Neues Vatikan-Dokument: „Oeconomicae et pecuniariae Quaestiones“

Der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre sowie der Präfekt des Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen veröffentlichten heute ein neues Dokument mit dem Titel:

„Oeconomicae et pecuniariae Quaestiones “ (Erwägungen zu einer ethischen Unterscheidung bezüglich einiger Aspekte es gegenwärtigen Finanzwirtschaftssystems).

Das Dokument wurde von Papst Franziskus in einer Audienz am 06. Januar approbiert und seine Veröffentlichung angeordnet.

Vaticanhistory gibt hier den Originaltext (ohne Fußnoten) aus dem Bulletin vom 17. Mai 2018 wieder:

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Oeconomicae et pecuniariae quaestiones
Erwägungen zu einer ethischen Unterscheidung bezüglich einiger Aspekte
des gegenwärtigen Finanzwirtschaftssystems

I. Einführung

1. Themen im Bereich der Ökonomie und der Finanzwirtschaft stehen heute mehr denn je im Fokus unseres Interesses. Grund dafür ist der wachsende Einfluss, den die Märkte auf den materiellen Wohlstand eines großen Teils der Menschheit ausüben. Das macht einerseits eine entsprechende Regulierung ihrer Dynamiken erforderlich. Andererseits bedarf es einer klaren ethischen Grundlage, die dem erreichten Wohlstand jene Qualität an menschlichen Beziehungen gewährt, welche die wirtschaftlichen Mechanismen allein nicht hervorbringen können. Eine solche ethische Grundlage wird heute von verschiedener Seite eingefordert, besonders von jenen, die in der Finanzwirtschaft tätig sind. Gerade in diesem Bereich zeigt sich nämlich, wie notwendig die Verbindung zwischen technischem Wissen und menschlicher Weisheit ist, ohne die alles menschliche Tun zum Scheitern verurteilt ist. Wo aber diese Verbindung gegeben ist, kann es für den Menschen ein Voranschreiten auf dem Weg eines realen, ganzheitlichen Wohlstands geben.

2. Die ganzheitliche Förderung jeder Person, jeder menschlichen Gemeinschaft und der ganzen Menschheit ist der letzte Horizont jenes Gemeinwohls, das die Kirche als «allumfassendes Heilssakrament»[1] verwirklichen möchte. In diesem ganzheitlichen Wohl, dessen Ursprung und Vollendung letztendlich in Gott liegen und das in Jesus Christus, in dem alles zusammengefasst ist (vgl. Eph 1,10), vollkommen offenbart wurde, liegt der letzte Zweck allen kirchlichen Tuns. Dieses Wohl ist eine Vorwegnahme jenes Reiches Gottes, das die Kirche zu verkünden und in jedem Bereich menschlichen Wirkens aufzurichten gerufen ist[2]. Und es ist die besondere Frucht jener Liebe, die als Königsweg des kirchlichen Handelns auch im sozialen, zivilen und politischen Bereich zum Ausdruck kommen muss. Diese Liebe «zeigt sich bei allen Gelegenheiten, die zum Aufbau einer besseren Welt beitragen. Die Liebe zur Gesellschaft und das Engagement für das Gemeinwohl sind ein hervorragender Ausdruck der Nächstenliebe, die nicht nur die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen angeht, sondern auch die „Makro-Beziehungen – in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen“. Darum schlug die Kirche der Welt das Ideal der „Kultur der Liebe“ vor»[3]. Die Liebe zum ganzheitlichen Wohl, die untrennbar mit der Liebe zur Wahrheit verbunden ist, bildet den Schlüssel zum wahren Fortschritt.

3. Erstrebt wird dies in der Gewissheit, dass es in allen Kulturen zahlreiche ethische Konvergenzen gibt, die Ausdruck einer gemeinsamen moralischen Weisheit sind[4], auf deren objektive Ordnung die Würde der Person gegründet ist. In der soliden, unverfügbaren Basis dieser Ordnung, die klare gemeinsame Prinzipien bietet, wurzeln die grundlegenden Rechte und Pflichten des Menschen. Ohne diese Ordnung gewinnen Willkür und „das Recht des Stärkeren“ in den menschlichen Beziehungen die Oberhand. Diese in der Weisheit des Schöpfergottes verwurzelte ethische Ordnung ist also das unentbehrliche Fundament für den Aufbau einer menschenwürdigen Gesellschaft, die von Gesetzen geregelt wird, deren Maßstab wirkliche Gerechtigkeit ist. Dies gilt umso mehr, wenn wir bedenken, dass die Menschen in ihrem Herzen zwar nichts mehr ersehnen als das Wohl und die Wahrheit, sich aber doch oft parteilichen Interessen beugen und zu Missbräuchen und Ungerechtigkeiten hinreißen lassen, die der ganzen Menschheit, vor allem den Wehrlosen und Schwachen, unsägliches Leid zufügen.

Um alle Bereiche des Lebens von dieser moralischen Unordnung zu befreien, die das menschliche Tun so oft in Mitleidenschaft zieht, betrachtet die Kirche es als eine ihrer vorrangigen Aufgaben, alle Menschen mit demütiger Gewissheit an einige klare ethische Prinzipien zu erinnern. Die menschliche Vernunft, die jede Person unverkennbar auszeichnet, erfordert in dieser Hinsicht eine Unterscheidung, die Klarheit bringt. Denn schon immer sucht die Vernunft des Menschen in der Wahrheit und in der Gerechtigkeit jenes solide Fundament, auf welches sich das menschliche Tun stützen kann. Sie ahnt, dass sie ohne dieses Fundament ihre Ausrichtung verlieren würde[5].

4. Die rechte Ausrichtung der Vernunft darf also in keinem Bereich des menschlichen Tuns fehlen. Das bedeutet, dass kein Bereich des menschlichen Handelns rechtmäßig beanspruchen kann, ohne eine Ethik auszukommen oder für eine Ethik unzugänglich zu sein, die auf Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität gegründet ist[6]. Dies trifft auch auf jene Bereiche zu, in denen die Gesetze der Politik und der Wirtschaft gelten: «Im Hinblick auf das Gemeinwohl besteht für uns heute die dringende Notwendigkeit, dass Politik und Wirtschaft sich im Dialog entschieden in den Dienst des Lebens stellen, besonders in den des menschlichen Lebens»[7].

In der Tat soll jede menschliche Tätigkeit Frucht bringen, indem der Mensch großzügig und gerecht jene Gaben gedeihen lässt, die Gott ursprünglich allen zur Verfügung gestellt hat, und mit reger Zuversicht jene Samen des Guten aussät, die als Verheißung der Fruchtbarkeit in die gesamte Schöpfung eingeschrieben sind. Dieser Ruf ist eine bleibende Einladung an die menschliche Freiheit, auch wenn die Sünde immer danach trachtet, diesen ursprünglichen Plan Gottes zu vereiteln.

Das ist der Grund, weshalb Gott dem Menschen in Jesus Christus entgegen kommt. Indem er uns in das wunderbare Ereignis seiner Auferstehung hineinnimmt, «erlöst er nicht nur die Einzelperson, sondern auch die sozialen Beziehungen»[8], und wirkt auf eine neue – in Wahrheit und Liebe gegründete – Ordnung gesellschaftlicher Beziehungen hin, die fruchtbarer Sauerteig für die Verwandlung der Geschichte sein kann. Auf diese Weise gibt Christus uns schon in dieser Zeit einen Vorgeschmack auf jenes Himmelreich, das anzukündigen er selbst als Mensch auf die Erde gekommen ist.

5. Obwohl der wirtschaftliche Wohlstand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überall auf der Welt in einem nie gekannten Ausmaß und Tempo zugenommen hat, ist zu bedenken, dass im selben Zeitraum die Ungleichheiten zwischen den Ländern und innerhalb der Länder größer geworden sind[9]. Auch ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, nach wie vor ungeheuer hoch.

Die jüngste Finanzkrise hätte uns die Gelegenheit bieten können, eine neue Wirtschaft zu entwickeln, die größeren Wert auf ethische Prinzipien legt und die Finanzgeschäfte neuen Regelungen unterwirft, um ausbeuterischen und spekulativen Absichten einen Riegel vorzuschieben und den Dienst an der Realwirtschaft in den Vordergrund zu stellen. Wenn auch auf verschiedenen Ebenen viele positive Schritte gemacht wurden, die Anerkennung und Wertschätzung verdienen, ist ein Überdenken jener überholten Kriterien, die immer noch die Welt beherrschen, ausgeblieben[10]. Manchmal hat es sogar den Anschein, als wäre ein oberflächlicher, kurzsichtiger Egoismus zurückgekehrt, der das Gemeinwohl missachtet und nicht daran interessiert ist, Wohlstand zu schaffen und zu verbreiten oder stark ausgeprägte Ungerechtigkeiten zu beseitigen.

6. Was hier auf dem Spiel steht, ist der authentische Wohlstand eines Großteils der Männer und Frauen unseres Planeten, die Gefahr laufen, immer mehr an den Rand gedrängt, ja sogar von Fortschritt und wirklichem Wohlstand «ausgeschlossen» und wie «Abfall»[11] behandelt zu werden. Denn einige wenige beuten wertvolle Ressourcen und Reichtümer aus und beanspruchen diese für sich selbst, ohne auf das Wohl des Großteils ihrer Mitmenschen Rücksicht zu nehmen. Es ist daher an der Zeit, das Augenmerk wieder auf die wahre Menschlichkeit zu richten, die Horizonte von Geist und Herz zu erweitern, um in Redlichkeit die Erfordernisse der Wahrheit und des Gemeinwohls zu erkennen, ohne die jedes soziale, politische und wirtschaftliche System am Ende zum Scheitern, zur Implosion verurteilt ist. Wie immer deutlicher wird, macht sich Egoismus auf lange Sicht nicht bezahlt, sondern bewirkt letzten Endes nur, dass alle einen viel zu hohen Preis zahlen müssen. Wenn wir also das wirkliche Wohl des Menschen wollen, dann dürfen wir nicht vergessen: «Das Geld muss dienen und nicht regieren!»[12].

In erster Linie obliegt es den kompetenten Führungskräften, neue Wirtschafts- und Finanzsysteme einzuführen, deren Methoden und Regeln die Entwicklung des Gemeinwohls anstreben und auf dem sicheren Pfad der kirchlichen Soziallehre die Menschenwürde achten. Mit diesem Dokument möchte die Kongregation für die Glaubenslehre, deren Zuständigkeit sich auch auf Fragen moralischer Natur bezieht, in Zusammenarbeit mit dem Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen einige grundlegende Erwägungen und Präzisierungen vorlegen, die dieser Entwicklung und dem Schutz der Menschenwürde zugutekommen sollen[13]. Besonders notwendig erscheint eine ethische Reflexion über einige Aspekte der Finanzvermittlung, deren Loslösung von angemessenen anthropologischen und moralischen Grundlagen nicht nur offensichtliche Missbräuche und Ungerechtigkeiten zur Folge hatte, sondern auch Systemkrisen von weltweitem Ausmaß verursacht hat. Es geht um eine Unterscheidung, die allen Männern und Frauen guten Willens angeboten wird.

II. Grundlegende Erwägungen

7. Einige grundlegende Erwägungen stehen heute all jenen deutlich vor Augen, welche die geschichtliche Situation, in der wir leben, ehrlich zur Kenntnis nehmen. Diese gelten unabhängig von allen Theorien und Denkschulen, in deren legitime Diskussionen dieses Dokument nicht eingreifen, sondern zu deren Dialog es vielmehr beitragen will. Dabei muss man sich freilich bewusst bleiben, dass es keine wirtschaftlichen Patentrezepte gibt, die immer und überall gelten.

8. Jede menschliche Realität und Tätigkeit ist positiv, wenn sie im Horizont einer angemessenen Ethik gelebt wird, also im Respekt vor der Menschenwürde und mit Blick auf das Gemeinwohl. Das gilt für alle Institutionen, die im Zusammenleben der Menschen entstehen. Es gilt auch für die Märkte auf allen Ebenen, einschließlich der Finanzmärkte.

In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass auch jene Systeme, die aus den Märkten hervorgehen, nicht so sehr auf anonyme Dynamiken gegründet sind, welche durch immer kompliziertere Techniken entstehen, sondern auf Beziehungen, die ohne das Mitwirken der Freiheit einzelner Menschen nicht aufgebaut werden könnten. Daraus ergibt sich, dass die Wirtschaft, wie jedes andere menschliche Tun, «für ihr korrektes Funktionieren die Ethik braucht; nicht irgendeine Ethik, sondern eine menschenfreundliche Ethik» [14].

9. Es ist klar, dass es ohne eine angemessene Sicht des Menschen nicht möglich ist, eine Ethik oder eine Praxis zu begründen, die dem hohen Anspruch der Menschenwürde und eines Wohls, das wirklich das Wohl aller ist, entspricht. Alles menschliche Tun – auch im wirtschaftlichen Bereich –, so neutral oder von jeder Grundvorstellung losgelöst es auch zu sein vorgibt, impliziert doch immer ein Verständnis des Menschen und der Welt, das seine positive oder negative Ausrichtung durch seine Auswirkungen und den hervorgebrachten Fortschritt zeigt.

In diesem Sinn zeigt sich in unserer Zeit eine verkürzte Sicht des Menschen: nämlich jene des individualistisch verstandenen Menschen, der in erster Linie Konsument ist und dessen Gewinn vor allem in der Optimierung seiner finanziellen Einkünfte bestünde. Die menschliche Person besitzt aber eine ureigene relationale Natur und eine Rationalität, die immer nach einem Gewinn und einem Wohlergehen streben, welche umfassend sind und nicht auf die Logik des Konsums oder die wirtschaftlichen Aspekte des Lebens reduziert werden können[15].

Diese grundlegend relationale Natur des Menschen[16] ist wesentlich von einer Rationalität gekennzeichnet, die jeder Reduzierung seiner Grundbedürfnisse auf bloße Dinge entgegensteht. Diesbezüglich kann nicht mehr verschwiegen werden, dass heute die Tendenz besteht, jeden Austausch von Gütern auf einen bloßen Austausch von Dingen zu reduzieren.

In Wirklichkeit ist es offenkundig, dass es bei der Weitergabe von Gütern unter Menschen immer um mehr geht als um rein materielle Dinge. Schließlich sind die materiellen Güter oft Träger anderer – immaterieller – Werte, deren konkretes Vorhanden- oder Nicht-Vorhandensein auch die Qualität der wirtschaftlichen Beziehungen entscheidend beeinflusst (zum Beispiel Vertrauen, Gerechtigkeit, Zusammenarbeit, usw.). Gerade hier wird deutlich, dass die Logik des Geschenks ohne Gegenleistung keine Alternative zum Austausch von einander entsprechenden Gütern ist, sondern komplementär und untrennbar damit verbunden[17].

10. Leicht können die Vorteile einer Sicht des Menschen erkannt werden, in der die Person als Wesen verstanden wird, das konstitutiv in ein Geflecht von Beziehungen eingebunden ist, welche eine an sich positive Ressource sind[18]. Jede Person wird in einem familiären Umfeld geboren, also in einem Netz von Beziehungen, die ihr vorausgehen und ohne die sie nicht existieren würde. Die Etappen ihres Lebens geht sie stets dank der Beziehungen, die ihr Dasein in der Welt als Form einer immer wieder neu geteilten Freiheit verwirklichen. Gerade diese ursprünglichen Beziehungen zeigen, dass der Mensch ein relationales Wesen ist und grundlegend von dem geprägt wird, was die christliche Offenbarung „Gemeinschaft“ nennt.

Dieser ureigene gemeinschaftliche Wesenszug, der in jedem Menschen eine Spur der Affinität mit jenem Gott aufzeigt, der ihn erschaffen hat und zu einer Beziehung der Gemeinschaft mit sich ruft, richtet ihn zugleich auf natürliche Weise auf das gemeinschaftliche Leben aus, das der grundlegende Ort seiner vollen Verwirklichung ist. Diesen Wesenszug als ursprünglich konstitutives Element unserer menschlichen Identität zu erkennen, macht es möglich, die anderen nicht in erster Linie als potentielle Konkurrenten zu sehen, sondern als mögliche Verbündete im Aufbau eines Wohls, das erst dann echt ist, wenn es alle und jeden Einzelnen zugleich betrifft.

Eine solche Anthropologie der Beziehungen hilft dem Menschen, den Wert von wirtschaftlichen Strategien zu erkennen, die vor allem die globale Lebensqualität im Blick haben, und nicht bloß die kritiklose Anhäufung von Profit. Es geht also um ein Wohl, das – wenn es ein solches sein soll – immer ganzheitlich ist, das den ganzen Menschen und alle Menschen betrifft. Kein Profit ist nämlich rechtmäßig, wenn der Horizont der ganzheitlichen Förderung der menschlichen Person, der universalen Bestimmung der Güter und der vorrangigen Option für die Armen fehlt[19]. Diese drei Prinzipien sind eng miteinander verflochten. Sie bedingen einander im Mühen um den Aufbau einer Welt, die gerechter und solidarischer ist.

Deswegen kann kein wirtschaftliches System als Fortschritt verstanden werden, wenn es allein von den Maßstäben der Quantität und der Effizienz beim Schaffen von Profit ausgeht. Vielmehr muss es auch nach der Lebensqualität bemessen werden, die es hervorbringt, und nach dem sozialen Wohlstand, den es verbreitet: einem Wohlstand, der nicht auf bloß materielle Aspekte reduziert werden darf. Jedes Wirtschaftssystem rechtfertigt seine Existenz nämlich nicht nur durch rein quantitatives Wachstum des wirtschaftlichen Austausches, sondern vor allem durch seine Eignung, die Entwicklung des ganzen Menschen und aller Menschen zu gewährleisten. Wohlstand und Entwicklung brauchen und stützen einander[20]. Das macht nachhaltige politische Maßnahmen und Perspektiven erforderlich, die weit über den gegenwärtigen Moment hinausgehen[21].

Zu diesem Zweck ist es wünschenswert, dass die Universitäten und Business Schools – nicht nur am Rand oder nebenbei, sondern als festen Bestandteil – in ihren Lehrplänen Ausbildungskurse vorsehen, die dazu helfen, Ökonomie und Finanzwirtschaft im Licht einer ganzheitlichen und nicht bloß auf einige Dimensionen reduzierten Sicht des Menschen sowie einer Ethik, die diese ausdrückt, zu verstehen. Eine große Hilfe bietet in diesem Sinn beispielsweise die kirchliche Soziallehre.

11. Der Wohlstand muss daher an Kriterien gemessen werden, die weit über das Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes hinausgehen und auch andere Maßstäbe in Betracht ziehen, wie zum Beispiel Sicherheit, Gesundheit, Wachstum des „menschlichen Kapitals“, Qualität des gesellschaftlichen Lebens und der Arbeit. Der Profit wird zwar immer angestrebt werden, doch nie „um jeden Preis“ und nie als alleiniger umfassender Bezugspunkt des wirtschaftlichen Handelns.

Wichtig sind dabei humanisierende Denkmuster sowie kulturelle Ausdrucksformen und Mentalitäten, in denen die Unentgeltlichkeit – also die Entdeckung und Umsetzung des Wahren und Gerechten als etwas in sich Gutes – zur Bemessungsgrundlage wird[22] und wo Gewinn und Solidarität nicht länger Dinge sind, die einander widersprechen. Wo nämlich Egoismus und parteiliche Interessen vorherrschen, ist es für den Menschen schwer, jenen fruchtbaren Kreislauf zwischen Gewinn und Gabe zu erkennen, den die Sünde zu verdunkeln und zu durchbrechen droht. In einer wahrhaft menschlichen Perspektive entsteht hingegen ein positiver Kreislauf zwischen Profit und Solidarität, der dank des freien Tuns des Menschen das ganze positive Potential der Märkte freisetzen kann.

Wie sehr dieses Prinzip der Unentgeltlichkeit dem Menschen entspricht, zeigt auch die Goldene Regel, die Jesus im Evangelium formuliert hat und nach der wir eingeladen sind, alles, was wir von anderen erwarten, auch ihnen zu tun (vgl. Mt 7, 12; Lk 6, 31).

12. Kein wirtschaftliches Tun kann lange Bestand haben, wenn es nicht ein Klima gesunder Handlungsfreiheit gibt[23]. Heute ist aber ebenso klar: Wenn die Freiheit der Wirtschaftstreibenden absolut verstanden und von dem ihr innewohnenden Bezug zur Wahrheit und zum Guten losgelöst wird, dann tendiert sie zur Schaffung von Machtzentren und Formen von Oligarchie, die letztendlich der Effizienz des Wirtschaftssystems schaden[24].

In dieser Hinsicht ist immer deutlicher zu sehen, wie angesichts der wachsenden, alles durchdringenden Macht einflussreicher Marktakteure und großer finanzwirtschaftlicher Netzwerke jene, die eigentlich mit der Ausübung der politischen Macht betraut sind, nur noch mit Mühe ihrer ursprünglichen Berufung entsprechen, Diener des Gemeinwohls zu sein. Oft sind sie durch die Übernationalität dieser Akteure und die Volatilität des von ihnen verwalteten Kapitals desorientiert und ohnmächtig gemacht. Manchmal lassen sie sich auch dazu hinreißen, sich dem Gemeinwohl widersprechenden Interessen zu unterwerfen[25].

All das macht ein erneuertes Bündnis zwischen Akteuren der Wirtschaft und der Politik umso dringlicher. Es geht um die Förderung dessen, was der umfassenden Entwicklung des Menschen und der gesamten Gesellschaft dient, wobei auch die Anforderungen der Solidarität mit jenen der Subsidiarität zu verbinden sind[26].

13. Prinzipiell sind alle Systeme und Mittel, welche die Märkte nutzen, um ihre Verteilungskapazitäten zu vermehren, moralisch zulässig, insofern sie die Menschenwürde und die Ausrichtung auf das Gemeinwohl achten[27].

Ebenso offensichtlich ist aber auch, dass das mächtige Triebwerk der Wirtschaft, nämlich die Märkte, nicht imstande ist, sich selbst zu regulieren[28]. Denn die Märkte können nicht die Voraussetzungen schaffen, die ihren ordnungsgemäßen Ablauf garantieren (sozialer Zusammenhalt, Aufrichtigkeit, Vertrauen, Sicherheit, Gesetze, usw.), und auch nicht die Wirkungen und Ausdrucksformen korrigieren, die der menschlichen Gesellschaft zum Schaden gereichen (Ungleichheiten, Asymmetrien, Schädigung der Umwelt, soziale Unsicherheit, Betrug, usw.).

14. Auch wenn viele Akteure persönlich von guten und berechtigten Absichten geleitet sind, darf auch nicht unbeachtet bleiben, dass die Finanzindustrie heute aufgrund ihrer Verbreitung und ihrer unstrittigen Kapazität, die Realwirtschaft zu beeinflussen und – in gewissem Sinn – zu dominieren, ein Ort ist, wo Egoismen und Missbräuche ein für die Allgemeinheit zerstörerisches Potential haben, das seinesgleichen sucht.

An dieser Stelle muss darauf verwiesen werden, dass es in der Finanzwirtschaft Situationen gibt, in denen einige Vorgangsweisen zwar vielleicht nicht unmittelbar als ethisch inakzeptabel bewertet werden können, aber doch Fälle von unmittelbarer Nähe zur Unmoral darstellen. Das sind Situationen, in denen es sehr leicht zu Missbrauch und Betrug kommt, vor allem gegenüber denen, die sich in einer weniger günstigen Ausgangslage befinden. Wenn man beispielsweise in einer Situation der Asymmetrie mit Finanzmitteln handelt, die an sich legitim sind, dabei aber Wissenslücken oder vertragliche Schwächen einer beteiligten Partei ausnützt, ist dies ein Vergehen gegen die geschuldete Korrektheit in der Beziehung und deshalb bereits ein ethisch schwerwiegender Verstoß.

Die Komplexität zahlreicher Finanzprodukte macht diese Asymmetrie in der gegenwärtigen Situation zu einem dem System selbst innewohnenden Aspekt. Dies setzt die Käufer in eine Position der Unterlegenheit gegenüber den Fachleuten, die mit diesen Produkten wirtschaften. Aus diesem Grund wurde von verschiedener Seite verlangt, den alten Grundsatz Caveat emptor aufzugeben. Gemäß diesem Grundsatz würde vor allem dem Käufer die Verantwortung zukommen, die Qualität des erworbenen Gutes festzustellen. Dieses Prinzip setzt voraus, dass die Parteien die gleiche Fähigkeit besitzen, die Eigeninteressen zu schützen. Dies ist aber heute in vielen Fällen nicht gegeben, und zwar sowohl wegen der offensichtlich hierarchischen Beziehung, die manche Arten von Verträgen mit sich bringen (zum Beispiel zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer), als auch wegen der komplexen Strukturierung zahlreicher Finanzinstrumente.

15. Wie viele Dinge, die der Mensch besitzt, ist auch das Geld an sich ein gutes Mittel, das seiner Freiheit zur Verfügung steht und der Erweiterung seiner Möglichkeiten dient. Dieses Mittel kann sich aber leicht gegen den Menschen kehren. So ist auch die Finanzierung von Unternehmen am freien Kapitalmarkt, der Unternehmen durch den Eintritt in den freien Handel der Börse Zugang zum Geld ermöglicht, an sich positiv. Dieses Phänomen läuft heute jedoch Gefahr, die Finanzialisierung der Wirtschaft zu begünstigen. Denn der virtuelle Reichtum, der sich vor allem auf Transaktionen konzentriert, die durch bloße Spekulationsabsichten und durch Hochfrequenzhandel (High Frequency Trading) gekennzeichnet sind, zieht exzessive Kapitalmengen an sich und entzieht diese so dem positiven Kreislauf der Realwirtschaft[29].

Was vor mehr als einem Jahrhundert vorausgesagt wurde, hat sich leider inzwischen bewahrheitet: Der Ertrag aus dem Kapital stellt eine echte Bedrohung dar und riskiert, den Ertrag aus der Arbeit zu überrunden, der im Wirtschaftssystem oft nur noch eine Randbedeutung hat. Daraus folgt, dass die Arbeit mit ihrer Würde nicht nur immer stärker bedroht ist, sondern auch Gefahr läuft, nicht länger ein Gut für den Menschen zu sein[30], sondern zu einem bloßen Tauschmittel im Inneren von asymmetrisch gemachten sozialen Beziehungen zu werden.

In dieser Umkehrung der Beziehung zwischen Mittel und Zweck, die das Gut der Arbeit zur „Ware“ degradiert und in der das Geld vom Mittel zum „Zweck“ wird, findet die skrupellose amoralische „Wegwerfkultur“ fruchtbaren Boden, die breite Massen der Bevölkerung ausgegrenzt hat, sie einer würdigen Arbeit beraubt und sie so «ohne Aussichten, ohne Ausweg» lässt: «Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht „Ausgebeutete“, sondern Müll, „Abfall“»[31].

16. In diesem Zusammenhang kommt man nicht umhin, an die unverzichtbare soziale Funktion des Kredits zu denken, dessen Gewähr in erster Linie qualifizierten und zuverlässigen Finanzintermediären obliegt. In diesem Bereich scheint klar, dass die Festsetzung unangemessen hoher, für die Darlehensnehmer nicht tragbarer Zinsraten nicht nur unter ethischem Gesichtspunkt unzulässig ist, sondern auch der Gesundheit des Wirtschaftssystems schadet. Das menschliche Gewissen hat solche Vorgehensweisen und Wucherpraktiken schon immer als ungerecht empfunden. Sie stehen auch dem guten Funktionieren des Wirtschaftssystems entgegen.

Hier zeigt sich, dass die Sendung der Finanzwirtschaft vor allem darin besteht, der Realwirtschaft zu dienen. Sie hat die Aufgabe, mit moralisch legitimen Mitteln Werte zu schaffen und eine Liquidierung des Kapitals zu begünstigen, damit ein nützlicher Kreislauf des Reichtums entstehen kann[32]. Überaus positiv und fördernswert sind in diesem Zusammenhang beispielsweise Kreditunionen, Mikrokredite, wie auch öffentliche Kredite, die Familien, Unternehmen und lokalen Gemeinschaften zugutekommen, sowie Hilfskredite für Entwicklungsländer.

Nirgends wird deutlicher als in diesem Bereich, in dem das Geld sein ganzes positives Potential entfalten kann, dass es unter ethischem Gesichtspunkt nicht legitim ist, von der Zivilgesellschaft gewährte Kredite einem ungebührlich hohen Risiko auszusetzen, indem man sie für vorwiegend spekulative Zwecke nutzt.

17. Ein unter ethischem Gesichtspunkt unannehmbares Phänomen ist nicht der Gewinn an sich, sondern das Ausnutzen einer Asymmetrie zu eigenen Gunsten, um beträchtliche Profite zum Schaden anderer anzuhäufen. Das geschieht, wenn jemand die eigene Machtposition ungerecht zum Nachteil anderer ausnutzt, oder wenn jemand sich bereichert, indem er den allgemeinen Wohlstand schädigt oder stört[33].

Ein solches Vorgehen erweist sich als moralisch besonders beklagenswert, wenn sich die nur auf Gewinn ausgerichtete Absicht einiger weniger – vielleicht durch beträchtliche Investmentfonds – mit einer gewagten Spekulation[34], die auf eine künstliche Senkung der Preise für Staatsanleihen abzielt, bedenkenlos darüber hinwegsetzt, dass die wirtschaftliche Lage ganzer Länder negativ, ja sogar dramatisch beeinflusst werden kann. Auf diese Weise setzt man nicht nur öffentliche Sanierungsprojekte aufs Spiel, sondern auch die wirtschaftliche Stabilität von Millionen von Familien. Das zwingt wiederum die Regierungen, mit großen Summen öffentlicher Gelder einzugreifen, und führt dazu, dass sogar auf das korrekte Funktionieren der politischen Systeme künstlich Einfluss genommen wird.

Die Spekulationsabsicht läuft heute besonders im finanzwirtschaftlichen Bereich Gefahr, alle anderen grundlegenden Absichten zu verdrängen, die der menschlichen Freiheit Substanz verleihen. Dieser Umstand untergräbt den immensen Wertereichtum, der das Fundament unserer Zivilgesellschaft bildet und sie zu einem Ort des friedlichen Zusammenlebens, der Begegnung, der Solidarität, der regenerierenden Reziprozität und der Verantwortung für das Gemeinwohl macht. In diesem Zusammenhang hat es den Anschein, dass Worte wie „Effizienz“, „Wettbewerb“, „Leadership“, „Verdienst“ den ganzen Raum unserer gesellschaftlichen Kultur beherrschen und eine Bedeutung erlangen, die letztendlich zur Verarmung der Qualität der Tauschgeschäfte führt und diese auf bloße Zahlenspiele reduziert.

Es ist daher notwendig, dass der Mensch wieder in den Mittelpunkt gestellt wird, damit die Horizonte für jenen Überfluss an Werten geöffnet werden können, der allein es dem Menschen erlaubt, sich selbst zu finden, Gesellschaften aufzubauen, die Orte der Gastfreundschaft und der Inklusion sind, wo es Raum gibt für die Schwachen und wo der Reichtum zum Vorteil aller genutzt wird. Es braucht Orte, wo es für den Menschen schön ist zu leben, und leicht ist zu hoffen.

III. Einige Präzisierungen im heutigen Kontext

18. Um allen Akteuren aus Ökonomie und Finanzwirtschaft, auch auf deren Bitten hin, konkrete ethische Bezugspunkte anzubieten, sollen nun einige Präzisierungen vorlegt werden. Dabei geht es um eine Unterscheidung, die Wege für das offen hält, was den Menschen wirklich zum Menschen macht und was es ihm verbietet, seine Würde und das Gemeinwohl aufs Spiel zu setzen[35].

19. Dank der Fortschritte der Globalisierung und der Digitalisierung kann der Markt heute mit einem großen Organismus verglichen werden, durch dessen Venen wie ein „Lebenssaft“ gewaltige Mengen von Kapital fließen. Wenn wir diese Analogie beibehalten, können wir auch von einer „Gesundheit“ dieses Organismus sprechen: Dies trifft dann zu, wenn seine Mittel und Strukturen das gute Funktionieren des Systems garantieren, in dem Wachstum und Verbreitung des Reichtums miteinander Schritt halten. Die Gesundheit des Systems hängt von der Gesundheit der einzelnen Handlungen ab, die vorgenommen werden. Wenn das System Markt gesund ist, dann ist es leichter, dass auch die Würde der Menschen und das Gemeinwohl geachtet und gefördert werden.

Wenn hingegen nicht vertrauenswürdige Wirtschafts- und Finanzinstrumente eingesetzt werden, die das Wachstum und die Verbreitung des Reichtums ernsthaft gefährden und sich auch für das System als kritisch und gefährlich erweisen, kann von einer „Vergiftung“ dieses Organismus gesprochen werden.

Das erklärt das heute zunehmend verspürte Bedürfnis, alle Produkte, die eine Finanzinnovation darstellen, durch eine Regulierungsbehörde zertifizieren zu lassen, um die Gesundheit des Systems zu bewahren und negativen Begleiterscheinungen zuvorzukommen. Für alle Akteure, die mit den Märkten zu tun haben, ist es auch unter wirtschaftlicher Rücksicht ein unausweichlicher moralischer Imperativ, die Gesundheit zu fördern und die Vergiftung zu vermeiden. Das wiederum zeigt die Dringlichkeit einer überstaatlichen Koordinierung der verschiedenen Strukturen lokaler Finanzsysteme[36].

20. Diese Gesundheit nährt sich von einer Vielzahl mannigfaltiger Ressourcen, die eine Art wirtschaftliche und finanzielle „Biodiversität“ schaffen. Für das Wirtschaftssystem ist die Diversität ein Mehrwert, der auch durch eine entsprechende Wirtschafts- und Finanzpolitik gefördert und geschützt werden muss. Das Ziel besteht darin sicherzustellen, dass die Märkte über eine Vielzahl gesunder Akteure und Instrumente mit Reichtum und Verschiedenartigkeit verfügen. Das bewirkt einerseits positiv, dass deren Aktivität gefördert wird, und verhindert andererseits, dass das Funktionieren des Systems, das Reichtum hervorbringt und verbreitet, negativ beeinträchtigt wird.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass der Zusammenarbeit bei der Aufgabe, im Innern der Märkte auf gesunde Weise einen Mehrwert hervorzubringen, eine besondere Rolle zukommt. Ein ehrliches und intensives Miteinander der Akteure führt leicht zu jenem Mehr an Wert, das heute jeder Wirtschaftsplan anstrebt[37].

Wenn der Mensch die grundlegende Solidarität erkennt, die ihn mit allen seinen Mitmenschen verbindet, weiß er auch, dass er die Güter, über die er verfügt, nicht für sich allein behalten kann. Ist die Solidarität ein fester Bestandteil seines Lebens, werden die Güter, über die er verfügt, nicht nur für seine eigenen Bedürfnisse verwendet. Sie nehmen zu und tragen so oft auch unerwartet Frucht für die anderen[38]. Gerade hier wird einmal mehr deutlich, dass Gemeinschaft «nicht nur Teilen» ist, «sondern auch Vermehrung der Güter, Herstellung neuen Brotes, neuer Güter, Schaffung des neuen Guten schlechthin»[39].

21. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat deutlich gezeigt, wie „naiv“ das Vertrauen in eine vermeintliche funktionelle Unabhängigkeit der Märkte ist, die keiner Ethik unterliegt. Andererseits ist klar, wie notwendig eine angemessene Regelung der Märkte ist, welche die Freiheit und zugleich den Schutz aller gewährleistet, die darin in gesunder und korrekter Weise agieren, vor allem der Schwächeren unter ihnen. In diesem Sinn müssen die politischen Machthaber und die finanzwirtschaftlichen Verantwortungsträger stets unterschieden und unabhängig bleiben, aber zugleich ohne alle schädliche Komplizenschaft danach streben, ein Wohl zu verwirklichen, das der Ausrichtung nach für alle bestimmt ist und nicht nur wenigen privilegierten Akteuren vorbehalten wird[40].

Eine solche Regelung erscheint noch dringlicher, wenn wir bedenken, dass einer der Hauptgründe für die jüngste Finanzkrise das unmoralische Verhalten von Exponenten der Finanzwelt war, und dass es die inzwischen überstaatlich gewordene Dimension des Wirtschaftssystems leicht macht, die in den einzelnen Ländern eingeführten Regeln zu umgehen. Dank der extremen Volatilität und Mobilität des Kapitals in der Finanzwelt ist es jenen, die darüber verfügen, ein Leichtes, sich über jede Norm hinwegzusetzen, die keinen unmittelbaren Profit verspricht. Oft benutzen sie ihre Vormachtstellung auch dazu, sich die jeweilige politische Macht gefügig zu machen.

Es ist also klar, dass die Märkte solide und sichere Orientierungspunkte in Form von Makrovorsichtsmaßregeln und auch von normativen Richtlinien brauchen, die möglichst für alle gelten und einheitlich sein sollten. Ebenso notwendig sind Regeln, die kontinuierlich auf den neuesten Stand zu bringen sind, weil die Situation der Märkte in ständiger Bewegung ist. Ähnliche Orientierungspunkte müssen eine seriöse Kontrolle der Zuverlässigkeit und der Qualität der Finanzinstrumente, vor allem der komplexeren, gewährleisten. Wenn das rasante Tempo der Innovationsprozesse exzessive Systemrisiken mit sich bringt, müssen die Wirtschaftsakteure die Vorgaben und Einschränkungen annehmen, die das Gemeinwohl erfordert, und dürfen nicht versuchen, sie zu umgehen oder herunterzuspielen.

In Anbetracht der heutigen Globalisierung des Finanzsystems erscheint es wichtig, dass sich die Verantwortlichen der einzelnen Länder auf eine stabile, klare und effiziente Regelung der Märkte einigen. Dabei sollte es möglich und manchmal auch geboten sein, im Fall einer eventuellen Gefährdung des Gemeinwohls rasch zu verbindlichen Entscheidungen zu kommen. Die für diese Regelung Verantwortlichen müssen immer unabhängig sein und sich an die Erfordernisse der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls gebunden wissen. Verständliche Schwierigkeiten dürfen nicht von der Suche und Umsetzung solcher normativer Systeme abhalten, welche die einzelnen Länder aufeinander abstimmen, die aber auch überstaatliche Geltung haben müssen[41].

Die Regeln müssen eine vollkommene Transparenz der Handelsgeschäfte begünstigen, damit jede Form von Ungerechtigkeit und Missverhältnissen ausgeräumt und das Gleichgewicht der Tauschgeschäfte soweit wie möglich gewährleistet wird. Denn die asymmetrische Konzentration von Information und Macht begünstigt tendenziell die stärkeren wirtschaftlichen Akteure und schafft auf diese Weise Hegemonien, die nicht nur die Märkte, sondern auch die politischen und normativen Systeme einseitig beeinflussen können. Wo eine massive Deregulierung praktiziert wurde, hat sich auch gezeigt, dass normative und institutionelle Leerräume zum Eingehen moralischer Risiken und zur Veruntreuung einladen und auch zu einer irrationalen Überschwänglichkeit der Märkte – auf die zuerst Spekulationsblasen und dann plötzliche verheerende Zusammenbrüche folgen – und zu Systemkrisen führen können[42].

22. Zum Zweck der Vermeidung solcher Systemkrisen wäre es eine große Hilfe, wenn für die Banken eine klare Definition und Abgrenzung zwischen dem Bereich ausgearbeitet würde, der die Verwaltung von gewöhnlichen Bankkrediten und Spareinlagen betrifft, und dem Bereich, der auf Investition und bloßes Business abzielt[43]. Damit sollten so gut wie möglich Situationen vermieden werden, die zu Finanzinstabilität führen.

Ein gesundes Finanzsystem erfordert auch möglichst viel Information, damit jeder seine Interessen in voller und bewusster Freiheit schützen kann: Es ist nämlich wichtig zu wissen, ob das eigene Kapital zu spekulativen Zwecken verwendet wird oder nicht. Auch der Grad des Risikos und die Angemessenheit des Preises für die Finanzprodukte, für die man sich entscheidet, sollten bekannt sein. Denn Spareinlagen, vor allem von Familien, sind normalerweise ein öffentliches Gut, das zu schützen ist und für das eine Optimierung ohne Risiko zu suchen ist. Wenn diese Spareinlagen qualifizierten Finanzfachberatern anvertraut werden, muss man erwarten können, dass sie gut angelegt und nicht nur verwaltet werden.

In der Handhabung der Spareinlagen durch Finanzberater sind folgende Verhaltensweisen als moralisch fragwürdig zu bewerten: eine exzessive Bewegung von Wertpapieren, die vor allem den Zweck verfolgt, die Kommissionen der Intermediäre zu vermehren; ein Fehlen der gebotenen Überparteilichkeit im Angebot von Sparmethoden, die von gewissen Banken angewandt werden, obwohl die Produkte anderer den Bedürfnissen des Kunden besser entsprechen würden; das Fehlen der gebotenen Sorgfalt oder gar eine vorsätzliche Fahrlässigkeit seitens der Kundenberater bei der Wahrung der Interessen, die den Wertpapierstand ihrer Kunden betreffen; die Gewähr einer Finanzierung durch eine Bank unter der Voraussetzung, dass beim selben Intermediär gleichzeitig andere Finanzprodukte erworben werden, die für den Kunden vielleicht nicht lohnend sind.

23. Jedes Unternehmen bildet ein wichtiges Netzwerk von Beziehungen und stellt auf seine Weise einen mittleren sozialen Körper dar, der eine eigene Kultur und eine eigene Praxis hat. Diese Kultur und diese Praxis bestimmen nicht nur die innere Organisation des Unternehmens, sondern wirken sich auch auf das gesellschaftliche Gefüge aus, in dem das Unternehmen tätig ist. Gerade hier erinnert die Kirche an die soziale Verantwortung der Unternehmen[44], die sowohl nach außen als auch nach innen zum Ausdruck kommt.

Dort, wo der reine Profit in der Unternehmenskultur einer Finanzgesellschaft an oberster Stelle steht und das Erfordernis des Gemeinwohls missachtet wird – das kommt heute auch an renommierten Business Schools häufig vor –, wird jedes ethische Anliegen unweigerlich als etwas Äußerliches empfunden, das der unternehmerischen Tätigkeit fremd ist. Das wird dadurch umso deutlicher, dass jene, die sich diesem Firmenziel nicht anpassen, von einer derartigen Unternehmenslogik in Bezug auf Gehalt und berufliche Anerkennung bestraft werden. In diesen Fällen führt der allein gewinnorientierte Zweck leicht zu einer perversen und selektiven Logik, die oft jene an die Firmenspitzen bringt, die zwar fähig, aber auch machthungrig und skrupellos sind und deren Umgang mit anderen vor allem die eigenen Interessen im Blick hat.

Eine derartige Logik hat Wirtschaftslenker oft eine Unternehmenspolitik betreiben lassen, die nicht eine Verbesserung der wirtschaftlichen Gesundheit ihrer Firmen anstrebt, sondern einzig den Profit der Aktionäre (Shareholders). Das schadet nicht nur den berechtigten Interessen jener, deren Arbeit und Dienste der Firma Nutzen bringen, sondern auch den Konsumenten und den verschiedenen lokalen Gemeinschaften (Stakeholders). Oft von der Aussicht auf sehr hohe Entlohnung bei Erzielung sofortiger Ergebnisse angespornt, der bei Nichterreichen der Ziele keine entsprechend hohen Strafen entgegen stehen, werden den Managern und Aktionären schnell beträchtliche Gewinne versprochen. Dies verleitet zum Eingehen unangemessen hoher Risiken. Das Ergebnis ist, dass die Firmen jener wirtschaftlicher Energien beraubt werden, die ihnen eine Zukunftsperspektive hätten geben können.

All das fördert die Entstehung und Verbreitung einer Kultur, die zutiefst amoralisch ist. In dieser Kultur schreckt man oft nicht davor zurück, Verbrechen zu begehen, solange der erhoffte Vorteil größer ist als die zu erwartende Strafe. Eine solche Kultur schadet ernsthaft der Gesundheit jedes marktwirtschaftlichen Systems, weil sie sein Funktionieren und die wirksame Umsetzung des Gemeinwohls gefährdet, das die notwendige Grundlage jeder Form des Miteinander ist.

Dringlich geboten erscheinen deshalb eine ehrliche Selbstkritik und eine Trendwende in Richtung einer Unternehmens- und Finanzkultur, die all jene Faktoren berücksichtigt, die das Gemeinwohl ausmachen. Das bedeutet beispielsweise, dass man die Person und die Qualität der Beziehungen zwischen den Personen in den Mittelpunkt der Unternehmenskultur stellt. Wo das geschieht, können die Unternehmen eine Art sozialer Verantwortung praktizieren, die nicht bloß etwas Zufälliges oder Nebensächliches ist, sondern von innen her jede ihrer Handlungen beeinflusst und diesen eine soziale Ausrichtung gibt.

Genau hier kann der natürliche Kreislauf von Profit – notwendiger Bestandteil, ohne den kein Wirtschaftssystem auskommen kann – und sozialer Verantwortung – wesentliche Voraussetzung für das Überleben jeder Form von zivilem Zusammenleben – seine ganze Fruchtbarkeit und das unauflösbare Band zutage treten lassen, das zwischen einer den Menschen und das Gemeinwohl respektierenden Ethik und dem tatsächlichen Funktionieren jedes Wirtschafts- und Finanzsystems besteht – ein Band, das die Sünde zu verdunkeln droht. Begünstigt wird dieser positive Kreislauf etwa durch das Streben nach einer Verminderung des Risikos von Konflikten mit den Stakeholders wie auch durch eine möglichst starke Förderung der Motivation der Angestellten eines Unternehmens.

Hier muss überzeugend dargelegt werden, dass die Schaffung von Mehrwert, die das Hauptziel des Finanzwirtschaftssystems ist, in einem auf eine ehrliche Suche nach dem Gemeinwohl gegründeten und deshalb soliden ethischen System wirklich praktikabel ist. Nur der Anerkennung und Umsetzung des inneren Bandes zwischen wirtschaftlicher und ethischer Vernunft kann nämlich ein Wohl erwachsen, das allen Menschen zugutekommt[45]. Denn auch der Markt braucht für sein gutes Funktionieren anthropologische und ethische Grundlagen, die er sich nicht selber geben und die er nicht hervorbringen kann.

24. Wenn die Kreditwürdigkeit ein besonnenes Auswahlverfahren erfordert, um Kreditnehmer ausfindig zu machen, die wirklich würdig, innovationsfähig und gegen ungesunde Kollusionen gefeit sind, müssen die Banken in Anbetracht der eingegangenen Risiken über das nötige Kapital verfügen, damit eine eventuelle soziale Aufteilung der Verluste so begrenzt wie möglich gehalten werden kann und vor allem auf jene zurückfällt, die dafür verantwortlich sind.

Gewiss erfordert die angemessene Verwaltung der Ersparnisse nicht nur eine gebotene rechtliche Regelung, sondern auch entsprechende kulturelle Denkmuster sowie eine ständige aufmerksame, auch der Ethik verpflichtete Überprüfung der Beziehung zwischen Bank und Kunde und eine kontinuierliche Überwachung der Rechtmäßigkeit aller Geschäfte, die diese Beziehung betreffen.

Ein interessanter und zu erprobender Vorschlag in diese Richtung wäre die Schaffung bankinterner Ethikkommissionen, die den Verwaltungsräten zur Seite gestellt werden könnten. Auf diese Weise würde den Banken geholfen, nicht nur ihre Bilanzen gegen Verluste abzusichern und die tatsächliche Übereinstimmung zwischen ihrem statuarischen Auftrag und ihrer Finanzpraxis zu wahren, sondern auch in angemessener Weise die Realwirtschaft zu stützen.

25. Die Schaffung sehr riskanter Wertpapiere – die faktisch eine Art fiktiver Schaffung von Wert ohne angemessene Qualitätskontrolle und korrekte Kreditbewertung darstellt – kann zwar die Intermediäre bereichern, schafft aber auch leicht Insolvenz zum Schaden jener, die Rechte aus dem Wertpapier später eintreiben müssen. Dies gilt umso mehr, wenn die Last des Risikos, das diese Wertpapiere bergen, vom Ausstellerinstitut auf den Markt abgeladen wird, in dem sie eingeführt und verbreitet werden (vgl. etwa die Verbriefung von Hypothekarkrediten), was eine weitreichende Vergiftung und potenzielle Systemstörungen zur Folge hat. Eine solche Vergiftung der Märkte widerspricht dem Gebot der Gesundheit des finanzwirtschaftlichen Systems und ist unter dem Gesichtspunkt einer dem Gemeinwohl verpflichteten Ethik nicht akzeptabel.

Jedem Wertpapier muss ein tendenziell realer und nicht bloß vermeintlicher, schwer feststellbarer Wert entsprechen. In diesem Sinn wird eine öffentliche überparteiliche Regelung und Einschätzung der Vorgehensweise der Rating-Agenturen immer dringlicher. Dazu bedarf es rechtlicher Instrumente, die es nicht nur ermöglichen, Missbräuche zu sanktionieren, sondern die auch verhindern, dass gefährliche Angebotsoligopole entstehen. Das gilt vor allem dort, wo wir es mit Produkten des Kreditvermittlungssystems zu tun haben, bei dem der ursprüngliche Kreditgeber die Verantwortung für den gewährten Kredit auf jene ablädt, die ihm nachfolgen.

26. Einige Finanzprodukte, darunter die sogenannten „Derivate“, wurden als Absicherung gegen Risiken von bestimmten Geschäften geschaffen, die oft auch auf den vermeintlichen Wert setzen, der diesen Risiken beigemessen wird. Diesen Finanzinstrumenten liegen Verträge zugrunde, bei denen die Parteien noch in der Lage sind, das Risiko abzuschätzen, gegen das man sich absichern will.

Bei manchen Formen von Derivaten (besonders bei den sogenannten Verbriefungen) konnte man jedoch beobachten, wie die ursprünglich mit bestimmbaren Finanzinvestitionen verbundenen Strukturen immer komplexer wurden (Verbriefungen von Verbriefungen), so dass es sehr schwierig – und nach verschiedenen derartigen Transaktionen fast unmöglich – ist, den Basiswert auf vernünftige und gerechte Weise festzulegen. Das bedeutet, dass jede Phase beim An- und Verkauf dieser Wertpapiere unabhängig vom Wollen der einzelnen Parteien eine Verfälschung des tatsächlichen Wertes des Risikos bewirkt, gegen welches das Instrument eigentlich schützen müsste. All das hat das Entstehen von Spekulationsblasen gefördert, die zur jüngsten Finanzkrise wesentlich beigetragen haben.

Es ist offensichtlich, dass die Unberechenbarkeit dieser Produkte – die zunehmend schwindende Transparenz der versicherten Gegenstände –, die im ursprünglichen Geschäft noch nicht zutage tritt, diese Instrumente unter dem Aspekt einer die Wahrheit und das Gemeinwohl achtenden Ethik immer unannehmbarer macht. Ihre wirtschaftliche Unzuverlässigkeit lässt sie zu einer Art Zeitbombe werden, die früher oder später explodieren und die Gesundheit der Märkte vergiften kann. Hier ist ein Mangel an Ethik festzustellen, der dann besonders schwerwiegend wird, wenn diese Produkte auf den sogenannten nicht geregelten Märkten (Over The Counter) gehandelt werden. Mehr als auf den geregelten Märkten sind sie dort Wagnissen, wenn nicht sogar dem Betrug ausgesetzt. Auf diese Weise werden der Realwirtschaft Lebenssaft und Investitionen entzogen.

Eine ähnliche ethische Bewertung kann auch bezüglich des Gebrauchs der Credit Default Swaps (CDS: spezielle Versicherungsverträge des Ausfallrisikos) vorgebracht werden. Diese ermöglichen es, auf das Ausfallrisiko Dritter zu setzen, auch wenn man vorher kein Kreditrisiko eingegangen ist, und diese Geschäfte in gleicher Weise zu wiederholen. Dies ist gemäß den gewöhnlichen Versicherungsverträgen absolut unzulässig.

Am Vorabend der Finanzkrise von 2007 war der CDS-Markt so rasant gewachsen, dass sein Wert fast dem gesamten Welt-Bruttoinlandsprodukt (BIP) entsprach. Die so gut wie uneingeschränkte Verbreitung dieser Art von Verträgen hat ein Finanzsystem gedeihen lassen, das auf den Kreditausfall anderer setzt, also unter ethischem Gesichtspunkt inakzeptabel ist.

Der Erwerb solcher Finanzinstrumente durch jene, die überhaupt kein Kreditrisiko eingegangen sind, stellt einen Sonderfall dar, bei dem die Akteure an der Insolvenz anderer Wirtschaftsunternehmen interessiert sind, ja sogar darauf hinzuarbeiten versucht sein können.

Es liegt auf der Hand, dass diese Möglichkeit moralisch besonders verwerflich ist, weil es sich dabei um eine Art „Wirtschaftskannibalismus“ handelt. Zudem wird auf diese Weise auch das Grundvertrauen untergraben, das notwendig ist, um den Wirtschaftskreislauf nicht zum Erliegen zu bringen. In diesem Fall können wir wiederum sehen, wie ein unter ethischem Gesichtspunkt negatives Verhalten auch für das gesunde Funktionieren des Wirtschaftssystems schädlich ist.

Es ist darum festzuhalten: Wenn solche Finanzgeschäfte Folgen haben können, die ganzen Ländern und Millionen von Familien großen Schaden zufügen, handelt es sich um extrem unmoralische Handlungsweisen. Es scheint deshalb angebracht, das in einigen Ländern bereits bestehende Verbot derartiger Geschäfte auszuweiten und etwaiges Zuwiderhandeln mit größter Schärfe zu bestrafen.

27. Ausschlaggebend für die Dynamik der Finanzmärkte sind die Kursfeststellung (Fixing) der Zinssätze bei Interbankdarlehen (London Interbank Offered Rate, LIBOR), deren Bestimmung auf dem Kapitalmarkt als Leitzinssatz dient, sowie die offiziellen Wechselkurse der verschiedenen Leitwährungen.

Diese wichtigen Parameter haben entscheidende Auswirkungen auf das gesamte Finanzwirtschaftssystem, da sie die tägliche Bewegung gewaltiger Geldsummen durch Parteien beeinflussen, die auf der Grundlage der Höhe ebendieser Zinssätze Verträge unterzeichnen. Die Manipulation dieser Zinssätze ist also ein grober ethischer Verstoß mit weitreichenden Konsequenzen.

Dass genau das über Jahre hinweg ungestraft passieren konnte, macht deutlich, wie zerbrechlich und betrugsanfällig ein Finanzsystem ist, das nicht ausreichend durch Regeln kontrolliert wird und in dem etwaige Regelverstöße seiner Akteure keine entsprechenden Sanktionen nach sich ziehen. Wenn echte Kartelle gegenseitiger Begünstigung unter jenen Akteuren entstehen, die mit dem korrekten Fixing dieser Zinssätze betraut waren, handelt es sich um kriminelle Vereinigungen, die nicht nur dem Gemeinwohl schaden, sondern auch der Gesundheit des Wirtschaftssystem eine gefährliche Wunde zufügen. Darum braucht es angemessene Strafen, die eine abschreckende Wirkung haben.

28. Die Hauptakteure der Finanzwelt, vor allem die Banken, müssen heute über interne Organismen verfügen, die eine Compliance-Funktion ausüben, also eine Selbstkontrolle bezüglich der Rechtmäßigkeit der wesentlichen Phasen des Entscheidungsprozesses und der hauptsächlichen vom Unternehmen angebotenen Produkte. Es ist jedoch anzumerken, dass sich die Praxis des Finanzwirtschaftssystems, wenigstens bis vor kurzem, oft hauptsächlich auf ein „negatives“ Urteil der Compliance-Funktion stützte, die eine rein formale Einhaltung der von den geltenden Gesetzen auferlegten Beschränkungen im Blick hatte. Daraus folgte leider auch, dass die Praxis, den normativen Kontrollen nach Möglichkeit auszuweichen, weit verbreitet war, auch wenn darauf geachtet wurde, den normativen Regeln nicht ausdrücklich zu widersprechen, um nicht Sanktionen auf sich zu ziehen.

Um all das zu vermeiden, ist es notwendig, dass die Compliance-Funktion auch „positiv“ gesehen wird. Dabei geht es darum zu prüfen, ob die verschiedenen Geschäfte den Prinzipien entsprechen, die den geltenden Bestimmungen zugrunde liegen. Das könnte nach Ansicht vieler Experten durch die Errichtung von Ethik-Kommissionen erleichtert werden, welche mit den Verwaltungsräten zusammenarbeiten und einen natürlichen Ansprechpartner für jene darstellen, die im konkreten Handeln der Bank die Übereinstimmung der Vorgangsweisen mit den geltenden Normen gewährleisten müssen.

In diesem Sinn müssten innerhalb der Firmen Richtlinien vorgesehen werden, welche die Übereinstimmung mit den Normen erleichtern, die unterscheiden helfen, welche der rechtlich möglichen Geschäfte auch ethisch annehmbar und praktizierbar sind (eine Frage, die etwa im Bereich der Steuerumgehung besonders akut ist). Damit könnte erreicht werden, dass man von einer formalen zu einer substantiellen Einhaltung der Normen gelangt.

Darüber hinaus wäre es wünschenswert, dass auch das Regelsystem der Finanzwelt eine allgemeine Klausel vorsieht, die Geschäfte für unrechtmäßig erklärt, die hauptsächlich darauf abzielen, die geltenden Normen zu umgehen. Folglich sollten alle Akteure, die für solche Vergehen verantwortlich sind, mit ihrem Vermögen dafür haften.

29. Phänomene wie die weltweite Verbreitung von Finanzinstituten ohne Bankenregulierung (Shadow Banking System) können nicht weiter unbeachtet bleiben. Selbst wenn in diesen Systemen auch Arten von Intermediären vorgesehen sind, deren Wirken nicht unmittelbar problematisch erscheint, haben sie doch faktisch bewirkt, dass verschiedene nationale Aufsichtsbehörden die Kontrolle über das System verloren haben. Das hat wiederum in unbedachter Weise den Rückgriff auf sogenannte kreative Finanzprodukte begünstigt, bei denen der Hauptgrund der Investition von Finanzressourcen hauptsächlich spekulativer, um nicht zu sagen ausbeuterischer Natur ist, was kein Dienst an der Realwirtschaft ist. Viele Fachleute stimmen beispielsweise darin überein, dass solche Schattenbanken zu den Hauptauslösern zählen, die das Entstehen und die globale Ausbreitung der jüngsten Finanzkrise begünstigt haben, welche in den USA im Sommer 2007 mit der Krise der Hypothekarkredite begonnen hat.

30. Von solchen Spekulationsabsichten nährt sich auch die Welt der Offshore-Geschäfte, die zwar auch andere rechtmäßige Dienste anbietet, aber aufgrund weit verbreiteter Kanäle der Steuerumgehung – wenn nicht sogar der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche – zur weiteren Verarmung des normalen Produktions- und Vertriebssystems der Güter und Dienstleistungen beiträgt. Ob viele dieser Situationen direkt unmoralisch sind oder in unmittelbarer Nähe zur Unmoral stehen, ist schwer zu bestimmen: Sicher ist aber, dass solche Systeme, wo sie in ungerechter Weise der Realwirtschaft Lebenssaft entziehen, nur schwer gerechtfertigt werden können, und zwar sowohl in ethischer Hinsicht als auch im Blick auf die globale Effizienz des Wirtschaftssystems.

Inzwischen wird immer deutlicher und kann auch nicht mehr geleugnet werden, dass zwischen unethischem Verhalten von Unternehmern und negativen Ergebnissen des ganzen Systems ein Zusammenhang besteht: Es ist mittlerweile klar, dass Mangel an Ethik die Unvollkommenheiten der Mechanismen des Marktes verschärft[46].

In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entstand der Offshore-Markt der Eurodollars, ein Ort des Finanzaustausches außerhalb jedes offiziellen normativen Rahmens. Dieser Markt breitete sich von einem wichtigen europäischen Land in andere Länder der Erde aus und ließ so ein regelrechtes Finanznetzwerk entstehen, das eine Alternative zum offiziellen Finanzsystem bildete und Aufsichten unterstand, die es schützten.

Diesbezüglich ist zu sagen, dass als formaler Grund für die Berechtigung von Offshore-Domizilen angeführt wird, institutionellen Investoren die Möglichkeit zu geben, keiner Doppelbesteuerung ausgesetzt zu sein – zuerst in dem Land, in dem sie ihren Wohnsitz haben, und dann dort, wo sich das Kapital befindet. In Wirklichkeit bieten sich diese Orte heute jedoch in beträchtlichem Maß für Finanzgeschäfte an, die als grenzwertig, wenn nicht sogar als völlig inakzeptabel zu betrachten sind. Das gilt in Bezug auf ihre Berechtigung unter normativem wie auch unter ethischem Gesichtspunkt, also im Blick auf eine gesunde Wirtschaftskultur, der es fremd ist, Absichten zu verfolgen, die der Steuerumgehung zuträglich sind.

Heute wird mehr als die Hälfte des Welthandels von einflussreichen Akteuren getätigt, die ihre Steuerlast abbauen, indem sie die Erträge von einem Ort zum anderen verlagern, so wie es für sie am günstigsten ist. Das hat zur Folge, dass die Gewinne in die Steuerparadiese verlegt werden, die Kosten hingegen in die Länder mit höheren Steuerauflagen. All das hat der Realwirtschaft beträchtliche Ressourcen entzogen und zur Entstehung von Wirtschaftssystemen beigetragen, die auf dem Prinzip der Ungleichheit aufbauen. Es darf auch nicht verschwiegen werden, dass diese Offshore-Domizile nicht selten zu Orten geworden sind, an denen fast schon gewohnheitsmäßig „schmutziges“ Geld gewaschen wird, das aus illegalen Geschäften kommt (Diebstahl, Betrug, Korruption, kriminellen Vereinigungen, Mafia, Kriegsbeuten, usw.).

Indem einige Staaten die auf ihren offiziellen Finanzplätzen getätigten Offshore-Geschäfte vertuschten, haben sie zugelassen, dass aus Verbrechen Kapital geschlagen werden konnte. Sie fühlten sich nicht dafür verantwortlich, weil dies formal ja nicht unter ihrer Aufsicht geschehen ist. In moralischer Hinsicht handelt es sich dabei um eine offenkundige Form von Heuchelei.

Dieser Markt ist in kurzer Zeit zum größten Umschlagplatz von Kapitel geworden. Denn er bietet einen leichten Weg für verschiedene schwerwiegende Formen von Steuerumgehung an. Deshalb ist es verständlich, dass viele, auch namhafte Unternehmen, die auf dem Markt agieren, Offshore-Domizile anstreben und dort bereits tätig sind.

31. Das von den Staaten entwickelte Steuersystem erscheint gewiss nicht immer gerecht. Dabei ist zu beachten, dass diese Ungerechtigkeit oft zu Lasten der wirtschaftlich Schwächeren geht und zum Vorteil jener gereicht, die ohnehin schon bevorteilt und sogar in der Lage sind, auf die Regelsysteme, welche die Steuern festlegen, Einfluss zu nehmen. In Wirklichkeit hat ein gerechtes Steuersystem aber eine ausgleichende Funktion in der Umverteilung des Reichtums. Das hilft nicht nur jenen, die auf angemessene Subventionen angewiesen sind, sondern trägt auch dazu bei, die Investitionen und das Wachstum der Realwirtschaft zu fördern.

Die Steuerumgehung durch die Hauptakteure der Märkte, vor allem der einflussreichen Finanzintermediäre, führt jedenfalls dazu, dass der Realwirtschaft in ungerechter Weise Ressourcen entzogen werden, was der ganzen Zivilgesellschaft zum Schaden gereicht. In Anbetracht der fehlenden Transparenz dieser Systeme lässt sich schwer sagen, wie viel Kapital hier genau angehäuft und bewegt wird. Es wurde aber berechnet, dass schon eine geringe Besteuerung dieser Offshore-Transaktionen ausreichen würde, um einen Gutteil des Problems des Hungers in der Welt zu lösen. Warum sollten wir uns nicht mit Mut auf den Weg machen, eine solche Initiative zu ergreifen?

Es ist auch sicher, dass die Existenz der Offshore-Domizile den Abzug von Kapital aus Ländern mit niedrigem Lohn ungemein begünstigt hat, wodurch es zu vielen politischen und wirtschaftlichen Krisen kam und diese Länder daran gehindert wurden, den Weg des Wachstums und einer gesunden Entwicklung einzuschlagen.

An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass dieser Missstand bereits mehrfach von verschiedenen internationalen Institutionen angeprangert wurde und nicht wenige nationale Regierungen mit Recht versucht haben, den Einfluss der Offshore-Finanzdomizile zu begrenzen. Es sind diesbezüglich auch viele positive Schritte gemacht worden, vor allem in den letzten zehn Jahren. Bisher ist es jedoch nicht gelungen, geeignete wirksame Abkommen und Regelungen durchzusetzen. Wegen der beträchtlichen Kapitalsummen, über die diese Domizile verfügen, und des entsprechend großen Einflusses, den sie auf viele politische Verantwortungsträger ausüben, ist es ihnen oft gelungen, die auch von bedeutenden internationalen Organisationen vorgeschlagenen Regelungen nicht anzuwenden oder unwirksam zu machen.

All das fügt dem guten Funktionieren der Realwirtschaft Schaden zu und bildet eine Struktur, die, so wie sie sich heute darstellt, in ethischer Hinsicht vollkommen inakzeptabel ist. Deswegen ist es notwendig und dringend, dass auf internationaler Ebene geeignete Mittel gefunden werden, um diesen ungerechten Systemen Abhilfe zu schaffen. Es bedarf vor allem einer Transparenz der Finanzen auf allen Ebenen (zum Beispiel für multinationale Unternehmen der Pflicht zur öffentlichen Rechnungslegung über ihre Tätigkeiten und der Steuern, die sie an die einzelnen Länder gezahlt haben, in denen sie durch ihre Tochterfirmen agieren). Es braucht auch einschneidende Sanktionen, die jenen Ländern anzudrohen sind, die von den oben beschriebenen unehrlichen Praktiken (Steuerumgehung und Steuerhinterziehung, Geldwäsche) nicht ablassen.

32. Das Offshore-System hat vor allem in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern die Staatsverschuldung vergrößert. So wurde festgestellt, dass der private Reichtum, den einige Auserlesene in den Steuerparadiesen angehäuft haben, fast die Höhe der Staatsschuld der jeweiligen Länder erreicht hat. Das zeigt auch, dass diese Verschuldung in der Tat oft von finanziellen Verlusten herrührt, die private Akteure geschaffen und dann auf den Staat abgeladen haben. Im Übrigen ist ja bekannt, dass namhafte Wirtschaftsakteure, oft unter Mitwissen der Politiker, fast schon gewohnheitsmäßig eine soziale Verteilung der Verluste praktizieren.

Dennoch muss festgehalten werden, dass die Staatsverschuldung oft auch von einer ungeschickten, wenn nicht sogar betrügerischen Handhabung des öffentlichen Verwaltungssystems herrührt. Diese Verschuldung, also die Gesamtheit der auf den Staaten lastenden finanziellen Verluste, ist heute eine der größten Hindernisse für das gute Funktionieren und das Wachstum der verschiedenen Volkswirtschaften. Zahlreiche Volkswirtschaften tragen nämlich die Last, Zinsen zahlen zu müssen, die von dieser Verschuldung herrühren, und sehen sich daher gezwungen, diesbezüglich angemessene strukturelle Anpassungen vorzunehmen.

In Anbetracht all dieser Entwicklungen sind die einzelnen Staaten gerufen, mit geeigneten Eingriffen in das öffentliche System durch ausgewogene Strukturreformen, besonnene Aufteilung der Kosten und kluge Investitionen Abhilfe zu schaffen. Auf internationaler Ebene muss man die einzelnen Länder zwar auf ihre unausweichliche Verantwortung hinweisen, aber auch vernünftige Auswege aus der Schuldenspirale ermöglichen und begünstigen. Den Staaten – und damit ihren Bürgern, das heißt Millionen von Familien – dürfen jedenfalls keine Lasten auferlegt werden, die sie niemals tragen können.

Wichtig sind dabei auch politische Vereinbarungen über eine vernünftige Senkung der Schulden, besonders wenn diese Schulden an Länder gezahlt werden müssen, die es sich leisten können, von ihren Forderungen abzusehen[47]. Solche Lösungen braucht es sowohl für die Gesundheit des internationalen Wirtschaftssystems zur Vermeidung der Ansteckung durch mögliche Systemkrisen als auch für das Streben nach dem Gemeinwohl aller Völker.

33. Das, worüber wir bisher gesprochen haben, ist nicht nur das Werk von Institutionen, die außerhalb unserer Kontrolle agieren. Es fällt auch in den Bereich unserer Verantwortung. Uns stehen nämlich bedeutende Mittel zur Verfügung, mit denen wir zur Lösung vieler Probleme beitragen können. Das Leben der Märkte hängt zum Beispiel von Angebot und Nachfrage der Güter ab: Jeder von uns kann entscheidend darauf Einfluss nehmen, indem wir dieser Nachfrage Gestalt geben.

Von großer Wichtigkeit ist daher eine kritische und verantwortungsvolle Steuerung des Konsum- und Sparverhaltens. Der Einkauf, mit dem wir uns täglich das Lebensnotwendige besorgen, ist immer auch verbunden mit einer Wahl, die wir zwischen verschiedenen Produkten treffen, die der Markt zu bieten hat. Mit dieser Wahl entscheiden wir uns oft unbewusst für Güter, die Produktionsketten durchlaufen, in denen die Verletzung der grundlegenden Menschenrechte normal ist oder die von Unternehmen produziert werden, deren Ethik faktisch keine anderen Interessen beinhaltet als den Profit ihrer Akteure, und zwar um jeden Preis.

Unsere Wahl muss auf die Güter fallen, die auf ethisch würdige Weise hergestellt wurden. Schon durch die scheinbar banale Geste unseres Konsumverhaltens bringen wir nämlich eine ethische Haltung zum Ausdruck. Wir sind gerufen, Stellung zu beziehen gegenüber den Dingen, die dem Menschen gut tun oder ihm schaden. In diesem Zusammenhang wurde von der „Wahl mit dem Geldbeutel“ gesprochen: Es geht in der Tat darum, jeden Tag auf den Märkten jene Dinge auszuwählen, die dem echten Wohlergehen von uns allen dienen, und jene abzulehnen, die ihm schaden[48].

Ähnliche Erwägungen müssen auch dort angestellt werden, wo es um den Umgang mit unseren Ersparnissen geht. Wir können sie beispielsweise auf Unternehmen ausrichten, die nach klaren Kriterien vorgehen, von einer Ethik der Achtung des ganzen Menschen und aller Menschen inspiriert sind und sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind[49]. Noch allgemeiner ist jeder von uns gerufen, Reichtum mit Praktiken zu produzieren, die unserem relationalen Wesen entsprechen und die ganzheitliche Entwicklung der Person im Blick haben.

IV. Schlussbemerkung

34. In Anbetracht der heute fast schon erdrückenden Macht und Allgegenwart der finanzwirtschaftlichen Systeme könnten wir versucht sein, dem Zynismus zu verfallen und zu meinen, dass wir mit unseren schwachen Kräften wenig ausrichten können. In Wirklichkeit kann aber jeder von uns viel tun, vor allem, wenn wir nicht allein bleiben.

Zahlreiche Vereinigungen aus der Zivilgesellschaft sind wie eine Art Reserve des Gewissens und der sozialen Verantwortung, ohne die wir nicht auskommen können. Wir alle sind heute mehr denn je gerufen, uns zu Wächtern des guten Lebens und zu Verfechtern eines neuen sozialen Engagements zu machen. Dafür muss unser Handeln auf das Streben nach dem Gemeinwohl ausgerichtet und auf den festen Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität aufgebaut sein.

Jede noch so klein und unbedeutend erscheinende Geste unserer Freiheit, die das authentische Wohl im Blick hat, stützt sich auf den guten Herrn der Geschichte. Sie wird Teil einer positiven Entwicklung, die unsere schwachen Kräfte übersteigt und alle Handlungen des guten Willens unauflöslich in einem einzigen Netzwerk verbindet, das Himmel und Erde eint. Das dient wirklich der Humanisierung des Menschen und der Welt. Genau das brauchen wir, um gut zu leben und eine Hoffnung zu nähren, die unserer hohen Würde als menschliche Personen entspricht.

Die Kirche, die Mutter und Lehrmeisterin ist und darum weiß, dass ihr ein unverdientes Gut geschenkt wurde, bietet den Männern und Frauen aller Zeiten die Ressourcen für eine zuverlässige Hoffnung an. Maria, die Mutter des für uns Mensch gewordenen Gottes, nehme unsere Herzen in ihre Hand und leite sie beim weisen Aufbau jenes Wohls, das ihr Sohn Jesus durch seine vom Heiligen Geist erneuerte Menschlichkeit zum Heil der Welt eröffnet hat.

Papst Franziskus hat in einer dem unterzeichneten Sekretär der Kongregation für die Glaubenslehre gewährten Audienz die vorliegenden Erwägungen, die in der Ordentlichen Versammlung der Kongregation beschlossen worden sind, approbiert und ihre Veröffentlichung angeordnet.

Gegeben in Rom, am 6. Januar 2018, Hochfest der Erscheinung des Herrn.

+ Luis F. Ladaria, S.I.
Titularerzbischof von Thibica
Präfekt der Kongregation
für die Glaubenslehre

Peter Kard. Turkson
Präfekt des Dikasteriums
für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen
Entwicklung des Menschen

+ Giacomo Morandi
Titularerzbischof von Cerveteri
Sekretär der Kongregation
für die Glaubenslehre

Bruno Marie Duffé
Sekretär des Dikasteriums
für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen
Entwicklung des Menschen

***********

(vh – mm)

Papst Franziskus betrübt über Gewalt im Heiligen Land: „Gott möge Erbarmen mit uns haben!“

VATIKANSTADT – Betrübt und besorgt hat sich Papst Franziskus angesichts der Gewalt im Heiligen Land und im Nahen Osten gezeigt.

Am Ende der Generalaudienz vom Mittwoch, den 15. Mai, sagte der Heilige Vater in seiner Botschaft: „Ich bin sehr besorgt und betrübt wegen der Zunahme der Spannungen im Heiligen Land und im Nahen Osten und wegen der Spirale der Gewalt, die uns immer mehr vom Weg des Friedens, des Dialogs und der Verhandlungen entfernt.“

„Ich drücke meine große Trauer um die Toten und Verwundeten aus und bleibe allen, die leiden, durch Gebet und Zuneigung nahe. Ich wiederhole, dass der Einsatz von Gewalt niemals zu Frieden führen wird. Krieg ruft Krieg herbei, Gewalt ruft Gewalt herbei.“

Er forderte auch „alle beteiligten Parteien und die internationale Gemeinschaft auf, ihren Einsatz zu erneuern, damit Dialog, Gerechtigkeit und Frieden die Überhand gewinnen.“

Nach einem Ave Maria rief der Papst: „Gott möge Erbarmen mit uns haben!“

Der Heilige Vater hat seine Solidarität mit den Toten und Verwundeten der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen palästinensischen Demonstranten und israelischen Soldaten im Gazastreifen (Palästina) zum Ausdruck gebracht.

Am vergangenen Montag, dem 14. Mai wurden mindestens 60 Palästinenser getötet und weitere 2000 verletzt, nachdem die israelische Armee das Feuer gegen Aktivisten und Demonstranten eröffnet hatte, die gewaltsam gegen die Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem protestierten.

Die Entscheidung der US-Regierung provozierte palästinensische Betroffene, die Jerusalem als Hauptstadt eines zukünftigen palästinensischen Staates fordern. Der Schritt wurde gleichzeitig mit den Feiern zum 70. Jahrestag der Gründung des Staates Israel vollzogen.

Obwohl Israel im Jahre 1967 alle seine politischen Institutionen in die Stadt Jerusalem verlegte – dem Jahr, in dem es die bis dahin unter jordanischer Souveränität stehende Stadt annektierte – erkennt die internationale Gemeinschaft nur Tel Aviv als Hauptstadt an.

In der Tat befanden sich bis zur Verlegung der amerikanischen Botschaft alle internationale Botschaften in Tel Aviv. (CNA Deutsch)

Erzbischof Chaput würdigt Papst-Film von Wim Wenders

PHILADELPHIA – Am 14. Juni kommt der Film „Papst Franziskus: Ein Mann seines Wortes“ in deutsche Kinos, für den Wim Wenders Regie geführt hat. In den USA ist er bereits ab dem 18. Mai zu sehen – und Erzbischof Charles Chaput von Philadelphia hat ihn nicht nur jetzt schon gesehen, sondern auch besprochen.

Der Film leiste ein überzeugendes Portrait des Papstes, so Chaput, und Regisseur Wenders gelinge „ein kontinuierliches, intimes Einzelgespräch mit dem Papst während des gesamten Films. Es ist eine sehr effektive Technik; Man hat das Gefühl, dass Franziskus direkt auf den einzelnen Betrachter schaut und direkt mit ihm spricht „, schreibt der Erzbischof in einer am 14. Mai erschienen Kolumne.

Die anderthalb Stunden lange Dokumentation ist eine „wunderschöne Hommage“ (Chaput) an die öffentliche Person. Der Zuschauer begleitet Franziskus auf Reisen, erlebt seine Auftritte bei Wohltätigkeitsveranstaltungen und Reden. Schwerpunkt sind dabei die Aspekte, die nicht nur den Filmemacher Wenders persönlich bewegen, sondern auch die mediale Öffentlichkeit. Dabei kommen auch einige Aspekte zu kurz, so Erzbischof Chaput.

Die Arbeit des Regisseurs sei „von einer christlich inspirierten Spiritualität geprägt“, so Erzbischof Chaput: „Er konzentriert sich überzeugend auf die Sorge des Papstes um die Umwelt, die Armen und Immigranten. Er fängt auch das starke Engagement des Papstes für die Ehe, die Familie und die Komplementarität von Männern und Frauen ein.“

Zu den beeindruckendsten Szenen, schreibt Erzbischof Chaput, gehören die Besuche des Papstes bei „Einwanderern, Armen, Kranken, der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel und der Westmauer in Jerusalem“.

Was kommt dabei zu kurz? Der Erzbischof kritisierte mehrere Punkte am Film. Einmal sei er einfach ein wenig lang geraten. Und schaffe es doch nicht, die katholische Lehre von der menschlichen Person vollständig darzustellen.

„Wenders verpasst (oder vermeidet) es, die ganzheitliche katholische Vision der menschlichen Würde, die Franziskus vertritt, abzubilden, das heißt, den eigentlichen Grund dafür, warum katholische Anliegen für das ungeborene Kind, die Behinderten, die Alten, die Umwelt und Migranten untrennbar miteinander verbunden sind in einem Netzwerk von Prioritäten.“

Ein verkürzter Franz

Genauso wenig gerecht wird der Film der Darstellung des heiligen Franz von Assisi, so Erzbischof Chaput weiter.

Darüber leiste der Film eine unvollständige Darstellung des heiligen Franz von Assisi, nach dessen Vorbild Kardinal Jorge Bergoglio sich den Namen „Franziskus“ als Papst aussuchte.

Das Porträt von Franziskus von Assisi, obschon nützlich für die Erzählung, sei selektiv und oberflächlich, kritisiert Chaput. Es werde nicht dem wahren Heiligen gerecht, „der eine komplexe, formidable Gestalt war, der sich für die Schöpfung als Widerspiegelung der Herrlichkeit Gottes interessierte, nicht als begrenzte natürliche Ressource“, mahnt der Oberhirte.

Trotz dieser Mängel ist der Erzbischof angetan von einem Film, dessen „Schönheit und Substanz“ durch die Fehler nicht beeinträchtigt würden.

Er ermutige daher Katholiken, „Papst Franziskus: Ein Mann seines Wortes“ im Kino zu sehen. Dem Filmemacher und Produzenten gebühre ebenso Dank wie dem Papst, für diese Möglichkeit, dem Nachfolger Petri zu begegnen.

„Möge er Tausende von Herzen berühren“, so Chaput.

Übersetzt und redigiert aus dem englischen Original. (CNA Deutsch)

„Die Venezolaner haben keine Wahl“

Adveniat zur Lage in Venezuela: Die einzige Institution, die noch das Vertrauen der Bevölkerung genießt, ist die katholische Kirche.

ESSEN – „Die Venezolaner haben keine Wahl.“ Davon ist der Venezuela-Referent des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Reiner Wilhelm, angesichts der Präsidentschaftswahlen in Venezuela am 20. Mai 2018 überzeugt.

„Das Regime um Präsident Nicolas Maduro, aber auch die Opposition sowie die internationale Weltgemeinschaft – alle Seiten bereichern sich auf Kosten des hungernden und leidenden Volkes“, kritisiert Wilhelm.

Präsident Maduro, der sich seit dem Tod seines Vorgängers Hugo Chavez mit Hilfe des Militärs an der Macht hält, habe sämtliche Institutionen im Griff: Den Wahlrat, das Oberste Gericht, die Medien, die Verwaltung sowie die große Zahl verstaatlichter Unternehmen. Und das von der Opposition dominierte Parlament sei kurzerhand durch die Einrichtung einer verfassungsgebenden Versammlung entmachtet worden.

„Jeder Gegenkandidat tritt nicht nur gegen den Präsidenten an, sondern gegen Militär, Justiz, Medien und den gesamten Staatsapparat. Wer kann es mit dieser Front korrumpierter Institutionen aufnehmen?“, fragt Wilhelm.

Deshalb ständen nur Kandidaten zur Wahl, die auch vom Regime zugelassen wurden. Aber auch die zerstrittene Opposition habe sich nach ihrem Sieg bei den Parlamentswahlen im Dezember 2015 als unfähig erwiesen, alternative Ideen und Personen aufzubauen.

„Die Opposition sitzt im Gefängnis, ist ins Ausland geflohen oder macht mit dem sozialistischen Regime gemeinsame Sache, um sich zu bereichern.“

Der Venezuela-Experte prangert aber auch die Untätigkeit der internationalen Weltgemeinschaft an. Denn die Fakten sind klar: 87 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, wie eine Studie der drei angesehenen Universitäten in der Hauptstadt Caracas belegt. Die galoppierende Inflation liegt bei mehr als 13.000 Prozent und frisst den Lohn der Angestellten auf.

Medikamente wie Antibiotika oder Insulin stehen für die Bevölkerung nicht zur Verfügung. Erst vor kurzem starb erneut ein Priester wegen fehlender Medizin.

Lediglich die politische und wirtschaftliche Elite – ganz gleich ob aufseiten der Regierung oder weiten Teilen der Opposition – lasse es sich gut gehen. Sie hat mit ihrem Zugang zu US-Dollars und Euros die Möglichkeit, Medikamente, Lebensmittel und Luxusgütern zu importieren. „Dass Europa, die USA und die Vereinten Nationen bis heute die humanitäre Krise nicht auch offiziell anerkennen, lässt nur den Schluss zu, dass sie vom Status-quo profitieren“, ist Adveniat-Experte Wilhelm überzeugt.

„Die internationale Gemeinschaft braucht einen nüchternen und ideologie-befreiten Blick auf Venezuela, der die hungernde und notleidende Bevölkerung wieder in den Mittelpunkt stellt. Es ist höchste Zeit, zu handeln.“

Die einzige Institution Venezuelas, die noch das Vertrauen der Bevölkerung genießt, ist die katholische Kirche.

„Als einzige echte Opposition im Land setzt sie sich an der Seite der Menschen für politische und soziale Veränderungen ein“, so Wilhelm.

In den Pfarrgemeinden werden die wenigen Medikamentenspenden verteilt, die meist nur über verschlungene Wege ins Land kommen.

Für Suppenküchen in den Pfarrgemeinden spenden die Gemeindemitglieder Gemüse, Reis, Nudeln und in manchen Fällen auch Fleisch, um dann gemeinschaftlich zu kochen und das Essen vor allem mit denen zu teilen, die es am dringendsten brauchen.

„Die venezolanische Kirche von der Basis bis zur Bischofskonferenz lebt in der Krise Solidarität und sozialen Ausgleich“, stellt Adveniat-Referent Wilhelm fest. (CNA Deutsch)

Wer kennt die Wahrheit über die Inquisition?

Wahrheit und Legenden: Vor 20 Jahren öffnete die Glaubenskongregation ihre Archive. Was die Wissenschaftler fanden: Das passt nicht zu den landläufigen Legenden, oder doch?

VATIKANSTADT – Als im Jahre 1998 erstmals die Archive der Kongregation für die Glaubenslehre, oder besser gesagt des Heiligen Offiziums, für die Wissenschaftler geöffnet wurden, sagte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, man könne nicht vorhersehen, welche Entwicklungen dies für die Welt der Wissenschaft bedeuten würde.

Zwanzig Jahre später kann man eine Bilanz ziehen und die Arbeiten einiger Forscher präsentieren. Das ist der Zweck einer internationalen Konferenz, die gestern begann: „Die römische Inquisition und ihre Archive“.

Im Jahr 1998 begann mit einem feierlichen Tag an der Accademia Nazionale die Lincei, dem der damalige Präfekten der Kongregation, Kardinal Joseph Ratzinger vorstand, ein Weg, der seit nunmehr zwei Jahrzehnten beschritten wird. Bis zum morgigen 17. Mai gehen die Arbeiten der Wissenschaftler in der Bibliothek des Senats auf der Piazza della Minerva, innerhalb der sogenannten Insula Domenicana von Santa Maria sopra Minerva weiter, die so sehr mit den historischen Ereignissen um die Kongregation des Heiligen Offiziums und dem Index der verbotenen Bücher verbunden ist.

Die Konferenz stellt den vierten Termin des Zyklus Memoria Fidei dar, der 2013 als ständiges Forum der Zusammenarbeit und Weiterbildung zwischen den kirchlichen Archiven gegründet worden war. Zum Forum gehören 40 Wissenschaftler aus Italien, verschiedenen europäischen Ländern, den Vereinigten Staaten und Kanada. Die Einleitungsrede zur Konferenz hielt Kurienerzbischof Francisco Luis Ladaria Ferrer SJ, Präfekt der Kongregation.

Neben Vorträgen zu einzelnen Aspekte des Wirkens der Inquisition gibt es auch Betrachtungen über Kunst und sogar Kino. Pierfranco Bruni beispielsweise spricht über die kinematografische Sprache beim Erzählen von Ereignissen, die mit der Inquisition in Zusammenhang stehen. „Der Name der Rose“ von 1986 ist einer jener Texte, die als Beispiel angeführt werden könnten – nicht nur für den Bruch von Mustern zwischen den Bildern und dem im Buch wiedergegeben Erzählfaden, sondern vor allem auch als gänzlich ideologische Interpretation des Themas der Inquisition, mit einem verzerrten Schlüssel der Lektüre hinsichtlich historischer Bezüge, die absichtlich verdreht werden.

Die Filmografie, die sich der Inquisition widmet, hat leider mehr die spektakulären als die geschichtstreuen Aspekte berücksichtigt. Das betrifft verschiedenen Facetten der Inquisition, wie es bei den Filmen Dangerous Beauty aus dem Jahr 1998 oder L’Oeuvre a noir von 1988 der Fall ist. Ab 1943 und dem Film „Dies Irae“ werden Dinge verflochten und die Inquisition wird mit Elementen verwoben, die nicht italienisch, sondern spanisch sind. Dieser Aspekt wäre zu klären, bis hin zu einem der jüngsten Filme – Sangue del mio sangue – aus dem Jahr 2015.

Anna Foa spricht über die Vorstellung von der Inquisition in den Medien der letzten 20 Jahre. 1988 waren die Medien der Meinung, dass „die Öffnung der Archive zu einer geschichtlichen und ‚politischen‘ Revision führen würde, also dass sich die Kirche, indem sie die Archive zugänglich machte, auch für ein Mea culpa bezüglich der Inquisitionsgerichte vorbereiten würde. Als Georges Cottier 2004 den Band mit den Niederschriften des Symposiums von 1998 vorstellte, wurde klar, dass die Absicht eine andere gewesen war: Die Forschungen der Wissenschaftler voranzubringen, ihnen bislang unzugängliche Quellen zur Verfügung zu stellen und einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen schwarzer und rosa Legende aufzutun.“

Die jüdische Forscherin erklärt, dass „von diesem Moment an, in den letzten 10-15 Jahren, die Kluft zwischen Wissenschaft und Medien immer größer geworden ist. Während die Wissenschaft von der neu verfügbaren Dokumentation ausging, um zu wenigstens teilweise gemeinsamen Schlussfolgerungen und Standpunkten zu gelangen, verankerten sich die Medien in mythologischen Visionen, in denen sich zur Darbietung alter Schemata der schwarzen Legende hagiographische Überspanntheit gesellte, die noch weniger glaubwürdig war als erstere.“

Leider stellt „diese Kluft zwischen Forschung und Medien, wie uns allen bekannt ist, eine Situation dar, die für jeden Inhalt der Geschichte gilt; sie ist jedoch noch heikler bei einem Thema wie diesem, das mit Leidenschaften und Vorurteile behaftet ist und jeder Argumentation trotzt. Aus diesem Grund bleibt die Verbreitung von Informationen zu dieser Thematik auch heute sehr schwierig.“

Die drei Konferenztage sind somit auch für die Medien von großer Bedeutung, die dadurch Gelegenheit erhalten, die Arbeit der Wissenschaftler kennenzulernen und sich von Vorurteilen und Unwissenheit zu befreien.

Übersetzt von Susanne Finner aus dem italienischen Original, das bei der CNA Deutsch-Schwesteragentur ACI Stampa veröffentlicht wurde. (CNA Deutsch)

Was Papst Franziskus in Genf vorhat

Ökumenisches Gebet, Rede vor dem Weltkirchenrat, heilige Messe – und ein Gespräch mit dem Schweizer Bundesratspräsidenten.

VATIKANSTADT- Rund zehn Stunden lang wird sich Papst Franziskus am 21. Juni in der Schweiz aufhalten – seit 2004 das erste Mal, dass ein Oberhaupt der Katholischen Kirche das Land besucht. Im Zentrum steht die Beziehungspflege mit dem meist als Weltkirchenrat bezeichneten Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), der in diesem Jahr seines 70-jährigen Bestehens gedenkt.

Das Anliegen der Reise des Pontifex ist also die Ökumene; die Beziehung der weltweiten Katholischen Kirche – die kein Vollmitglied des ÖRK ist – mit den rund 350 Strömungen des Christentums, die dort anzutreffen sind, darunter Altorientale, Anglikaner, Orthodoxe, Pfingstkirchler und Anhänger weiterer Formen des Protestantismus.

Franziskus tritt mit seiner Visite im Juni einerseits in die Fußstapfen früherer Päpste – im Jahr 1969 kam Paul VI., im Jahr 1984 war Johannes Paul II. in Genf – und bringt gleichzeitig sein ureigenes Engagement zur Geltung.

Darauf deutet auch das nun vorgestellte Logo und Motto der Visite hin:

„Ökumenischer Pilgerweg – Gemeinsam unterwegs sein, beten und arbeiten“.

Das Programm der 23. Auslandsreise von Franziskus:

10:10 Uhr Ankunft Flughafen Genf

10:30 Uhr Gespräch mit Schweizer Bundesratspräsident Alain Berset (SP)

11:15 Uhr Gemeinsames Gebet, Rede des Papstes im ÖRK-Zentrum, Genf

12:45 Uhr Mittagessen mit ÖRK-Leitung im Ökumenischen Institut, Bossey

15.45 Uhr Ansprache des Papstes bei Begegnung im ÖRK-Zentrum

17:30 Uhr Heilige Messe im Kongresszentrum, mit Predigt des Pontifex

20:00 Uhr Rückflug nach Rom (Landung 21:40 Uhr)

(CNA Deutsch)

Frankreich: Soldatenwallfahrt nach Lourdes beginnt

Soldaten und Soldatinnen aus rund 50 Nationen, darunter Deutschland, pilgern in diesem Jahr nach Lourdes zur Internationalen Soldatenwallfahrt, die an diesem Donnerstag beginnt.

Das Motto lautet „Pacem in terris – Friede auf Erden“ und verweist auf die gleichnamige Friedensenzyklika des heiligen Papstes Johannes XXIII. von 1963. Bis Dienstag erwartet die Teilnehmenden ein überwiegend spirituelles Programm an dem traditionsreichen Marienwallfahrtsort. In diesem Jahr feiert die Kirche den 160. Jahrestag der Marienerscheinungen an der Grotte von Lourdes.

Auf Einladung des französischen Militärbischofs Antoine de Romanet de Beaune reisen 880 Pilgerinnen und Pilger aus Deutschland in zwei Sonderzügen zu dem Marienwallfahrtsort in Südwestfrankreich. Insgesamt werden rund 12.000 Soldaten und Soldatinnen erwartet, auch aus Litauen, Norwegen, Großbritannien und den USA.

Ein Soldat empfängt in Lourdes die Taufe

Der deutsche Militärbischof Franz-Josef Overbeck wird in Lourdes einem Soldaten das Sakrament der Taufe spenden und drei Soldaten das Sakrament der Firmung.

Die alljährliche internationale Soldatenwallfahrt nach Lourdes findet bereits seit 1958 statt. Ihr Anliegen ist es, Lourdes zum Ort der Begegnung und der Versöhnung jener Nationen zu machen, die einander im Zweiten Weltkrieg bekämpften. (Vatican News – gs)

Kardinal Parolin gegen Cyberkriminalität

 

In einem Grußwort versicherte Parolin den Teilnehmern der Jahrestagung der Kommission zur Verhütung von Verbrechen, die vom 14. bis 18. Mai in Wien stattfindet, dass Papst Franziskus das Thema aufmerksam verfolge.

Der technologische Fortschritt bringe viel Positives, aber die dunkle Seite der neuen digitalen Welt dürfe nicht unterschätzt werden. Einer der gravierendsten Aspekte sei die Verbreitung neuer oder alter Formen krimineller Aktivitäten, die es zu bekämpfen gelte.

Die Vereinten Nationen betonten zu Recht mit der Agenda für nachhaltige Entwicklung auch die dringende Notwendigkeit, allen Formen von Gewalt gegen Kinder ein Ende zu setzen. Dazu sei es nach der Auffassung des Papstes zwingend notwendig, dass die Kinder in den entscheidenden Jahren ihres Wachstums in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt und geschützt werden, so Parolin weiter.

Daher habe der Papst auch am Ende des „Weltkongresses über die Würde des Minderjährigen in der digitalen Welt“ am 6. Oktober 2017 die „Erklärung von Rom“ unterstützt.

Die Verbreitung von Bildern immer extremerer Gewalt und Pornografie verändere die Psychologie und sogar die neurologische Funktionsweise von Kindern grundlegend. Cyber-Mobbing, das Versenden von Nackt-Fotos (Sexting) und sexuelle Erpressung (Sextortion) zerstörten zwischenmenschliche und soziale Beziehungen. Das könne ebenso wenig toleriert werden, wie unter anderem die Zurschaustellung von Vergewaltigung und Gewalt sowie Online-Organisation von Prostitution und Menschenhandel oder Anstiftung zu Gewalt und Terrorismus.

Parolin betonte, dass der Heilige Stuhl und die katholische Kirche sind sich ihres Beitrags zur Bildung des Gewissens und der öffentlichen Wahrnehmung bewusst seien. Man wolle sich mit eigenen Aktivitäten und gemeinsam mit den politischen und religiösen Autoritäten – insbesondere mit den Entwicklern und Managern neuer Technologien – dafür einsetzen, dass Kinder gelassen in einer sicheren Umgebung aufwachsen können. (vatican news – ck)

Schweiz: Papstreise mit drei Elementen

Die Reise des Papstes in die Eidgenossenschaft naht. Die Gastgeber haben an diesem Dienstagmittag das Besuchsprogramm, das Logo und weitere Einzelheiten vorgestellt. Aus Rom konnte aus Gesundheitsgründen der für die Ökumene zuständige Kurienkardinal Kurt Koch nicht teilnehmen.

Mario Galgano – Vatikanstadt

Um 10.10 Uhr wird der Papst am 21. Juni zu seiner eintägigen Reise in die Schweiz in Genf landen und gleich auch die erste von drei geplanten Etappe absolvieren. Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset, Bundesrätin Doris Leuthard und Bundesrat Ignazio Cassis werden Franziskus zu offiziellen Gesprächen treffen. Das gaben die Organisatoren der Reise bei der Pressekonferenz in Genf bekannt.

Gleichzeitig hob der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Olaf Fykse Tveit, hervor, dass es sich nicht um eine Schweizreise des Papstes handle, sondern dass es vor allen Dingen um die internationale und ökumenische Dimension gehe. Grund für den Besuch des Gastes aus Rom ist es nämlich, des 70. Jahrestages der Gründung des ÖRK zu gedenken.

Enge Zusammenarbeit hervorgehoben

Aus Rom angereist für die Pressekonferenz war Andrzej Choromanski, der im Namen von Kurienkardinal Kurt Koch die Bedeutung des ÖRK für die katholische Kirche erläuterte. Es gebe etliche gemeinsame Projekte und sogar Stipendien für nicht-katholische Studenten, die die katholische Kirche vergibt, sagte der Offizial des päpstlichen Einheitsrates.

ÖRK-Generalsekretär Tveit ging auch auf das Motto des Besuch ein. „Gehen, beten und zusammen arbeiten“ beinhalte gerade das, was der ökumenische Dialog heutzutage bedeute. Deshalb wurde auch ein Boot als Symbolbild ausgewählt, als Zeichen für die Kirche und gleichzeitig für die Bewegung. Auf dem Logo ist auch die Aufschrift „oikumene“ angebracht, was für den „Sinn und Zweck“ des Besuches stehe.

Die Ökumene sei heute wichtiger denn je. Tveit erinnerte an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die Rolle, die die Kirchen für die Friedenssuche und –sicherung hätten. Dies gelte nicht nur für Europa, sondern weltweit, fügte er an.

Katholische Kirche ist nicht ÖRK-Mitglied

Choromonski hob vor allem die Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und dem ÖRK im Bereich der Solidarität und Bildung hervor. Auf die Frage, weshalb die katholische Kirche nicht Mitglied im ÖRK sei, antworte er, dass diese Frage jedes Mal gestellt werde, wenn ein Papst den ÖRK besuche. Es gebe theologische und praktische Gründe hierfür. Es sei aber nicht auszuschließen, dass in Zukunft die katholische Kirche doch noch dem ÖRK beitreten werde. Es sei aber eine schwierige Frage, wenn man bedenke, dass die 348 Kirchen des ÖRK gemeinsam halb so viele Gläubige zählten wie die katholische Kirche mit ihrer über eine Milliarde Mitglieder zählenden Gemeinschaft.

Das dritte Element der Papstreise nach Genf sei neben dem Treffen mit der Schweizer Regierung und dem Besuch beim ÖRK die Heilige Messe mit den Katholiken im Palexpo, jenem Ort, wo im Frühling der internationale Autosalon stattfindet. Wie der zuständige Bischof Charles Morerod von Genf-Fribourg-Lausanne bei der Pressekonferenz hervorhob, sind 35 Prozent der Bewohner Genfs Katholiken. Bei früheren Papstbesuchen war die Bevölkerung nicht immer sehr angetan vom Gast aus Rom, da die Calvin-Stadt ein Zentrum des calvinistischen Protestantismus ist. Der letzte Papstbesuch in der Schweiz datiert von 2004. Damals reiste Papst Johannes Paul II. nach Bern – eine seiner letzten Pilgerfahrten, im Jahr darauf starb er.

Hier die Details zur Reise:

8.30 Uhr: Abflug vom Flughafen Fiumicino bei Rom

10.10 Uhr: Ankunft in Genf – Begrüßungszeremonie mit Vertreter des Schweizer Bundesrates

10.30 Uhr: Privates Treffen mit dem Schweizer Bundespräsidenten

11.15 Uhr: Gemeinsames ökumenisches Gebet beim Sitz des ÖRK in Genf – Ansprache des Papstes

12.45 Uhr: Mittagessen mit den Vertretern des ÖRK beim Ökumenischen Institut in Bossey

15.45 Uhr: Ökumenisches Treffen im Sitz des ÖRK – Ansprache des Papstes

17.30 Uhr: Heilige Messe mit dem Papst im Palexpo – Predigt des Papstes

19.15 Uhr: Verabschiedung von Bischöfen und Päpstlichen Vertretern in der Schweiz

20.00 Uhr: Abflug

21.40 Uhr: Ankunft am Flughafen Ciampino bei Rom

(vatican news)

„Schmerz und Scham“: Chiles Bischöfe beim Papst

Im Vatikan beginnt an diesem Dienstag das Treffen des Papstes mit den chilenischen Bischöfen. Es geht dabei um die Missbrauchsfälle, zu denen es in diesem südamerikanischen Land gekommen ist. An den Gesprächen nehmen 31 Diözesan- und Weihbischöfe teil sowie drei emeritierte Bischöfe; sie finden bis zum 17. Mai in einem Nebenraum der vatikanischen Audienzhalle statt.

Am Vorabend der Begegnung haben zwei chilenische Bischöfe am Montag die Presse getroffen: Bischof Fernando Ramos, Weihbischof von Santiago und Generalsekretär der chilenischen Bischofskonferenz, und Juan Ignacio González, Bischof von San Bernardo.

Ramos erinnerte an den Brief des Papstes vom 8. April, mit dem er die Kirchenmänner in den Vatikan einbestellt hatte. Er führte aus, dass der Papst zwei sehr spezifische Dinge vorhabe:

„Zunächst einmal sind wir nach Rom gekommen, um die Schlussfolgerungen des Berichts von Erzbischof Scicluna über seinen Besuch in Chile zu hören. Dann sollen wir einen Prozess der Unterscheidung durchführen und dabei Maßnahmen entwickeln, um die Gemeinschaft und die Gerechtigkeit wiederherzustellen. Das waren die beiden großen Themen, zu denen uns der Heilige Vater mit seinem Brief eingeladen hat.“

Die Verantwortung aller – und jedes Einzelnen

Ramos fuhr fort: „Diese Begegnungen beziehen sich auf Fälle des Macht-, des Gewissens- und des sexuellen Missbrauchs, zu denen es in den letzten Jahrzehnten in der chilenischen Kirche gekommen ist, und auf die Mechanismen, die in einigen Fällen zum Vertuschen und zu schwerem Versagen gegenüber den Opfern geführt haben. Außerdem wollen wir die Schlussfolgerungen, die der Heilige Vater aus dem Bericht von Erzbischof Scicluna gezogen hat, mit ihm teilen. Und drittens lädt uns der Papst zu einem längeren, ‚synodalen‘ Prozess des Unterscheidens ein, um die Verantwortung aller und jedes Einzelnen für diese furchtbaren Verletzungen zu sehen und Änderungen herbeizuführen, damit sie sich nicht wiederholen.“

Bischof Ramos erklärte weiter: „Unsere Haltung besteht vor allem aus Schmerz und Scham. Schmerz, weil es leider Opfer gegeben hat: Menschen, die zu Opfern von Missbrauch wurden… Und Scham, weil diese Missbrauchsfälle in kirchlichem Umfeld geschehen sind – also gerade da, wo es diese Arten von Missbrauch niemals geben dürfte.“

Vergebung und Wiedergutmachung

Und weiter sagte Ramos: „Wir müssen 77 Mal um Vergebung bitten! Ich glaube, das ist für uns ein sehr großer moralischer Imperativ. Das Wichtige ist, dass die Bitte um Vergebung auch wirklich mit Wiedergutmachung einhergehen muss… In aller Demut werden wir anhören, was der Papst uns sagen wird.“ Das sei ein „sehr wichtiger Moment“ für die Erneuerung der chilenischen Kirche.

Bischof González fügte an, die chilenischen Bischöfe sahen in Papst Franziskus ein Beispiel, weil dieser freimütig Fehler eingeräumt, um Verzeihung gebeten und die Opfer getroffen habe. Das Entscheidende seien die Opfer; die Kirche in Chile müsse sich mit Demut und Hoffnung nach dem Beispiel Jesu für Werke der Wiedergutmachung sorgen.

Das Vertrauen in die Kirche wiederherstellen

Der Pressesaal des Heiligen Stuhls hatte am 12. Mai in einem Statement erklärt, „grundlegend“ sei es jetzt „das Vertrauen in die Kirche wiederherzustellen“.

Es sei „nicht vorgesehen, dass Papst Franziskus während oder nach den Begegnungen Erklärungen abgibt.“ Die Treffen mit den chilenischen Bischöfen sollten von „absoluter Vertraulichkeit“ bestimmt sein.

(vatican news – sk)