„Nach der Liebe, die uns mit Gott vereint, ist die eheliche Liebe die größte Freundschaft“ (AL 123): Der lange erwartete Text ist veröffentlicht, mit Amoris Laetitia legt der Papst seine eigenen Gedanken zum Thema Familie vor. Und alle wollen jetzt nur das eine wissen: wie verhält es sich nun mit Wiederverheirateten Geschiedenen und der Kommunion? Pater Bernd Hagenkord hat genau nachgesehen.
Die Versuchung ist groß, den gesamten Text oder auch nur Kapitel acht nach Hinweisen durchzulesen, wie es sich denn nun mit der so dominanten Frage während des synodalen Prozessen verhält, aber schon der Autor warnt ausdrücklich davor: „Darum empfehle ich nicht, es hastig ganz durchzulesen“ (AL 6), vermutlich um genau das zu vermeiden, nämlich die Suche nach dem Eigenen im Fremden.
Trotzdem ist das eine Frage, um die die öffentliche und innerkirchliche Debatte nicht herum kommt. Wenden wir uns dieser Frage also in einem eigenen Abschnitt zu, um uns dann hoffentlich auch auf dem ganzen Text angemessen zuwenden zu können.
Keine Entscheidung
Vorweg: der Papst trifft keine Entscheidung. Wer vermutet, verlangt oder erwartet hatte, dass dieses Problem nun final und römisch gelöst werde, der wird nicht fündig werden.
Heißt das also, dass nach zwei Jahren Debatte der synodale Prozess als Tiger gesprungen und als Vorleger gelandet ist? Ganz und gar nicht. Mit den Anregungen von Kardinal Walter Kasper, der das Thema ja mit Einwilligung des Papstes in die Debatte eingebracht hatte, war das Thema auf dem Schirm. Das heißt aber nicht, dass sich die nun vorgelegten Gedanken nach zwei Jahren exakt auf dieses Thema beziehen lassen oder sogar eine definitive Antwort darauf geben.
Trotzdem kann man beim Papst ein Vorgehen lernen, das uns in dieser Frage weiter bringt.
Erstens: man muss Urteile vermeiden, die Einzelsituationen nicht berücksichtigen. So steigt der Papst ein. Also: die Realität ist zu komplex, als das man sie über einen Kamm scheren kann. Oder direkt zitiert „Wir wissen, dass es keine Patentrezepte gibt.“
Es gibt weder von der Synode noch von ihm neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelungen. Und zwar, weil es die gar nicht geben kann.
Im Gewissen allein mit Gott
Zweitens: eine Norm kann in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Ergebnisse haben. Wir dürfen uns also von der einen Lehre nicht nur ein Ergebnis im Leben erwarten, die Ergebnisse sind so unterschiedlich, wie es die Leben auch sind.
Das Gewissen, also die Mitte und das Heiligtum des Menschen, wo er alleine ist mit Gott, wie der Papst sagt, ist der Ort für die Unterscheidung. Ein gebildetes Gewissen, also eines um das man sich gekümmert hat und das nicht nur Wunsch und Wille ist. Dieses Gewissen ist kein Erfüllungsgehilfe. Wenn wir also das eben Gesagte anwenden bedeutet das, dass nicht schon vorher klar ist, was bei einer solchen Unterscheidung heraus kommen muss. Das Gewissen ist keine Entscheidungsmaschine. „Die Situation ist kirchlich gesehen so, also kann das Gewissen gar nicht anders als ….“ Dieser Schluss gilt nicht.
Der Papst geht noch einen Schritt weiter: Wir können im Gewissen auch erkennen, dass eine Antwort vorerst die einzige ist, die wir in einer bestimmten Situation geben können, auch wenn diese Antwort nicht dem Ideal entspricht. Soll heißen: Auch wenn die Aussagen Jesu klar und deutlich sind und bleiben, gibt es eine graduelle Verwirklichung. Es gibt Lebenssituationen, in denen es nicht die perfekte, saubere, lehrmäßig eindeutige Lösung geben kann oder mag.
Noch einmal: es ist „kleinlich“, wie der Papst sagt, das Handeln nur an der Norm zu messen.
Nicht das Leben an der Norm messen
Drittens: Was der Papst nicht macht, ist einen Weg anzubieten. Das ist ja mit dem Vorschlag von Kardinal Walter Kasper im Vorfeld, eigentlich seit Beginn des synodalen Weges debattiert worden. Das findet sich hier nicht. Das „Wie“ der Unterscheidung bleibt offen. Der Papst stellt nur die Grundsätze fest, nach denen so eine Unterscheidung laufen soll. Was heißt „nur“, er verlangt den Blick auf die Einzelsituationen, auf das konkrete menschliche Leben. Auf der anderen Seite spricht er lange vorher schon und über weite Strecken – und auch nachher zum Abschluss – über das, was Jesus uns für unsere Leben aufgetragen und versprochen hat. Die Unterscheidung, auch wenn sie nicht beim Ideal ankommt, verdunkelt dieses nicht.
Und wie immer bei Papst Franziskus: mit Leben füllen muss das nun jeder Christ und jede Christin, jede einzelne Gemeinde. Franziskus wäre nicht Franziskus, wenn es anders wäre.
Wer nun die wichtigsten Stellen selber nachlesen möchte, dem empfehle ich die beiden Abschnitte ‚Die Normen und die Unterscheidung‘ und ‚Die Logik der pastoralen Barmherzigkeit‘ (AL 304-312). (rv)
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