Hass. Das ist der Titel eines französischen Films von Mathieu Kassoviz, der in den Pariser Vorstädten spielt, dort, wo Jugendliche, zumeist Einwanderer aus Nordafrika, kaum eine Chance haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, gefangen in einem Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, Dorgenkonsum und Gewalt – und neuerdings auch Islamismus. Der Film von 1995 sollte eine drastische Warnung sein vor der Eskalation, dem gesellschaftlichen Sprengstoff, der in der Vernachlässigung dieser Jugend steckt. „Jusqu’ici tout va bien“, „Bis jetzt ist alles gut“, der Leitsatz des Films, den einer der Jugendlichen immer wieder ausspricht. Aber irgendwann platzt die Bombe, so die Botschaft von „Hass“. Mit den Attentaten von Paris, Nizza, aber auch Würzburg, Ansbach und München ist der Film zu einer traurigen Realität geworden. Kardinal Tauran, Präsident des Päpstlichen Rates für Interreligiösen Dialog, sprach mit Radio Vatikan über einen Ausweg aus dem Hass, der insbesondere bei der Bildung von Jugendlichen ansetzen sollte.
„Das beginnt bei der Bildung, in der Familie“, so der Kardinal gegenüber Radio Vatikan. Er bezieht sich besonders auf die Anschläge von Nizza. „Die Kinder müssen Respekt lernen vor den alten Menschen, sie müssen die Geschichte kennenlernen, wir sind schließlich nicht die Ersten hier, sondern sind Teil einer Gemeinschaft, die eine Geschichte hat. Diese Geschichte müssen wir annehmen. Wir müssen auch eine neue Philosophie der Begegnung schaffen, denn wir werden nicht glücklich, wenn die einen die anderen ausschließen oder wir gegeneinander vorgehen.“
Dennoch hat Kardinal Tauran einen realistischen Blick auf die gesellschaftliche Situation: Denn die Attentäter hätten bereits viel Leid über Menschen gebracht, viele hätten bereits einen lieben Menschen bei einem Anschlag verloren: „Es gibt die Gefahr, dass, wenn wir einmal die Schwelle des Leidens und der Revolte überschritten haben, Hass in unsere Herzen dringt. Es werden Themen vermischt, die unsere Diskussionen und Haltungen nähren. Wir müssen uns gegenseitig helfen, die Stimme dessen zu hören, der uns sagt: ‚Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken‘.“
Die Stimme des Dialogs, die Stimme der Ruhe und Sachlichkeit sei in der angeheizten Stimmung entscheidend, so Kardinal Tauran. Auch und besonders im Gespräch mit den Muslimen: „Der Dialog geht weiter, es hat sehr bewegende Zeichen der Solidarität vonseiten der Muslime gegeben, ich denke da an Prinz Hassan bin Talal aus Jordanien. Der Dialog geht weiter und es gibt auch Fortschritte, wie man etwa an der Annäherung des Vatikan an die Al-Azhar-Universität in Kairo sieht. Wir müssen bedenken, dass die Mehrheit der Muslime die Terrorakte verurteilt.“
Durch die vielen Anschläge und Gewaltfälle insbesondere in Frankreich und Deutschland machten sich Angst und Unsicherheit breit, viele Menschen stellten plötzlich ihren persönlichen Lebenssinn, den Sinn ihrer Gemeinschaft infrage. Auch das Verhältnis zum Tod habe sich verändert. „Natürlich wissen wir Menschen, dass wir irgendwann sterben müssen, aber im Grunde glauben wir das immer nicht so richtig. Heute gehen wir aus dem Haus in dem Wissen, dass wir nicht mehr zurückkommen könnten.“
Alles zu spät, jetzt, wo die Bombe geplatzt ist? Nicht für Kardinal Tauran – er glaubt an den Menschen, sagt er: „Eine dringende Notwendigkeit ist die Bildung der jungen Generationen, ihnen zu zeigen: Einer, der eine andere Religion hat als ich, ist nicht unbedingt gleich ein Feind. Wir sind alle Geschöpfe Gottes, wir sind die Menschheit, wir alle haben besondere Gaben von Gott bekommen: Einen Verstand, um zu verstehen und ein Herz, um zu lieben. Diese Botschaft muss verbreitet werden, insbesondere unter den Jugendlichen, und sollte ihr alltägliches Leben inspirieren.“ (rv)
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