Ulrich Nersinger, Der unbekannte Vatikan. Eine Besprechung von Gudrun Sailer.
Der deutsche Historiker und Journalist Ulrich Nersinger hat ein neues Buch über den kleinsten Staat der Welt vorgelegt: „Der unbekannte Vatikan“ heißt es, und wie nur wenigen anderen Autoren wurde Nersinger die Ehre zuteil, sein Werk dem Papst persönlich überreichen zu dürfen. Am vergangenen Mittwoch nach der Generalaudienz war es soweit. „Wird gelesen!“, antwortete der Papst auf Deutsch dem hocherfreuten Autor, der danach in unsere Redaktion kam und über sein neuestes Werk sprach.
„Es tauchen ja immer wieder Fragen zum Vatikan auf, aber oft sind die Antworten nicht befriedigend, weil sie mit Fachwörtern versehen sind, die man nicht kennt. Das Buch will versuchen, den Vatikan verständlich darzulegen.“
In 13 Kapiteln geht Ulrich Nersinger dem Innenleben des Vatikanstaates und des Heiligen Stuhles nach. Er schreibt über die historischen Anfänge, das Petrusgrab, über den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhles, die Kardinäle, die Liturgien und Zeremonien der Päpste, das Audienzwesen bis hin zur Feuerwehr, der Schweizergarde und den vatikanischen Münzen und Briefmarken. Als Historiker ist dem aus Eschweiler bei Aachen stammenden Nersinger besonders an den Längsschnitten durch die Zeit gelegen.
„Die Geschichte ist der Lehrmeister, der uns nahebringt, was die Substanz dieser Dinge ist. Das wird heute zu wenig gesehen – man muss einen Blick zurückwerfen und bekommt dann die Antworten für die Zukunft.“
So manche Geste und Entscheidung von Papst Franziskus erstaunt den Historiker schon deshalb nicht, weil er Ähnliches aus der Geschichte bereits kennt. Dass Franziskus darauf verzichtet hat, im Apostolischen Palast zu leben, und stattdessen im vatikanischen Gästehaus Santa Marta dauerhaft Quartier bezogen hat, ist sogar eine vergleichsweise unbedeutende Meldeangelegenheit, bedenkt man, wo überall Päpste in den vergangenen 2000 Jahren schon residierten.
„In den ersten Jahrhunderten war die Residenz, die Wohnung des Papstes, beim Lateran, bei der Bischofskirche der Päpste. Dann war sie für die sogenannte Babylonische Gefangenschaft in Avignon in Südfrankreich, und auch danach ist man zwar in den Vatikan gezogen, hat aber dennoch manchmal außerhalb gewohnt, in Viterbo und anderen Städten rings um Rom herum. Auch als der Hauptwohnsitz der Vatikan war: Man hat im Sommer etwa im Quirinalspalast (in Rom) gewohnt, manche Päpste haben auch im Palazzo Venezia ihre Residenz gehabt. Andere haben kleine Residenzen im Vatikan selbst vorgezogen, die berühmte Casina Pius IV. in den Vatikanischen Gärten etwa. Leo XIII. hat sich einen kleinen Turm erbauen lassen in den Gärten. Und Castelgandolfo war die Sommerresidenz der Päpste, die manche bevorzugt haben, manche aber auch nicht.“
Allgemein gilt: „Mit Franziskus sind Fragen neu aufgetaucht“, sagt der 56-jährige Vatikan-Beobachter.
„Und manche Entscheidungen des Heiligen Vaters bedürfen einer Erklärung, auch einer historischen Besinnung.“
Dabei könne das Buch ein wenig helfen. Als Beispiel nennt der Autor das Almosenamt des Papstes.
„Das Almosenamt des Papstes war für lange Zeit eine Ehreneinrichtung. Zwar gab es dieses Amt immer und auch die Gelder, die dafür eingesetzt wurden. Der jetzige Heilige Vater hat wirklich einen Fokus darauf gerichtet und dieses uralte Amt neu belegt, und ganz aktiv belebt. So dass der päpstliche Almosengeber nicht nur in Rom tätig ist: Er fährt nach Lampedusa und an andere Orte und schaut nach, wo schnelle Hilfe geleistet werden kann.“
Ulrich Nersinger ist bereits mit mehreren Büchern über den Vatikan hervorgetreten, die sich alle durch breite Kenntnis und solide historische Recherche auch in entlegenen Quellen auszeichnen. Darüber, dass er sein neuestes Werk Franziskus persönlich überreichen durfte, freute er sich besonders.
„Ich fand es sehr schön, dass er dann ganz plötzlich ins Deutsche wechselte. Ich habe ihm das Buch versucht, auf Italienisch zu erklären, dann hat er selber gesagt, ah, der unbekannte Vatikan. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass in dem Buch auch die neuen Initiativen, die er setzen möchte, enthalten sind, und dann kam er darauf, dass er hoffe, das könne auch realisiert werden!“
Ulrich Nersinger: „Der unbekannte Vatikan. Media Maria Verlag, Preis: rund 19 Euro. (rv)
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