„Der Alarmschrei der Bischöfe“: So titelt an diesem Freitag die französische Tageszeitung „Le Monde“ auf Seite eins. Das ist eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit, wenn man bedenkt, dass Bischöfe in vielen Ländern der Welt vor wichtigen Wahlen einen Brief ans Wahlvolk schreiben. Meistens steht in diesen Briefen auch nichts richtig Spannendes drin – erst recht keine Wahlempfehlung.
Trotzdem, in Frankreich ist die Aufmerksamkeit groß für den Brief, den der Ständige Rat der Bischofskonferenz am Donnerstag „an die Einwohner des Landes“ geschrieben hat. Aber es sind ja auch keine normalen Zeiten für die „Grande Nation“; ein Jahr vor den Präsidentenwahlen, die einen Sieg des rechtsextremen „Front National“ herbeiführen könnten, und angesichts von Terror und selbstquälerischen Debatten herrscht flächendeckung Verunsicherung.
„Das Dokument handelt vom Politischen. Wie baut man ein Projekt auf, das der Gesellschaft im Ganzen zugutekommt.“ Das erklärt der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Bischof Olivier Ribadeau-Dumas, im Gespräch mit Radio Vatikan. „Und da stellen wir als erstes eine tiefe Krise des Politischen fest. Wir sehen ja, wie wenig Politiker in der Gesellschaft mittlerweile geschätzt werden. Es gibt eine Krise des Wortes, eine Krise des Schul- und Ausbildungssystems und eine Krise des Sinnes, den wir unserem Leben… unserem Zusammenleben geben wollen. Mit diesem Text wollen wir ein gemeinsames Projekt wiederfinden, wir wollen neu herausarbeiten, was Gemeinwohl bedeutet, das Zusammenspiel zwischen dem Ich des Einzelnen und dem Wir der Gemeinschaft beleuchten.“
„Wenn wir heute das Wort ergreifen, dann deshalb, weil wir unser Land lieben und über seine Lage besorgt sind“: So lautet der erste Satz des Zehn-Punkte-Papiers, der Krise um Krise analysiert. Seit 1999 haben die Bischöfe keinen Offenen Brief dieser Art mehr veröffentlicht, der so direkt aufs Politische zielt. Die katholische Kirche ist trotz immer neuer Laicité-Debatten besonders angesehen im Land und bei den Politikern, übrigens auch bei prononciert nichtglaubenden Politikern. Dieses Ansehen hat nach dem barbarischen Mord an einem Priester im Sommer noch einmal einen neuen Schub gewonnen.
„Unser Text stellt Fragen – etwa die nach der Glaubwürdigkeit von Politikern heute oder von bestimmten politischen Manövern. Wir fragen danach, warum Politik oft gar nicht im Dienst des eigentlich Politischen steht, also im Dienst eines umfassenden Projekts, im Dienst des Gemeinwohls, im Dienst eines sozialen Projekts. Jeder Franzose merkt doch täglich, in welchen Bereich die Politik zu kurz springt… Wir laden vor allem ein zu einer umfassenden Debatte in unserer Gesellschaft, jenseits der Posen – zu einer tiefgehenden Debatte, ohne es sich zu leicht zu machen.“
„Man muss wirklich taub und blind sein, um nicht zu merken, wie viele der Einwohner unseres Landes müde, frustriert, ängstlich oder auch wütend sind, und wieviele auf einen echten Wechsel warten“, schreiben die Bischöfe. Die Krise der Politik ist nach ihrer Diagnose eine „Krise des Wortes“: Die Fähigkeit „zu Auseinandersetzung, Dialog, aber auch zum Zuhören“ gehe verloren, das Extreme werde dadurch stark.
„Die Bischöfe sind Franzosen, sie lieben ihr Land“, sagt Bischof Ribadeau-Dumas. „Schon deswegen haben sie auch das Recht, in nationalen Belangen das Wort zu ergreifen. Wie schon das Konzil formulierte: Die Sorgen, Ängste und Nöte der Menschen unserer Zeit sind auch die unseren. Wir versuchen aber auch eine Tonart der Hoffnung in die Debatte hineinzubringen; Hoffnung ist eine christliche Tugend, sie bedeutet, dass es immer noch einen Horizont des Möglichen gibt. So schwierig auch eine Situation sein mag, sie öffnet sich immer auf eine bessere Zukunft hin, wenn wir uns zusammen an die Arbeit machen!“ (rv)
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