Er ist gekommen, um eine Revolution auszulösen. Dieter Hattrup ist Professor für Dogmatik in Paderborn und nach Rom gereist, um Charles Darwin als Kirchenvater bekannt zu machen. In der vergangenen Woche hat er darüber im Germanicum, dem deutsch-ungarischen Priesterseminar in Rom, gesprochen. Langläufig wird der legendäre Evolutionstheoretiker ja ganz anders verstanden, seine Neubewertung begründet Professor Hattrup so:
„Ich sage immer, derjenige, der das Leben gibt, ist Vater oder Mutter. Und wenn wir Darwin auf die richtige Weise anschauen, dann können wir Freiheit besser erkennen. Die Freiheit des Menschen und die Freiheit des Schöpfers. Und das bringt uns Gott näher, bringt uns mehr Leben im Glauben. Und wer uns mehr Leben gibt, hatten wir gesagt, der ist uns Vater und Mutter. So kann man sich überlegen, ob man Darwin nicht einen „verborgenen Kirchenvater“ oder einen „Kirchenvater ehrenhalber“ nennen will.“
Die Widerlegung der Freiheit ist inzwischen widerlegt, sonst bleibe nur noch reine Mechanik, so Hattrup. Aus dieser Erkenntnis heraus müsse man Darwin in der Gegenwart neu lesen. Vor dem wissenschaftlichen Horizont des 21. Jahrhunderts, beispielsweise hinsichtlich der Quantenphysik, die vom „quantenmechanischen Zufall“ spricht, platze der Knoten, der seit Beginn der Neuzeit die Naturwissenschaft von der Geisteswissenschaft, oder genauer, die Evolutionstheorie von der Theologie und Anthropologie trenne:
„Ich glaube, dass eine der großen Quellen des Unglaubens in der Neuzeit der Erfolg der Wissenschaft war. Der legte die Idee nahe, dass wir von niemandem abhängig sind und alles selbst machen können. Und die entscheidende Frage dabei ist: Ist Freiheit echt? Und kann man Freiheit mit der Naturwissenschaft beweisen? Viele, die sich Atheisten nennen, bestreiten das und bestreiten damit auch die Existenz eines Gottes. Weil sie sagen, Freiheit ist eine Illusion. Deshalb betone ich, dass die Frage, ob Gott existiert, die Frage ist, ob Freiheit existiert! Aus Zufall und Notwendigkeit heraus kann man gewissermaßen mit Darwin wie im Schatten Freiheit erkennen. Er konnte sich im 19. Jahrhundert gar nicht recht verstehen, weil die damalige Grundlage der Wissenschaft Mechanik war. Und Mechanik ist Überblick, Determination, also Bestimmtheit und Festlegung. Und obwohl er schon die richtigen Wörter hatte, nämlich Variation und Selektion, konnte er die nicht verstehen als ein Zusammenspiel, das auf Freiheit hinweist.“
Der Paderborner Theologe spricht dabei vor seinem ganz persönlichen Erfahrungshorizont. Denn bevor er das Theologiestudium aufgenommen hat, hat er Mathematik und Physik studiert – und ist dabei fast zum Atheisten geworden. Er habe sich zeitweilig nicht vorstellen können, dass es andere Wirklichkeiten gibt als die, die von der Wissenschaft behandelt werden könnten:
„Es spukte mir ein Leitsatz aus dem 19. Jahrhundert im Kopf herum: Erst kommt die Religion, dann die Philosophie – und dann die Wissenschaft. Und fast war ich daran, das zu glauben. Bis ich gesehen habe, dass die Wissenschaft im 20. Jahrhundert nicht mehr allerklärend ist. Zuerst setzt hier die Physik an: Wenn Allerklärung nicht möglich ist, dann ist der Zufall echt. Zufall und Notwendigkeit stehen damit in einem Zusammenhang. Und da kam mir Darwin in den Sinn – der hatte den Zufall allerdings nur für ein vorläufiges Unwissen gehalten. Wenn ich vor 150 Jahren gelebt hätte, hätte ich das Schicksal Darwins erlitten: Ich hätte theologisch angefangen und wäre fast ungläubig geendet. Er wollte nicht ungläubig sein, aber er konnte nicht anders.“ (rv)
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