Ein Umsturz der Machtverhältnisse in Syrien könnte zur Verschlechterung der Situation der Christen dort führen. Davor warnt der Ostkirchenexperte Dietmar Winkler. Unter der Regierung von Präsident Baschir al-Assad genießen Christen relative Religionsfreiheit, mit einem Machtwechsel in Syrien könnten sie dagegen wieder zu „Bürgern zweiter Klasse" werden, so der Salzburger Theologe.
Winkler kommentiert die Darstellung der Lage durch den syrischen Patriarchen Gregorius III. Laham, die dieser jüngst gegenüber Radio Vatikan geäußert hatte. Das Assad-Regime sei legitim und es gebe keine Ausschreitungen der Armee gegen Zivilisten, hatte der melkitisch-katholische Patriarch von Antiochien unterstrichen und sich damit gegen anderslautende Berichte internationaler Organisationen und Medien gewandt. Dazu sagte Winkler, auch wenn es sich in Syrien nach westlichen Maßstäben um eine Diktatur handele, gehe es den Christen dort im Vergleich zu anderen Staaten im Nahen Osten tatsächlich nicht schlecht. Die Abwiegelungen des Patriarchen entspringen seiner Meinung nach aus der Angst des Geistlichen vor einer ungewissen Zukunft der Christen im Land. Was der Patriarch für die melkitische Kirche ausgesprochen habe, gelte letztlich für alle Christen in Syrien:
„Und jetzt befürchten die Christen, dass – wenn das al-Assad-Regime fiele und eine sunnitische Mehrheit an die Macht käme – es dann einfach nur schlechter wird für die Christen. Tatsächlich kann man momentan prophezeien, dass sich das Assad-Regime nicht mehr wird halten können. Die Frage ist, wie lange es noch dauert. Aber es wird für die Christen – aus der heutigen Perspektive gesehen – nicht besser werden, weil die Sunniten ebenso wie die Schiiten kein Staatsmodell für Religionsfreiheit haben. Man geht zurück in das Millet-System des Osmanischen Reiches."
Gregorius habe mit Präsident Assad, der schiitischer Alawit ist, bisher gute Beziehungen gepflegt, erzählt Winkler. Der Patriarch hatte im jüngsten Interview mit Radio Vatikan trotz bedeckter Haltung gegenüber der syrischen Staatsführung die Notwendigkeit von Reformen unterstrichen: „mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Entwicklung in der Wirtschaft" seien einzufordern, so Gregorius III. Laham wörtlich. Sollte das Regime gestürzt werden, riskiere das Land in Strukturen zurück zu fallen, in denen Christen zu „Schutzbefohlenen" erklärt und damit zu Bürger zweiter Klasse würden, glaubt Winkler. Selbst „fortschrittliche muslimische Denker" befürworteten dieses Modell, gibt der Experte zu bedenken. Das sei nicht nur für die Christen eine Gefahr, sondern auch ein Schritt weiter weg vom europäischen Staats- und Religionsverständnis. Winkler:
„Christen wollen aber in den Nahen Osten ein Gesellschaftsmodell einbringen, das eher europäisch geprägt ist. Das heißt Religionsfreiheit in einem demokratischen Staat, freie Entfaltung für alle Religionen und die Existenz als gleichberechtigte Bürger in einem Staat. Tatsächlich haben die Christen in Syrien das Gefühl, dass das unter dem Assad-Regime und den Alawiten besser gewährleistet ist, als wenn die sunnitische Mehrheit an die Regierung kommt. Für diesen Fall gibt es eben diese großen Befürchtungen, dass die Freiheit enden könnte."
Drei Viertel der 17 Millionen Syrer sind Sunniten. Dennoch ist der Islam in Syrien nicht Staatsreligion. Die arabisch-nationalistische Baath-Partei, die das Land seit 1963 regiert, steht offiziell für einen säkularen Kurs und stützt sich dabei auf die Vielfalt der übrigen Konfessionen und Religionen. Der Assad-Clan sowie die Spitzen aus Partei, Geheimdiensten und Armee gehören selbst zur Minderheit der Alawiten oder Nusairier, die etwa zwölf Prozent der Bevölkerung stellen. Die Christen machen rund ein Zehntel der syrischen Bevölkerung aus; die meisten von ihnen wohnen in den Gegenden von Damaskus, Aleppo und Homs. (rv)
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