Irak: Christen gehen gegen Gewalt auf die Straße

Gegen die anhaltende Gewalt sind in Bagdad und Mossul am Sonntag Christen, darunter Priester und Bischöfe, auf die Straße gegangen. An den spontanen Kundgebungen nahmen über eintausend Menschen teil. Auf Transparenten verlangten die Demonstranten, das „Gemetzel an Christen“ zu beenden. Zudem forderten sie ein entschlossenes Eintreten der Regierung für den Schutz der Minderheiten im Land.
Hintergrund der Kundgebung ist die neue Gewaltserie gegen christliche Kirchen im Irak. Bei verschiedenen Angriffen kamen allein im nordirakischen Mossul in den vergangenen zwei Wochen neun Christen ums Leben. Papst Benedikt XVI. hatte am Sonntag seine Sorge über die Gewalt gegen Christen und andere nichtmuslimische Minderheiten im Irak bekundet und die Behörden des Landes zu einem wirksameren Schutz aufgefordert. Der Papst sagte nach dem Angelusgebet am Sonntag auf dem Petersplatz:
„Heute möchte ich mich besonders dem Gebet anschließen, der vom Bischofsrat in Ninive ersucht wird. Ich bin allen Christen in dem Land nahe. Sie sollen nie aufgeben, sich für das Gute in ihrem Vaterland einzusetzen. Sie sind schon seit Jahrhunderten ein vollwertiger Teil dieses Landes. Und schließlich grüsse ich die Iraker auf dem Petersplatz. Ich rufe die internationale Staatengemeinschaft auf, den Irakern eine Zukunft der Versöhnung und Gerechtigkeit zu ermöglichen. Auch wünsche ich in der Hoffnung auf Gottes Hilfe, dass alles getan wird, damit dort wieder Frieden herrscht.“
Am kommenden Sonntag wird im Irak gewählt, doch die Situation der Christen und Minderheiten im Land hat sich vor den Wahlen eher verschlechtert. Fatal für ein Land, in dem gerade Christen einen wichtigen Beitrag zur Friedensarbeit leisten. Das meint Herr Berthold Pelster, Irak-Länderexperte des katholischen Hilfswerkes „Kirche in Not“. Im Gespräch mit uns sagte er:
„Es gab vor 20, 30 Jahren noch mehr 1,4 Millionen im Irak, heute ist diese Zahl drastisch zusammengeschrumpft auf vielleicht 300 oder 400.000 Christen. Das ist eine traurige und drastische Entwicklung, zumal die christliche Gemeinschaft im Irak zu eine den ältesten christlichen Gemeinschaft zählt, die es überhaupt gibt. Der Irak ist ja im ersten Jahrhundert bereits christianisiert worden.“
Nach den Aggressionen seien zahlreiche Christen in den Norden des Landes, die Nachbarländer Syrien und Jordanien, oder – wer es sich leisten konnte – in den Westen geflohen, gibt Pelster an. Damit verliere das Land mit seiner brodelnden Vielfalt an ethnischen und religiösen Gruppen an moderaten Kräften. Pelster:
„Der Irak ist ja im Grunde genommen ein künstlichen Staatengebilde, er ist ein Produkt der europäischen Kolonialmächte. Das Land muss lernen, mit dieser Vielfalt an ethnischen und religiösen Gruppen zurechtzukommen. Die Christen könnten da ein ganz wichtiges Element sein, da Christen häufig eine Brückenfunktion haben. Aufgrund ihrer Religion sind die Christen dazu aufgerufen, friedlich zusammenzuleben und alle gleich zu behandeln. Sie könnten also gerade im Irak eine versöhnende Rolle spielen. Für die Gesellschaft im Irak ist es ein großer Verlust, wenn so viele Christen das Land verlassen.“
Die christliche Gemeinschaft im Irak bemüht sich generell um Dialog. Ein gutes Beispiel dafür ist Erzbischof Louis Sako von Kirkuk, mit dem Pelster in Kontakt steht.
„Erzbischof Louis Sako von Kirkuk ruft immer dazu auf, dass die internationale Staatengemeinschaft stärker aktiv werden muss, dass Politiker und Diplomaten die irakische Regierung noch stärker unter Druck setzen müssen, dass sie für Sicherheit sorgt und sich stärker um die Minderheiten kümmert. Erzbischof Sako ist ein gutes Beispiel für den Dialog mit muslimischen gemäßigten Führern im Land. Er hat guten Kontakt zu ihnen, macht gemeinsame Veranstaltungen und Projekte, denn nur so kann es ja gehen.“ (rv)

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