Prävention und Hinschauen im Feld von sexueller Gewalt sind kein Selbstläufer, es braucht weiter Anstrengungen, das präsent zu halten: Bischof Stephan Ackermann spricht zum Abschluss des Kongresses zum Thema Kinderschutz im Internet über die Herausforderungen im Alltag der Kirche heute.
Papst Franziskus hatte in seiner Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses an der Päpstlichen Universität Gregoriana rhetorisch gefragt, ob die Kirche „in diesen Jahren denn nicht zu Genüge gelernt (hat), dass das Verstecken der Realität von sexuellen Missbräuchen ein äußerst schwerwiegender Fehler und Ursache vieler Übel ist?“. Pater Bernd Hagenkord hat Bischof Ackermann diese Frage weiter gegeben: Hat die Kirche genügend gelernt?
Ackermann: „Wir haben eine große Lerngeschichte hinter uns, das kann man in jedem Fall sagen wenn man auf die letzten sieben Jahre zurück schaut. Aber meine Erfahrung ist auch, dass die Fragen von Prävention und vom Hinschauen bei sexueller Gewalt kein Selbstläufer ist. Es gibt da Ermüdungserscheinungen, damit sinkt die Achtsamkeit ab. Diese Gefahr besteht und insofern ist die Frage des Papstes eine Frage der Gewissenserforschung, die Gefahr bleibt, dass wir etwas nicht wahrhaben wollen und nicht hinschauen.“
RV: Beim Kongress ging es um Kinderschutz im Internet, war das bisher in Ihrer Arbeit schon ein großes Thema?
Ackermann: „Natürlich war das schon Thema, aber nicht in der Breite, wie wir sonst auf das Thema sexualisierte Gewalt geschaut haben. Aber ich bin auch ganz bewusst zu diesem Kongress gekommen, damit man uns nicht vorwerfen kann, dass wir uns sechs, sieben Jahre lang vor allem mit dem Blick zurück beschäftigt haben, also mit der Aufarbeitung so wichtig die ist und weiter gehen muss, darüber aber die aktuellen Gefahrenpotentiale vergessen hätten.“
RV: Es sind bald acht Jahre, dass wir im deutschsprachigen Raum diese Debatte um sexualisierte Gewalt führen, wenn Sie nun auf dieser Erfahrung aufbauend in die Zukunft schauen, was sind die nächsten Herausforderungen, die sich stellen?
Ackermann: „Das ganze Feld bewegt sich ja weiter, kirchlich, aber auch außerhalb der Kirche. Es gibt neue Erkenntnisse, auch in der Wissenschaft, etwa was den Umgang mit Betroffenen angeht. Man kann nicht sagen, dass alles klar sei und wir einen Standard erreicht hätten, bei dem wir jetzt bleiben. Das ist eine permanente Weiterentwicklung. Eine Herausforderung besteht also darin, dabei zu bleiben und zu sehen, dass die Arbeit hier weiter geht.
Es gibt aber auch neue Felder, auf die wir schauen, ich nenne als Beispiel die Flüchtlingsarbeit. Viele sind in der Flüchtlingsarbeit aktiv und melden zurück, wie viele Kinder und Frauen sexuelle Gewalt erlitten haben und traumatisiert wird. Wir müssen auch das in den Blick nehmen. Das ist ein Feld, dass wir 2010 noch gar nicht im Blick gehabt haben. Hier geht es weniger um Missbrauch, der innerhalb der Kirche geschieht, als vielmehr darum, wo kirchliche Akteure Verantwortung wahrnehmen und jetzt achtsam sind auf diese Problematik.
Und dann geht es immer auch darum, die Achtsamkeit präsent zu halten, damit das nicht geschieht, was ich eben gesagt habe, nämlich dass die Aufmerksamkeit irgendwie wieder absinkt. Es ist eine Erfahrung, die mich erschrickt, die aber auf der anderen Seite nicht erstaunlich ist, weil neue Personen Verantwortung übernehmen. Die müssen sich erst einmal mit diesem Feld beschäftigen. Diejenigen, die die letzten Jahre mitbekommen haben und in Verantwortung waren, die wissen darum. Aber ich kann nicht voraussetzen, dass das einmal da ist und dann bleibt. Es muss immer wieder neu informiert werden und das ist eine dicke Herausforderung: die Präventionsarbeit auf Dauer zu stellen.“
RV: In der Kirche waren die mit Missbrauch befassten etwa in der Personalführung ganz zentral eingebunden. Ist das immer noch der Fall? Ist das immer noch ganz klar Teil der kirchlichen Personalpolitik? Oder sinkt auch das mittlerweile ab?
Ackermann: „Das braucht permanente Anstrengung, zu sagen ‚Das ist und bleibt Chefsache‘. Daran liegt es wesentlich, dass auch diejenigen, die auf diesem Feld aktiv sind wissen, dass das ganz klar gewollt ist und eine hohe Priorität hat. Aber ich sage ehrlich, dass das Anstrengung braucht. Und ich sehe auch die Gefahr, dass Dinge wieder absinken, weil man sie für normal und eingegliedert hält.“
RV: Das heißt, dass die rhetorische Frage des Papstes durchaus auch als Warnung gemeint ist.
Ackermann: „Genau, das würde ich auch sagen. Damit ist das Ausrufungszeichen gegeben, das auch in Zukunft zu realisieren. Damit hat er die Gefahr ausgedrückt, dass das wieder in den Hintergrund rückt, und damit wächst dann auch wieder die Gefahr, dass Missbrauch geschieht.“
Der Trierer Bischof Ackermann ist der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für den Umgang mit Missbrauchsfällen. (rv)
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