Die hl. Hildegard von Bingen ist zur Kirchenlehrerin erhoben. Der Papst proklamierte die Äbtissin und Visionärin des 12. Jahrhunderts sowie den hl. Johannes von Avila auf dem Petersplatz feierlich zu „Ecclesiae Universalis doctores". Er tat dies am Sonntag, umgeben von mehreren hundert Bischöfen, bei einer Messfeier zur Eröffnung einer vatikanischen Bischofssynode zum Thema Neuevangelisierung. Eine riesige Darstellung Hildegards – sie ist die erste deutsche Kirchenlehrerin – sowie eine weitere des Johannes von Avila, eines Priesters aus dem 16. Jahrhundert, hing während der Feier von der Fassade des Petersdomes herab. In seiner Predigt warb Benedikt XVI. für das christliche Bild von Ehe und Familie. Die rheinhessische Mystikerin und neue Kirchenlehrerin würdigte er als „eine Frau von lebhafter Intelligenz, tiefer Sensibilität und anerkannter geistlicher Autorität". Hildegard ist erst die vierte Frau, die zur Kirchenlehrerin erklärt wird. Insgesamt gibt es etwa drei Dutzend herausragende Christen, die den Titel Kirchenlehrer tragen.
„Laudes Regiae": Es ist eine Liturgie aus dem Frankenreich, mit der die Feier auf der „Piazza San Pietro" startet. Papst Benedikt und die über zweihundert Väter der Bischofssynode, darunter fast fünfzig Kardinäle und mehrere Patriarchen, tragen grüne Messgewänder; insgesamt konzelebrieren über vierhundert Priester. Die Bischofskonferenzen Deutschlands und Spaniens sind mit 75 Bischöfen vertreten, allerdings ist der Petersplatz nur halbvoll – wie oft im Oktober. Dabei sind aus Spanien und auch aus Deutschland viele Pilger eigens angereist. In der Litanei wird unter den Kirchenlehrerinnen erstmals auch die eigenwillige Hildegard von Bingen angerufen, die überhaupt erst im Frühjahr dieses Jahres, nach über achthundert Jahren Wartezeit, in die offizielle Heiligenliste aufgenommen worden ist.
Erste Kirchenlehrerin aus Deutschland
„Johannes von Avila und Hildegard von Bingen haben vor allem auf Gott gehört", erklärt der Präfekt der Heiligenkongregation, Kardinal Angelo Amato, in einer kurzen Ansprache. „Sie haben Gottes Wirken in der Geschichte der Welt in seiner Tiefe wahrgenommen und mit Leidenschaft und Intelligenz neue Horizonte der ewigen, geoffenbarten Schönheit erkundet." Zwei Frauen verlesen die Biografien der neuen Kirchenlehrer; Hildegard wird von der Äbtissin der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard in Eibingen, Clementia Killewald, vorgestellt. Das Kloster ist 1165 von Hildegard gegründet worden.Dann erheben sich alle, und Papst Benedikt XVI. spricht – als einziger sitzend – die lateinische Formel der Proklamation von zwei Kirchenlehrern. Damit ist die Autorin des Visionsbuches „Scivias", die im 12. Jahrhundert Kaisern und Klerikern die Stirn bot, die erste Kirchenlehrerin aus Deutschland. Der einzige weitere deutsche Kirchenlehrer ist Albertus Magnus.
In seiner Predigt konzentriert sich der Heilige Vater vor allem auf das Thema Neuevangelisierung, dem sich die „XIII. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode" verschrieben hat; die eigentlichen Arbeiten und Beratungen dazu starten am Montag im Vatikan. „Die Kirche existiert, um zu evangelisieren… Auch in unserer Zeit hat der Heilige Geist in der Kirche einen neuen Elan, die Frohe Botschaft zu verkündigen, erzeugt – eine geistliche und pastorale Dynamik, die ihren umfassendsten Ausdruck und ihren maßgeblichsten Impuls im Zweiten Vatikanischen Konzil gefunden hat." Das Konzil wurde am 11. Oktober vor genau fünfzig Jahren eröffnet; Benedikt will am exakten Jahrestag, der auf den Donnerstag fällt, von den Synodenvätern umgeben ein eigenes „Jahr des Glaubens" beginnen.
„Ehe ist in sich ein Evangelium"
„Die neue Evangelisierung richtet sich hauptsächlich an die Menschen, die zwar getauft sind, sich aber von der Kirche entfernt haben und in ihrem Leben keine Beziehung zur christlichen Praxis haben. Die Synodenversammlung (will) in jenen Menschen eine neue Begegnung mit dem Herrn begünstigen, der allein dem Leben einen tiefen Sinn verleiht und es mit Frieden erfüllt; um die Wiederentdeckung des Glaubens zu fördern, der eine Quelle der Gnade ist, die Freude und Hoffnung in das persönliche, familiäre und gesellschaftliche Leben trägt."
Etwas überraschend kommt der Papst in seiner Predigt auf das Thema Ehe und Familie zu sprechen. Er wolle eine „vielleicht nicht voll zur Geltung gebrachte Wahrheit deutlicher ins Bewußtsein rufen":
„Die Ehe ist in sich ein Evangelium, eine Frohe Botschaft für die Welt von heute und besonders für die entchristlichte Welt. Die Vereinigung von Mann und Frau, durch die sie „ein Fleisch" werden in der Liebe, in der fruchtbaren und unauflösbaren Liebe, ist ein Zeichen, das mit Nachdruck von Gott spricht, mit einer Beredsamkeit, die in unseren Tagen noch gewichtiger geworden ist, weil die Ehe leider gerade in den seit alten Zeiten evangelisierten Gebieten jetzt aus verschiedenen Gründen eine tiefe Krise durchmacht. Und das ist kein Zufall."
Die Ehe sei in tiefer Weise „an den Glauben gebunden", sie fuße auf einer vom dreifaltigen Gott kommenden Gnade. „Heute können wir im Kontrast zu der schmerzlichen Wirklichkeit so vieler Ehen, die leider schlecht ausgehen, die ganze Wahrheit dieser Aussage erfassen. Es besteht eine offenkundige Entsprechung zwischen der Krise des Glaubens und der Krise der Ehe. Und wie die Kirche seit langem behauptet und bezeugt, ist die Ehe berufen, nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt der neuen Evangelisierung zu sein."
„Hildegard – Patronin des guten Rates"
Mit Verve erinnert der Papst auch an die vom Konzil neu in Erinnerung gerufene „allgemeine Berufung zur Heiligkeit". Die Heiligen seien „die wahren Protagonisten der Evangelisierung in all ihren Ausdrucksformen". Ihre Sprache – „die der Liebe und der Wahrheit" – sei „allen Menschen guten Willens verständlich". Benedikt würdigt zunächst den heiligen Johannes von Avila, einen Ordenspriester, der in Südspanien missionierte und übrigens auch unliebsame Bekanntschaft mit der Inquisition machte. Er sei „von einem brennenden missionarischen Geist erfüllt" gewesen. Dann kommt Benedikt auf die neue Kirchenlehrerin zu sprechen:
„Die heilige Hildegard von Bingen, eine bedeutende weibliche Gestalt des 12. Jahrhunderts, hat ihren wertvollen Beitrag zur Entwicklung der Kirche ihrer Zeit geleistet, indem sie ihre von Gott erhaltenen Gaben zur Geltung brachte, wobei sie sich als eine Frau von lebhafter Intelligenz, tiefer Sensibilität und anerkannter geistlicher Autorität erwies. Der Herr schenkte ihr einen prophetischen Geist und eine leidenschaftliche Fähigkeit, die Zeichen der Zeit zu unterscheiden. Hildegard besaß eine ausgeprägte Liebe zur Schöpfung und beschäftigte sich mit Medizin, Dichtung und Musik. Vor allem bewahrte sie immer eine große und treue Liebe zu Christus und seiner Kirche."
Eine Würdigung Hildegard aus dem Mund ihres Landsmannes auf dem Stuhl Petri gibt es später dann auch noch mal auf deutsch: als der Papst zum Abschluß der Messe den „Engel des Herrn" betet.
„Einen frohen Gruß richte ich an die vielen Gäste aus den Ländern deutscher Sprache. Mit der heiligen Messe heute morgen habe ich die 13. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode mit dem Thema „Die neue Evangelisierung für die Weitergabe des christlichen Glaubens" eröffnet. Als Vorbilder für die Weitergabe des Glaubens begleiten uns die beiden neuen Kirchenlehrer: Johannes von Avila und Hildegard von Bingen. Johannes beschreibt die Nachfolge Christi als ein inneres Voranschreiten, das sich auf das persönliche Gebet und die Einübung der Tugenden stützt. Hildegard ist eine Patronin des guten Rates. Sie setzt ihr großes Wissen ein, um Menschen zu helfen, mehr im Einklang mit Gott, unserem Schöpfer und Erlöser, zu leben. Begleiten auch wir mit unserem Gebet diese Synodenversammlung und bitten wir, daß der Heilige Geist uns führe auf allen Wegen!"
Für das am Donnerstag startende Glaubensjahr empfahl Papst Benedikt in seiner Angelus-Ansprache ein häufigeres Beten des Rosenkranzes in den Familien. (rv)
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