28. Februar 2013 – Abschied eines Papstes. Benedikt XVI. verzichtet auf sein Amt, lebend, ohne Druck von außen, nach reiflicher Überlegung und langem Gebet. Zum bevorstehenden Jahrestag des Amtsverzichtes sprachen wir mit Erzbischof Georg Gänswein, Präfekt des Päpstlichen Hauses und nach wie vor Privatsekretär von Benedikt XVI. Gudrun Sailer führte das Gespräch und wollte von Erzbischof Gänswein zunächst wissen, wie es dem emeritierten Papst geht.
„Es geht ihm gut! Er ist guter Dinge, er ist mit sich und Gott im Frieden.“
Papst Benedikt, so war zu erfahren, empfängt nach wie vor allerlei Post. Wie viel?
„Nach der Verzichtserklärung kamen stapelweise, sackweise Briefe. Dann ist es Gottseidank nach der Wahl von Papst Franziskus ruhiger geworden, und erst nach einem halben Jahr ging es wieder ganz langsam los, und es ist in er Musik würde man sagen ein Crescendo: es steigt. Es kommen Briefe über das Staatssekretariat, oder über mich oder direkt ins Kloster Mater Ecclesiae [an den Wohnort des emeritierten Papstes, Anm.], und am Ende kommt es zu ihm. Manchmal hat man den Eindruck, die Post nimmt kein Ende.“
Welche Anliegen tragen die Menschen an den emeritierten Papst heran?
„Es sind Briefe, die Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, auch Briefe, die nicht Enttäuschung, sondern ein Schocksituation zum Ausdruck gebracht haben, weil viele nicht wahrhaben wollten, dass es so etwas gibt , wie auf das Amt des Petrus zu verzichten; es gibt Briefe mit der Bitte um Gebet, Briefe mit der Bitte um Begegnung, es sind viele Formen des Inhalts der Briefe. Alle werden so gut es geht beantwortet, aber der Heilige Vater kann natürlich nicht allen Bitten um Begegnung entgegenkommen, weil ihm das über den Kopf wachsen würde.“
Wie erklären Sie sie, dass so viel geistlicher Bedarf daran besteht, mit diesem versteckten Papst in Verbindung zu bleiben?
„Ich glaube, dass es eine natürliche Empfindung der Dankbarkeit ist, die sich nach dem ersten Schock des Verzichtes deutlich gezeigt hat, und dass nicht wenige Menschen diese Dankbarkeit nicht nur für sich behalten, sondern auch Papst Benedikt mitteilen wollen, und ich finde das eine schöne und menschliche Geste, und man will dadurch wohl auch zum Ausdruck bringen, dass man die Jahre Benedikts nicht vergessen hat, zumal die ersten Monate von Papst Franziskus ein wahrer Euphorismus ausgebrochen ist, und das ist auch gut für die Kirche und für den Glauben, und manche haben die Sorge, dass darunter die Vorgängerjahre von Papst Benedikt XVI. total vergraben werden. Da möchten sie auch zeigen, dem ist nicht so.“
Vor einem Jahr, am 28. Februar 2013: Der Abschied des sich zurückziehenden Papstes aus Rom, der Hubschrauberflug nach Castelgandolfo; Sie waren dabei. Was ist Ihr innerer Soundtrack für diesen Abschied, was werden Sie daran nie vergessen?
„Die Optik war wunderbar vom Hubschrauber aus, noch einmal Peterskuppel und Petersplatz, das alte klassische antike Rom bis hin zu den Ville Pontificie in Castelgandolfo. Der Seelenzustand bei mir war alles andere als heiter, schön und großartig. Es war schon eine große Traurigkeit, weil es Abschied bedeutete und auch ein Lassen von Jahren, von großen Erfahrungen, die natürlich auch Schweres beinhaltet haben. Es war ein Feedback von all dem in kurzer Zeit, was die Jahre des Pontifikates von Papst Benedikt XVI. für mich bedeutet haben.“
Ein Lassen ist doch auch etwas Leichtes?
„Im Augenblick des Lassens war es für mich schwer. Ich habe danach gelernt, dass Lassen schön ist, wichtig ist, und dass man Lassen können muss, sonst wird’s schwierig. Es ist mir geschenkt worden, das zu sein was ich war, Sekretär von Papst Benedikt, nun ist ein anderer dran, nun ist die Aufgabe eines anderen die, die ich hatte, und dem wünsche ich viel Glück.“
Herr Erzbischof, Sie sind Diener zweier Herren in einer Form, die noch nie da war. Sie arbeiten an der Seite zweier Päpste, sehen beide jeden Tag aus der Nähe. Was ist aus Ihrer Sicht der wesentliche Unterschied – nicht der äußerliche, sondern der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Päpsten?
„Der wesentliche Unterschied ist die Erfahrung, die sie mit hineingebracht haben ins Papstamt. Siewissen, Papst Benedikt hat als Kardinalpräfekt der Glaubenskongregation 23 Jahre an der Seite mit Johannes Paul II. gearbeitet, und Papst Franziskus hat als Erzbischof, als Kardinal Bergoglio fast 20 Jahre eine große Erzdiözese in Argentinien geleitet. Die Erfahrungen, die aus dieser Zeit gewachsen sind, haben beide mit ins Papstamt genommen, und das ist der große wesentliche Unterschied.“
Was lernen Sie mit Papst Franziskus?
„Zunächst habe ich gelernt, dass Papst Franziskus ein Mann ist, der unberechenbar ist und bleibt. Natürlich, ein Tag muss geplant werden, vor allem, das ist unsere Aufgabe als Präfektur, dass wir Vorschläge machen für die Audienzen, damit ein ordnungsgemäßer Ablauf da ist, das war am Anfang nicht ganz so einfach, dass sich das einmal kurzzeitig überschlägt; ich habe gelernt, dass man auch auf kurzzeitige Änderungen richtig, schnell, beherzt und auch humorvoll reagieren muss.“
Viele sagten, der Amtsverzicht eines Papstes hat Auswirkungen auf das Amt selbst. Wie sehen Sie diese Aussage nach Ablauf eines Jahres?
„Ich glaube schon, dass es Auswirkungen hat auf die Sicht des Petrusamtes, aber nicht auf das Wesen, sondern dass man noch besser unterscheiden lernt zwischen der Person und dem Amt, zwischen dem Amt und dem Amtsinhaber. Das Petrusamt ist einer Person gegeben worden, momentan ist es so, dass eben das Kardinalskollegium wählt, in der Regel einen aus ihrer Reihe, und dass man tatsächlich das Amt mit dem Papst so verbunden hat, dass es gar nicht mehr anders ging als ein Amtsende, das durch den Tod des Papstes eintritt, und dann die Sedisvakanz. Aber es gab immer auch im kanonischen Recht, in der Theologie, das Faktum, dass auch eine Verzichtserklärung zur Sedisvakanz führen kann. Nur das hat Jahrhunderte nicht mehr stattgefunden. Jetzt erst wieder und deshalb ist es für viele neu, vor allem empfindungsmäßig neu. Insofern glaube ich, dass ein tieferes Nachdenken über Amt, Amtsperson, stattfinden wird und dass da auch gute Früchte herauskommen werden.“
Wie empfindet der eine Papst den anderen auf diesem engen Raum? 44 Hektar ist nicht viel!
„Es ist Luft genug für beide gut zu leben – das ist gar keine Schwierigkeit, ganz im Gegenteil, sie suchen auch die Nähe. Sie meinen, dass sie nahe aufeinander leben, und diese Nähe würde Schwierigkeiten bereiten? Ganz im Gegenteil. Sie leben in einem Abstand von 400 Metern und manchmal suchen sie den Abstand von 30 Zentimetern. Das heißt, die Nähe ist eine gute, hilfreiche Form der Begegnung und in dieser Zeit ist auch eine große tiefe Freundschaft gewachsen, vor allem auch ein gemeinsame Miteinander und überhaupt keine Schwierigkeit zwischen dem, was der regierende Papst zu tun hat und dem, was der Papa emeritus Tag für Tag tut.“
Erzbischof Gänswein, wohin wird die vieldiskutierte Kurienreform führen?
„Da bin ich selber gespannt, was einmal die Kommission der acht Kardinäle, die von Papst Franziskus eingesetzt worden ist, was die dem Papst aus Hausaufgaben mitgebracht haben. Bis jetzt ist noch nichts Konkretes herausgekommen. Ich selber bin gespannt, so wie Sie, so wie andere, glaube aber nicht, dass da Umstürzendes geschehen wird. Ich arbeite jetzt 15 Jahre da, kenne ein bisschen Personen und Strukturen Situationen und erwarte mir nicht allzu große Veränderungen. Es gibt einige Elemente, die man verbessern muss, und ich kann nur hoffen, dass das gemacht wird.“
Welche Elemente muss man verbessern?
„Da möchte ich der Kommission nicht vorgreifen und nichts sagen, wenn es soweit ist, werde ich sagen, ob das, von dem ich meinte, dass man es verbessern kann, auch verbessert worden ist.“
(Das Gespräch wurde vor dem Konsistorium vom 22. Februar zur Schaffung von 19 Kardinälen aufgezeichnet, bei dem Papst Benedikt XVI. überraschend im Petersdom anwesend war.) (rv)