WASHINGTON – Schwerwiegende Mängel und Fehler hat Experten zufolge ein Artikel der Jesuitenzeitschrift „La Civilta Cattolica“, der Katholiken und evangelikalen Fundamentalisten unterstellt, eine „Ökumene des Hasses“ im öffentlichen Leben der USA zu betreiben.
Der Artikel, der unter anderem fordert, dass die gesellschaftlichen Bereiche von Religion und Politik nicht miteinander „verwechselt“ werden sollten, „verabschiedet sich davon, was die Kirche historisch darüber, wie Katholiken über Politik und Religion nachdenken sollten, zu sagen hat“, kritisierte Elizabeth Bruenig, eine Autorin, die über Christentum und Politik schreibt.
Behauptungen und Vorwürfe des Artikels
Am vergangenen Donnerstag erschien in „La Civilta Cattolica“ die Analyse aus der Feder des Chefredakteurs, Jesuitenpater Antonio Spadaro, und der Marcelo Figueroas – ein protestantischer Pastor, der als Chefredakteur der argentinischen Ausgabe von „L’Osservatore Romano“ fungiert.
Der Artikel stellt eine ganze Reihe Behauptungen auf, darunter der Vorwurf, dass konservative Christen sich zu politischen Fragen wie Migration vereint hätten und letztlich eine „Ökumene des Hasses“ zu politischen Fragen beförderten, die angeblich der Botschaft der Barmherzigkeit von Papst Franziskus widerspreche.
Das 1956 eingeführte US-Motto „In God we trust“ sei „für viele eine einfache Glaubenserklärung“, schreiben die Autoren, aber „für andere ist es die Synthese einer problematischen Verschmelzung von Religion und Staat, Glaube und Politik, religiöser Werte und Wirtschaft“.
Diese „problematische Verschmelzung“ habe sich in den vergangenen Jahren in der „manichäischen“ Rhetorik der Politik manifestiert, „welche die Wirklichkeit in absolut Gutes und absolut Böses unterteilt“, so die Autoren weiter, und führen als Beispiele die Regierungen von George W. Bush und Donald Trump ins Feld.
Weiter schreiben Spadaro und Figueroa, diese Rhetorik wurzele in der evangelikal-fundamentalistischen Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts, und habe sich fortgesetzt durch andere problematische Interpretationen des Christentums, wie der Glaube an ein „Wohlstandsevangelium“ („prosperity gospel“) und die Herrschaft des Menschen über die Schöpfung („Dominionism“) – Einstellungen, „die zunehmend radikalisiert wurden“.
Außerdem zehre dieses Christentum vom Konflikt, in dem „Feinde“ entsprechend „dämonisiert“ würden, darunter Muslime und Migranten, die im Land nicht willkommen geheißen würden, so die Autoren.
Dagegen habe Papst Franziskus sich für „Inklusion“ und „Begegnung“ eingesetzt, und sei gegen „jede Form eines ‚Religionskrieges'“, schreiben Spadaro und Figueroa weiter.
Deshalb, argumentieren sie, sollten Katholiken nicht Politik und Religion „verwechseln“, um zu verhindern, dass Christen versuchten, eine fundamentalistische Theokratie anzustreben, wie es in den USA der Fall sei.
Schwere Fehler und Mängel in Inhalt und Aussage
Experten haben jedoch auf Unstimmigkeiten, Übertreibungen und falsche Darstellungen der Lehre der Kirche in dem Artikel der Jesuitenzeitschrift hingewiesen.
Dr. Chad Pecknold, Theologie-Professor der Catholic University of America, sagte gegenüber CNA, dass die Autoren zwar vielen amerikanischen Christen unterstellten, eine „manichäische“ Perspektive von Politik zu haben, und von „Gut gegen Böse“, doch „die Autoren klingen selber sehr manichäisch in ihrer totalen Opposition zu ihrer Karikatur christlicher Konservativer in Amerika“. Professor Pecknold weiter:
„Die Autoren begehen eine große Zahl an Irrtümern, sowohl historisch, als auch in der Darstellung sowie in ihrer Diagnose einerseits dessen, woran Amerika krankt, als auch besonders christlicher Konservativer“.
Einer der schwerwiegendsten Mängel des Artikels ist die These, dass Religion und Politik getrennt werden müssen, fügte Bruenig hinzu. So sei die mit der Ewigkeit befasste Ebene des Geistlichen zu unterscheiden von der diesseitigen der Gegenwart, doch die Herangehensweise des Artikels an die Beziehung zwischen Religion und Politik sei „unhistorisch und sehr un-katholisch“, sagte sie.
Pater Spadaro und Figueroa schreiben, dass „das religiöse Element nie mit dem politischen verwechselt werden sollte. Geistliche Macht mit zeitlicher Macht zu verwechseln bedeutet, das eine dem anderen unterzuordnen.“
Der Artikel behauptet auch, dass „[Papst] Franziskus die organische Verbindung zwischen Kultur, Politik, Institution und Kirche brechen will. Spiritualität kann sich nicht mit Regierungen oder Militärbündnissen verbinden, denn sie dient allen Männern und Frauen.“
Dieses Schubladendenken über Glaube und Politik ist Ausdruck eines irrtümlichen Denkens der Aufklärung, sagte Bruenig.
„Die Meinung, dass Politik und Religion im Prinzip in getrennten Bereichen funktionieren sollten, ist eine der ursprünglichen liberalen Positionen der Aufklärung zur Politik, und es gibt einen Grund, warum die meisten führenden Denker der liberalen Aufklärung hochgradig anti-katholisch waren“, so Bruenig.
Die Politik ist kein besonderer gesellschaftlicher Bereich, der von moralischen Fragen zu trennen ist, oder darauf seine eigene Form nichtreligiöser moralischer Antworten hat, so Bruenig: Politiker „sind immer noch den gleichen moralischen Grundregeln verpflichtet, denen sie auch verpflichtet sind in allen anderen Entscheidungen in ihrem Leben“.
Das zu bestreiten widerspreche Jahrhunderten kirchlicher Lehre, so Bruenig weiter.
Die Kritik, dass die Autoren Spadaro und Figueroa in ihrem Artikel der Lehre der Kirche über die Beziehung von Glaube und Politik widersprechen, teilt auch P.J. Smith auf der Seite „Semiduplex.com„.
Die Kirche habe sehr wohl die Autorität, über Fragen der Wirtschaft und Politik zu sprechen, wie etwa der selige Papst Pius IX., Leo XIII., der heilige Pius X., Pius XI., und der verehrungswürdige Pius XII. erörterten, so Smith.
„Zudem bringen sich Spadaro und Figueroa in Position gegen Papst Franziskus selbst wenn sie eine bizarre liberale Atomisierung des Menschen beschreiben“, schrieb Smith. „Spadaro und Figueroa zufolge ist der Mensch in der Kirche ein Gläubiger; im Rathaus ein Politiker; im Kino ein Kritiker; und offenbar soll er diese Rollen alle trennen“.
Smith zitiert Papst Franziskus, der bei einer Konferenz über die Enzyklika Populorum Progressio des seligen Papstes Paul VI. im April sagte, dass, egal, ob es um Familie, Wirtschaft oder Arbeit geht:
„Kein Aspekt kann verabsolutiert werden und keiner kann ausgeschlossen werden aus einer Sichtweise der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen heraus, die nämlich berücksichtigt, dass das menschliche Leben wie ein Orchester ist, das gut klingt, wenn die verschiedenen Instrumente aufeinander abgestimmt sind und alle derselben gemeinsamen Partitur folgen.“
Außerdem kann die derzeitige US-Regierung und das politische System „aus einer christlichen Haltung“ heraus stichhaltig kritisiert werden, betont Bruenig, etwa durch Prüfung jener politischen Aktivitäten der Regierung, die nicht mit der Lehre der Kirche vereinbar sind. Aus dieser Perspektive heraus zu schreiben, „wäre ein viel stärkeres Argument gewesen“, sagte sie.
Doch „statt zu sagen, dass dies nicht christliche Vorgehensweisen sind, und dass die Regierung falsch handelt“, sagten Spadaro und Figueroa „dass ein religiöses Element mit einem politischen verwechselt“ werde, kritisierte Bruenig weiter.
Falsche Behauptungen über Christentum in den USA
Darüberhinaus, so Pecknold und Bruenig, seien einige der Behauptungen im Artikel über das Christentum in den USA nicht richtig.
So führt der Artikel in der Jesuitenzeitschrift als Beispiel dafür, was an der katholissch-evangelikalen Ökumene falsch sei, die Webseite „Churchmilitant.com“ an. Diese jubelte über die Wahl von Präsident Donald Trump als Erhörung der Gebete vieler Wähler, und verglich Trump mit dem Römischen Kaiser Konstantin, dessen militärischer Sieg die rechtliche Anerkennung des Christentums im Römischen Reich ermöglichte.
Das, schreiben Spadaro und Figueroa, sei ein Beispiel für das mangelhafte Verständnis von Religion und Politik.
Doch „ChurchMilitant“ sei eine „Randpublikation“, so Professor Pecknold, die nicht repräsentativ sei für Katholiken in den USA.
Der „Civilta Cattolica“-Artikel widmet sich weiter des US-Präsidenten Trump als Beispiel und warnt davor, „Politik und Religion zu vermengen“, was sich bisweilen in einer Manichäischen Rhetorik von Gut gegen Böse äußere, wenn es um die Rechtfertigung politischer Programme gehe. So handle Trump etwa, wenn er etwas als das „sehr Schlechte“ (the „very bad“) abtue.
Freilich, so Bruenig, „ist Trump selber auf fast schon lächerliche Weise uninteressiert an Religion, und kann nicht einmal erklären, was Presbyterianer glauben – denen er angeblich angehört.“
Tatsächlich war Trump, einem Bericht des TV-Senders CNN zufolge, sich nicht einmal sicher, dass zwei Pastoren der Presbyterianer, die er vor seiner Amtseinführung traf, Christen waren, bis die beiden ihm dessen versicherten.
Und obwohl der „Civilta Cattolica“-Artikel zwar das „Wohlstands-Evangelium“ und „Herrschafts-Ideologie“ als problematische Phänomene des amerikanischen Christentums der Gegenwart erwähnt, ignoriert er eine wichtige Tradition, schrieb P.J. Smith.
Der Artikel versäumt es, sich „mit der liberalen Tradition, die durch den Jesuiten John Courtney Murray verkörpert wird, auseinanderzusetzen, und welche ihrem Argument einen interessanten Aspekt beigesteuert hätte – nicht zuletzt, weil es die vorherrschende Variante des amerikanischen Katholizismus ist“, schrieb Smith.
Im „Catholic Herald“ schrieb Stephen White, ein Fellow des „Catholic Studies“-Programms des Washingtoner „Ethics and Public Policy Centers“, dass die Kritik der Autoren an christlichen Integralisten, vorgebe, eine präzise Darstellung religiöser Probleme des Mainstreams zu sein. In Wahrheit sei es jedoch die Kritik einer nur kleinen Gruppe Christen.
„Fundamentalismus ist weder der Mainstream des Amerikanischen Protestantismus, noch hat dieser den Einfluss auf amerikanische Politik, den sich die Autoren einbilden“.
White weiter: „Die Vorstellung, dass es eine Art enger Affinität gebe zwischen dem biblischen Literalismus des Fundamentalismus auf der einen Seite und der Gott-will-dass-Du-reich-bist Hausiererei der Wohlstands-Evangelisten auf der anderen“, sei falsch.
„Amerikas wahnsinnig komplizierte religiöse Landschaft bedarf aufmerksamer Analyse und Kritik“, schrieb er. Der Artikel in „Civilta Cattolica“ leiste diese Nuanciertheit nicht. (CNA Deutsch)
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