Ein historischer Moment in der Geschichte der Päpste: Als erster Papst sprach Franziskus, nach einem privaten Treffen mit dem Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner, an diesem Donnerstagnachmittag (deutscher Zeit) vor dem US-Kongress. In einer langen englischsprachigen Rede wandte er sich an die vielen Abgeordneten und sprach von der Flüchtlingskrise, der Todesstrafe, dem Dialog mit Kuba und Iran bis hin zum Fundamentalismus. Vier Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte können in ihrer Vorbildfunktion die Lösung einiger Krisen sein: Abraham Lincoln, Martin Luther King, Dorothy Day und Thomas Merton.
Zu allererst wandte er sich an die Abgeordneten als „Repräsentanten“ des amerikanischen Volkes. An die „Söhne und Töchter“ dieses großen Kontinents, denn auch er sei ein Sohn dieses großen Kontinents. Die Arbeit der Politiker im Kongress verglich er mit der Gestalt von Mose, der einerseits Gesetzgeber des Volkes Israel war und andererseits die Gestalt sei, die direkt zu Gott führe und damit zur „transzendenten Würde des Menschen.“ Franziskus verwies auf die kulturellen Reserven des Landes – die als Vorbilder für eine Kultur dienen können: Persönlichkeiten, die auf unterschiedliche Art und Weise die Kultur und Geisteshaltung prägten und die auch jetzt an Aktualität aufweisen würden.
„Eine Nation kann als bedeutend angesehen werden, wenn sie wie Abraham Lincoln die Freiheit verteidigt; wenn sie eine Kultur pflegt, welche die Menschen befähigt, vom vollen Recht für alle ihre Brüder und Schwestern zu „träumen“, wie Martin Luther King es ersehnte; wenn sie so nach Gerechtigkeit strebt und sich um die Sache der Unterdrückten bemüht, wie Dorothy Day es tat in ihrer unermüdlichen Arbeit, der Frucht eines Glaubens, der zum Dialog wird und Frieden sät im kontemplativen Stil Thomas Mertons.“
Abraham Lincoln und die Wege der Freiheit
Franziskus sprach zuerst über Präsident Abraham Lincoln; nannte ihn „den Hüter der Freiheit“, der sich unermüdlich dafür einsetzte, dass die „Nation der Freiheit“ geboren werde. Dieses Jahr feiere man den hundertfünfzigsten Jahrestag seiner Ermordung . Der Weg zu einer Zukunft der Freiheit, sei ein Weg der Zusammenarbeit und der Solidarität. Heute sei die Welt geprägt von Hass, Gewalt, Terror – oft auch im Namen „von Gott, einer Ideologie oder eines Wirtschaftssystems“ ausgeübt.
Das Problem sei jedoch die Polarisierung und die Schwarz-Weiß-Malerei. Gewalt sei keine passende Antwort: „Wir wissen, dass wir in dem Bestreben, uns von dem äußeren Feind zu befreien, in die Versuchung geraten können, den inneren Feind zu nähren. Den Hass von Tyrannen und Mördern nachzuahmen ist der beste Weg, um ihren Platz einzunehmen. Das ist etwas, das Sie als Volk zurückweisen.“
Die passende Antwort sei, die der „Hoffnung, Heilung, des Friedens und der Gerechtigkeit.“ Nur mit Intelligenz und Mut und mit dem richtigen Sinn für das Gemeinwohl, sei es möglich eine Lösung zu finden. „Wenn die Politik wirklich im Dienst des Menschen stehen soll, folgt daraus, dass sie nicht Sklave von Wirtschaft und Finanzwesen sein kann. Die Politik ist hingegen ein Ausdruck unserer dringenden Notwendigkeit, in Einheit zusammenzuleben, um gemeinsam das bestmögliche Gemeinwohl zu schaffen: das einer Gemeinschaft, die Einzelinteressen zurückstellt, um in Gerechtigkeit und Frieden ihre Güter, ihre Interessen und ihr gesellschaftliches Leben zu teilen.“
Martin Luther King und das Gehör des Glaubens
Viele verschiedene Religionsgemeinschaften sind in der USA beheimatet. Sie haben Amerika zu dem gemacht, was es heute sei. So beschreibt Franziskus die Rolle der Religionen im „Land der Freiheit“. Daher müsse auch in Zukunft dem Glauben Gehör geschenkt werden, denn dieser versuche das Beste jedes Menschen und jeder Gesellschaft hervorzubringen. Hier erwähnte der Papst den US-amerikanischen Baptistenpastor und Bürgerrechtler Martin Luther King, der für seinen Traum der vollen bürgerlichen und politischen Rechten für Afro-Amerikaner verwirklichte. „Ein Traum, der immer noch in unseren Herzen nachklingt. Ich freue mich, dass Amerika weiterhin für viele ein Land der „Träume“ ist. Träume, die zum Handeln führen, zur Beteiligung, zum Engagement. Träume, die das Tiefste und Wahrste im Leben eines Volkes erwecken.“
Das „Land der Träume“ habe viele Menschen in den letzten Jahrhunderten angelockt, auch sie wollen ihren Traum leben. Papst Franziskus spricht von der derzeitigen Flüchtlingskrise. Er betonte, dass Fremdenhass nur ein Hass gegen sich selbst sei, denn die meisten Bürger der Vereinigten Staaten stammten selbst von Einwanderern ab. Hier spricht er konkret auch die Mitglieder des Repräsentantenhauses an. Genau aus diesem Grund müsse die USA die Rechte der Flüchtlinge wahren, betonte Franziskus. Er spricht nicht nur von der europäischen Flüchtlingssituation, sondern geht auch auf die Lage an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten ein.
„Unsere Welt steht vor einer Flüchtlingskrise, die ein seit dem Zweiten Weltkrieg unerreichtes Ausmaß angenommen hat. Das stellt uns vor große Herausforderungen und schwere Entscheidungen. Auch in diesem Kontinent ziehen Tausende von Menschen nordwärts auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Lieben, auf der Suche nach größeren Möglichkeiten. Ist es nicht das, was wir für unsere eigenen Kinder wünschen?“
Die goldene Regel: „Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen“ (Mt 7,12) sei gültig nicht nur auf Bezug der flüchtenden Menschen, sondern auf alles und jeden und betreffe unserer Verantwortung für „jedes Leben in jedem Stadium“. Mit dieser Überleitung betonte der Papst auch sein Engagement und seinen Wunsch nach der weltweiten Abschaffung der Todesstrafe.
Dorothy Day und der Kampf gegen Armut und Hunger
Dorothy Day, eine US-amerikanische Sozialaktivistin und Journalistin, welche die katholische Sozialbewegung Catholic Worker Movement gegründet hatte, sei für den Papst ein wichtiges Symbol für das soziale Engagement im Dienste der Unterdrückten. Auch heute, in Zeiten der Krise, sollten sich Politiker und Amerikaner dieser Initiative annehmen und gegen Armut und Hunger der Welt kämpfen. „Es versteht sich von selbst, dass ein Teil dieser großen Bemühung darin besteht, Wohlstand zu schaffen und zu verteilen. Die rechte Nutzung der natürlichen Ressourcen, die angemessene Anwendung der Technologie und der Einsatz des Unternehmergeistes sind wesentliche Elemente einer Wirtschaft, die bestrebt ist, modern, solidarisch und nachhaltig zu sein.“
In seinem päpstlichen Schreiben „Laudato Si“, ginge der Papst genau auf diese Themen ein – auf eine „Kultur der Achtsamkeit“, die darauf pocht die Ressourcen mit Behutsamkeit zu nutzen, die Umwelt zu schützen und die Armut zu bekämpfen. Nachhaltigkeit sei also das oberste Ziel. Er sei überzeugt, dass Amerikas hervorragende Wirtschaft- und Forschungsinstitute in den kommenden Jahren einen entscheidenden Beitrag liefern können.
Thomas Merton und die Pflicht zum Dialog
Ein weiteres Beispiel als amerikanische Leitfigur nannte der Papst den Zisterziensermönch Thomas Merton. Er sei eine „bleibende Quelle spiritueller Inspiration und eine Leitfigur für viele Menschen. Er sei ein „Mann des Dialogs, ein Förderer des Friedens zwischen Völkern und Religionen“ gewesen. Auch der Papst sehe sich in dieser Funktion, betonte er und daher sei auch sein Engagement im Bereich des Dialogs in den letzten Monate so groß gewesen. Ohne es wörtlich zu nennen, ging er hier auf sein Engagement und die Annäherung von Kuba und USA ein. Denn es gehe um die „Überwindung historischer Unstimmigkeiten beizutragen, die mit schmerzlichen Geschehnissen aus der Vergangenheit verbunden waren“. Hier deutet er auch die Verhandlungen mit dem Iran an.
„Es ist meine Pflicht, Brücken zu bauen und allen Menschen zu helfen, auf jede mögliche Weise dasselbe zu tun. Wenn Länder, die miteinander im Konflikt standen, den Weg des Dialogs einschlagen – eines Dialogs, der aus sehr legitimen Gründen unterbrochen sein mag –, öffnen sich neue Möglichkeiten für alle.“ Schließlich betonte Papst auch noch dass der Waffenhandel enden müsse. Das Geld, das aus diesem Business komme sei in „unschuldiges Blut“ getränkt und er wiederholte die Wichtigkeit der vier Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte.
Als letzten Punkt erwähnte der Papst seinen Besuch in Philadelphia, wo er den Weltfamilientag besuchen wird und die Bedeutung der Familie, bevor er die berühmten Worte sprach: „God bless America.“ Im Anschluss an seine Rede trat er auf den Balkon des Kapitols und grüßte die tausenden Zuschauer, die die die Rede von draußen verfolgt hatten.
Spontane Segnung des amerikanischen Volkes
Nach dem historischen Ereignis sprach der Papst noch, vom Balkon des US-Kongress aus, zu den zahlreichen Menschen, die sich am Kapitol versammelt hatten. In seiner Muttersprache segnete er alle Menschen von Amerika – vor allem die Kinder und die Familien. Er bat die vielen Menschen darum für ihn zu beten und die jenige, die nicht glauben oder für ihn beten können, sollen „Glückwünsche" an ihn richten.
Gleich darauf traf Papst Franziskus mit Obdachlosen im Caritas-Zentrum der Pfarrei St. Patrick zusammen, bevor er von Washington aus weiter nach New York reiste. Dort konzelebriert er eine Vesper mit dem Klerus in der St. Patricks Kathedarale. (rv)
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