Das Oberste Gericht der Türkei hat Ländereien des christlichen Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien dem türkischen Staat zugesprochen. In einem seit Jahren andauernden Rechtsstreit entschieden die Richter in Ankara zugunsten des türkischen Schatzamtes. Das wurde am Donnerstag in Mor Gabriel bekannt. Mit der Klage hatte das türkische Schatzamt seinen Anspruch auf einige Felder in der Umgebung des im vierten Jahrhundert gegründeten Klosters durchsetzen wollen. Im Juni 2009 wies ein Gericht in der südosttürkischen Kreisstadt Midyat die Klage des Schatzamtes zurück. Daraufhin ging der Fall an das Berufungsgericht in Ankara. Der Türkei-Experte Otmar Oehring vom kirchlichen Hilfswerk missio fürchtet, dass diesem Urteil bald ähnliche folgen werden:
Es gibt einen zweiten Prozess, bei dem es auch um einen Streit zwischen dem Kloster und dem Staatsschatz geht – von daher ist im Grunde genommen anzunehmen, dass am Ende das Urteil das gleiche sein wird. Und es gibt einen dritten Prozess, bei dem es um ein Landstück geht, das über viele Jahre nach dem Exodus großer Zahlen von syrisch-orthodoxen Christen aus der Region vom Kloster nicht mehr bearbeitet oder bewirtschaftet worden ist, und in diesem Fall behauptet das türkische Forstministerium, dieses Landstück sei Wald. Wald kann in der Türkei nicht Privateigentum sein, und deshalb müsse auch dieses Stück Land eigentlich Staatseigentum sein!
Landvermessungsarbeiten zur Erstellung von Grundbüchern nach den Vorgaben der Europäischen Union hatten vor drei Jahren eine ganze Reihe von Streitigkeiten zwischen dem Kloster, den umliegenden Dörfern und den türkischen Behörden ausgelöst. In einigen Verfahren obsiegte das Kloster, in anderen unterlag es. Die Prozesse sorgten auch in Deutschland für Aufsehen; Unterstützergruppen des Klosters und Politiker äußern sich besorgt über die Religionsfreiheit für Christen in der Türkei. Oehring weist darauf hin, dass das Kloster gegen das jüngste Urteil in Berufung gehen kann. Aber was tun, wenn es vor türkischen Gerichten verliert?
Sollte das alles so passieren, hätte das Kloster Mor Gabriel natürlich immer noch die Möglichkeit, zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu gehen. Wie der Ausgang eines Verfahrens dort sein würde, läßt sich vorab nicht einschätzen – denn dann würde es natürlich auch darum gehen, welche Beweise die beiden Streitparteien für ihre jeweilige Position vorlegen können.
Nur eine Fußnote: Ausgerechnet an dem Tag, an dem das Urteil in Ankara gegen Mor Gabriel bekannt wurde, hat der türkische Präsident die Diskriminierung von Christen durch die Behörden seines Landes angeprangert. Das sei eine „Schande", meinte Abdullah Gül am Rand eines Besuchs in Straßburg. Aber der Staatschef sieht Hoffnung: Bald werde jeder türkische Staatsbürger unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit die gleichen Berufs- und Zugangschancen haben, sagte er. Einzelheiten nannte er allerdings nicht. (rv)
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