Der Chefdiplomat des Heiligen Stuhles wünscht sich viel Menschlichkeit in der Diplomatie. Vatikan-Staatssekretär Pietro Parolin, der im vergangenen November sein Amt antrat, äußerte sich dazu in einem ausführlichen Interview mit dem Vatikan-Fernsehsender CTV. Parolin verriet in dem Gespräch außerdem, welche Prioritäten er bei Papst Franziskus sieht und wie er selbst sein Amt als „zweiter Mann im Staat“ versteht. Radio Vatikan fasst die wichtigsten Aussagen hier zusammen.
Wie Pietro Parolin sein Amt versteht:
„Was für Franziskus Priorität hat, steht auch für mich an erster Stelle“
„Ich muss sagen, dass das Amt des Staatssekretärs ein sehr anspruchsvoller Dienst ist, ein Dienst der sehr viel von mir fordert und auch mit sehr viel Verantwortung verbunden ist. Vor allen Dingen ist es aber ein Dienst, den ich mit sehr viel Leidenschaft ausübe in diesem ,neuen Frühling der Kirche’, den das Pontifikat von Papst Franziskus eingeläutet hat. Meine Priorität als Staatssekretär, also als erster und engster Mitarbeiter des Papstes, kann gar nichts anderes sein als das, was auch für den Papst selbst Priorität hat: Das, worauf er seit den ersten Tagen seines Pontifikats immer wieder zu sprechen kommt und was er uns in ,Evangelii Gaudium’ sagt.“
Priorität des Papstes: Der missionarische Umbruch der Kirche
„Ich würde sagen, für Papst Franziskus ist der missionarische Umbruch der Kirche die oberste Priorität: Eine Kirche, die aus sich herausgeht, wie er selbst ja immer wieder sagt, die ständig in Mission ist. Und diese Charakteristik, diese kirchliche Erneuerung, diese pastorale Umstellung muss auch die römische Kurie betreffen und die kirchliche Diplomatie. Das sind auch die Hauptbereiche der Aktivitäten des Staatssekretärs. Ich hoffe, wie ich hinzufügen möchte, dass wir all dies immer mit dem Herzen tun: Dass wir es für den Herrn tun und es uns so auch gelingt, die Herzen der Menschen zu berühren.“
Neue Kapitel in der Diplomatie-Geschichte des Heiligen Stuhls:
Franziskus’ Gebetswache für den Frieden
„Ich würde sagen, dass wir jeden Tag neue Seiten in der Geschichte der Diplomatie des Heiligen Stuhls schreiben. Neue Kapitel, die an jene der Vergangenheit anknüpfen. (…) Zu den neuen Seiten gehören die vielen verschiedenen Treffen mit Staats- und Regierungs-Chefs, mit Vertretern internationaler Organisationen, die Papst Franziskus begegnen wollen, um mit ihm über die großen Herausforderungen unserer Zeit zu sprechen. Außerdem möchte ich ganz besonders noch einmal an den Fasten- und Gebetstag für den Frieden in Syrien erinnern. Das war eine sehr bedeutende Seite der diplomatischen Aktivitäten des Heiligen Stuhls – ins Leben gerufen von Papst Franziskus selbst, der so die moralische Kraft und Aktivität der Kirche zum Ausdruck gebracht hat.“
Papst Franziskus wird von den Diplomaten gehört
„Papst Franziskus ist in diesem Fall so etwas wie das moralische Gewissen der Menschheit. (…) Eines möchte ich diesbezüglich unterstreichen: Manchmal scheint es, als würde es nicht sofort eine Antwort auf die Appelle des Papstes geben. Ich möchte aber betonen, dass es eine große Sehnsucht nach dem Guten gibt, es gibt wirklich auch sehr große Anstrengungen, tatsächlich Frieden auf der Welt zu schaffen. (…) Ich denke also, dass die Aufrufe von Papst Franziskus – die es übrigens ja auch bei vorherigen Päpsten gab – gut aufgenommen werden und langsam einen Weg zum Gewissen und zum Handeln der Menschheit finden.“
Plädoyer für eine menschliche Diplomatie
„Die Diplomatie muss menschlich sein. Ich denke, in ihrem Zentrum muss der Mensch stehen: Das scheint mir das erste und wichtigste Prinzip. Dazu möchte ich auch sagen, dass Papst Franziskus uns dazu bringt, den Menschen im Zentrum nicht auf abstrakte Art und Weise zu sehen, also den Mensch an sich. Vielmehr muss jeder einzelne Mensch für uns im Zentrum stehen und ganz besonders gilt das für die Armen, für Außenseiter, für schwache und besonders verletzliche Menschen, für die, die keine Stimme haben. (…) Das erfordert erstens eine Begegnung miteinander, das Aus-sich-Herausgehen zu den anderen hin. Zweitens: Solidarität und drittens: sich die Lage der anderen zu Herzen nehmen. Papst Franziskus bemängelt ja nicht umsonst auch immer wieder eine ,Kultur der Gleichgültigkeit’. (…) Letztlich lässt sich sagen: Das Prinzip einer menschlichen Diplomatie ist die Liebe und die Aufmerksamkeit für jeden Menschen auf dieser Welt. “
Hauptaufgabe der Vatikan-Diplomatie: Unterschiede als Bereicherung erkennen
„Ich denke, das ist unsere Aufgabe, ist immer die Aufgabe der Vatikan-Diplomatie gewesen: in diesen Zeiten so vieler Konflikte immer die Begegnung fördern, den Dialog und den gegenseitigen Respekt. Für mich ist das eine der Grund-Herausforderungen der heutigen Zeit (…) – auch in der kirchlichen Diplomatie – dafür zu sorgen, dass Unterschiede politischer, kultureller oder religiöser Natur nicht Gründe für Kämpfe werden, sondern als gegenseitige Bereicherung begriffen werden.“
Auch Europa verdient Aufmerksamkeit
„Selbstverständlich liegt Papst Franziskus als Hirte der Weltkirche die ganze Welt am Herzen. (…) Ich möchte aber etwas zu Europa sagen: Europa ist ein Bereich, der meiner Meinung nach Aufmerksamkeit verdient. Besonders gilt das für die Schaffung eines ,Haus Europa’. Das scheint mir sehr wichtig und etwas, wozu die Kirche einen Beitrag leisten kann: damit dieses Haus auch Werte hat und nicht nur ein rein politisches oder rein wirtschaftliches Konstrukt ist. Damit wichtige Werte geteilt werden, die ja auch ein wenig den Geist des europäischen Grundgedankens inspiriert haben. Selbstverständlich ist unsere Aufmerksamkeit heute mehr auf den Süden der Welt gerichtet, auf die Konflikte dort, wo tatsächlich das Wichtigste ist: Den Frieden wiederzufinden, einen Frieden, der dann die Grundlage der ganzen menschlichen Entwicklung ist.“ (rv)
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