Syrien/Irak: Fordern IS-Kämpfer Schlag des Westens heraus?

IS FahneDie Extremisten des „Islamischen Staates“ (IS) wollen gewaltsam einen sunnitischen Gottesstaat aufbauen, der Syrien, den Irak, aber auch den Libanon, Israel und Jordanien umfasst. Wenn man sich das Vorgehen bei dieser Invasion ansieht, das die Terroristen durch Videos plakativ zur Schau stellen, könnte man den Eindruck bekommen, sie legen es auf einen Gegenschlag des Westens an. Genau das wollen die Terroristen, sagt der italienische Religionssoziologe Massimo Introvigne, Gründer und Direktor des internationalen Studienzentrums für Neue Religionen in Rom: „Diese Videos sollen den Westen dazu bringen, Angriffe auf den IS zu starten.“

Die Extremisten sähen einen möglichen Krieg mit dem Westen als Vorsehung, als notwendigen Schritt bei der Errichtung des „ersten legitimen Kalifates des sunnitischen Islam nach Abschaffung des Kalifates im Jahr 1924″, so Introvigne im Interview mit Radio Vatikan. Der Traum von einem islamischen Gottesstaat war in jenem Jahr von Atatürk abgeschafft worden, als er das Osmanische Reich für beendet erklärte. Die IS-Kämpfer bezögen sich bei ihrer Vision auf ein „Diktum des Propheten, nach dem es in Dabiq, einer kleinen Stadt in Syrien, eine letzte apokalyptische Schlacht zwischen Muslimen und Christen, den Westlern, geben würde“, so Introvigne. Der Prophet habe auch den Sieg der Muslime bei dieser Schlacht vorhergesehen.

Deshalb müssten die Maßnahmen gegen die Invasion der IS-Terroristen – auf diplomatischer und militärischer Ebene – auch unbedingt multilateral sein, betont Introvigne. Auch muslimische Staaten müssten – sollte es zu einem militärischen Eingreifen gegen den IS im Irak und in Syrien kommen – Soldaten entsenden: Wenn sich die Extremisten einer gemischten, internationalen Armee aus Muslimen und Christen gegenübersähen, könnte man ihnen damit eine „vielleicht entscheidende, sicher sehr wichtige Waffe in ihrer Rhetorik und Propaganda“ nehmen, so der Beobachter. In der Tat gründe sich das Kalifat vor allem auf Propaganda, da es mit diesem Mittel Kämpfer aus der ganzen Welt rekrutiert habe.

NATO-Intervention gegen den Terror: Nur ein muslimisch geprägtes Land dabei
Eine länderübergreifende Allianz gegen den Terror wurde in dieser Woche auf dem NATO-Gipfel in Wales gebildet. Bei dem Einsatz von zehn Staaten unter Leitung der USA und Großbritannien sollen allerdings keine Bodentruppen zum Einsatz kommen. Die Türkei ist in dem Verbund das einzige muslimisch geprägte Land. (rv)

Schweiz: Tagung der Bischofskonferenz zu Irak und Bischofssynode

Schweiz Die Schweizer Bischofskonferenz trifft sich ab diesem Montag zu einer dreitägigen Vollversammlung in der Nähe von Fribourg. Thema ist unter anderem die Solidarität mit den Menschen im Irak, besonders den Christen und anderen Minderheiten. Daneben steht die im Oktober beginnende Versammlung der Bischofssynode in Rom zum Thema Familie auf der Tagesordnung. Als Schweizer Thema wird das 1.500 Jahre-Jubiläum der Abtei Saint Maurice im Wallis Thema sein, besonders auch dessen Verbindung zur koptischen Kirche Ägyptens. Saint Maurice gilt als das älteste Kloster des Abendlandes, das ohne Unterbrechung besteht. (rv)

Nigeria: Boko Haram will ebenfalls einen „Islamischem Staat“

Kardinal Onaiyekan Seit eineinhalb Jahren sind in Nigeria über 650.000 Menschen vor der Gewalt der islamistischen Sekte Boko Haram geflüchtet. Das teilte nun die UNO mit. Allein an diesem Freitag habe die Terrorgruppe im Nordosten des Landes ein Dorf eingenommen und etwa 11.000 Bewohner vertrieben. Das sagt im Gespräch mit Radio Vatikan der Erzbischof von Abuja, Kardinal John Olorunfemi Onaiyekan.

„Boko Haram scheint immer mehr Erfolge zu verzeichnen und erobert ein Dorf nach dem anderen, zum Teil handelt es sich sogar um Kleinstädte. Wir verstehen nicht, weshalb die Armee, die dort präsent sein sollte, jedes Mal abzieht, kurz bevor Boko Haram kommt. Wir warten auf Erläuterungen der Regierung. Mir scheint das sehr peinlich für die unsere Politiker zu sein.“

Noch vor einigen Monaten sorgte eine internationale Kampagne zur Befreiung von entführten Schulmädchen für Schlagzeilen und vor allem für viele Solidaritätsbekundungen für Nigeria. Nun seien vergangene Woche nochmals hunderte Mädchen verschleppt worden, doch die internationale Aufmerksamkeit scheint sich auf andere Krisengebiete verlagert zu haben, so der nigerianische Kardinal.

„Wir wissen nicht weiter. Hinzu kommt, dass in Nigeria selber die Entführungen für politische Zwecke missbraucht werden. Nächstes Jahr finden wichtige Wahlen statt, und die Politiker denken lieber daran, diese schrecklichen Vorkommnisse für ihre Zwecke zu benutzen. Fakt ist, Boko Haram hat eine tiefe Kluft zwischen den Muslimen und den Christen in Nigeria geschaffen, und das beunruhigt mich sehr.“

Boko Haram habe auch einen Bezug zum „Islamischen Staat“ im Irak, so Kardinal Onaiyekan.

„Wenn wir hier in Nigeria hören, was im Irak geschieht, dann sind wir erstaunt und beängstigt, denn dort entsteht das, was Boko Haram seit Jahren versucht ebenfalls einzuführen: ein Islamistischer Staat. Das haben sie bisher bei uns nicht geschafft, aber wir befürchten, dass die Methode dieselbe sein wird: all jene töten, die nicht zu ihnen passen, egal ob Christen oder Muslime.“ (rv)

Vatikan/Irak: Aufruf zum Gewaltstopp an IS-Kämpfer

Kardinal Rodriguez MaradiagaCaritas Internationalis appelliert an die IS-Kämpfer im Irak, Gewaltakte gegen die Bevölkerung unverzüglich einzustellen. In einem Solidaritätsschreiben an die chaldäische Kirche und die Caritas im Irak wendet sich der Präsident von Caritas Internationalis, Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, an die Islamisten, die dabei sind, in dem Land ein Kalifat zu installieren: „Wir rufen die Kämpfer des Islamischen Staates dazu auf, die folgenschweren Gräueltaten an ihren Brüdern und Schwestern einzustellen und auf eine friedliche Gesellschaft hinzuarbeiten, in der alle Menschen – ob Mehrheits- oder Minderheitsgemeinschaften zugehörig – zusammen in Frieden und fruchtbringend leben können“, schreibt der Kardinal in dem Brief, der auf den 15. August datiert ist.

Angst vor Rückschritten im Dialog
In dem Schreiben bringt der Präsident von Caritas Internationalis seine Sorge zum Ausdruck, dass die jüngste Gewaltwelle zu Rückschritten im christlich-muslimischen Dialog führen und die friedliche Koexistenz der beiden Religionsgruppen weltweit und „vor allem im Nahen Osten“ beeinträchtigen könne. Der Kardinal hält jedoch fest, dass die Gewalt im Irak alle Volks- und Religionsgruppen – Christen, Jesiden, Kurden, Shabaks und Mandäer. Die durch Islamisten erzwungene Markierung christlicher Häuser im Irak erinnere freilich an die Judenverfolgung im Nationalsozialismus, deutet der Kardinal an.

Solidarität mit den leidenden Menschen
Kirchen- und Ordensleuten, Caritasmitarbeitern und allen bedrängten Menschen im Irak drückt der Caritas Internationalis-Präsident im Namen des vatikanischen Dachverbandes Solidarität und Nähe aus. Caritas Internationalis arbeite „auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene“ für die Wiederherstellung der Sicherheit, die Wahrung der Menschenrechte und die Unterbindung von Gewalt im Irak, versichert Rodriguez Maradiaga weiter. Der Brief ist an den chaldäischen Patriarchen, Louis Raphael Sako, und den Präsidenten von Caritas Irak, Schlemon Warduni, adressiert. (rv)

Ist militärische Gewalt im Irak rechtfertigbar? Ein Friedensethiker erklärt

ITHF Hamburg„Es ist legitim, einen ungerechten Aggressor zu stoppen“ – das sagt Papst Franziskus zu den Vorgängen im Nordirak und dem Militäreingriff der USA. Wann und unter welchen Umständen billigt die katholische Kirche militärische Gewalt und ihre Unterstützung in Form von Waffenlieferungen? Darüber sprachen wir mit Heinz-Gerhard Justenhoven, dem Direktor des katholischen Instituts für Theologie und Frieden in Hamburg.

„Natürlich ist der Einsatz militärischer Gewalt immer einer, der rechtfertigungsbedürftig ist. Er ist dann erlaubbar oder rechtfertigbar, wenn das Übel, das durch ihn angerichtet wird, geringer ist als das Übel, das man verhindern kann. Und das ist im Fall der Selbstverteidigung unter bestimmten Umständen gegeben.“

Im Irak machen die Terrorkämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) mit unvorstellbarer Brutalität Jagd auf Christ en, Jesiden und andere Teile der Bevölkerung. Selbstverständlich haben diese Menschen nach katholischer Lehre das Recht auf Selbstverteidigung. Und dann, erklärt Justenhoven, muss man prüfen, wie ihnen zu helfen ist – notfalls auch mit Waffenlieferungen.

„Wenn es ein Recht auf Selbstverteidigung gibt in einer Welt, die so ist, wie sie ist – und wir erleben ja gerade in welchem Ausmaß Gewalt gegen Zivilisten angewandt wird durch die Miliz „Islamischer Staat“ – dann kann es unter Umständen notwendig sein, denen, die sich wehren wollen, das Recht, Waffen zu kaufen, nicht zu verwehren. Insofern bin ich skeptisch, wenn man sagt, wir dürfen generell nicht mit Waffen handeln. Die Frage ist, wie dies in einer angemessenen Weise erfolgen kann und welche Hilfe sie möglicherweise brauchen, wenn sie das nicht selber können.“

Die Jesiden erhalten Schutz durch die kurdischen Kämpfer der Peschmerga, und in Europa tobt nun eine Debatte darüber, ob Waffenlieferungen an die Kurden zulässig und sinnvoll sind, damit diese gewissermaßen die Selbstverteidigung der Jesiden übernehmen können. Ein grundsätzliches katholisches „Nein“ zum Waffenhandel gibt es nicht. Justenhoven:

„Die schwierig zu beurteilende Frage ist, wie viel ist hier notwendig und angemessen? Wer kann, das was notwendig ist, an Hilfe und Unterstützung leisten? Und die zweite Frage ist, welche Waffenunterstützung bräuchten die Peschmerga, und da muss man überlegen, dass es mit dem Liefern von Waffen allein nicht getan ist. Wir erleben ja gerade, dass die Miliz ,Islamischer Staat´ mit schweren Waffen angreift, die sie vorher der syrischen und der irakischen Armee abgenommen hat. Das heißt mit Waffen, die die Amerikaner dorthin geliefert haben. Das ist ein Abwägungsprozess, den auch ich als Ethiker nicht einfach und schnellhin treffen kann. Dazu braucht es eine ganze Menge Kenntnis von vor Ort. Mir scheint wichtig, dass diese Überlegungen mitberücksichtig werden in der Debatte, ob man Waffen liefern soll oder nicht.“

Das Problem der meisten heutigen Konflikte sei, dass solche Fragen zu spät gestellt würden, betont Justenhoven. Immer erst dann, wenn die Lage eskaliert, „und dann viel zu schnell“, werde darüber nachgedacht, wie man Konflikte militärisch entschärfen kann.

„Und das ist etwas, was ich bei den Päpsten der letzten Jahrzehnte immer gesehen habe: der Hinweis, dass wir uns viel früher darum bemühen müssen, Konflikte einzudämmen.“

Häufig entstünden diese Konflikte durch einen Mangel an politischer und ökonomischer Teilhabe.

„Das heißt, die Menschen greifen dann zu Waffen, wenn es ihnen wirtschaftlich schlecht geht, wenn sie Hunger leiden, oder wenn sie politisch ausgeschlossen werden. Und wenn Sie sich den Konflikt im Irak anschauen, sind das genau die Ursachen. Die sunnitischen Stämme haben sich auf die Seiten dieser relativ kleinen islamistischen Miliz gestellt, weil in Bagdad ein Ministerpräsident sie rabiat und konsequent von jeder politischen Teilhabe ausgeschlossen hat.“

Das christliche Leitbild in Konflikten ist das vom „Gerechten Frieden“. Die Grundvoraussetzung dafür ist das Vorhandensein einer politischen Ordnung, die verhindert, dass Konflikte in Gewalt münden. Die zweite Bedingung ist die Beteiligung aller Bürger in einem Gemeinwesen. Im Fall des Irak ist hier ein Hoffnungsschimmer gegeben: der neue Premierminister Haidar al Abadi arbeitet an der Bildung einer Einheitsregierung. In den Gebieten hingegen, die der „Islamische Staat“ kontrolliert, herrschen Terror, Vertreibung und Chaos. Das Äußerste, was Politik leisten könne, sei einen gewaltsamen Konflikt auf seinen politischen Kern zurückzuführen wie etwa derzeit in der Ukraine. Justenhoven:

„Ich kann nicht beurteilen, ob es unmöglich ist, in einer solchen Gruppe einen politischen Kompromiss zu schließen. Wenn dem so wäre, müsste in der Tat einer solchen Gruppe militärisch Einhalt geboten werden, aber auch das kann immer nur der erste Schritt sein. Die eigentliche politische Aufgabe besteht dann darin, zu einer politischen Ordnung auf der Basis der Menschenrecht zurückzukehren, in der alle dort lebenden Menschen ein Minimum an Lebensbedingungen vorfinden.“ (rv)

Kardinal Filoni: „Papst will Schutz für Schwächsten im Irak“

Kardinal Filoni Im Irak sind die Worte des Papstes, es sei rechtens, Aggressoren notfalls auch mit militärischen Mitteln zu stoppen, positiv aufgenommen worden. Das sagte uns in einem Telefonat Kardinal Fernando Filoni. Der päpstliche Gesandte ist seit fünf Tagen zu Gast in den nordirakischen Kurdengebieten.

„Der Heilige Vater hat das ausgesprochen, was jeder Christ oder Jeside hier denkt und wünscht. Ich möchte noch etwas vielleicht Hartes sagen: hier im Irak geht es nicht um einen Krieg, es geht um eine Ungerechtigkeit gegenüber armen Menschen. Diese Mitbrüder müssen wir helfen, ihnen wurde ihr Land, ihr Haus weggenommen. Man hat ihre Familienangehörige entführt. Da können wir nicht tatenlos zuschauen. Jeder soll nun so helfen, wie es für ihn am besten geht. Der Papst macht dies mit all seinen geistlichen und moralischen Mitteln, die er hat. Wenn ich an die 450 entführten Mädchen denke, so möchte ich alle daran erinnern, dass diese Mädchen unsere Töchter sein könnten. Was würdet ihr für eure Töchter tun?“

Es sind Filonis letzte Stunden auf irakischem Boden. In Bagdad, seiner letzten Station, überreichte der Kardinal dem irakischen Präsidenten einen persönlichen Brief des Papstes.

„Das Treffen in Bagdad war sehr herzlich. Der chaldäische Patriarch Louis Sako hat mich begleitet und auch der Nuntius und Weihbischof Shlemon Warduni waren anwesend. Der irakische Präsident versprach mir, dass er bald einen Antwortbrief an den Papst richten werde. Ich habe mit ihm über meine Erfahrungen und Erlebnisse gesprochen, die ich in diesen Tagen im Irak gesammelt habe. Ich habe auch betont, dass meine Reise keine politische Bedeutung hat, sondern es ging dem Papst um einen humanitären Besuch meinerseits. Deshalb war ich in Erbil, wo die Lage sehr prekär ist.“

In dem Brief des Papstes gehe es darum, das irakische Volk und die Behörden zu unterstützen, jegliche Maßnahmen für den Frieden zu finden und umzusetzen.

„Das ist ja auch das, was dem Papst am Herzen, im Kopf und in seinen Gesten liegt. Dem Papst ist das Schicksal der Schwächsten im Irak so wichtig, dass er sich für jede mögliche Intervention ausspricht. Bei der Irak-Frage geht es nicht nur um das irakische Volk, um die Christen oder Jesiden, es geht um eine Angelegenheit, die alle Menschen auf der Welt betrifft. Jede Minderheit oder Mehrheit, jede Glaubensgemeinschaft ist davon betroffen und soll sich um die Würde der Menschen einsetzen. Das muss verteidigt und gefördert werden.“ (rv)

Syrien/Irak: Vier Forderungen an die EU

Ignatius Joseph III. Younan Als „Blutbad des Jahrhunderts“ hat der ranghöchste syrische Bischof die Verfolgung der Christen und anderer religiöser Minderheiten im Irak bezeichnet. Ignace Youssef III Younan, Patriarch von Antiochien der Syrer, richtete namentlich an Europa einen neuerlichen Appell, die ethnisch-religiöse „Säuberung“ durch die Dschihadisten des „Islamischen Staates“ zu beenden und den Christen im Irak zu Hilfe zu kommen. Gegenüber der französischen Zeitung „Ouest France“ formulierte der Patriarch vier Dringlichkeiten. Zunächst müsse Europa Waffenlieferungen an Terroristen in Syrien und im Irak stoppen, indem es aufhört, angeblich gemäßigte Oppositionsgruppen in Syrien mit Waffen zu versorgen. Von der UNO müsse Europa eine sofortige Sitzung des Sicherheitsrates einfordern, der Maßnahmen zur Unterstützung der Minderheiten im Irak trifft und eine bindende Resolution erlässt, damit die Vertriebenen in Sicherheit wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Schließlich rief der libanesische Patriarch Europa dazu auf, die humanitäre Versorgung der Notleidenden im Irak und in den Nachbarländern zu verdoppeln. (rv)

Papstbrief an Ban Ki-moon: Systematische Gewalt gegen Christen stoppen

UNO-Fahne In einem Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, ruft der Papst die Staatengemeinschaft dazu auf, die systematische Gewalt gegen Christen und andere religiöse Minderheiten im Irak zu stoppen. Der Brief ist auf den 9. August 2014 datiert. Lesen Sie hier das Schreiben, das an diesem Mittwoch bekannt wurde, in einer Arbeitsübersetzung.

Ich habe mit schwerem und schmerzendem Herzen die dramatischen Ereignisse der vergangenen Tage im Nordirak verfolgt, wo Christen und andere religiöse Minderheiten gezwungen wurden, aus ihren Häusern zu fliehen und der Zerstörung ihrer Kultstätten und ihres religiösen Erbes zusehen mussten. Bewegt durch ihre Notlage habe ich Kardinal Fernando Filoni, den Präfekten der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, der als Vertreter meiner Vorgänger Papst Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. den Menschen im Irak diente, gebeten, meine spirituelle Nähe und meine Sorge sowie die der gesamten Katholischen Kirche auszudrücken – angesichts des unerträglichen Leids jener, die lediglich in Frieden, Harmonie und Freiheit im Land ihrer Ahnen leben möchten.

Im selben Geiste schreibe ich Ihnen, Herr Generalsekretär, und führe Ihnen die Tränen, das Leiden und die innigen Verzweiflungsschreie der Christen und anderer religiöser Minderheiten des geliebten Irak vor Augen. Ich erneuere meinen dringenden Appell an die Internationale Gemeinschaft zu handeln, um die gegenwärtig sich vollziehende humanitäre Katastrophe zu beenden. Ich ermutige alle zuständigen Organe der Vereinten Nationen, insbesondere die für Sicherheit, Frieden, humanitäres Recht und Flüchtlingshilfe zuständigen, ihre Anstrengungen in Übereinstimmung mit der Präambel und den entsprechenden Artikeln der Charta der Vereinten Nationen fortzuführen.

Die Welle der brutalen Angriffe im Nordirak muss die Gewissen aller Männer und Frauen guten Willens wachrütteln und sie zu konkreten Handlungen der Solidarität bewegen: Diejenigen müssen geschützt werden, die von Gewalt betroffen oder bedroht sind, und den vielen Vertriebenen muss die notwendige und dringende Hilfe gewährt werden. Auch muss ihnen einen sichere Heimkehr in ihre Städte und Häuser garantiert werden. Die tragischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und das grundlegendste Verständnis der menschlichen Würde zwingen die Internationale Gemeinschaft insbesondere durch die Normen und Mechanismen des internationalen Rechtes dazu, alles ihr Mögliche zu tun, um weitere systematische Gewalt gegen ethnische und religiöse Minderheiten zu stoppen und zu unterbinden.

In dem Vertrauen, dass mein Appell, den ich mit denen der Orientalischen Patriarchen und anderer religiöser Führer vereine, eine positive Antwort haben wird, nutze ich die Gelegenheit, Ihnen meine größte Hochachtung auszusprechen.

Papst Franziskus (rv)

Nuntius im Irak: Ja zu US-Intervention

Irak Immer deutlicher signalisiert der Heilige Stuhl seine Billigung für die US-Militärintervention im Irak. Als wichtigstes Ziel sieht man im Vatikan die Eindämmung und Entwaffnung der Terrorgruppe „Islamischer Staat“. Der Nuntius in Bagdad, Erzbischof Giorgio Lingua, sagte im Gespräch mit Radio Vatikan:

„Leider greift man ein, um eine Lage zu reparieren, die man hätte vermeiden können. Aber es ist gut, wenn es wenigstens gelingt, jenen Leuten, die keine Skrupel haben, die Waffen aus den Händen zu nehmen.“

Das Hauptproblem im Irak sei „das der Waffen“, fuhr der Nuntius fort.

„Ich frage mich, wie diese Gruppen an so hochentwickelte Waffen kommen. Sie sind ja nicht selber Waffenproduzenten: Sie müssen sie von irgendwoher haben. Ich glaube, das ist in erster Linie ein Bankrott der Geheimdienste. Man muss den Waffenhandel besser kontrollieren und stoppen. Sonst kommt man hier an kein Ende.“

Bereits der Ständige Beobachter des Heiligens Stuhles bei der UNO in Genf, Erzbischof Silvano Maria Tomasi, hatte vor zwei Tagen ein vorsichtiges „Ja“ zur Militärintervention signalisiert, während Papst Franziskus selbst beim Angelusgebet noch am Sonntag von seiner Hoffnung auf eine „wirksame politische Lösung auf internationaler und lokaler Ebene“ sprach. Die Christen im Irak jedenfalls fühlen sich – nicht zum ersten Mal – von der Welt im Stich gelassen. Das bestätigte uns der Weihbischof von Bagdad, Shlemon Warduni. Die chaldäische Kirche hat deshalb am Sonntag einen dramatischen Appell an die Staatengemeinschaft und alle Christen gerichtet. Warduni:

„Die internationale Bereitschaft zur Zusammenarbeit für den Irak ist sehr schwach. Und sie kam spät. Auch Europa und die USA und die Christen in der ganzen Welt haben geschlafen, als das Kalifat kam. Unsere Tragödie wurde anfangs nicht ernst genommen. Deshalb sind wir an diesen Punkt gelangt, von dem der Appell spricht.“

„Bitte, verkauft den Terroristen keine Waffen!“

In dem Appell – er hat die Form eines Offenen Briefs – zeigt sich Patriarch Louis Sako enttäuscht darüber, dass die USA nur die Stadt Erbil militärisch schützen will. Erbil ist Hauptstadt der autonomen Provinz Kurdistan im Nordirak. „Die Amerikaner wollen nicht die Stellungen des ‚Islamischen Staats’ in Mossul und der Ninive-Ebene angreifen – also fassen sie keine schnelle Lösung ins Auge, die Hoffnung geben könnte“, heißt es in dem Schreiben des Erzbischofs. Die Kämpfer des „Islamischen Staates“ haben alle Christen aus Mossul vertrieben und terrorisieren sie auch in ihren Zufluchtsorten in der Ninive-Ebene. Shlemon Warduni fordert im Namen der Christen des Irak:

„Wir wollen einen Eingriff! Jetzt, sofort. Für die Christen, die Jesiden. Arme Leute! Wie viele Kinder sind gestorben, wie viele Frauen entführt, wie viele Männer ermordet. Deshalb haben wir gesagt, die Welt muss einschreiten – sofort. Und verkauft diesen Leuten keine Waffen!“

Am Anfang führten die IS-Kämpfer im Irak, wie Warduni erinnert, eine überraschend milde Sprache. Die ganze Welt habe sich gerne davon täuschen lassen.

„Sie sagten den Christen, geht nicht weg. Dann haben sie begonnen, die Christen aus ihren Ämtern und Arbeitsstellen zu jagen. Dann haben sie ihre Häuser gekennzeichnet. Dann schrien sie: Christen raus. Sie haben sie verjagt oder ermordet, sofern sie bleiben und nicht zum Islam übertreten wollten. Und sie säten Angst in die Herzen aller. Wenn die Leute IS-Kämpfer sehen, fangen sie schon an zu laufen. Zu Tausenden. 200.000 unserer Leute sind geflohen. Die Kirche hat versucht, die Leute irgendwie unterzubringen, und für die meisten ist das sogar gelungen. Wir rufen die ganze Welt an: Bitte, tut etwas! Bitte, helft uns! Bitte, verkauft keine Waffen!“

Das Grundproblem im Irak ist aus Sicht Wardunis und auch des Heiligen Stuhles politischer Natur: Es ist das Fehlen politischer Einheit. Eine Vielzahl gesellschaftlicher, ethnischer und religiöser Gruppen steht sich teils unversöhnlich gegenüber. Im April hat der Irak gewählt, eine Regierung ist noch immer nicht entstanden. Präsident Fuad Masum hat nun endlich den schiitischen Politiker Haidar al-Abadi mit der Regierungsbildung beauftragt, der versprach, die Gruppen des Irak an der Regierung zu beteiligen.

„Koalition Bagdads mit den Kurden wäre besser…“

Der bisherige Amtsinhaber Nuri al-Maliki, ebenfalls Schiit, legt sich quer. Maliki steht freilich bei Sunniten und Kurden in schlechtem Ansehen. Sie werfen ihm vor, wegen der politischen Ausgrenzung der Sunniten für das Desaster „Islamischer Staat“ verantwortlich zu sein. Weihbischof Warduni:

„Das ist eines der größten Probleme: Die Regierung und alle anderen Parteien müssten an einem Strang ziehen. Aber sie gehen in Deckung, statt zu sagen: Gehen wir zu den Kurden, bilden wir jetzt einen Block zusammen mit ihnen, der die Stärke des Irak zeigt, wir wollen keinen Krieg, wir wollen keine Toten, wir wollen unsere Rechte. Frieden und Sicherheit! Würde die Regierung mit den Kurden koalieren, wären die Dinge sicher besser.“

Der Nuntius in Bagdad stellt die komplizierte Regierungsbildung in Bagdad in einen größeren Zusammenhang.

„Ganz gewiss, es braucht eine Regierung, die alle Volksgruppen miteinbezieht. Sonst wird der Staat immer schwächer. Es ist aber auch klar, dass die Demokratie ihre Zeiten braucht; man kann nicht erwarten, dass sie sich sofort herstellen lässt. Die Demokratie muss auch die Minderheiten miteinbeziehen, alle jene Gruppen, die schwächer sind oder andere Ansichten haben. Das ist ein Weg, der Zeit braucht, den man aber beschreiten muss. Andernfalls wird man nie aus dieser Pattsituation herauskommen.“

In diesen Tagen wird als persönlicher Gesandter des Papstes Kardinal Fernando Filoni im Irak erwartet. Erzbischof Lingua wird nicht nur einen Landsmann, sondern auch einen Vorgänger empfangen: Kardinal Filoni war 2001 bis 2006 Nuntius in Bagdad. Lingua misst dem Besuch des päpstlichen Gesandten eine moralische Bedeutung zu:

„Ich glaube, das ist eine Geste, die von der Bevölkerung sehr geschätzt wird. Das Wichtige ist, dass sie sich nicht verlassen fühlt. Materiell kann dieser Besuch aus dem Vatikan natürlich nicht alle Probleme lösen. Aber er kann die öffentliche Meinung sensibilisieren und die Menschen fühlen lassen, dass es da jemanden gibt, dem sie am Herzen liegen. Oft ist es wirklich dieses Gefühl der Verlassenheit, das dazu führt, dass man die Hoffnung verliert.“ (rv)

Vatikan: Anklageschrift gegen islamistischen Terror im Irak

Kardinal Tauran Die Vatikanbehörde, die für den Dialog mit den Muslimen zuständig ist, hat sich erstmals zur Errichtung des „Kalifates“ durch die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ geäußert. Mit äußerster Entschiedenheit weist der von Kardinal Jean-Louis Tauran geleitete Päpstliche Rat für den interreligiösen Dialog die Praktiken des „Islamischen Staates“ zurück. Die „religiösen Verantwortlichen, besonders die muslimischen“, werden zu einer „klaren und mutigen Stellungnahme“ zu den Vorgängen im Irak aufgefordert. Das „Kalifat“ ist Ende Juni 2014 ausgerufen worden.

Die Erklärung aus dem Vatikan, die an diesem Dienstag veröffentlich wurde, listet zahlreiche und „unsägliche kriminelle Handlungen“ durch die Dschihadisten des „Islamischen Staates“ auf: Massaker an Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit, die „grauenhafte Praxis der Enthauptung, der Kreuzigung und des Aufhängens von Leichen an öffentlichen Plätzen“, die erzwungene Wahl für Christen und Jesiden, zu konvertieren, eine bestimmte Steuer zu zahlen oder zu flüchten; die Vertreibung „zehntausender Menschen“, darunter Kinder, Alte, Schwangere und Kranke; die Entführung christlicher und jesidischer Frauen und Mädchen „als Kriegsbeute“; die Auferlegung der „barbarischen Praxis“ der Genitalverstümmelung an Frauen; die Zerstörung christlicher und muslimischer Kultorte; die Besetzung und Entweihung von Kirchen und Klöstern; die Zerstörung christlicher und anderer religiöser Symbole; und schließlich die „niederträchtige Gewalt mit dem Ziel, die Menschen zu terrorisieren und sie zu zwingen, sich auszuliefern oder zu flüchten“.

„Kein Grund“, erst recht kein religiöser, könne „eine solche Barbarei rechtfertigen“, heißt es weiter in der ungewöhnlich deutlich formulierten Mitteilung aus dem Vatikan. Christen und Muslime hätten über Jahrhunderte nebeneinander gelebt, „mit Höhen und Tiefen“, aber sie hätten eine Zivilisation geschafften, „auf die sie stolz sind“. Auf dieser Grundlage habe sich nicht zuletzt der christlich-muslimische Dialog in den vergangenen Jahren entwickelt.

Angesichts der dramatischen Lage der Christen, Jesiden und anderen Religionsgemeinschaften im Irak brauche es eine einstimmige Verurteilung der Vorgänge im „Kalifat“, heißt es in der Mitteilung aus dem Vatikan weiter. Religionsvertreter, „besonders muslimische“, Exponenten des interreligiösen Dialogs und „alle Menschen guten Willens“ müssten „einmütig und ohne Zweideutigkeiten“ die Verbrechen der islamistischen Terrorgruppe im Irak verurteilen und ihre Berufung auf religiöse Motive zurückweisen. Auf dem Spiel stehe geradewegs die Glaubwürdigkeit der Religionen, ihrer Anhänger und ihrer Oberhäupter. Der Vatikan verweist auch darauf, dass die Mehrheit der islamischen Institutionen in Religion und Politik die Wiedererrichtung des Kalifats durch die Dschihadisten der Organisation „Islamischer Staat“ ablehne.

Die Religionsvertreter müssten auch ihren Einfluss bei den Regierungen geltend machen, damit die Verbrechen aufhören, die Täter bestraft werden und ein Rechtsstaat in dem Krisengebiet entstehe, damit die Vertriebenen zurückkehren können. Auch einen neuerlichen Appell gegen den Waffenhandel beinhaltet die Erklärung des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog: „Die religiösen Führer werden nicht verabsäumen zu unterstreichen, dass die Unterstützung, Finanzierung und Bewaffnung des Terrorismus moralisch verwerflich sind.“ Die Erklärung endet mit dem Appell von Papst Franziskus von Ende Juli: „Der Gott des Friedens erwecke in allen ein echtes Verlangen nach Dialog und Versöhnung. Gewalt besiegt man nie mit Gewalt. Gewalt besiegt man mit dem Frieden!“ (rv)