören, stattgegeben hat, wiederum aufgrund der besagten Zeugenaussage. Er behielt sich vor, die Forderung nach einer Ergänzung zu einem Gutachten zu bewerten und hat die Fortsetzung der Gerichtsverhandlung angeordnet. Es wurde also, mit den Fragen des Kirchenanwalts und der anderen Anwälte, die Anhörung des Zeugen Gianluca Gauzi Broccoletti wieder aufgenommen und beendet; ebenso wurden die Erklärungen von Francesca Immacolata Chaouqui angehört; des weiteren ein neuer Zeuge, der vom Kirchenanwalt Stefano De Santis aus dem Korps der Gendarmerie verlangt worden war; am Ende wurde Emiliano Fittipaldi angehört.

Nach jeder Zeugenaussage oder Erklärung wurde das diesbezügliche Protokoll verlesen und ihm stattgegeben. Die Verhandlung endete gegen 19.45 Uhr. (CNA Deutsch)

Italien: Kardinal Capovilla verstirbt mit 100 Jahren

Kardinal CapovillaIm würdigen Alter von 100 Jahren ist der älteste Kardinal der Weltkirche, der Italiener Loris Francesco Capovilla, verstorben. Der langjährige Sekretär von Kardinal Angelo Giuseppe Roncalli, dem späteren Papst Johannes XXIII., verschied in einer Klinik in Bergamo. Papst Franziskus hatte ihn 2014 mit der Erhebung in den Kardinalstand geehrt. Aufgrund seines hohen Alters nahm Capovilla nicht am Konsistorium zur Kardinalskreierung bei; das Birett und den Kardinalsring überbrachte ihm Kardinaldekan Angelo Sodano in Sotto il Monte; dort lebte Capovilla im einstigem Haus seines Dienstherrn Roncalli.

Capovilla hätte am 14. Oktober seinen 101. Geburtstag gefeiert. Mit seinem Tod umfasst das Kardinalskollegium nun 213 Purpurträger, davon 114 Wähler. (rv)