In einer Woche besucht Papst Franziskus Turin – und dabei wird er nicht nur vor dem ‚Grabtuch Jesu‘ beten, sondern auch die Turiner Waldenserkirche betreten. Ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Schritt für einen Papst: Stefan Kempis sprach darüber mit Kurienkardinal Kurt Koch, dem Präsidenten des Päpstlichen Einheitsrates.
Kardinal Koch: „Ich glaube zunächst einmal wirklich, dass es eine Premiere ist: dass zum ersten Mal in der Geschichte eine Begegnung zwischen den Waldensern und dem höchsten Repräsentanten der katholischen Kirche, dem Papst, stattfindet. Das finde ich großartig und hoffe, dass daraus auch neue Impulse entstehen für den ökumenischen Dialog … und dass hier auch ein Zeichen des Vergebens und der Bitte um Vergebung geschieht für das, was in der Geschichte geschehen ist.“
Im Mittelalter wurden die Waldenser noch von der katholischen Kirche verfolgt – gab es nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neue Ansätze und theologische Gespräche mit den Waldensern? Und an welchem Punkt sind sie?
Kardinal Koch: „Es gibt Gespräche, aber ich denke, sie müssen noch ziemlich intensiviert werden. Ich hoffe, dass diese Begegnung mit dem Papst ein neuer Impuls sein kann, diese Fragen intensiv anzugehen, zumal es ja gerade hier in Rom eine Theologische Fakultät der Waldenser gibt. Da ist es wirklich angezeigt, dass wir den Dialog vertiefen.“
Heißt das, die Gespräche mit den Waldensern sind noch ganz am Anfang?
Kardinal Koch: „Ich würde nicht sagen, am Anfang, sondern: am Laufen.“
Und was sind die schwierigen, die Brennpunkte bei diesen Gesprächen? Geht es den Waldensern vielleicht vor allem um die historische Perspektive?
„Zunächst die historischen Fragen gründlich anschauen“
Kardinal Koch: „Ich glaube, in den ökumenischen Dialogen ist es immer wichtig, zunächst einmal mit den historischen Fragen zu beginnen, weil viele theologische Probleme und Fragen nur aus der Geschichte her zu verstehen sind. Teilweise sind das Überspitzungen in der Geschichte, die dann noch weiter zugespitzt worden sind, weil man sich entfremdet hat, weil man nicht mehr zusammengelebt hat. Deshalb, meine ich, ist es immer wichtig, zunächst die historischen Fragen gründlich anzuschauen.“
Die heilige Hildegard von Bingen hat noch von der Kanzel herab gegen die Waldenser gepredigt…
Kardinal Koch: „Ja – die Heiligen leben auch in ihrer Zeit und sind Kinder ihrer Zeit, sie haben in diese Zeit hinein gelebt. Wir dürfen sie nicht mit unseren Maßstäben von heute her beurteilen, sondern müssen sie aus der Zeit heraus verstehen.“
Ist ein Mea Culpa des Papstes im Namen der Kirche in Turin geplant, mit Blick auf die Waldenser?
„Mea Culpa würde dem Papst entsprechen“
Kardinal Koch: „Ich will nicht in die Freiheit des Heiligen Vaters eingreifen, was er tun wird – aber ich bin überzeugt, dass eine solche Bitte seinem Geist und seinem Herzen voll und ganz entsprechen würde.“
Erleben wir unter diesem Papst eine Ausweitung des ökumenischen Dialogs? Auch die Freikirchen sind ja ganz neu in den Blick gekommen.
Kardinal Koch: „Ja. Aber das entspricht natürlich auch der Realität heute, denn die größte Entwicklung, die wir in der heutigen ökumenischen Landschaft haben, ist das rasante Anwachsen evangelikaler, pentecostalischer Bewegungen. Sie sind heute rein zahlenmäßig die zweitgrößte Realität nach der römisch-katholischen Kirche. Man muss von einer Pentecostalisierung des Christentums reden. Und diese Herausforderung müssen wir wahrnehmen! Ich denke auch: In diesen Bewegungen liegen viele Vorurteile gegen die römisch-katholische Kirche, vor allem gegen das Papsttum, vor; und wenn der Papst nun Repräsentanten dieser Bewegungen einlädt zu einem persönlichen Kontakt, kann das viele Vorurteile überwinden und die Türen für neue Dialoge öffnen. Dafür bin ich sehr dankbar.“
Kommt die katholische Kirche bei solchen Dialogen schneller weiter als im Uralt-Dialog mit den Lutheranern, die jetzt auch mit Blick auf das Lutherjubiläum ihr Luthertum wieder neu entdecken?
Kardinal Koch: „Das wage ich nicht zu sagen, denn die Dialoge sind hier (mit Blick auf die Waldenser und die Freikirchen, Anm.d.Red.) wirklich am Anfang, und die Traktandenliste ist völlig anders als mit den historischen Kirchen der Reformation. Deshalb ist es heute schon schwierig, einen Vergleich zu ziehen; das möchte ich noch nicht tun.“ (rv)
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