An diesem Montag, 25. April, ist in Italien „Tag der Befreiung“, die Italiener erinnern an den Abzug der Nationalsozialisten 1945. Dabei war das Jahr zuvor, 1944, noch das vielleicht blutigste Jahr des Krieges in Italien, mit tausenden zivilen Opfern insbesondere in der Toskana und Emilia Romagna. Beteiligt waren nicht nur Nationalsozialisten, sondern auch viele italienische Faschisten. Ein italienisches Forschungsprojekt hat nun – gut 70 Jahre später – eine Internet-Datenbank, den sogenannten Atlas der Gewalt der nazistischen und faschistischen Massaker erstellt. Das Projekt wurde auch vom deutschen Staat mitfinanziert. Radio Vatikan sprach bei der Vorstellung des Projekts im italienischen Außenministerium über den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ergebnisse und die Schlüsse, die daraus gezogen werden können, mit dem Leiter des Forschungsprojektes sowie mit der deutschen Botschafterin in Italien, Susanne Wasum-Rainer.
In der Datenbank „Atlas der Gewalt“ sind alle Massaker und einzelnen Tötungen von Zivilisten und Partisanen erfasst, die von deutschen Militärs und von Einheiten der Repubblica Sociale Italiana, also den Faschisten, nach dem 8. September 1943 begangen wurden. Fazit: Es kamen in den Jahren 1943 bis 1945 rund 23.000 unbewaffnete Zivilisten ums Leben, darunter auch über 2.000 Kleriker. Besonders eindrücklich wird das Ausmaß der Gewalt, wenn man die roten Markierungen auf der dazugehörigen Italienkarte ansieht, die dicht gestreut sind. In einem genauen Suchfilter kann man einzelne Städte und Dörfer eingeben, die Typologie der Opfer, Geschlecht, Alter, Jahreszahl. Hinzu kommen die Begleitmaterialien, Dokumente, Illustrationen, Videos.
„Wir sind sehr glücklich über dieses Projekt, was aus unserer Sicht eine extreme Bedeutung hat, auch um das einzelne Opfer zu ehren“, so die deutsche Botschafterin Susanne Wasum-Rainer. „Die Erinnerung an das einzelne Opfer hochzuhalten. Aber natürlich um diese vielen Ereignisse so klar herauszuarbeiten, wie nur irgendwie möglich“. Das Projekt wurde von der Italienischen und der deutschen Regierung gefördert. Beide Länder haben 2009 eine deutsch-italienische Historikerkommission eingesetzt, um eine kritische Analyse der Geschichte und der gemeinsamen Weltkriegsvergangenheit zu erarbeiten, um damit einen Beitrag zur Entstehung einer neuen Erinnerungskultur zu leisten.
Diese Erinnerung war in Italien bislang eher einseitig, weiß der Leiter des Forschungsprojekts „Atlas der Gewalt“, Paolo Pezzino von der Universität Pisa. „Die Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg in Italien war vorwiegend bezogen auf die bewaffneten Partisanen, also auf die Kämpfer. Dann bekamen die Opfer mehr Aufmerksamkeit. In diesem wissenschaftlichen Projekt haben wir die Opfer und ihre Todesumstände genauer untersucht, wenn möglich versucht, ihre Namen herauszufinden, aber auch eine Untersuchung der verschiedenen Arten der Hinrichtungen und der Täter.“
Auch Italien muss Verantwortung übernehmen
Eigentlich sollte das Projekt Atlas der nazifaschistischen Massaker heißen, doch die erstaunlich hohe Zahl der Opfer sowie die hohe Eigenverantwortung faschistischer Täter bei Massakern führte dazu, dass er umbenannt wurde. Nun ist es der Atlas der Gewalt von Nationalsozialisten und Faschisten. „Auch wir Italiener müssen einen Teil der Verantwortung übernehmen für das, was passiert ist. Bis jetzt waren die Deutschen da immer im Vordergrund. Sicher sind die Nationalsozialisten die Haupttäter in der Gewalt gegen Zivilisten gewesen. Aber die Rolle der Italiener war nicht einfach nur die der Kollaborateure, sondern sie waren manches Mal auch Hauptverantwortliche. Es war auch ein Bürgerkrieg unter Italienern, der viele Tote gefordert hat.“
Auch viele Priester und Ordensleute wurden dabei getötet, über 2.000. Viele leisteten Widerstand, indem sie mit Partisanen zusammenarbeiteten oder in ihren Gemeinden blieben, wenn die Gewalt der Nationalsozialisten und Faschisten um sich schlug. Nicht selten wehte dabei ein stark antichristlicher Geist: „Ein kleiner Teil der Priester hat im Widerstand gearbeitet, sie haben mit den Partisanen zusammengearbeitet, aber viele wurden vor allem deshalb getötet, weil sie in den Gemeinschaften blieben, als die Massaker stattfanden. Auch als Form von Pastoral. In der Toskana, die besonders stark von Massakern betroffen war in dieser Zeit, gab es von der toskanischen Bischofskonferenz die Anordnung, am Ort zu bleiben und nicht zu fliehen.“
Damit diese Zahlen nicht nur Zahlen bleiben, sind nun die Schulen und lokalen Gemeinden aufgerufen, diese erstmals so genau erhobenen Daten zu verwerten und im Geschichtsunterricht oder Erinnerungsprojekten wieder zum Leben zu wecken. Nicht zuletzt damit die ganze Zivilgesellschaft, aber auch andere Nationen, etwa Deutschland, davon profitieren, ist es eine Internetseite geworden. (rv)
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