Die Frage nach den Menschenrechten angesichts der sich ändernden Rolle des Militärs: Zu diesem Thema fand im Vatikan in den letzten Tagen eine Treffen der Militärseelsorger statt. Im Zentrum der Tagung stand die Frage nach den Menschenrechten vor allem in den neuen Kriegen, den Kriegen nicht gegen Staaten sondern gegen Terror, gegen Warlords, gegen terroristische Gruppen, aber auch mit Hilfe von privaten Sicherheitsfirmen.
Ein Interview mit dem deutschen Soldatenbischof, Franz-Josef Overbeck über sein Amt, über die Tagung in Rom und über den Alltag der deutschen Soldaten in Afghanistan:
„Afghanistan ist eine andere Situation, in der die Soldaten ihren Dienst tun müssen, menschlich äußerst extrem – Vier Monate ohne die normalen Sozialkontakte. Vier Monate auf engstem Raum bei größter Hitze, viel Sonne und Sand und natürlich mit dem Wissen: Wir müssen in extreme Einsätze, die auch bedeuten können, getötet zu werden oder selbst zu töten, auf jeden Fall Gewalt anzuwenden. Auch da scheint mir genauso wie die Rolle der Seelsorger meine Rolle zu sein, hinzugehen, zuzuhören, in ethischen Fragen ein hoffentlich kompetentes Urteil oder einen Hinweis zu geben, den sie dann selbst für ihre Entscheidungen nutzen können."
Sie waren selber in Afghanistan vor nicht allzu langer Zeit. Welchen Eindruck hat das Leben der Soldaten dort auf Sie gemacht?
„Das Leben der Soldaten ist ein sehr solidarisches Leben untereinander, das haben sie mir bestätigt. Man merkt es im Umgang der Soldaten untereinander, dass sie einander so kennen lernten wie sonst nie in langen Jahren gemeinsamen Tuns in Deutschland. Ich habe den Eindruck, dass sie hochprofessionell ihren Dienst tun und anders als unter anderen Umständen, auch sehr viele Fragen haben, die wirklich ins Innerste des Menscheseins gehen. Das habe ich in Gesprächen sofort gemerkt und das sagen die Priester, die dort sind, genauso."
Das heißt es ist auch ein gewisser Druck da, der sie zwingt bzw. dazu führt, über Dinge nachzudenken, wo man normalerweise gar nicht so drauf kommt?
„Die Situation ist so anders als in Deutschland, dass es selbstverständlich ist, die reale Kriegsgefahr, den Terrorismus, die Bedrohung durch andere so hoch ist, dass man sich solche Fragen stellt, das gilt für jeden, der dort hinfährt."
Das merkt man auch an der Sprachwahl, wenn von Gefallenen gesprochen wird und so weiter. Da kommt eine Kriegssprache zurück, an die wir jahrzehntelang nicht gewöhnt waren.
„Das ist noch einmal ein Hinweis darauf, was seit den Umwälzungen von 1989 und 1990 geschehen ist. Die deutsche Gesellschaft muss sich meiner Meinung nach auch in ihrem Selbstverständnis einen neuen Ort innerhalb der internationalen Gesellschaft suchen. Geprägt allerdings durch das, was der zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus gebracht hat, bedeutet dass wir uns in diesem Sinne neu aufstellen müssen."
Die neuen Herausforderungen
Sie sind hier zu einer Tagung von Militärseelsorgern. Hilft das beim Austausch, wenn man andere kennenlernt, die aus anderen Situationen kommen?
„Die Geschichte der Militärseelsorge ist so bunt, wie die Welt vielschichtig ist. Entsprechend sind auch die Selbstverständnisse der Bischöfe und der anderen, die in der Militärseelsorge tätig sind, sehr verschieden. Ich halte unser deutsches Modell für ein sehr gutes. Deutlich zu machen: Die Bundeswehr selbst sorgt, weil die Bundesrepublik für die Religionsfreiheit auf jeder Ebene Sorge trägt, dafür, dass die Soldaten ihre Religion frei ausüben können. Diejenigen, die das tun, das gilt sowohl für die evangelische als auch für die katholische Seite, tun das aber eigenverantwortlich von Seiten ihrer Kirche. Eingebunden zwar in das System, aber nicht von ihm abhängig. Das ist in der Welt sehr unterschiedlich, so dass ich immer nur sagen kann, ich bin froh und dankbar, angesichts dieser herausfordernden Aufgabe, dass es ein solches auch rechtlich abgesichertes System gibt.
Bedrängend wirkt bei uns in vielfacher Weise, dass sich die Aufgaben ändern. Durch den Terrorismus, durch die nichtstaatlichen Organisationen, die Gewalt anwenden, denen die Staaten gegenübertreten müssen, wie wir das schon bei Al Quaida zum Beispiel gesehen haben, fordern ein anderes Ethos und andere ethische Bewertungen der entsprechenden Handlungen, die vorzunehmen sind. Das wird uns auf Dauer international neu beschäftigen. Es geht nicht mehr um klare, zwischenstaatliche Auseinandersetzungen, wie das bisher bis zum Ende des Kalten Krieges für uns in Europa zumindest gewöhnlich war."
Anwalt für die Menschen
Was ja auch das Thema der Tagung war. Wie geht man unter diesen Umständen mit Menschenwürde um. Was ergibt sich für Sie für die Militärseelsorge aus diesen neuen Umständen?
„Ich war vorher noch in Berlin bei der sogenannten Gesamttagung der Priester und Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, also denjenigen, die in der Militärseelsorge tätig sind und habe gesagt, diese friedensethischen Perspektiven einer solchen Form der Ausübung von Gewalt muss ganz neu auf den Prüfstand. Es muss gefragt werden: Dient das der Menschenwürde und auf Dauer der Gerechtigkeit? Sind die Folgen, die eine solche Anwendung von Gewalt nach sich ziehen können, so abgewogen, dass sie auf Dauer verantwortbar erscheinen? Das ist ein ganz neues Feld. Das bedeutet auch, noch einmal neu zum Anwalt der Menschen zu werden, da hier die Gefahr der Verrohung und der Willkür von Gewalt größer ist als anderswo. Das ist aber glaube ich, wenn ich das generell sagen darf, schon lange ein Problem, seitdem der Kampf nicht mehr Mann gegen Mann, sondern System gegen System geht. Oder wie ganz oft – ich habe es in Afghanistan gesehen – Handy gegen Handy, das dann entsprechende Explosionen auslöst."
Ethisch verantwortlich Handelnde und Denkende
Einer der Titel der Vorträge bei der Tagung war „Auch der Feind hat Menschen würde". Das ist durch den Tod von Gaddafi in den letzten Tagen noch einmal besonders aktuell geworden. Die Würde des Toten. Darf ich die Bilder zeigen oder sind sie Beweise oder sind sie nicht vielleicht nur Trophäen. Oder wäre nicht ein Verurteilung in Den Haag viel besser gewesen?
„Es ist immer besser, auf Gewalt Menschen gegenüber zu verzichten, von daher wäre das aus rechtsethischen Gründen das Klügere und auch das Bessere gewesen. Es ist jetzt anders gekommen, das entzieht sich daher einer weiteren möglichen Wertung. Ich kann nur noch bewerten was geschehen ist und da muss deutlich werden: Jeder Mensche hat eine Würde, die ihm ein anderer Mensch nicht nehmen darf. Das habe ich vor einigen Monaten auch schon gesagt, als es um den Tod von Osama bin-Laden ging. Hinzu kommt, dass die Frage der Gewaltanwendung in solchen terroristischen Bedingungen natürlich hochgradig ethisch verantwortet erzogene und denkende Männer und Frauen braucht, die die Gewalt anwenden bzw. wissen, wo sie die Grenzen setzen müssen. Und das scheint in solchen Konflikten leider Gottes nicht möglich zu sein."
Der Gerechtigkeit dienen
Aber die Bundeswehr bereitet sich darauf vor, auch durch die Seelsorge, kann man das so sagen?
„Wir tun das, was wir tun können, einerseits in Deutschland durch die Seelsorge im persönlichen Sinne. Die evangelische und die katholische Kirche tun vieles zusammen, vor allem im lebenskundlichen Unterricht, den wir nach Beschluss der Regierung und des Verteidigungsministeriums halten. Und wir bereiten die Soldaten mit ethischen Kriterien, die für alle Menschen gelten, vor; wir entwickeln Szenarien, in denen dann die Soldatinnen und die Soldaten wissen, wie sie sich rechtens zu verhalten haben, um die Menschenwürde zu schützen und möglichst der Gerechtigkeit zu dienen. Das ist immer die äußerste Möglichkeit gibt, die ultima Ratio, und dass auch Gewalt angewendet werden muss, ist allerdings auch alte Tradition der kirchlichen Lehre."
Wäre es eine Hilfe, auch muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger in den Streitkräften zu haben, wenn es dort Menschen muslimischen Glaubens gibt?
„Das ist eine Frage, die der Staat beantworten muss. Ich kann nur sehr generell sagen, im Prinzip der Religionsfreiheit gilt das. Faktisch ist es so, dass derzeit meines Wissens circa 1.500 der Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens sind. Zweitens wissen wir, die katholischen und die evangelischen Gläubigen kann man aufgrund der Rechtslage in Deutschland klar identifizieren, das ist bei den muslimischen Gläubigen eben sehr anders. Und diese Fragen sind – soweit ich bisher gehört habe – nur von einigen wenigen gestellt und nicht weiter öffentlich diskutiert worden."
Es hat in der Öffentlichkeit diese Debatte gewesen, ob es hilfreich sein könnte.
Es ist ja eine Extremsituation, auf die die Soldaten vorbereitet werden. Sie würden also sagen, dass im Rahmen der Vorbereitung von Soldaten auch die Seelsorge – auch der lebenskundliche Unterricht – eine wichtige Rolle spielt?
„Das tut er und auf ihre Frage kann ich auch noch anders antworten: Es hat eine Umfrage gegeben, wie zufrieden die Soldatinnen und Soldaten mit dem lebenskundlichen Unterricht der evangelischen und der katholischen Geistlichen sei. Der Grad der Zufriedenheit liegt bei etwa 80 bis 90 Prozent. Das ist angesichts des Faktums, dass 30 Prozent der Soldaten katholisch, 30 Prozent evangelisch sind, und ca. 40 Prozent einer anderen bzw. keiner Religion angehörig sind, ein hoher Prozentsatz, der über den Rahmen des Christentums hinaus geht, der dann auch darauf hinweist, dass wir für viele einen guten Dienst tun – weit über den Rahmen des Glaubens hinaus."
Herr Bischof, herzlichen Dank für das Gespräch. (rv)
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