Vor dem Fest von Notre Dame standen am Freitag die ersten akademischen Debatten des „Vorhofs der Völker": Die neue Dialogstiftung des Heiligen Stuhls gastierte an den beiden glänzendsten Adressen des intellektuellen Paris, nämlich an der „Académie Francaise" und im Großen Auditorium der Sorbonne-Universität. Ein Tag des Ringens um Gott und den Menschen – Stefan Kempis war dabei.
„Das war eher über die Köpfe der Anwesenden hinweg; es gab, glaube ich, vielleicht zehn Spezialisten im Saal, die dem folgen konnten."
Ein etwas harsches Urteil, das Franz Kronreif da über die Sitzung des „Vorhofs der Völker" an der Sorbonne fällt. Der Wiener ist selbst ein Spezialist im Gespräch zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden: Er engagiert sich auf diesem Feld schon seit vielen Jahren, von Seiten der katholischen Fokolarbewegung. Die Debatten der Professoren an der Sorbonne schienen ihm ohne Praxisbezug.
„Außerdem ist in diesem Dialog bisher kaum etwas von der aktuellen Weltlage eingeflossen: In Japan geht der Reaktor hoch, in Libyen wird gekämpft, und es gibt eine Reihe von anderen Problemen (Wirtschaftskrise usw.) – das wurde nicht im geringsten angesprochen. Aus meiner Sicht hätte das stärker mit einbezogen werden müssen. Nur kann man natürlich auch nicht alles an einem Tag machen."
Und dennoch: Insgesamt ist Kronreif beeindruckt vom Start des „Vorhofs der Völker". Er staunt nicht nur über die Ressorcen, die der Vatikan da aus dem Stand mobilisieren konnte. Sondern auch darüber, dass der Päpstliche Kulturrat gleich auf Augenhöhe mit dem intellektuellen Paris ein solches Gespräch in Gang bringt. „Wir sollten bei unserem Dialog versuchen, wieder die richtigen Fragen zu stellen", meinte der Professor Jean-Luc Marion in der Sorbonne:
„Glaubende wie Nichtglaubende haben doch oft ein ähnliches Gottesbild – sie glauben beide, dass Gott in seinem Wesen unaussagbar ist. Beide schauen doch, wenn es um Gott geht, in die gleiche Richtung – unabhängig davon, ob sie an ihn glauben."
„Also, ich bin einerseits sehr beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und der Intensität der Bemühung, zu einem Dialog wichtiger weltanschaulicher Strömungen der Jetztzeit zu kommen."
Das sagt Walter Baier: Der frühere Vorsitzende der Kommunistischen Partei Österreichs gibt heute eine Zeitschrift heraus und sieht sich selbst als einen gelassenen Agnostiker.
„Es ist ja schon fast trivial, jetzt auf die Katastrophe in Japan Bezug zu nehmen, aber was diese Ereignisfolge zeigt, ist einerseits die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz und zweitens das hohe Ausmaß der Verantwortung, die der Mensch für seine Mitwelt (die Schöpfung, wenn Sie so wollen) zu übernehmen hat. Und das kann man sich doch eigentlich nur vorstellen durch das Zusammenwirken von sehr unterschiedlichen Kräften."
Diese Zusammenarbeit von Glaubenden wie Nichtglaubenden für eine humanere Welt wurde am Freitag vor allem in der „Académie Francaise" beschworen, im Tempel der so genannten „Unsterblichen" direkt am Ufer der Seine.
„Ich stimme der Grundhypothese zu, dass das nur ein Dialog ohne Exklusivität, ohne Synkretismus sein kann und dass die gemeinsame Basis die gemeinsame Humanität ist. Ich glaube, das ist aktuell, und es ist politisch, kulturell und zivilisatorisch ein Gebot der Zeit."
Dass der Papst mit seiner Initiative etwas sehr Wichtiges in Gang bringt, findet auch Rémi Brague: Der katholische Intellektuelle ist – wie übrigens auch Benedikt XVI. – Mitglied der Pariser „Akademie für moralische und politische Wissenschaften". Wenn er dem Papst einen Rat geben könnte, dann wäre es dieser:
„Die Vernunft – halten Sie an der Vernunft fest, denn damit haben Sie einen wichtigen Ansatzpunkt gefunden. Geben Sie nicht der Versuchung nach, die Vernunft durch irgendwelche Sentimentalitäten zu ersetzen… aber diese Gefahr sehe ich beim heutigen Papst ohnehin nicht so gegeben."
Immer wieder wurde am Freitag von katholischer Seite aus die Gottesfrage beschworen; auch der Papst selbst sprach sie in seiner Videobotschaft am Abend an. Wer Gott suche, finde den Menschen, so Benedikt. Doch so mancher Agnostiker wie etwa Baier mochte sich im „Vorhof der Völker" nicht darauf einlassen:
„Ich weiß nicht, ob ich mir einen solchen Zynismus erlauben kann – aber ich glaube schon, dass der Papst die Gottesfrage überschätzt."
Auch solcher Freimut gehört zu einem echten Gespräch, draußen im „Vorhof der Völker". (rv)