Kurienkardinal George Pell sieht in der freien Marktwirtschaft mehr Licht als Schatten. „Ein besseres Modell ist derzeit nicht vorhanden“, sagte der Australier, der im Auftrag von Papst Franziskus das vatikanische Wirtschaftssekretariat leitet. Marktwirtschaft werde überdauern, sie habe die Fähigkeit, nach Depressionen wie der jüngsten Weltfinanzkrise wieder auf die Beine zu kommen, und sie habe nicht zu der von Karl Marx vorhergesagten „massiven Entfremdung“ geführt. Es gebe vielleicht „zu viel Zucker in unserer Gesellschaft, wie etwa Konsumismus, aber wir werden wenigstens nicht von Salzwüsten vergiftet“, sagte Pell bei einer Konferenz der australischen „Global Foundation“ in Rom am vergangenen Sonntag.
Marktwirtschaft habe eine „noch nie dagewesene Blüte“ gebracht und stelle „trotz vieler Fehler und Mängel eine außerordentliche menschliche Errungenschaft“ dar, so der Kardinal. Er zitiere immer gerne die britische Premierministerin Margaret Thatcher mit der Aussage, der Barmherzige Samariter hätte ohne finanzielle Mittel nicht für die Pflege des geschlagenen und ausgeraubten Mannes aufkommen können. Im Übrigen realisierten etwa auch Migranten und Flüchtlinge, dass demokratische Gesellschaften mit freier Wirtschaft für sie und ihre Kinder bessere Aussichten böten.
Allerdings seien in der westlichen Welt „neue und tiefer werdende Ungleichheiten“ zu verzeichnen, räumte Pell ein. So verdiene heute ein Vorstandsmitglied in einem US-amerikanischen Konzern 231 Mal mehr als ein Arbeiter, bei den Banken sogar 500 Mal mehr. Während die Unterscheidung zwischen „verdienten“ und „unverdienten“ Armen heute nicht mehr gemacht werde, „könnte es hilfreich sein, zwischen verdienten und unverdienten Reichen zu unterscheiden“, schlug der Kardinal vor. Dennoch: „Wenn wir die Weltwirtschaft wirklich nachhaltig ankurbeln wollen, dann wird Business und nicht Regulierung eine führende Rolle spielen müssen.“
Pell ließ in der Vergangenheit mitunter mit Stellungnahmen aufhorchen, die in merklichem Gegensatz zu Positionen von Papst Franziskus stehen. Bei der Konferenz sagte der Kardinal, das Engagement des Papstes für soziale Gerechtigkeit und seine Verurteilung von Ausbeutung und Konsumismus sei weithin bekannt, viel weniger werde aber wahrgenommen, was Franziskus zustimmend zur Rolle von Wirtschaft gesagt und geschrieben habe; Pell nannte die Papstrede vor dem US-amerikanischen Kongress.
Die römische Konferenz der „Global Foundation“ mit dem Titel „Die Globalisierung der Gleichgültigkeit zurückweisen – für eine inklusivere und nachhaltigere Weltwirtschaft“ war hochrangig besetzt. Als weiterer Gastredner aus dem Vatikan war Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin eingeladen. Auch die Direktorin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde nahm teil. Die französische Finanzpolitikerin wurde am Montag von Papst Franziskus in Audienz empfangen. (rv)
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