Eine Begebenheit am Rand der Gebete um Frieden in den Vatikanischen Gärten mit den Präsidenten Israels und Palästinas sorgt im Nachhinein für Unruhe. Am Pfingstsonntag waren die beiden Spitzenpolitiker der miteinander verfeindeten Nachbarstaaten der Einladung von Papst Franziskus gefolgt; nacheinander erhoben sich Fürbittgebete, zunächst das jüdische, dann das christliche, schließlich das muslimische. Aus der islamischen Delegation rezitierte dann ein Imam – über das Programm hinausgehend – auf Arabisch die letzten drei Verse aus der zweiten Sure des Koran. Hier die letzten Sätze in einer Übertragung ins Deutsche: „Verzeih uns (Allah), vergib uns und erbarm dich unser! Du bist unser Schutzherr. Hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen!“
Diesen letzten Vers nun haben einige Beobachter als Angriff auf die beiden anderen Religionen gesehen, als „Unverschämtheit auf christlichem Boden“. Wie ist diese Stelle zu verstehen? Das fragte Gudrun Sailer den Islamwissenschaftler Pater Felix Körner, einen Jesuiten, der an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom lehrt.
„Ein Muslim versteht den Koran immer so, wie die ersten Hörer des Korans ihn vernommen haben. Und das heißt in dem Fall: Wir müssen uns hineinversetzen in die Frühzeit des Islam, hier sind wir vielleicht noch in Mekka oder in den ersten Jahren in Medina; der Islam ist eine kleine Gruppe, die sich noch zu Recht verfolgt sieht von Polytheisten, heidnischen Gruppen, welche Mohammed und seine Anhänger loswerden wollen. Ungläubig heißt in diesem Fall Menschen, die den einen Gott nicht anerkennen. Wenn also in dieser Koranstelle von den Ungläubigen die Rede ist, gegen die wir um Gottes Hilfe bitten, dann sind hier ganz klar nicht die Juden und auch nicht die Christen gemeint, die natürlich die Einheit Gottes anerkennen!“
„Hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen!“ Wenn wir diese Koranstelle aus unserer heutigen Perspektive als Christen – oder Juden – im Rahmen eines Treffens hören, bei dem es um Frieden geht, dann liegt es in unserem Kulturkreis nahe, das zu verstehen als Aufruf, andere zu missionieren oder gar zu besiegen. Ist das ein Missverständnis von unserer Seite?
„Dieser Vers, vielleicht spontan ausgesucht von jemandem, der dann auch auswendig den Koran vortrug, passte eigentlich sehr gut in den Gesamtzusammenhang des Friedensgebetes! Es gab immer drei Schritte bei den drei Religionen. Wir erkennen den Schöpfer an und preisen ihn, wir erkennen unsere Schuld an und bekennen sie, und wir bitten um das Geschenk des Friedens. Und all das kommt in diesen drei Koran-Versen sehr schön vor. Dir, Gott, gehört alles. Wir bereuen unsere Schuld und bitten um Vergebung. Und wir brauchen deine Hilfe, damit Frieden und Gerechtigkeit entstehen können. Das ist der Inhalt dieser drei Verse, und deshalb war das eine ganz nachvollziehbare Auswahl – vielleicht spontan getroffen, aber jedenfalls gut gewählt.“
Nun waren ja alle Elemente der Friedensgebete und der Ansprachen vorab zwischen den drei Seiten abgesprochen. Dieser eine Passus des Imam hingegen nicht, das war spontan. Denken Sie, die Rezitation wäre von der jüdischen und der christlichen Seiten gutgeheißen worden, hätte man sie vorher abgesprochen?
„Ich habe in der Gregoriana einmal eine für mich aufschlussreiche Szene erlebt. Ich hatte einen Koranexegeten, einen ganz vernünftigen, besonnenen, gemäßigten Menschen gebeten, einen Vortrag über den Koran zu halten, und er fragte mich, ob er die Koranverse, über die er spricht, auch rezitieren, nämlich melodisch vortragen also kantilieren dürfe. Ich sagte zu und merkte dann, dass im Publikum eine gewisse Unruhe entstand: Wenn der Koran auch in seiner ästhetischen Schönheit auf Arabisch vorgetragen wird, bevor er übersetzt wird, kann das bei Christen, aber genauso bei Muslimen eine gewisse Bewegtheit bis hin zur Unruhe auslösen. Es könnte also sein, dass das Problem, das man in Vorbesprechungen anmelden kann, gerade das ist, dass der Koran kantiliert, melodisch vorgetragen wird. Das hat einen besonderen Reiz, kann aber auch eben zu einer religiösen Intensität führen, die vielleicht manche Leute in einem solchen Gebetstreffen für nicht gerechtfertigt oder am Platze halten.
Wir haben uns aber klarzumachen: In den Vatikanischen Gärten kamen die Religionen nicht zusammen, um zusammen zu beten, sondern jeder hat in der eigenen Weise Gebetstexte vorgetragen. Die anderen blieben meditierend, still, hörend, aufmerksam dabei, aber sprachen nicht Gebete, die die anderen mitsprechen sollten. Insofern ist auch eine Koranrezitation bei einem solchen Treffen durchaus legitim, nachvollziehbar, verständlich und anzuerkennen!“
„Ein Koranvers, der Hochschätzung ausdrücken will“
Was unterscheidet uns Christen von Muslimen und Juden beim Gebet? Was für unterschiedliche Auffassungen vom Gebet haben wir?
„Wenn Muslime beten, vertrauen sie sich Gott an, weil er allmächtig ist. Wenn Juden beten – so könnte man es zusammenfassen -, vertrauen sie sich Gott an, weil er ihr Volk erwählt hat. Wenn wir Christen beten, dann vertrauen wir uns dem Vater an, weil er sich uns in Christus geschenkt hat. Da ist schon eine unterschiedliche Akzentuierung. Wir können aber das jeweils Andere verstehen und auch als Kontrast schätzen.“
Etwas von dem, was im Zusammenhang mit den Friedensgebeten in den Vatikanischen Gärten jetzt debattiert wird, erinnert frappierend an die Folgen der sogenannten Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. im September 2006. Wir erinnern uns: Der Papst brachte ein islamkritisches Zitat, das er sich inhaltlich nicht zu eigen machte und ausdrücklich als Zitat auswies. Dennoch hat es Muslime bestürzt und wütend gemacht. Sehen Sie diese Parallele auch?
„Es gibt eine gewisse Parallele insofern, als ein aus dem Zusammenhang herausgerissenes Zitat besonders leicht missverständlich ist. Und wenn man nur die Rede von den Ungläubigen herausnimmt, kann man sich leicht daran aufhängen und sagen, hier hat ein Übergriff stattgefunden. Andererseits haben wir hier eine Koranrezitation gehört von jemandem, der nicht nur zitiert, sondern rezitiert, der also sagt: Das, was ich hier vortrage, glaube ich auch. Und im selben Atemzug sagt er auch: Wir Muslime erkennen, so sagt es uns nämlich der Koran, die anderen Religionen mit ihren Prophetien an. Da war also von muslimischer Seite keineswegs die Abwertung oder Ausgrenzung gemeint oder ausgedrückt worden, sondern gesagt worden: Wir bringen hier eine religiöse Vorstellung, die euch aufgreift, aufnimmt und natürlich in gewisser koranischer Weise noch einmal richtigzustellen versucht. Aber hier war jetzt nichts Exklusives oder Zurückweisendes gemeint, sondern hier wird ein Koranvers zu Gehör gebracht, der Hochschätzung ausdrücken will und deshalb auch so aufgenommen werden kann.“
Gibt es denn umgekehrt in den Gebeten, die zu dem Anlass von jüdischer und christlicher Seite zu hören waren, Elemente, die eventuell für die beiden anderen missverständlich sein könnten?
Inspiration für ein neues Denken
„Man kann natürlich immer mit einem schiefen Ohr hören, übrigens ein Ausdruck von Goethe; also, wer mit schiefem Ohr hört, kann alles schräg verstehen. Zum Beispiel: Wir Christen beten immer im Namen Jesu, wir beten durch Christus unseren Herrn, und auch im Garten vor dem Hintergrund des Petersdoms haben wir natürlich durch Christus unsern Herrn gebetet. Jetzt kann ein Jude, jetzt kann ein Muslim – aber diese Kritik kam nicht – sagen: Wie könnt ihr hier etwas so spezifisch Christliches sagen, was wir doch von unseren Theologien her gar nicht nachvollziehen können? Nein: Wir beten so, und in einem Friedensgebet, wo man den anderen hochschätzt, schätzt man auch seine Andersheit hoch und seine Weise, zu glauben, zu beten und sich vor Gott und in Gott zu positionieren.
Wir haben auch aus dem Mund eines Rabbiners den Psalm 25 gehört. Darin heißt es, viele Christen kennen das ja auch auswendig: Lass meine Feinde nicht über mich triumphieren. Das ist ein ganz ähnlicher Vers wie der jetzt als so schwierig inkriminierte Koranvers. Wir Christen beten die Psalmen als die Gebete Jesu und ordnen sie deshalb von vornherein richtig ein. Wir wissen, dass wir von Gott Schutz brauchen und dass das Freund-Feind-Denken nicht weiter hilft, dürfen aber selbst solche Gefühle im Beten ausdrücken, damit Gott uns wandelt. Und deswegen haben wir hier kein Missverständnis, aber wenn man schräg hört, hört man etwas Missverständliches.“
Papst Franziskus hatte die beiden Präsidenten und den Patriarchen ursprünglich „in sein Haus“ zu diesem Gebetstreffen eingeladen – aber dann fand es stattdessen in den Vatikanischen Gärten statt. Warum?
„Das war sehr schön entschieden. Zum einen war es ein so schöner Frühsommerabend, wo die Vögel gerade noch ihre letzten Lieder zwitscherten. Es hatte so etwas Anregendes von Gottes Schöpfung, die ja in den Gebeten auch gepriesen wurde. Sinnvoll und schön war es auch deshalb, weil es hieß: Ihr sollt hier bei mir zusammenkommen dürfen, ohne dass wir uns jetzt unter unserem Glaubenszeichen versammeln, unter dem Kreuz, oder – das wäre noch unpassender gewesen – wir nehmen jetzt das Kreuz von der Wand, damit hier kein Ärgernis entsteht. Die Peterskuppel war im Hintergrund sehr schön zu sehen, aber die waren nicht in einem Raum versammelt, sondern unter freiem Himmel. Und dieses Versammeln unter freiem Himmel hatte noch eine sehr schöne weitere Dimension, auf die Papst Franziskus am Ende hinwies. Er sagte, die Spirale von Hass und Gewalt können wir nur mit einem Wort durchbrechen, und dieses Wort heißt Bruder. Dich als Bruder anerkennen kann ich aber nur, wenn ich zum Himmel schaue und unseren gemeinsamen Vater anerkenne.“
Inwiefern kann dieses Treffen zum Gebet um Frieden, das in dieser Form etwas unerhört Neues war, wirklich etwas bewirken? Was war richtig gut und neu daran?
„Man konnte sich so wunderbar an diesem Gebet klar machen, was Gebet überhaupt ist. Ich möchte das Inspiration nennen. Inspiration erst einmal auf einer horizontal-weltlichen Ebene. Jemand kommt da ins Schweigen, ins Zuhören, lässt sich von den Texten, auch den Klängen des anderen beschenken und empfängt so Inspiration für ein neues Denken. Aber Inspiration natürlich auch in einem wörtlicheren und geistlichen Sinn gemeint: Ich gestehe ein und habe es in den letzten Jahren gemerkt, ohne Dich, ohne Deinen Geist, Gott, kann ich keinen Frieden schaffen. Ich kann überhaupt nur zum Friedensstifter werden in Deiner Kraft, in Deinem Spiritus, und deswegen ist Inspiration Gebet in dem Sinn, als ich mich dort öffne für Deinen Geist, mit dessen Kraft ich Dich, Gott, als Vater anerkennen kann – und den Mut habe, dich nicht mehr als Feind anzuerkennen, du Mitmensch, sondern als Bruder, mit dem ich zusammen eine neue Welt schaffe.“ (rv)
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