„Misericordia et misera“: Die Barmherzigkeit und die Erbärmliche. Mit diesen Worten hat der heilige Augustinus die Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin (vgl. Joh 8,1-11) beschrieben, und sie sind der Ausgangspunkt eines Papstschreibens zum Abschluss des Heiligen Jahres. Es wurde an diesem Montagmittag vom Vatikan veröffentlicht.
Die Barmherzigkeit Jesu gegenüber der Ehebrecherin steht aus Franziskus’ Sicht emblematisch für das, „was wir im Heiligen Jahr gefeiert haben“. „Und dieses Erbarmen verlangt, weiter in unseren Gemeinschaften gefeiert und gelebt zu werden.“
Barmherzigkeit dürfe „im Leben der Kirche nicht ein bloßer Einschub sein“, sondern sie sei „ihr eigentliches Leben“: „Alles wird in der Barmherzigkeit offenbart; alles wird in der barmherzigen Liebe des Vaters gelöst.“ Gottes Barmherzigkeit zu erfahren, mache die Menschen froh. „Die Freude über die Vergebung ist unbeschreiblich…“ Das erinnert an das erste, programmatische Schreiben von Franziskus aus dem Herbst 2013: Evangelii Gaudium, die Freude des Evangeliums.
Papst-Plädoyer für Bibelsonntag
Der Papst dankt Gott für das Heilige Jahr, das „intensiv“ gewesen sei: „Wie ein heftiger und heilsamer Wind wehten die Güte und das Erbarmen des Herrn über die ganze Erde hin“, formuliert er. „Es ist wirklich ein neuer Besuch des Herrn in unserer Mitte gewesen.“ Jetzt gelte es, die Erfahrung der Barmherzigkeit zu verstetigen. Zunächst, indem wir sie bewusster in der Liturgie und den Sakramenten „feiern“, vor allem im Beichtsakrament. Und zweitens, indem wir sie immer besser in der Heiligen Schrift aufspüren, dieser „großen Erzählung, die von den Wundern der Barmherzigkeit Gottes berichtet“.
„Es wäre gut, wenn jede Gemeinschaft an einem Sonntag des Kirchenjahres ihr Engagement für die Verbreitung, die Kenntnis und die Vertiefung der Heiligen Schrift erneuern könnte: an einem Sonntag, der ganz und gar dem Wort Gottes gewidmet ist“. Das ist ein Papst-Plädoyer für den Bibelsonntag, wie ihn die Kirchen in Deutschland ökumenisch am letzten Sonntag im Januar begehen.
„Alle Priester können von der Sünde der Abtreibung lossprechen“
Dem Thema Beichte widmet Franziskus in seinem Schreiben mehrere Abschnitte. Eindringlich wirbt er für eine Neuentdeckung dieses „Sakraments der Versöhnung“. Und er führt in diesem Zusammenhang drei Neuerungen ein: Zum einen kündigt er an, dass der im Heiligen Jahr eingeführte Dienst der „Missionare der Barmherzigkeit“ auch nach der Schließung der Heiligen Pforte fortdauern soll – „bis auf weiteres“. Verantwortlich dafür: der Päpstliche Rat für Neuevangelisierung, der auch das Jubeljahr gemanagt hat.
Zum zweiten erlaubt Franziskus katholischen Gläubigen auch künftig, bei Priestern der schismatisch orientierten Piusbruderschaft zu beichten – „im Vertrauen auf den guten Willen ihrer Priester, dass mit der Hilfe Gottes die volle Gemeinschaft in der katholischen Kirche wiedererlangt werden kann“.
Und drittens gewährt der Papst „von nun an allen Priestern die Vollmacht, kraft ihres Amtes jene loszusprechen, welche die Sünde der Abtreibung begangen haben“. Auch damit wird ein spezielles Kennzeichen des Heiligen Jahres auch nach seinem Ende fortgeschrieben. Dabei betont Franziskus, dass Abtreibung „eine schwere Sünde“ sei. Allerdings gebe es „keine Sünde, „die durch die Barmherzigkeit Gottes nicht erreicht und vernichtet werden kann“.
„Die Ärmel hochkrempeln“: Barmherzigkeit macht erfinderisch
Einmal mehr bittet Papst Franziskus die Priester um „geistliche Unterscheidung“, damit aus dem kirchlichen Leben „niemand ausgeschlossen wird, in welcher Situation er auch lebt“. Auch wenn die Heilige Pforte jetzt geschlossen sei, solle doch „die Pforte der Barmherzigkeit unseres Herzens immer weit geöffnet“ bleiben. „Es ist die Zeit, dem Erfindungsreichtum der Barmherzigkeit Raum zu geben“, schreibt der Papst und lädt dazu ein, „die Ärmel hochzukrempeln“ und Werke der Barmherzigkeit zu tun, an Hungernden, an Häftlingen, an Flüchtlingen, an Arbeitslosen. Oder, „um Millionen von Menschen, unseren Brüdern und Schwestern, die Würde zurückzugeben“.
Neuer „Welttag der Armen“
Unsere Epoche sei „die Zeit der Barmherzigkeit“, urteilt Franziskus schließlich. „Wir sind aufgerufen, eine Kultur der Barmherzigkeit wachsen zu lassen, die darauf gründet, die Begegnung mit den anderen wiederzuentdecken: eine Kultur, in der niemand mit Gleichgültigkeit auf den anderen schaut, noch den Blick abwendet, wenn er das Leid der Mitmenschen sieht.“ Vor allem die Armen sollten „den respektvollen und doch aufmerksamen Blick“ ihrer Mitmenschen auf sich spüren.
Und auch in dieser Hinsicht hinterlässt das Heilige Jahr der Barmherzigkeit etwas Konkretes: diesmal einen neuen Gedenktag im liturgischen Kalender. Der Papst bestimmt den 33. Sonntag im Jahreskreis zum „Welttag der Armen“ für die ganze Kirche. „Das wird die würdigste Vorbereitung für die Feier des Christkönigssonntags sein, denn Jesus Christus hat sich mit den Geringen und den Armen identifiziert“, so der Papst. (rv)
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