Millionen von Menschen zieht es Jahr für Jahr in die Ewige Stadt. Wenn sich Touristen und Pilger auf den Petersplatz begeben und damit den Vatikan betreten, wissen viele nicht, dass sie italienisches Hoheitsgebiet verlassen haben und sich nun in einem eigenständigen Land, dem souveränen „Staat der Vatikanstadt", befinden. Ebenso sind sie zumeist nicht darüber informiert, dass dieser kleinste Staat der Erde neben der weltberühmten Päpstlichen Schweizergarde auch über eine eigene Polizeitruppe verfügt: den Corpo della Gendarmeria dello Stato della Città del Vaticano, das Gendarmeriekorps des Vatikanstaates. Von Ulrich Nersinger.
Knapp und präzise erklärt der Einsatzleiter ein letztes Mal seinen Männern das Vorgehen. Die vermummten Gestalten, geschützt durch kugelsichere Westen, nicken. Dann klappen sie die Visiere ihrer Sturmhauben herunter und beginnen mit der Erstürmung. Eine gut 20 Kilogramm schwere Metallramme lässt das Türschloss zersplittern. Sekundenschnell dringen die Männer in die Räume ein; nur wenige Augenblicke vergehen, dann sind die Attentäter gestellt – ohne dass ein einziger Schuss gefallen ist oder Sprengsätze gezündet werden konnten. Das Kommando, das hier sein Können unter Beweis stellte, hat einen ungewöhnlichen Dienstherrn.
Auf dem linken Ärmel ihrer Uniform tragen die unbekannten Einsatzkräfte die Tiara mit den gekreuzten Schlüsseln Petri; das Abzeichen auf dem rechten Ärmel zeigt das Wappen des Vatikanstaates, unterlegt mit einem Schwert und dem Spruch Semper parati („Immer bereit"). Die Männer gehören zur „Schnellen Eingreiftruppe" der vatikanischen Gendarmerie. Nachdem die Elite-Polizisten die Räume gesichert haben, rückt eine zweite Sondereinheit der päpstlichen Polizei an. Die „Anti-Terror-Einheit" kümmert sich um die rasche Entschärfung der sichergestellten Sprengsätze.
Die Übung der Special Forces des vatikanischen Gendarmeriekorps spiegelt die Antwort auf außergewöhnliche Bedrohungen wieder, vor denen man heute auch im Vatikan nicht sicher sein kann. Denn vor Attentaten und Terrorismus können auch die hohen Mauern des Kirchenstaates keinen unangefochtenen Schutz bieten. Im Alltag sind die Anforderungen an die Gendarmen des Papstes aber anderer Natur. „Die vatikanische Gendarmerie hat eine ganze Reihe von Aufgaben; sie ist im kleinsten Staat der Erde Verkehrs-, Kriminal-, Justiz- und Grenzpolizei", betont Domenico Giani, der Kommandant des Korps. „Die wichtigste Aufgabe aber ist der Schutz des Heiligen Vaters und der Personen, die ihn hier im Vatikan besuchen", fügt er an.
An Arbeit mangelt es den päpstlichen Ordnungshütern nicht. Alljährlich besuchen gut 19 Millionen Pilger und Touristen den Petersdom und die Vatikanischen Museen, und das bei einer Sollstärke des Korps von 198 Mann. Für die Gendarmen sind die gewaltigen Menschenmassen eine enorme Herausforderung. Zudem müssen sie in den Basiliken S. Maria Maggiore, St. Paul vor den Mauern, dem Lateran, in der Sommerresidenz des Papstes in Castel Gandolfo und all den Gebäuden präsent sein, die als exterritorial gelten. „Bei soviel Besuchern darf es daher niemand wundern, dass wir als der Staat mit der höchsten Verbrechensrate der Erde gelten", gibt die Gendarmerie zu bedenken, wobei natürlich angemerkt werden muss, dass sich diese aus dem Verhältnis der Straftaten – fast ausschließlich der Raub von Handtaschen und Geldbörsen – zur Einwohnerzahl des Landes ergibt.
Wer die Vatikanstadt beim Sant’Anna-Tor betritt, kann sich, nachdem er eine Erstkontrolle durch die Päpstliche Schweizergarde erfahren hat, von den Arbeitsanforderungen an die polizeiliche Ordnungsmacht des Kirchenstaates überzeugen. Hier regeln Gendarmen den Autoverkehr, wobei sie ihr Auge nicht nur auf die Einhaltung der Strassenverkehrsordnung zu werfen haben, sondern auch die Ausweise der Fahrer gewissenhaft kontrollieren müssen. Auch ihren Kollegen, die sich den Fußgängern zu widmen haben, ergeht es arbeitsmäßig nicht besser. Immer wieder müssen sie die Besucher auffordern, ihre Zugangsberechtigung vorzuweisen, und den, der keine besitzt, in das nahegelegene Passierscheinbüro lotsen. Der Postenkommandant im Wachthäuschen hat ein Multitasking-Talent zu sein; er nimmt ununterbrochen Telefonanrufe entgegen, lauscht den Durchsagen des Sprechfunks, läßt die Kontrollmonitore der Videoüberwachung nicht aus dem Blick – und findet dennoch ein freundliches Wort für den, der sich hilfesuchend an ihn wendet.
Die Überwachung der Vatikanstadt wird von der „Sala operativa" aus, die sich beim St. Anna-Tor in der Kaserne der Gendarmerie befindet, koordiniert. Auf über fünfzig Monitoren können die Beamten in fast jeden Winkel des Kirchenstaates blicken. An die fünfhundert Videokameras erfassen alle Personen, die den Vatikanstaat betreten oder verlassen. Die Anlage ist fähig, Verdächtige in Echtzeit zu scannen und mit Fotografien in Datenbanken abzugleichen. Aber das Kontrollzentrum dient nicht nur der polizeilichen Überwachung des Vatikans, sondern soll auch Notsituationen erkennen. So verhinderte es, dass sich ein Lebensmüder von der Kuppel des Petersdoms in die Tiefe hinabstürzte. In den heißen Sommermonaten kommt es auf der Wendeltreppe, die zur Kuppel hinaufführt, bei Besuchern oft zu Schwächeanfällen. Die zahlreichen Kameras lassen dann den Betreffenden schnelle Hilfe zukommen.
Mit der pittoresken Tracht und der eindruckvollen mittelalterlichen Bewaffnung der Schweizergarde kann die Gendarmerie nicht mithalten. Doch auch ihre Uniform beeindruckt die Besucher des Kirchenstaates. Die Ordnungshüter der Vatikanstadt tragen eine dunkelblaue Uniform, dazu eine Schirmmütze/Kepì gleicher Farbe, auf der das päpstliche Emblem und die Farben des Vatikanstaates angebracht sind; Als Waffe verfügen sie über eine Pistole, eine „Beretta automatica" vom Kaliber 7,65. Ein junger Mann, der in das Gendarmeriekorps des Vatikanstaates eintreten möchte, muss männlich sein, sich zwischen dem 21. und 25. Lebensjahr befinden und von gesunder und robuster Konstitution sein; seine Körpergröße darf 178 cm nicht unterschreiten. Er hat ledig zu sein, muss das Diplom eine Scuola media superiore oder einen gleichwertigen Abschluss vorweisen, den katholischen Glauben praktizieren und das Empfehlungsschreiben eines Priesters vorlegen.
Gelebtes Christentum und Engagement im Glauben sind für einen Kandidaten, der sich dann einer zweijährigen Probezeit unterzieht, unabdingbare Voraussetzungen. Für den stellvertretenden Gendarmeriechef Davide Giulietti steht fest: „Wenn du hier arbeitest und nicht ein Minimum an Glauben hast, für wen arbeitest du dann? Wenn du im Dienste des Papstes stehst, glaubst du an seine Person. Wer daran nicht glaubt, hat meines Erachtens den falschen Job". Wie bei kaum einer anderen Polizeitruppe sind die Vorgesetzten dabei ihren Untergebenen Vorbild. Der Kommandant der Gendarmerie, sein Stellvertreter und der Führungsstab sind sich nicht zu schade, gemeinsam mit den Offizieren der Schweizergarde bei den Generalaudienzen auf dem Petersplatz und den öffentlichen Auftritten des Papstes neben dem päpstlichen Wagen zu gehen oder zu laufen.
Die Päpste wissen, dass ihr Schutz und der des Vatikans bei der Gendarmerie in guten Händen liegt. Das große Vertrauen des regierenden Pontifex in seine weltlichen Schutzengel zeigt sich darin, dass sich Papst Franziskus seit Beginn des Pontifikates für seine Fahrten aus der Vatikanstadt der Autos der Gendarmerie bedient. Und schon der Vorgänger des Heiligen Vaters, Benedikt XVI, selbst Sohn eines Gendarmen, hatte den Ordnungshütern für das gedankt, „was ihr zusammen mit der Schweizergarde jeden Tag voll Hochherzigkeit und Treue tut, um dem Papst und seinen Mitarbeitern zu dienen, um Frieden und Ordnung in der Vatikanstadt zu gewährleisten und die Pilger zu empfangen, die die Gräber der Apostel besuchen oder dem Nachfolger Petri begegnen wollen … Ihr leistet eine schwierige und höchst notwendige Arbeit, die Hingabe, Umsicht und große Hilfsbereitschaft erfordert". (rv)
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