Eine Woche nach dem Besuch von Papst Benedikt XVI. in seiner Heimat hat Erzbischof Robert Zollitsch zum ersten Mal ausführlich Bilanz gezogen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz sprach am Freitag Abend auf einem Medienempfang in Berlin von „vier prall gefüllten Tagen". Der Papstbesuch entziehe sich „einer vordergründigen politischen Deutung und
auch manchen Denkschablonen, die in den Medien da und dort angewandt werden", so Zollitsch.
„Papst Benedikt ging es ganz elementar um den christlichen Glauben. Ihm ging es um den Kern des Evangeliums: Der Mensch findet seine letzte Erfüllung bei Gott. Der Glaube an Jesus Christus befreit aus der Enge bloß innerweltlicher Bezüge. Er ist die Antwort auf die existenziellen Fragen nach dem Woher und Wohin des menschlichen Lebens. Die Menschen, die an den großen Liturgien in Berlin, im Eichsfeld, in Erfurt und bei uns in Freiburg teilnahmen, konnten spüren: Papst Benedikt warb unter Einsatz seiner ganzen Kraft und mit der Autorität nicht nur seines Amtes, sondern der Glaubenserfahrung seines eigenen langen Lebens für diese Botschaft; und er machte Mut, den persönlichen Glauben an Gott zu wagen."
In den Tagen nach der ökumenischen Begegnung im Erfurter Augustinerkloster sei er „oft nach der Bedeutung und dem Ertrag dieses Treffens gefragt worden", berichtet Erzbischof Zollitsch. Manche hätten „Enttäuschung darüber geäußert, dass Papst Benedikt keine konkreteren Schritte ökumenischer Verständigung vorgeschlagen hat".
„Vielleicht missversteht man die Geste, die ein solches Treffen darstellt, wenn man es – in der Logik politischer Prozesse – auf handhabbare Ergebnisse hin befragt. Auf jeden Fall ist die Aufdeckung der konkreten Impulse, die aus dem Erfurter ökumenischen Treffen erwachsen, nun dem Gespräch zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland aufgegeben. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf das Reformationsgedenken des Jahres 2017. Den Schlüssel für diese weiteren Gespräche aber hat Papst Benedikt, dessen bin ich mir ganz sicher, uns gegeben durch sein beharrliches Bestehen darauf, dass für das gemeinsame Leben aller Christen der Glaube die erste Priorität haben muss."
Benedikt habe betont, dass es Martin Luther nicht um Spaltung der Christenheit gegangen sei, sondern um einen „Gott der Gnade". Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz ließ erkennen, dass er über ein mögliches Mea Culpa der christlichen Kirchen im Zug des Reformationsjubiläums nachdenkt. Ein solches Schuldeingeständnis hatte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, Präses Nikolaus Schneider, in Erfurt dem Papst vorgeschlagen.
„Wichtig ist jetzt die Frage: Wie können sich katholische und evangelische Christen in Deutschland noch stärker die gemeinsamen Glaubenswurzeln neu aneignen; wie die gemeinsame Verantwortung für die Geschichte des Christentums und die gemeinsame Zukunftshoffnung zu Eigen machen und dafür Zeugnis geben? Ob dazu eine kritische Relecture auch des Umgangs der Kirchen miteinander und ein wechselseitiges Eingeständnis schuldhafter Anteile und verpasster Chancen gehört, ist eine Fragestellung, die mich persönlich in diesen Tagen besonders beschäftigt."
Erzbischof Zollitsch ging auch ausführlich auf die Papstrede im Freiburger Konzerthaus ein; darin hatte Benedikt XVI. eine „Entweltlichung der Kirche" gefordert und damit „Nachfragen
provoziert".
„Es wurde vermutet, der Papst strebe eine Änderung des bewährten Gefüges der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland an. Es wurde gefragt, ob Papst Benedikt der Kirche in Deutschland einen Rückzug aus dem öffentlichen Engagement anraten wolle. All dies sind verständliche Fragen der Auslegung, die der Erörterung bedürfen und bei denen es auch streitige Diskussionen geben wird. Mir scheint es eher abwegig zu sein, den Papst für all das in Anspruch zu nehmen, hat er doch mehrfach die Kirche, ja alle Christen ermutigt, die Gesellschaft im Geist Jesu Christi zu prägen und sich so mitten hinein in die Fragen und Sorgen der Menschen von heute zu begeben."
Aus seiner Sicht, so Zollitsch, gehe es Benedikt mit der Konzerthausrede „um etwas ganz Entscheidendes: um die Mahnung nämlich, uns nicht in der Sorge um uns selbst zu verlieren, sondern uns auf das Zeugnis des Glaubens in der Welt von heute zu konzentrieren".
„Vielleicht wollte Papst Benedikt gerade uns Deutschen, die gerne organisieren, strukturieren und reformieren, nochmals einschärfen: Lasst euch vom Geist des Evangeliums leiten; Strukturen sind nur Mittel und niemals Zweck kirchlichen Handelns."
Die Reise habe offengelegt, dass es „eine starke emotionale Bindung der katholischen Gläubigen an den Papst und an die weltweite Kirche" gebe, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Diese Verbundenheit sei „entscheidend":
„Sie zählt vor allem dann, wenn im Nachdenken auch über Themen und Weisungen des Lehramtes eine Vielfalt an Stimmen zu hören ist."
Die deutsche Kirche wolle den ökumenischen Weg entschlossen fortsetzen, kündigte Zollitsch an. Sie werde sich auch künftig vernehmlich in der deutschen Öffentlichkeit zu Wort melden. Sie werde künftig aber – auch das sei eine Lehre aus dieser Papstreise – mehr Gewicht legen auf die „zentrale Bedeutung des Glaubens".
„Die Kirche lebt aus dem Glauben an Jesus Christus, nicht aus der Nützlichkeit für die Gesellschaft. Sie ist nicht gegründet als Agentur der Sinnstiftung und Wertevermittlung, sondern als Ort der Begegnung von Gott und Mensch. Deshalb soll sie der Welt zugetan sein und in der Welt und unter deren Bedingungen wirken, aber so – der Papst sagt: entweltlicht –, wie es dem Glauben an den Sieg von Gottes Möglichkeiten entspricht, die das Vermögen des Menschen unendlich überschreiten." (rv)
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