Ein grauenhafter neuer Rekord wurde im vergangenen Jahr aufgestellt. Amnesty International verzeichnet einen drastischen Anstieg von Hinrichtungen weltweit. Mindestens 1.634 Hinrichtungen wurden 2015 weltweit durchgeführt, wie aus der am Mittwoch vorgelegten Statistik der Menschenrechtsorganisation hervorgeht. Pia Dyckmans sprach mit dem Amnesty-Experten Oliver Hendrich über die jüngsten Entwicklungen.
Oliver Hendrich: „Für das vergangene Jahr hat Amnesty International mehr als 1.600 Hinrichtungen registriert – mindestens. Das ist die höchste Zahl an Hinrichtungen, die die Organisation unter Auslassung von China seit 1989 registriert hat. Allerdings sind für einen Großteil dieser Hinrichtungen drei Staaten verantwortlich: Pakistan, Iran und Saudi Arabien.“
Radio Vatikan: Etwa 90 Prozent der 2015 registrierten Hinrichtungen sind der Amnesty-Statistik zufolge auf die Staaten Iran (mindestens 977), Pakistan (mindestens 320) und Saudi-Arabien (mindestens 158) zurückzuführen, die hauptverantwortlich für den globalen Anstieg seien. Saudi Arabien ist ein wichtiger Handelspartner von Deutschland, das Auswärtige Amt spricht von einem „freundschaftlichen und spannungsfreien“ Verhältnis. Das passt doch irgendwie nicht zusammen.
Hendrich: „Das sollte auch für die Bundesregierung eine deutliche Mahnung sein, hier stärker auf die Menschenrechte zu achten und auch in den Außenbeziehungen mit wichtigen Wirtschafts- und Handlungspartnern solche Themen trotzdem anzusprechen. Hier würden wir uns wünschen, dass bei diesen Ländern diese Aspekte stärker berücksichtigt werden. Wir haben auch bei der Aufhebung der Sanktionen gegen Iran gesehen, dass es immer wieder Situationen und Entscheidungen gibt, wo auf der einen Seite gesagt wird, Menschenrechte sind uns wichtig, aber wenn es dann um wirtschaftliche Interessen geht, man dann doch eine Abwägung zu Gunsten der Wirtschaftsinteressen macht. Das ist eine Entwicklung, die nicht gut ist.“
RV: Die Zahlen von Hinrichtungen in China sind offiziell nicht bekannt, sie gelten als Staatsgeheimnis, dennoch schätzen Sie die als enorm hoch ein – Sie vermuten, dass China wieder mehr Menschen hinrichten ließ als der gesamte Rest der Welt zusammen. Wie kommen Sie auf die Zahlen?
Hendrich: „Amnesty International hat sich vor einigen Jahren dazu entschieden, keine Todesstrafenzahlen mehr für die Volksrepublik China zu veröffentlichen, weil wir davon ausgehen, dass die von uns ermittelte Mindestzahl sehr stark von der tatsächlichen Zahl abweicht. Amnesty beobachtet China natürlich weiterhin, aber die Todesstrafe wird dort als Staatsgeheimnis geführt, das heißt, es ist sehr schwer für Amnesty, aber auch für die Chinesen im Land, sich über die Todesstrafe zu informieren. Sodass es für uns sehr schwer ist, Schritte einschätzen zu können, die China unternommen hat. Deshalb fordert Amnesty International von China hier mehr Transparenz als erster wichtiger Schritt auf dem Weg zur Abschaffung.“
RV: Bei all den schrecklichen Zahlen schreiben sie aber auch von einer entgegengesetzten Entwicklung, Was sind denn positiven Meldungen ihres Berichts?
Hendrich: „Was wir sehen – und das ist glücklicherweise ein Trend, der seit Jahrzehnten anhält – dass immer mehr Staaten sich von der Todesstrafe verabschieden. Inzwischen wendet eine Mehrheit der Staaten diese Strafe nicht mehr an und inzwischen gibt es eine Mehrheit von Staaten, die die Todesstrafe aus ihren Strafgesetzbüchern gestrichen haben. Diese Gruppe wächst von Jahr zu Jahr. Im letzten Jahr haben vier Staaten diesen Schritt vollzogen: Fidschi, Madagaskar, Suriname und die Republik Kongo. Das führt natürlich zu Druck auf die Staaten, die die Todesstrafe weiter anwenden. Das ist ein stark motivierendes Signal an diese Staaten, diesen Schritt nun auch zu gehen.“
RV: Das klingt nach einem langfristige Trend in die Richtung einer Welt ohne Todesstrafen. Ist das nicht ein Widerspruch, wenn zwar einige wenige Länder nur noch die Todesstrafe verhängen, dafür diese es umso mehr umsetzen?
Hendrich: „Natürlich gibt es innerhalb der Gruppe, der Staaten mit Todesstrafe, einen wirklichen harten Kern von Staaten, die jedes Jahr bei der Statistik von Amnesty International auf den ersten Rängen landen. Diese Staaten sind diejenigen, die den Großteil des Problems ausmachen. Würden diese Staaten auch nur erste Schritte gehen auf dem Weg Abschaffung der Todesstrafe – das ist oftmals ein langer Prozess über verschiedene Stufen – wäre das Problem Todesstrafe insgesamt schon um eine ganze Größenordnung kleiner. Ich denke aber trotzdem, dass wir mit der ganz klaren Richtung in weltweiter Abschaffung auf einem guten Weg sind. Diese Gruppe von Staaten ist zunehmend isoliert und das übt schon Druck auf sie aus, auch Schritte in diese Richtung zu gehen.“ (rv)
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