Franziskus‘ Brief an die chilenischen Bischöfe zum Fall Barros ist einigermaßen präzedenzlos: Höchstens das Schreiben, das Benedikt XVI. 2009 zum Fall Williamson veröffentlichte, lässt sich damit vergleichen. Der deutsche Papst räumte damals im Umgang mit den Piusbrüdern freimütig eine „Panne“ ein, beklagte aber auch „sprungbereite Feindseligkeit“ bei einigen Kritikern. Was steckt nun hinter Franziskus‘ Mea Culpa?
Stefan von Kempis – Vatikanstadt.
Franziskus reagiert auf den Bericht eines von ihm nach Chile entsandten Sonderermittlers, der noch nicht veröffentlicht ist. Aus diesem Bericht des maltesischen Erzbischofs Charles Scicluna ergeben sich offenbar schwerwiegende Mängel und Fehler auch des Papstes beim Umgang mit dem sogenannten Fall Barros.
Dem chilenischen Diözesanbischof Juan Barros wird vorgeworfen, von sexuellem Missbrauch von Jugendlichen durch seinen Freund und Mentor, Pater Fernando Karadima, in dessen Pfarrei gewusst zu haben, diesen aber stillschweigend geduldet zu haben. Der „Fall Karadima“, der im Jahr 2004 öffentlich wurde, hat die Kirche in Chile schwer getroffen, noch immer ist sie mit der Aufarbeitung beschäftigt.
Obwohl er von den Vorwürfen wusste, ernannte Franziskus Anfang 2015 Barros, bisher Militärbischof, zum Diözesanbischof von Osorno im Süden Chiles. Das Aktenstudium hatte ihn offenbar zu der Überzeugung gebracht, Barros sei unschuldig und werde verleumdet. Auf Proteste gegen Barros und Forderungen nach einem Rücktritt des Bischofs reagierte der Papst mehrfach gereizt.
“ Fall Barros überschattete Chile-Reise des Papstes ”
Im Frühjahr 2018 besuchte Franziskus Chile; dabei erhielt er zunächst große Anerkennung dafür, dass er schon bei seiner ersten Ansprache in Santiago für sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche um Verzeihung bat. Nur wenig später jedoch fühlten sich Missbrauchsopfer vor den Kopf gestoßen, als er Vorwürfen gegen Barros eine Absage erteilte und diese als „Verleumdungen“ bezeichnete. Er werde erst über den Fall reden, wenn es „Beweise“ gegen Barros gebe, äußerte der Papst gegenüber Journalisten.
Als ihn daraufhin der Vorsitzende der vatikanischen Kinderschutzkommission Kardinal Sean O‘Malley offen kritisierte, bat Franziskus auf dem Rückflug von Lateinamerika nach Rom in etwas gewundenen Worten um Entschuldigung für seine Wortwahl. Der Fall Barros hatte einen tiefen Schatten auf die Papstreise geworfen; dass der umstrittene Bischof gut sichtbar an mehreren Papstterminen in Chile teilnahm, stieß auch bei vielen Gutwilligen in Kirche und Gesellschaft des Landes auf Empörung.
Kurz nach seiner Rückkehr in den Vatikan beschloss Franziskus, Erzbischof Scicluna, der früher an der Glaubenskongregation für die Untersuchung von schwerwiegenden Delikten wie Kindesmissbrauch durch Kleriker zuständig war, als Sonderermittler nach Chile zu schicken. Chiles Bischöfe begrüßten diese Untersuchung: Das zeige, „dass die Papstreise nach Chile für ihn auch eine Haltung des echten Zuhörens und der Nähe zur Realität“ bedeutet habe. Auch Barros selbst ließ in einer kurzen Erklärung wissen, er nehme „alles, was der Papst anordnet, mit Glauben und Freude auf“, und bete darum, „dass die Wahrheit aufleuchten möge“.
Sciclunas Untersuchung in Chile ist abgeschlossen, sein Bericht, der auf den Gesprächen mit über sechzig Missbrauchsopfern fußt, liegt dem Papst vor. (vatican news)
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