VATIKANSTADT – Der Zeitpunkt hätte kaum dramatischer und treffender sein können: Am gleichen Tag, an dem in Barcelona das katalonische Parlament für die Unabhängigkeit von Spanien stimmte, hat in Rom ein Treffen über die Zukunft Europas und der Europäischen Union begonnen.
Nicht nur Katalonien, Brexit und andere Unabhängigkeitsbestrebungen belasten die EU. Die Länder der Union ringen mit der Massenmigration, islamistischem Terror, dem demographischen Niedergang, Misstrauen gegenüber Institutionen und „Eliten“, Populismus und Demagogie. Kurzum: Die EU ist in der Krise, und Europa, darin sind sich viele Beobachter einig, steht an einem Kreuzweg.
Das Bild des Kreuzwegs ist gestern – neben den Beziehungen untereinander – Hauptthema zum Auftakt der Konferenz im Vatikan gewesen.
Unter dem Titel „(Re)Thinking Europe“ soll der christliche Beitrag für eine Zukunft Europas neu erörtert werden von 350 Teilnehmern aus 28 Delegationen sämtlicher EU-Nationen, zusammen mit Vertretern katholischer Organisationen und Bewegungen. Auch Papst Franziskus wird eine Rede halten.
Klimawandel wichtiger als Glaube und Familie?
Das Schicksal des Kontinents sei, angesichts der aktuellen Probleme Europas, auch dem Heiligen Stuhl nicht gleichgültig, sagte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in seiner Eröffnungsrede. Der Heilige Stuhl „wird immer seinen Beitrag anbieten wollen“. Die EU sei ein menschliches Projekt, so Parolin weiter.
Das „Projekt Europa“ habe Großes bewirkt, sagte in seiner Auftaktrede Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE), die das Treffen mit veranstaltet.
Der deutsche Kardinal, der auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist, identifizierte Klimawandel, Digitalisierung der Arbeitswelt und Migration als die wichtigen Themen. Es stelle sich gleichzeitig die Frage, wie und was die Kirche beitragen könne, so Marx weiter.
Für andere Beobachter ist Europas Krise des Glaubens und der Familie die zentrale Frage, und die Antwort darauf völlig klar. So etwa für den renommierten Philosophen Sir Roger Scruton, einer Köpfe der Pariser Erklärung für ein „Europa, wo(ran) wir glauben können“. Dieser sagte kürzlich gegenüber CNA Deutsch:
„Die Katholische Kirche sollte tun, wozu sie berufen ist, namentlich das Evangelium predigen und den Glauben verteidigen“.
Dass so unterschiedliche Wahrnehmungen darüber, was eigentlich das Problem ist, an diesem Wochenende differenziert diskutiert werden können, auch und gerade für ein Europa mit Zukunft: Das hat im Vorfeld der aktuellen Konferenz der Botschafter Ungarns, Eduard Habsburg, gegenüber CNA gewürdigt. Habsburg begrüßte die Initiative des Heiligen Stuhls, Gastgeber einer solchen Konferenz zu sein.
Wenn Europa wirklich fortschreiten wolle, dann „muss es meiner Meinung nach zu seinen christlichen Wurzeln zurückkehren“, so der ungarische Botschafter, der bei der Konferenz die italienischsprachige Gruppe leitet.
Der Betonung von Glaube und Familie als zentrale Herausforderungen stimmt Frankreichs Botschafter am Heiligen Stuhl zu. Philippe Zeller betonte gegenüber CNA, wie wichtig es sei, an Europas christliche Wurzeln und das gemeinsame Vermächtnis zu erinnern – denn „derzeit läuft es für Europa tatsächlich nicht sehr gut“. Daher seien sie, als europäische Botschafter am Heiligen Stuhl, froh und dankbar für diese Konferenz, und die Möglichkeit einer offenen Diskussion.
Mit Spannung erwartet wird neben den Debatten auch die Rede von Papst Franziskus. Dieser hat in der Vergangenheit immer wieder mit deutlichen Worten Tadel geübt. So sagte er dem Europäischen Parlament am 25. November 2014, dass Europa eine „Großmutter und nicht mehr fruchtbar und lebendig ist“.
Elise Harris, Hannah Brockhaus, Pilar Pereiro und Alessio di Cinto trugen zur Berichterstattung bei. (CNA Deutsch)
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