Kirchenaustritte hängen mit dem Verlust von Glaubwürdigkeit der Kirchen zusammen, Geschichten um Finanzen und fehlende Transparenz führen zu stark ansteigenden Austrittszahlen. Darauf weisen Untersuchungen hin, die in Nordrhein-Westfalen nach der Geschichte um das Bistum Limburg stichprobenartig erhoben wurden. Aber ist das wirklich so? Sind die vom WDR veröffentlichten Zahlen wirklich auf die Geschichte um Limburg, um das Geld der Kirche zurückzuführen? Detlef Pollack ist Religionssoziologe an der Universität Münster. Ihn haben wir gefragt, ob einzelne Ereignisse wirklich eine so große Rolle bei den Austritten spielen.
„Das glaube ich schon. Im Jahr davor sind die Austritte deutlich geringer und es gibt auch Vergleiche zwischen dem Monat Oktober und dem Monat September und auch da sind die Differenzen deutlich. In vielen Bistümern haben sich die Austritte verdoppelt. Man muss wahrscheinlich sagen, dass die Vorgänge im Bistum Limburg wahrscheinlich ausschlaggebend dafür waren."
Wenn man sich jetzt darum kümmert und die Ursachen abstellt, wäre dann diese Tendenz umkehrbar?
„Ich glaube, dass sich an den Vorgängen um das Bistum Limburg sehr viel entzündet. Sehr viele Vorbehalte, die es ohnehin gegenüber der katholischen Kirche gibt, können artikuliert werden und finden einen klaren Gegenstand. Nun hat man den Grund, empört zu sein. Ich glaube nicht, dass es so leicht ist, das wieder umzukehren."
Sie sprechen von bereits bestehenden Vorbehalten, es gibt also durchaus eine schleichende Entwicklung, die jetzt ihren Auslöser gefunden hat?
„So würde ich das sagen. Mein Eindruck ist seit vielen Jahren, dass viele katholische Christen zu ihrer Kirche stehen, aber doch mit vielen inneren Vorbehalten. Das bezieht sich sehr stark auf die Sexualmoral, aber auch auf die Hierarchie, man fühlt sich innerhalb der Kirche nicht ganz Ernst genommen, man möchte mehr Mündigkeit, mehr Selbstständigkeit und mehr Autonomie haben. Diese ganzen Probleme, die es seit Jahren in der katholischen Kirche gibt, die führen nicht unbedingt gleich dazu, dass man aus der Kirche austritt, weil man die Kirche hoch schätzt, weil man von ihr viel bekommen hat, weil man durch seine kindliche und jugendliche Erziehung mit der Kirche zusammen gewachsen ist. Das ist ein hohes Gut.
Bevor man austritt, muss viel geschehen. Die Ereignisse im Bistum Limburg sind dann gewissermaßen wie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Auf einmal kippt auf einmal die Balance, die man über Jahre gehalten hat."
Wie sieht das mit positiven Ereignissen aus? Ich erinnere an den Papstwechsel und die universelle Begeisterung für diesen Papst. Dreht das die Entwicklung um?
„Das dreht das nicht um, aber es hat schon eine Auswirkung. Es ist ganz deutlich, dass viele Katholiken gesagt haben, dass er eine große Hoffnung ist, jetzt hätten sie neues Vertrauen, jetzt müsse man sehen, was das konkret in den Gemeinden bringe. Ich würde aber den Einfluss der Kirche auf das Verhältnis der Katholiken zu ihrer eigenen Kirche aber nicht überschätzen, weil dies von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist.
Solche Faktoren sind zum Beispiel die kindliche Prägung, was man also in der Kindheit an religiösen Erfahrungen gemacht hat und wie man in die Gemeinde hinein gekommen ist. Wichtig ist auch das öffentliche Meinungsbild. Ganz entscheidend ist, was die Kirche tut, also ob sie in der Caritas tätig ist und ob man das Gefühl hat, dass sie eine wichtige Arbeit macht. Dann gibt es solche Ereignisse wie etwa den Papstwechsel oder jetzt solche Skandale wie in Limburg, die das gewissermaßen auch noch mit beeinflussen. Aber es ist ein sehr komplexes Feld und die Beziehung der Menschen zu ihrer Kirche wird von diesen vielen Faktoren beeinflusst."
Zur Zugehörigkeit zur Kirche geht auch die Kirchensteuer einher. Was für einen Einfluss haben die finanziellen Erwägungen?
„Einen ziemlich großen. Wir haben leider keine genauen Untersuchungen zur katholischen Kirche, aber aus dem Raum der evangelischen Kirche wissen wir, dass das Kirchensteuer-Ersparnis-Motiv ganz entscheidend ist für den Kirchenaustritt. Man kann das nicht isoliert betrachten, wie ich schon sagte, dahinter steht eben oft auch eine Entfremdung von der Kirche und dass einem der Glauben nicht so wichtig ist. Dann kommt dieses finanzielle Motiv hinzu und man fragt, warum man für diese Kirche auch noch was bezahlen soll. Dann ist das gewissermaßen der entscheidende Austrittsgrund."
Ist das irgendwie aufzuhalten?
„Ich glaube schon, dass die Kirchen einiges tun können, man muss aber auch ganz realistisch sehen, dass die Kirchen auch schon viel getan haben. Es ist ja nicht so, dass sie jetzt überrascht sind von irgendwelchen Ereignissen und auf einmal treten die Menschen aus. Die treten seit Jahrzehnten aus.
Seit dem Zeiten Vatikanischen Konzil gibt es eine starke Reformbemühung in den Kirchen und das hat ja auch Wirkung gezeigt. Die Kirche ist dialogischer geworden, sie geht mehr auf die Bedürfnisse der Laien ein, sie ist weniger hierarchisch strukturiert – nicht unbedingt formell, aber im Erscheinungsbild – aber trotzdem ist der Trend zur Abkehr von der Kirche nicht aufgehalten worden und er hat sich in den letzten 20 Jahren gerade in der katholischen Kirche in Deutschland noch einmal verstärkt." (rv)
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