ROM – Sein neues Buch hat in französischer und englischer Sprache bereits Furore gemacht – nun liegt das Werk von Kardinal Robert Sarah über die Kraft der Stille auf Deutsch vor.
Die beim Fe-Medienverlag verlegte deutsche Fassung wurde am heutigen Mittwoch in Rom vorgestellt. CNA Deutsch dokumentiert den Wortlaut der Rede des Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, übersetzt aus dem Italienischen von Paul Badde.
Sehr geehrte Damen und Herren
Eminenzen, Exzellenzen,
zuerst einmal muss ich mich heute Abend bedanken. Ich danke jedem der hier Anwesenden. Mit Ihrer zahlreichen Anwesenheit zeigen Sie, dass die Stille kein Thema der Vergangenheit, sondern dass sie auch heute von wesentlicher Bedeutung ist. Mit Ihrer Anwesenheit bestätigen Sie schon, dass die Stille nicht nur das mönchische Leben betrifft, sondern dass auch wir die Stille nötig haben. Sehr herzlich danke ich seiner Exzellenz Monsignore Georg Gänswein und bitte ihn, meine dankbaren und ehrerbietigen Grüße an Seine Heiligkeit Benedikt XVI zu übermitteln, der mich so großzügig mit seiner Nähe und moralischen Unterstützung ehrt.
Ich danke dem päpstlichen Institut der Santa Maria dell’Anima, und besonders seinem Rektor, Monsignore Brandmayr, der diesen Raum anbietet, um das Buch der Öffentlichkeit vorzustellen.
Ich danke schließlich dem FE-Medienverlag und besonders seinem Herausgeber Bernhard Müller, der die Last der Veröffentlichung des Buches der „Kraft der Stille“ in deutscher Sprache übernommen hat, das wir heute in den Händen halten.
Die deutsche Ausgabe meines ersten Buches „Gott oder Nichts“ hat eine sehr schöne Aufnahme erfahren. Ich hoffe, dass die deutsche Öffentlichkeit auch jetzt wieder die Überlegungen, die ich hier in der „Kraft der Stille“ anbiete, schätzen wird. Tatsächlich ist die Stille ein universales Thema, durch das jene Horizonte aufgerissen werden, die uns erlauben, in die Wahrheit unseres Lebens einzutreten.
Dieses Buch ist dem Leben entwachsen. Es verdankt sich meiner persönlicher Erfahrung und der Erfahrung mir teurer Personen, die ich kennenlernen durfte und die in der Stille und durch ihre Stille reiche Früchte der Heiligkeit und Güte hervorgebracht haben. Ich denke dabei besonders an den Bruder Vincent-Marie de la Résurrection, einen Kanoniker der Abtei Sainte Marie di Lagrasse, den ich 2014 kennenlernen durfte. Er litt unter Multipler Sklerose, die ihn 2016 mit 37 Jahren sterben ließ. Bruder Vincent konnte nicht sprechen. Doch zwischen uns entstand eine wundervolle spirituelle Beziehung, nicht durch Worte, sondern durch Blicke, durch die Stille, und durch das Gebet, an dem Bruder Vincent nur durch die Bewegung seiner Lippen teilnahm.
Diese menschliche und mystische Dimension der Stille hat mir Bruder Vincent in ganz besonderer Weise erschlossen. Ich kann also sagen, dass das Buch, das hier heute vorgestellt wird, der Kammer eines Kranken entwachsen ist, eines jungen Ordensmannes, der den Himmel in einem Körper erwartete, der immer stärker vom Leid gezeichnet war, der aber auch – wie ich sagen möchte – leuchtete, weil in ihm schon das Licht der Auferstehung durchschien.
Für mich ist die Stille aber auch Teil einer persönlichen Erfahrung der ersten Jahre meines Bischofsdienstes in Conakry in Guinea, als ich sehr isoliert und kontrolliert lebte, unter jenen bekannten politischen Umständen, die ich schon in meinem ersten Buch beschrieben habe. Die äußere Isolation öffnete mir damals – als ein großes Geschenk Gottes – aber auch jene inneren Räume, in die Gott eintritt und wohnt und spricht und tröstet.
Es sind diese Erfahrungen, die auch heute helfen, zu einer tieferen Unterscheidung dessen zu gelangen, was uns jetzt umgibt – in einer kulturellen Umwelt, die fast systematisch vermeidet, mit sich selbst allein zu sein und nach innen zu schauen. Der Lärm, das Geschwätz, und die neuen Technologien, die dieses Getöse transportieren, verdecken die Leere eines neuen Menschen, der kaum mehr weiß, wofür er leben soll.
Noch schmerzhafter ist es aber für mich, festzustellen, wie diese Oberflächlichkeit und Gottlosigkeit und Verachtung der menschlichen Person inzwischen auch in die Kirche eingedrungen ist. Ich kann nicht leugnen, dass sich dieses Buch also auch meinen Erfahrungen als Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung verdankt. Denn ich muss sagen, dass die Liturgie jene Dimension im Leben der Kirche ist, die wohl am meisten leidet unter dieser entwertenden Verweltlichung, die auch in die Kirche eingedrungen ist. Das muss ich erklären.
Es ist kein Geheimnis – und dies sage ich mit großem Schmerz – dass unsere moderne Welt auf eine Weise lebt, als würde es Gott nicht geben. Das sollten wir nicht nur als intellektuelles Gedankenspiel verstehen. Diese Entfremdung ist ein Faktum und eine reale Erfahrung. Es ist das tägliche Leben von Millionen Menschen, das ganz konkret gekennzeichnet ist von einer Leere, die von der Abwesenheit Gottes herrührt. Aber wenn Gott fehlt, muss der Mensch verzweifelt nach etwas suchen, das ihm einen Zugang zum Absoluten verspricht, und er muss dabei leider gleichzeitig feststellen, dass nichts, was einfach nur menschlich ist, sein Herz vollkommen ausfüllen kann.
Es ist aber problematisch, dass wir nur menschliche Lösungen suchen als Antwort nach unserer Bestimmung.
Angesichts unleugbarer großer Probleme versteifen wir uns auf die Suche nach menschlichen Mitteln, anstatt unser Herz zu Gott zu erheben. Manchmal habe ich den Eindruck, dass diese Verweltlichung in die Kirche eingedrungen ist, um auch unseren Glauben auf ein menschliches Maß zu reduzieren. Anstatt den Menschen für die Initiative Gottes zu öffnen, der immer unerwartet, sprengend und befreiend ist, denken viele, dass der Mensch von heute besser glauben könne, wenn wir ihm einen Glauben nach menschlichem Maß vorschlagen, der nicht mehr in der Tiefe der Offenbarung durch Christus wurzelt und in der Überlieferung der Kirche, sondern in den Ansprüchen und Bedürfnissen des modernen Menschen, und den Begrenzungen seiner Möglichkeiten.
Diese Verweltlichung drückt sich auch in der Liturgie aus. Das II. Vatikanische Konzil hat festgelegt, dass die Liturgie Quelle und Höhepunkt christlichen Lebens ist.
Ich würde noch mehr sagen. Die Liturgie ist der Hochzeitsraum, wo sich Gott in einem Akt vollkommener Liebe Seiner Kirche hingibt und wo der Christ in vollkommener Gemeinschaft von Leib und Seele seinem Herrn begegnet. Und genau in dieser Wesensmitte der Liturgie, als empfindlichstem Punkt im Leben der Kirche, ist eine Verkürzung des Glaubens nach allein menschlichem Maß und Gutdünken in seiner ganzen Schwere zu erfahren, sei es in den Worten oder den Gesten. Wie in dem Buch dargestellt, hören wir fast nie mehr, wie in unseren Predigten über den Glauben, das ewige Leben, die Gemeinschaft mit der Person Christi, der Sünde als Bruch und Rebellion gegen Gott gesprochen wird.
Und wird nicht versucht, auch alle jene Gesten auszulöschen, die dem modernen „unverständlich“ scheinen, um sie durch einen Wortschwall zu ersetzen, die unsere Eucharistiefeiern immer mehr in große Happenings umwandeln, in deren Mittelpunkt der in sich eingeschlossene Mensch mit seinen Problemen steht und seinem eigenen Urteilsvermögen, diese Probleme zu lösen? Ist dies aber nicht eher nur noch eine menschliche Feier – als ein wahrer Gottesdienst und ein Fest der Kirche?
Es ist diese offensichtliche Abwesenheit Gottes auch in der Liturgie – wenn Sie mir die Beobachtung erlauben – von der sich mein Buch über die Stille herleitet, um Gott hier wieder an die erste Stelle zu setzen.
Es dreht sich dabei freilich nicht um eine Stille um der Stille willen, sondern um eine Stille, in der Gott wieder reden und gehört werden kann. Der Primat Gottes, Gott in unserer Mitte, die Anbetung Gottes und das Opfer des Menschen bilden Herz und Wesen christlicher Liturgie. Das Konzil hat uns ein großes Erbe hinterlassen, besonders in der Konstitution über die Liturgie und den Auftrag zur liturgischen Erneuerung: das ist die Heiligung jedes Getauften. Diesen Aspekt gilt es wieder zu entdecken. Diese Heiligung geschieht wesentlich im Moment der Begegnung mit Ihm in der Liturgie, wenn wir rufen: Heilig, heilig, heilig!
Aber wie können wir Ihm begegnen, wenn wir voll mit uns selbst sind, ohne jeden Raum für Ihn? Wie können wir uns erfüllen lassen von Seiner göttlichen Gegenwart, von Seinem Wort des Lebens, von Seiner trostvollen Botschaft von Tod und Auferstehung, wenn wir voll sind mit Worten, Tönen und absolut weltlichen Nachrichten? Diese Überlegung gilt für jeden einzelnen Gläubigen, aber auch für die ganze Gemeinde, wenn sie feiert: Wenn wir selber im Zentrum der Feier stehen, wie kann da die Gemeinde das Wirken des Heiligen Geistes erfahren, der sie belebt?
Die Herausforderung der Stille ist eine große Aufgabe, weil sie uns an den Sinn der menschlichen Existenz hinführt, an das Verhältnis des Menschen zu Gott, oder noch besser: an die Beziehung Gottes zum Menschen.
Ich kehre im Geist zurück zu einem Vers der Bibel, der uns vielleicht hilft, die Augen für die göttliche Perspektive des Glaubens zu öffnen. „Als tiefes Schweigen das All umfing und die Nacht bis zur Mitte gelangt war,“ lesen wir im Buch der Weisheit, Kapitel 18, Vers 14 – 15, „da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel, vom königlichen Thron herab als harter Krieger mitten in das dem Verderben geweihte Land.“
Wenn die Schöpfung sich in Schweigen hüllt, lässt Gott seine Stimme hören. Das ist die Stimme und das Fleisch gewordene Wort. Es ist Jesus Christus, das Wort, und es ist wirklich das Geheimnis der Menschwerdung, das Licht in die Beziehung zwischen Gott und den Menschen bringt. Und es ist dieses Licht, das den Sinn der Liturgie erhellt. Das ist der Einbruch des Göttlichen in das menschliche Dasein. Es ist ein Einfall des Lichts auf uns, der all unsere Schatten erleuchtet.
Wie ich sagte, genügt die Stille sich nicht selbst. Aber sie ist eine notwendige Bedingung: die Stille schafft jenes Klima, das die Wahrnehmung der Menschwerdung Gottes ermöglicht. Ich möchte noch darüber hinaus gehen.
Wie Benedikt XVI. es in seinem Geleitwort sagt, ist Jesus Stille und Wort, und so ist auch die Kirche Stille und Wort, die sich gegenseitig befruchten. Auf diese Weise bringen sie mindestens zwei Überlegungen hervor, die ich hinsichtlich der Liturgie vorstellen will. In Anbetracht der Natur der Menschwerdung, das heißt angesichts der Tatsache, dass Gott Mensch geworden ist und das Göttliche das Menschliche angenommen hat und der Ewige das Zeitliche – und nicht umgekehrt – bekräftige ich, dass dies nicht so ist, um das Menschliche zu erniedrigen und die Würde des Menschen zu verkleinern. Denn Gott selbst hat sich in seiner Menschwerdung doch vor dem Menschen verneigt! Dabei müssen wir aber doch einen klaren Blick darauf werfen, dass die erste Initiative von Gott her kommt. Denn der Mensch kann ja aus sich selbst nicht zum Himmel empor steigen.
Diese Logik der Fleischwerdung gilt genauso aber auch für die Liturgie, die ein Werk Gottes ist, ein opus divinum, nur in menschlichen Ausdruck gekleidet. Auf zwei Überlegungen möchte ich deshalb am Schluss mein Augenmerk richten, die sich – unter anderen – in dem Buch finden, das wir heute hier vorstellen.
1. Die Frage nach der Inkulturation ist zuerst keine Frage, wie wir die Liturgie afrikanischer oder asiatischer machen können, oder dem Brauch der australischen Ureinwohner anpassen. Das Göttliche bricht in das Menschliche ein, nicht um das Menschliche zu entfesseln, sondern um es zu öffnen, zu reinigen, zu befreien, zu verwandeln und zu vergöttlichen. Ich habe zu oft den Eindruck, dass wir uns mehr damit beschäftigen, wie wir die Liturgie „anpassen“ können statt ihren ganzen Reichtum anzubieten. Es ist offensichtlich, dass sich die Liturgie an die konkrete Person wenden und Formen finden muss, um die konkrete Person anzusprechen, so wie Gott Mensch geworden ist, um mit uns zu sprechen, aber nicht, um das Göttliche zu reduzieren, dass wir es „kapieren“ können, sondern vor allem um den Menschen für das Heil zu öffnen, das Gott anbieten will. Wir dürfen das Göttliche nicht in unsere menschlichen Kategorien einsperren. Es ist bezeichnend, dass die frühe Christenheit – bevor sie verschiedene Formen heidnischer Opferfeiern aufnahm – in ihrer ersten Begegnung mit der heidnischen Kultur denen, die Christen wurden, zuerst ihren eigenen liturgischen Reichtum weitergab, der zum großen Teil ein für die Heiden fremdes Erbe der jüdischen Offenbarung war.
2. Eine zweite Überlegung betrifft die Ehrfurcht vor Gott. Die Heilige Schrift ist voll mit Hinweisen auf die so genannte „Gottesfurcht“. Der Anfang der Weisheit ist die Furcht Gottes, heißt es da: initium sapientiae timor Domini. Die Furcht Gottes ist eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes. Diese Furcht ist keine Angst. Denn es ist, wie der heilige Johannes sagt: „Die Liebe vertreibt jede Angst“. Aber die Gottesfurcht ist Respekt und kindliche Verehrung. Respekt und Ehrfurcht vor den Dingen Gottes, der immer viel größer ist als der Mensch. Er ist der Schöpfer, wir sind Teil seiner Schöpfung. Die intime Nähe zu Gott hebt den Respekt vor ihm nicht auf. Die Würde unserer Haltung in der Liturgie, die Bereitstellung der liturgischen Geräte, das Verhalten innerhalb des Tempels Gottes sind ein Ausdruck dessen, dass wir über Gott nicht zu verfügen haben. Das Zitat aus dem Buch der Weisheit, das Sie vorhin gehört haben, zeigt an, dass die Äußerungen Gottes wie ein scharfes Schwert sind. Es ist das gleiche Bild, das der Brief an die Hebräer benutzt, wo es heißt: „Denn lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert; es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark; es richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens“. – Wenn es keine Ehrfurcht vor Gott gibt, können wir auch sein heilendes Wort nicht ernst nehmen, das uns in Frage stellt und erleuchtet.
Die Stille ist ein inneres Klima, eine innere Haltung, die innere Bereitschaft, die all das erlaubt, was das Wort der Kirche fruchtbar werden lässt. An eine Kirche, die es wagt zu verarmen, weil sie sich ganz allein dem menschlichen Urteil anheim stellt, erlaube ich mir in aller Bescheidenheit auf die Straße der Stille hinzuweisen, weil jeder Gläubige, aber auch jede feiernde Gemeinschaft sich der Initiative Gottes hin öffnen soll und der Gnade, die von Ihm allein herkommt.
Zusammenfassend möchte ich danach Ihrer Aufmerksamkeit das außerordentliche Buch A.M. Triaccas mit dem Titel „Heiliger Geist und Liturgie“ empfehlen, wo es an einer Stelle heißt: „Die Stille in der Liturgie ist keine Zeremonie. Es ist vor allem ein Aussetzen jeder Geste, von jedem Wort und jeder Handlung. Es ist keine Pause der Feier, vielmehr ein Eintreten in das Herz der Liturgie. Es ist kein toter Punkt, es ist ein Höhepunkt, der auf den Heiligen Geist hinweist: auf seine Gegenwart, sein Wirken, das uns zur Betrachtung führt. (…) Die liturgische Stille ist ein Ruf, in dem wir uns dem Handeln des Geistes zur Verfügung stellen. Er spricht in der Stille. Um ihn zu hören, braucht es die Stille.“
Ich danke Ihnen, weil jeder an seinem Ort sich diesem Raum der Stille öffnen und ihm etwas hinzufügen kann.
(Aus dem Italienischen von Paul Badde)
(© CNA Deutsch)
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