Wie stellte sich der Vatikan in den 1930er Jahre zur Rassendebatte der damaligen Zeit? Mit dieser Frage setzte sich ein internationaler Kongress auseinander, der am Freitag im Camposanto Teutonico im Vatikan zu Ende ging. Ziel der von der Görres-Gesellschaft organisierten Tagung war es auch, acht Jahre nach der Öffnung der Bestände zum Pontifikat Papst Pius XI. an den vatikanischen Archiven eine Zwischenbilanz zu ziehen. Einer der Organisatoren, der Potsdamer Kirchenhistoriker Thomas Brechenmacher, sagte im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Wir haben wie bei allen diesen Archivöffnungen einen viel detaillierteren Einblick in die Diskussions- und Entscheidungsvorgänge bekommen. Zum Beispiel die Initiativen des Heiligen Offiziums in den 1930er Jahren, die sich auseinandersetzen mit den totalitären Ideologien, zu denen auch der Rassismus gezählt wird. Die Verästelungen und Verzweigungen der verschiedenen Positionen im Heiligen Offizium und im Jesuitenorden, beim Papst, im Staatssekretariat, wir sehen auch auf diesem Feld, was wir auf anderen Feldern schon oft festgestellt haben: Die Kirche ist kein monolithischer Block, sondern es gibt die unterschiedlichsten Einrichtungen, Positionen und Strömungen, die alle an Entscheidungen beteiligt sind. Hier findet man eine Vielfalt von höchst unterschiedlichen Haltungen, zum Beispiel innerhalb des Jesuitenordens, von starrem Antijudaismus bis hin zu sehr avancierten modernen theologischen Positionen zum Judentum. Zu dieser Ausdifferenzierung tragen die Archivöffnungen bei.”
Mit besonderer Spannung warten Historiker nun auf die Öffnung der Bestände aus dem Pontifikat Pius XII. Vatikanische Verantwortliche haben sie verschiedentlich für 2015 in Aussicht gestellt.
Brechenmacher selbst sprach bei der Tagung über die „Rassenenzyklika“, die Papst Pius XI. im Jahr 1938 in Auftrag gab. Das Lehrschreiben sollte nie erscheinen. Pius XI. starb am 10. Februar 1939, sein Nachfolger Pius XII. – der bisherige Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli – verfolgte das Vorhaben nicht weiter. Bisher war die Forschung davon ausgegangen, die Kurie bzw. Pacelli selbst habe das Erscheinen der Enzyklika verschleppt, weil darin die Ablehnung des Rassismus durch Pius XI. allzu harsch in Erscheinung getreten wäre. Brechenmacher zufolge sind die Gründe für das Nichterscheinen der Enzyklika differenzierter zu sehen. Jedenfalls seien die drei Entwürfe für das Lehrschreiben im Februar 1939 noch unreif gewesen.
„Meine Überlegung war: Zum einen wäre sie in der Situation vom März 1939 tatsächlich zu deutlich gewesen, weil Pacelli in dieser Situation der gespannten europäischen Lage vor dem Kriegsausbruch für den Frieden plädieren wollte. Er hat sich bewusst dafür entschieden, Friedensworte zu sprechen und erst einmal kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Das ist die eine Seite. Die andere mögliche Seite ist, dass die Enzyklika Aussagen über das Judentum beinhaltete, die kontraproduktiv hätten verwendet werden können. Zwar wurde der rassistische Antisemitismus in der Enzyklika abgelehnt, auf der anderen Seite plädierten die Entwürfe aber für einen religiösen Antijudaismus. Meine Überlegung ist: Dieses als Enzyklika veröffentlicht, hätte der nationalsozialistischen Propaganda die Möglichkeit gegeben, durch verzerrte Darstellung und Zitierung diese Enzyklika zu ihren Gunsten kontraproduktiv auszulegen.“ (rv)
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