SANTIAGO DE CHILE – Vordergründig über zwei vermeintlich sperrige Themen hat Papst Franziskus beim Besuch der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago heute gesprochen: Das „Nationale Zusammenleben“ und die Herausforderung, „in Gemeinschaft voranzukommen“.
Bei genauerem Betrachten leistet diese Rede von einer „prophetischen Mission“ der Universität jedoch viel mehr, mit ihrem Appell an einen „erneuerten Humanismus“ und der Betonung des Dialogs, der Verteidigung von Familie, Gemeinschaft und, ja, Nation: Sie ist eine bündige Darstellung der Weltsicht von Papst Franziskus, worauf sich diese aufbaut – und was der Pontifex auch mit seinem eigenen Programm für die Kirche anstrebt.
Franziskus zitierte unter anderem die Philosophen Zygmunt Bauman und Gershom Sholem. Prominent gleich zum Anfang sprach Franziskus jedoch über einen anderen: Der ständige Begleiter von Papst Franziskus in Chile ist der Heilige Alberto Hurtado (1901-1952).
„Sein Leben wird zu einem klaren Zeugnis dafür, wie die Intelligenz, die akademische Exzellenz und die Professionalität im Berufsalltag mit dem Glauben, der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe in Einklang gebracht – weit davon entfernt, geringer zu werden – eine prophetische Kraft erlangen, die fähig ist, Horizonte zu eröffnen und den Pfad zu erleuchten, vor allem für die aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen“.
Die Figur des beliebtesten Heiligen des Landes verkörperte also auch in dieser Rede Franziskus‘ jene Friedens- und Dienstbotschaft, die der Pontifex für ein zerrissenes Chile und eine von Kontroversen und Bedeutungsverlust geplagte Kirche in Chile vermitteln will, aber auch als Hoffnungsschimmer und Abentuer für die Jugend des Landes bezeichnet.
„Nationales Zusammenleben“
In der heutigen „flüchtigen“ – im Sinne Zygmunt Baumans, wie das Redemanuskript zeigt – Gesellschaft schwinden die Bezugspunkte, von denen aus Menschen ihr Leben aufbauen können, warnte der Papst.
„Es scheint, dass heute die »Wolke« [die digitale ‚Cloud‘, Anm.d.Red.] der neue Ort der Begegnung ist, der vom Mangel an Stabilität geprägt ist, da ja alles sich verflüchtigt und deshalb an Konsistenz verliert“.
Nicht einfach als Vermittler von Werten ist das Bildungswesen daher wichtig, so Franziskus; seine Wichtigkeit bestehe auch in einer „Bildung (Alphabetisierung), die den Intellekt (den Kopf), die Affekte (das Herz) und die Aktion (die Hände) einbezieht und in Einklang bringt“.
Die klassische Forma Mentis sei das, sagte der Papst weiter – eine Geisteshaltung also.
„Und um dies zu erreichen, ist es notwendig, eine – wie ich es nennen würde – integrierende Alphabetisierung zu entwickeln, die es versteht, die Transformationsprozesse, die im Schoß unser Gesellschaften erzeugt werden, aufeinander abzustimmen.“
So könne das Individuum von der Beschränkung auf sich selbst bewahrt werden, argumentierte der Papst, und ein öffentlicher Raum gepflegt werden, der als „Bewusstsein“ notwendig ist, um eine Nation abzubilden, und Frieden zu sichern:
„Ohne das »Wir« eines Volkes, einer Familie, einer Nation und zugleich ohne das »Wir« der Zukunft, der Kinder und des Morgens; ohne das »Wir« einer Stadt, die »Mich« übersteigt und reicher ist als die individuellen Interessen, wird das Leben nicht nur immer mehr zerstückelt, sondern reicher an Konflikt und Gewalt.“
Die Universität stehe in diesem Sinn vor der Herausforderung, die „neuen Dynamiken innerhalb ihres eigenen Lehrkörpers zu erzeugen, die jegliche Fragmentierung des Wissens
überwinden und zu einer wahrhaftigen universitas anregen sollen“, so der Papst.
„In Gemeinschaft vorankommen“
Von daher sei das zweite für dieses Haus des Studiums so wichtige Element: die Fähigkeit, in Gemeinschaft voranzukommen, fuhr der Pontifex fort.
Er habe mit Freude von der Evangelisierungsbemühung der Universitätspastoral erfahren. Diese sei Zeichen einer jungen, lebendigen Kirche »im Aufbruch«, so der Pontifex. Mit Blick auf diese Aktivitäten sagte er weiter:
„Der »Missionar« kehrt nie als der Gleiche aus der Mission zurück; er erfährt den Vorübergang Gottes in der Begegnung mit so vielen Gesichtern.“
Solche Erfahrungen könnten dabei nicht vom universitären Geschehen getrennt bleiben: „Die klassischen Forschungsmethoden erfahren gewisse Grenzen, umso mehr, wenn es sich um eine Kultur wie die unsere handelt, die die direkte und unmittelbare Partizipation der Subjekte anregt“, so Franziskus wörtlich.
Die aktuelle Kultur erfordere jedoch „neue Formen, die geeignet sind, alle einzubeziehen, die das soziale Geschehen und daher das Bildungsgeschehen mitgestalten“.
Deshalb gelte es, „das Konzept der Bildungsgemeinschaft zu erweitern“, fuhr der Papst fort:
„Diese Gemeinschaft ist herausgefordert, nicht isoliert zu bleiben von den Erkenntnisweisen. (…) Es ist notwendig, dass der Erkenntniserwerb dazu befähigt, eine Interaktion zwischen dem Hörsaal und der Weisheit der Völker hervorzubringen, die diese gesegnete Erde mitgestalten. Eine Weisheit reich an Intuitionen, an »Geruchs-/Spürsinn«, den man nicht ignorieren kann (…) Auf diese Weise wird diese so bereichernde Synergie zwischen wissenschaftlicher Strenge und der Intuition des Volkes hergestellt werden.“
Das „Erkennen muss sich immer zum Dienst am Leben berufen fühlen und sich mit dem Leben konfrontieren, um weiter Fortschritte machen zu können“, so Franziskus. Von daher könne sich die Bildungsgemeinschaft nicht auf Hörsäle und Bibliotheken reduzieren.
„Der universitäre Dienst muss immer darauf abzielen, von Qualität und Exzellenz zu sein, die in den Dienst des nationalen Zusammenlebens gestellt werden. In diesem Sinn könnten wir sagen, dass die Universität zu einem Labor für die Zukunft des Landes wird, da es ihr gelingt, in ihrem Schoß das Leben und das Unterwegssein des Volkes aufzunehmen, indem sie jede antagonistische und elitäre Logik des Wissens überwindet.“
Eine alte Tradition der Kabbala erzähle, fuhr Franziskus an dieser Stelle fort, dass der Ursprung des Bösen in der Spaltung liege, die der Mensch verursache, „indem er vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse isst“. Auf diese Weise erlangte die Erkenntnis eine Vorherrschaft über die Schöpfung und unterwarf sie ihren Schemata und Wünschen, so der Papst im Redemanuskript unter Verweis auf Gershom Sholems Mystique Juive.
„Die latente Versuchung in jedem akademischen Umfeld ist wohl, die Schöpfung auf einige interpretative Schemata zu reduzieren und sie so des eigentlichen Mysteriums zu berauben, das ganze Generationen dazu bewegt hat, das unbedingt Notwendige, Gute, Schöne und Wahre zu suchen.“
Die Mission der Universität erweise sich daher „als eine prophetische“, so der Papst abschließend. Sie sei „aufgefordert, Prozesse zu schaffen, die die aktuelle Kultur erleuchten, indem sie einen erneuerten Humanismus vorstellen“ – es gehe darum, „Räume zu suchen, die mehr auf Dialog als auf Konfrontation zurückgreifen; Räume mehr der Begegnung als der Trennung; Wege der freundschaftlichen Auseinandersetzung“. (CNA Deutsch)
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