Der Vatikan zeigt zum ersten Mal die älteste bekannte Schriftfassung des Vaterunser öffentlich. Die sogenannten Papyri Bodmer 14-15 gehören zu den kostbarsten Ausstellungsstücken, die derzeit im Vatikan bei der Ausstellung „Verbum Domini II.“ zu sehen sind. Am Dienstagabend wurde die Schau im „Braccio di Carlomagno“ auf dem Petersplatz eröffnet.
„Kein anderes Buch hat jemals einen größeren Einfluss gehabt als die Bibel. Juden und Christen in allen Teilen der Welt haben daran mitgewirkt, ihre Schriften zu bewahren und ihre Botschaft zu verbreiten bei den Menschen, die sie trafen. Die Vermittlung, Übersetzung und Verbreitung der Bibel hat die Welt verändert.“
Das sagt Cary Summers, der Leiter des „Museum of the Bible“ in den USA. Das private Museum ist die treibende Kraft hinter der vatikanischen Ausstellung, in der gut 200 Exponate aus allen Kontinenten zu sehen sind: „Verbum Domini II.“ zeigt die historische Verbreitung der Bibel, beginnend im antiken griechischen Kulturbereich über Nordafrika bis hin nach China. Viele Exponate stammen aus dem Vatikan. Zum ersten Mal überhaupt gibt die Vatikanische Bibliothek ein Blatt der Papyri Bodmer 14-15 aus der Hand, um es in einer Ausstellung zu zeigen. Was hat es damit auf sich? Der Vizepräfekt der Bibliothek, Ambrogio Piazzoni:
„Es handelt sich um eine Handschrift, die um das Jahr 200 entstanden ist und die fast vollständig die Evangelien nach Lukas und Johannes überliefert. Das ist der kostbare Beweis dafür, dass die Abfolge der vier Evangelien von Matthäus, Markus und eben Lukas und Johannes schon am Ende des 2. Jahrhunderts bestand, dieselbe Abfolge, die in jenen Jahren auch Irenäus von Lyon bekräftigte. Es ist das erste Mal überhaupt, dass ein Originalblatt aus diesem Papyrus dem Publikum gezeigt wird.“
In den Papyri Bodmer 14-15 ist im Evangelium nach Lukas unter anderem die älteste Fassung des Vaterunsers zu finden. Auch ein Teil der vielleicht bedeutendsten Bibelhandschrift der Welt ist in der Ausstellung auf dem Petersplatz zu sehen: der eher schmucklose „Codex Vaticanus“ oder „Codex B“.
„Ausnahmsweise zeigen wir ein Doppelblatt dieser berühmten Handschrift. Sie ist in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts entstanden, auf Pergament geschrieben, und enthält das Alte und das Neue Testament in griechischen Großbuchstaben. Es ist die erste vollständige Abschrift der Bibel, ein herausragendes Zeugnis des Kanons der Schrift in jener Zeit.“
Drei Schriftrollen vom Toten Meer sind ebenfalls in der Ausstellung vertreten, mehrere Fragmente der Propheten Daniel, Ezechiel und Jeremias; außerdem eine Erstausgabe der King James Bibel aus dem Jahr 1611 und eine Miniaturausgabe des Neuen Testaments in der Übersetzung Martin Luthers aus dem Jahr 1558 mit 40 handkolorierten Holzschnitten. Und sogar eine sogenannte Mondbibel: eine Ausgabe der Heiligen Schrift auf Mikrofilm, 4 mal 4 Zentimeter groß, die der Astronaut Edgar Mitchell 1971 auf der Apollo 14 mit zur Mondoberfläche und wieder zurück brachte. An einer Wand der Ausstellung sind alle Sprachen aufgelistet, in denen heute Bibelübersetzungen vorliegen: 2.300. Demgegenüber haben 2.900 Sprachen auf der Welt noch immer keine Bibelübersetzung.
Die Bibel ist ein kultureller Motor der Welt – das möchte die Ausstellung zeigen. Erzbischof Jean Louis Bruguès, Historiker und Leiter der Vatikan-Bibliothek:
„Ich denke, weil ein Großteil der Besucher keine breite religiöse Kultur hat, ist es sinnvoll zu verdeutlichen, dass die Bibel in vielen verschiedenen Gesellschaften und Zivilisationen verbreitet ist. Wir haben einen gemeinsamen Nenner, trotz aller kulturellen Unterschiede. Und dieser gemeinsame Nenner ist die Bibel. Mit Blick auf die historischen Begebenheiten und Ereignisse hat und wird die Bibel immer die Hauptrolle spielen. Und das ist es, was diese Ausstellung beleuchten möchte, die wir im Braccio Carlo Magno eröffnet haben.“
Die Ausstellung „Verbum Domini II“ auf dem Petersplatz ist bis 22. Juni geöffnet, der Eintritt ist frei. (rv)
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