Neue Erkenntnisse in Sachen „Pius XII. und die Judenverfolgung“: Historiker und Vatikanmitarbeiter haben aus vor kurzem wiederentdeckten Dokumenten in vatikanischen und römischen Archiven den Einsatz des Pacelli-Papstes während des Zweiten Weltkriegs für die Juden der Stadt Rom neu einschätzen können. Bei einer Konferenz in Rom mit dem Titel: „Pius XII.: Die schwarze Legende geht bald zu Ende“ wurden auch konkrete Zahlen genannt: Etwa zwei Drittel aller Juden Roms wurden dank der Hilfe von Pius XII. vor den Nazi-Schergen gerettet. Über 4.000 Juden seien damals in über 235 Klöstern und kirchlichen Einrichtungen in Rom untergebracht – sprich versteckt – worden. In weiteren 160 vatikanischen Einrichtungen hätten ebenfalls viele Juden Zuflucht gefunden. Weitere 1.600 Juden seien damals von einer mit dem Vatikan verbundenen Organisation in Sicherheit gebracht worden. Es handelte sich um die „Organisation für die Hilfe an jüdische Auswanderer – Delasem“, die vom Vatikan im Geheimen finanziert wurde.
Kardinal Dominique Mamberti ist Präfekt der Apostolischen Signatur und hat an der Konferenz zu Pius XII. teilgenommen. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagt er: „Er hat als Papst die Kirche in einer sehr komplizierten Zeit geleitet und hat sehr viel für den internationalen Frieden unternommen. Vor allem hat er die Kirche in die Moderne geführt. Das wahre Gesicht des Pacelli-Papstes ist also komplett anders als das, was die ,schwarze Legende‘ über ihn verbreiten wollte.“
Noch vor Hochhuth: sowjetische Propaganda
Mit „schwarzer Legende“ meinen Kardinal Mamberti und auch die Organisatoren der Konferenz das Bild von Pius XII., das der deutsche Schriftsteller Rolf Hochhuth in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts in seinem Werk „Der Stellvertreter“ vermittelte. Autor der Studien, die die neuesten Zahlen zu Pius XII. und zur Rettung der römischen Juden nennt, ist der katholische Diakon Domenico Oversteyns. Er sagt gegenüber Radio Vatikan, dass das „falsche Bild“ über Pius XII. ursprünglich von der sowjetischen Propaganda verbreitet worden sei. Diese habe bereits vor dem Tod von Pius 1958 damit angefangen, die „Stille des Papstes“ während der Nazi-Zeit „anzuprangern“.
Damals fand diese antipäpstliche Propaganda wenig Rückhalt, weil man das Engagement und die Friedenstexte des Papstes kannte und noch vor Augen hatte. Oversteyns: „Pius XII. hat die Juden Roms bereits vor dem 16. Oktober 1943 gerettet (damals fand eine massenhafte Verhaftung von Juden statt, Anm. d. Red.), indem er um die Hilfe von 48 Klöstern bat. Er rief auch weitere Klöster auf, ihre Tore für die verfolgten Juden zu öffnen. Insgesamt gibt es mindestens 198 direkte Eingriffe von Pius XII., der die Freilassung von oder die Hilfe für Juden und Deportierte erbat. Allein bei jenem schrecklichen Verhaftungswelle wurden daraufhin 60 Menschen befreit.“
Der Weg zur Seligsprechung ist nicht nur wegen der neuen Erkenntnisse einfacher geworden, urteilt Jesuitenpater Anton Witwer, Postulator des Seligsprechungsprozesses, im Interview mit Radio Vatikan: „Der heroische Tugendgrad wurde bereits bestätigt, jeder Gläubige kann ihn somit ins Gebet aufnehmen. Was noch fehlt für die Seligsprechung, ist aber das Wunder. Damit dies geschieht, müssen wir Pius XII. in unsere Gebeten aufnehmen. Er ist wahrlich eine eindrückliche Persönlichkeit gewesen, und zwar nicht nur als Papst. Er hat als Mensch in tiefgründiger Weise die Nächstenliebe und die Liebe zu Gott gelebt.“ (rv)
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