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VATIKANSTADT – Ulrich Nersinger.
Ein Jahreswechsel ohne traditionelle Böllerschüsse oder in die Höhe zischende und farbenprächtig explodierende Raketen ist kaum denkbar. In der Nacht zum ersten Januar werden überall unzählige Feuerwerkskörper gezündet und funkensprühende Raketen in den dunklen Himmel geschossen. Auch in der Ewigen Stadt wurde und wird mit diesem Brauch das alte Jahr verabschiedet und das neue begrüßt. Für die Römer aber war in vergangenen Zeiten ein solches Spektakel nicht nur zu Silvester üblich; bis zum Untergang des alten Kirchenstaates kamen sie mehrfach im Jahr in den Genuss eines Feuerwerks, das unsere Silvesterknallerei in den Schatten stellte.
Das Tagebuch eines Domherrn von Sankt Peter berichtet für den 22. Mai 1410 von Feuerwerken in Rom, die nach Erhalt der Nachricht von der Wahl des [Gegen-]Papstes Johannes’ XXIII. (1410-1415) in Bologna gezündet worden seien. Es sollten jedoch noch mehr als siebzig Jahre vergehen, bis man in Rom zu einem Spektakel fand, das alle bisherigen Dimensionen eines Feuerwerkes in den Schatten stellte: die „Girandola“, das Feuerrad auf der Engelsburg. Vermutlich wurde die Girandola erstmals im Jahre 1481 gezündet, zum Jahrestag der Thronbesteigung Papst Sixtus’ IV. (1471-1484). Aus dem letzten Pontifikats Jahr Papst Julius’ III. (1550-1555) existiert eine Medaille, die ein Fass zeigt, aus dem Feuerwerkskörper emporsteigen; die Medaille trägt die ungewöhnliche Umschrift „Hilaritas Pontificia – Päpstliche Heiterkeit“.
Die päpstlichen Feuerwerke wurde als Kunstwerke betrachtet, wohl auch weil sie von Michelangelo (1475-1564) und Gianlorenzo Bernini (1598-1680) konzipiert worden waren. Unter der Girandola verstand man ursprünglich den Strahlenkranz, der durch die Explosion sehr vieler, gleichzeitig abgefeuerter Raketen gebildet wurde. Der letzte Akt des Feuerwerks glich so einem gewaltigen Vulkanausbruch, „dem des Stromboli sehr ähnlich“ (Gianlorenzo Bernini). Durch ein hochkompliziertes Zündsystem wurden zeitgleich 4.500 Raketen in den römischen Himmel geschossen. Das Zeichen zum Beginn dieses einzigartigen Schauspiels gab der Papst gegen zwei Uhr in der Nacht von seiner jeweiligen Residenz aus – mit einem donnernden Kanonenschuss.
Für Reinhard Raffalt baute sich „aus Raketenbahnen und gebündeltem Licht eine himmlische Engelsburg auf, die Apotheose jenes Prinzips, das Rom dazu ermächtigt, den Erdkreis an sich zu ziehen und in den Himmel hinauf zu schleudern“. Noch im 19. Jahrhundert galt die römische Girandola als das wohl bekannteste Feuerwerk der Welt. Sogar an ungewohnter Stelle, in den Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels, findet das prächtige Spektakel Erwähnung. Friedrich Engels verglich die Bestrebungen seiner sozialistischen Gegner, ihre politischen Ansichten publikumswirksam zu präsentieren, mit „einer Girandola, wie man sie in Rom nicht glänzender sehen kann“.
Die prominenten Romfahrer des 18. und 19. Jahrhunderts versuchten ihren Aufenthalt in der Ewigen Stadt so zu legen, dass sie Zeuge einer Girandola werden konnten. Auch Charles Dickens (1812-1870) gehörte zu ihnen. Er hatte unter größten Schwierigkeiten und unter Aufbringung einer hohen Geldsumme ein Zimmer gegenüber dem Castel Sant’Angelo gemietet, einzig für das nicht einmal eine halbe Stunde dauernde Abbrennen der Girandola. In seinen „Bilder aus Italien“ schrieb der englische Poet: „Das Schauspiel begann mit einer donnernden Geschützsalve und dann war zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde lang die ganze Burg eine einzige Feuerfläche, ein Labyrinth von Feuerrädern von jeder Farbe, Größe und Schnelligkeit, während hoch in die Luft Raketen stiegen, nicht ein oder zwei oder zwanzig, sondern Hunderte auf einmal. Die Schlussszene – die Girandola – glich einer Explosion der ganzen großen Burg, allerdings ohne Rauch oder Staub“.
Mit dem Ende des alten Kirchenstaates im September des Jahres 1870 verschwanden viele „allegrezze“ (Heiterkeiten, Vergnügungen) aus dem Leben der Ewigen Stadt. Auch die Girandola war davon betroffen. Am 3. Juni 1888 erleuchtete ein letztes Mal eine traditionelle Girandola den römischen Himmel; auf einer bei der Piazza di Popolo eigens errichteten Tribüne wohnten zwei europäische Monarchen, König Umberto I. und Kaiser Wilhelm II., dem Schauspiel bei.
1999 regte der Bürgermeister der Stadt Rom ein der alten Girandola nahekommendes Feuerwerk auf der Engelsburg zum Millenniumswechsel an. Die „Soprintendenza per i beni culturali“, die Aufsichtsbehörde für die staatlichen Kulturgüter, erhob umgehend Einspruch: die Bausubstanz des Kastells, die neueren Aufbauten, die modernen elektrischen und elektronischen Anlagen usw. würden ein solches Feuerwerk nicht unbeschädigt überstehen. Schon zu Zeiten der Päpste waren bei einer Girandola sämtliche „Vigili del fuoco“ (Feuerwehrleute) der Stadt um die Engelsburg herum postiert worden – und auch stets im Einsatz gewesen (trotz der Vorsichtsmaßnahmen der Pyrotechniker kam es immer wieder zu Unfällen; mehr als einmal hatten kleine Brände das Archiv des Kastells bedroht).
In den letzten Jahrzehnten tauchten Feuerwerke wieder vereinzelt im päpstlichen Umfeld auf. So bei der 500-Jahr-Feier der Päpstlichen Schweizergarde im Jahre 2006 oder bei dem ein oder anderen Patronatsfest des Gendarmeriekorps des Vatikanstaates. (CNA Deutsch)