Auszug aus „Paul VI. – Ein Papst im Zeichen des Widerspruchs“ (Ulrich Nersinger).
Eine neue Diskussion ist entbrannt über Humanae Vitae – während gleichzeitig ihr Autor, Papst Paul VI. auf dem Weg zur Heiligsprechung ist. In seinem 2014 erschienen Buch „Paul VI. – Ein Papst im Zeichen des Widerspruchs“ widmet der bekannte Vatikanist und Historiker Ulrich Nersinger der Enzyklika ein Kapitel, das CNA Deutsch hier mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Patrimonium-Verlags veröffentlicht.
Die Latinisten des Papstes versehen für gewöhnlich ihre Arbeit ohne allzu große Aufregung. Die Ansprachen, Schreiben, Ernennungsdekrete und kirchliche Verfügungen, die sie in die Sprache Ciceros, die auch die Sprache der Kirche ist, zu übersetzen haben, stellen für sie keine unüberwindbaren Anforderungen dar. Die Texte übersetzen sie routiniert und zügig. Grammatik und Syntax beherrschen sie perfekt, und sie sind geschickt darin, neue lateinische Vokabeln aus der Taufe zu heben. Im Sommer des Jahres 1968 aber verlangt man von ihnen die Tugend der Geduld. Unter den Latinisten des Vatikans befindet sich der Augustiner-Chorherrenabt Karl Egger, ein Südtiroler, der den Papst seit den Dreißiger Jahren persönlich kennt. Die Arbeit an der Enzyklika, die in diesen Tagen auszufertigen ist, ist an sich kein Problem. Doch der Ordensmann fragt sich, ob ein entscheidender Passus des Apostolischen Schreibens schon feststeht. Denn definitiven Text kennt er noch nicht, doch er weiß bereits, wie ersten beiden Worte der Enzyklika lauten: „Humanae Vitae“.
Seit einigen Jahrzehnten hat sich die katholische Kirche mit der künstlichen Empfängnisverhütung auseinanderzusetzen. Am letzten Tag des Jahres 1930 hat ihr Papst Pius XI. (1922-1939) durch sein Rundschreiben Casti Connubii eine unmissverständliche Absage erteilt; sein unmittelbarer Nachfolger, Pius XII. bekräftigt diese Entscheidung im Oktober 1951 in einer berühmt gewordenen Ansprache an katholische Hebammen. Papst Johannes XXIII. muss sich in seinem Pontifikat mit einer neuen Entwicklung, der sogenannten „Antibabypille“, auseinandersetzten. 1963 beruft er eine sechsköpfige Studienkommission ein; Papst Paul VI. stockt dieses Gremium auf und ergänzt es durch weitere Experten und katholische Ehepaare. Das Konzil will die heikle Frage selbst behandeln, doch der Pontifex sieht sich in die Pflicht genommen. So müssen die Väter der Kirchenversammlung feststellen: „Bestimmte Fragen, die noch anderer sorgfältiger Untersuchungen bedürfen, sind auf Anordnung des Heiligen Vaters der Kommission für das Studium des Bevölkerungswachstums, der Familie und der Geburtenhäufigkeit übergeben worden, damit, nachdem diese Kommission ihre Aufgabe erfüllt hat, der Papst eine Entscheidung treffe. Bei diesem Stand der Doktrin des Lehramtes beabsichtigt das Konzil nicht, konkrete Lösungen unmittelbar vorzulegen.“
Im Juni 1965 kommt die vom Papst eingesetzte Kommission zu dem Mehrheitsbeschluss, Paul VI. zu empfehlen, den Gläubigen unter bestimmten Voraussetzungen die Nutzung künstlicher Verhütungsmittel zu erlauben. Der Papst beauftragt nun zusätzlich Bischöfe und Theologen mit der Behandlung der Problematik. Kardinäle, Bischöfe, Professoren und die Medien versuchen nun, Einfluss auf den Pontifex zu nehmen. Am 25. Juli 1968 erfolgt die Veröffentlichung der Enzyklika Humanae Vitae über die rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens“. Der Papst verbleibt in der Tradition der Kirche: „Die eheliche Liebe zeigt sich uns in ihrem wahren Wesen und Adel, wenn wir sie von ihrem Quellgrund her sehen; von Gott, der ‚Liebe ist, von ihm, dem Vater, ’nach dem alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden ihren Namen trägt’. Weit davon entfernt, das bloße Produkt des Zufalls oder Ergebnis des blinden Ablaufs von Naturkräften zu sein, ist die Ehe in Wirklichkeit vom Schöpfergott in weiser Voraussicht so eingerichtet, dass sie in den Menschen seinen Liebesplan verwirklicht. Darum streben Mann und Frau durch ihre gegenseitige Hingabe, die ihnen in der Ehe eigen und ausschließlich ist, nach jener personalen Gemeinschaft, in der sie sich gegenseitig vollenden, um mit Gott zusammenzuwirken bei der Weckung und Erziehung neuen menschlichen Lebens. Darüber hinaus hat für die Getauften die Ehe die hohe Würde eines sakramentalen Gnadenzeichens, und bringt darin die Verbundenheit Christi mit seiner Kirche zum Ausdruck.“
Über Wesen und die Zielsetzung des ehelichen Aktes sagt der Papst: „Jene Akte, die eine intime und keusche Vereinigung der Gatten darstellen und die das menschliche Leben weitertragen, sind, wie das letzte Konzil betont hat, ‚zu achten und zu ehren’; sie bleiben auch sittlich erlaubt bei vorauszusehender Unfruchtbarkeit, wenn deren Ursache keineswegs im Willen der Gatten liegt; denn die Bestimmung dieser Akte, die Verbundenheit der Gatten zum Ausdruck zu bringen und zu bestärken, bleibt bestehen. Wie die Erfahrung lehrt, geht tatsächlich nicht aus jedem ehelichen Verkehr neues Leben hervor. Gott hat ja die natürlichen Gesetze und Zeiten der Fruchtbarkeit in seiner Weisheit so gefügt, dass diese schon von selbst Abstände in der Aufeinanderfolge der Geburten schaffen. Indem die Kirche die Menschen zur Beobachtung des von ihr in beständiger Lehre ausgelegten natürlichen Sittengesetzes anhält, lehrt sie nun, dass ‚jeder eheliche Akt von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hin geordnet bleiben muss’.“
Körperliche Vereinigung und Fortpflanzung gehören für den Papst zusammen: „Diese vom kirchlichen Lehramt oft dargelegte Lehre gründet in einer von Gott bestimmten unlösbaren Verknüpfung der beiden Sinngehalte – liebende Vereinigung und Fortpflanzung -, die beide dem ehelichen Akt innewohnen. Diese Verknüpfung darf der Mensch nicht eigenmächtig auflösen. Seiner innersten Struktur nach befähigt der eheliche Akt, indem er den Gatten und die Gattin aufs engste miteinander vereint, zugleich zur Zeugung neuen Lebens, entsprechend den Gesetzen, die in die Natur des Mannes und der Frau eingeschrieben sind. Wenn die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung beachtet werden, behält der Verkehr in der Ehe voll und ganz den Sinngehalt gegenseitiger und wahrer Liebe, und seine Hinordnung auf die erhabene Aufgabe der Elternschaft, zu der der Mensch berufen ist. Unserer Meinung nach sind die Menschen unserer Zeit durchaus imstande, die Vernunftgemäßheit dieser Lehre zu erfassen.“
Dass sich nun säkulare Stimmen gegen die Entscheidung aus dem Vatikan wenden – von der Titulierung „Pillen-Paul“ durch eine deutsche Boulevardzeitung bis hin zu wissenschaftlichen Abhandlungen – , hat der Papst geahnt. Die Tatsache aber, dass katholische Bischofskonferenzen öffentlich in Opposition zum Heiligen Stuhl treten, schmerzt den Pontifex. Die Erklärungen von Königstein (Deutschland), Maria Trost (Österreich) und Solothurn (Schweiz) liest er mit ungläubigem Kopfschütteln. Persönlich enttäuscht sah er sich von Kardinälen Julius Döpfner und Franz König, denen er in der Vergangenheit eine hohe Wertschätzung entgegengebracht hat. Tröstend empfindet er das Memorandum, das ihm Karol Wojtyla, der Erzbischof von Krakau und spätere Johannes Paul II., mit der Bitte gesandt hat, an der bisherigen Lehre der Kirche zur Empfängnisverhütung festzuhalten; dankbar ist er, dass sich der Bischof von Vittorio Veneto (Norditalien), Monsignore Albino Luciani, der ihm als Johannes Paul I. auf dem Stuhl des heiligen Petrus nachfolgen sollte, an seine Seite stellte – ein Bischof, der bis zum Entscheid des Papstes Formen der Verhütung nicht generell negativ gegenüberstand.
Im dritten Millennium findet eine Neubesinnung auf Humanae Vitae statt. 2008 hält der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, der Wiener Kardinal Christoph Schönborn im Abendmahlsaal in Jerusalem bei der Gemeinschaftstagung der Bischöfe Europas eine bemerkenswerte Predigt: „Wir Bischöfe, verschlossen hinter den Türen wegen der Angst, nicht wegen der Angst vor den Hebräern, sondern wegen der Presse, und auch wegen des Unverständnisses unserer Gläubigen. Wir hatten nicht den Mut! In Österreich hatten wir „Die Mariatroster Erklärung“ – wie in Deutschland „Die Königsteiner Erklärung“. Das hat den Sinn des Lebens im Volke Gottes geschwächt, dies hat entmutigt, sich für das Leben zu öffnen. Wie dann die Welle der Abtreibung gekommen ist, war die Kirche geschwächt, da sie nicht gelernt hatte, diesen Mut des Widerstands, den wir in Krakau gesehen haben, den Papst Johannes Paul II. während seines ganzen Pontifikates gezeigt hat, diesen Mut, JA zu sagen zu Gott, zu Jesus, auch um den Preis der Verachtung. Wir waren hinter den verschlossenen Türen, aus Angst. Ich denke, auch wenn wir damals nicht Bischöfe waren, so müssen wir diese Sünde des europäischen Episkopats bereuen, des Episkopats, der nicht den Mut hatte, Paul VI. mit Kraft zu unterstützen, denn heute tragen wir alle in unseren Kirchen und in unseren Diözesen die Last der Konsequenzen dieser Sünde.“
In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Corriere della Sera sagte Papst Franziskus im Jahre 2014 über Paul VI. und Humanae Vitae: „Seine Genialität war prophetisch, er hatte den Mut, sich gegen die Mehrheit zu stellen, die moralische Disziplin zu verteidigen, eine kulturelle Bremse zu ziehen… Die Frage ist nicht, ob man die Lehre ändert, sondern, ob man in die Tiefe geht und dafür sorgt, dass die Pastoral die einzelnen Lebenslagen und das, wozu die Menschen jeweils imstande sind, berücksichtigt.“ (CNA Deutsch)
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