Der Krieg in Syrien hat eine neue Qualität erreicht – im negativen Sinn. Kardinal Mario Zenari, der Apostolische Nuntius in Syrien und durchaus hart im Nehmen, schlägt im Gespräch mit Vatican News Alarm: Die Winterkälte und der Bombenhagel bedrohen das Leben von Millionen Familien, während sich neue Fronten bilden.
Christine Seuss und Alessandro De Carolis – Vatikanstadt.
„Hört auf den Schrei der armen Menschen, der Kinder!“, so der Appell des Papst-Botschafters. Der Schrei der Leidenden müsse an das „Gewissen“ der Verantwortlichen rühren, damit sie nach neuen Wegen zum Frieden suchen. Das klingt so, als würde Kardinal Zenari dem von der UNO vermittelten Genfer Friedensprozess für Syrien und einem ähnlich gelagerten, von Russland gesteuerten Dialog nicht viel zutrauen.
Zum siebten Mal jährt sich in Kürze der Beginn des blutigen Konfliktes, der ein ganzes Land in Trümmer gelegt und zu einer Flüchtlingswelle nie gesehenen Ausmaßes beigetragen hat. Doch Frieden scheint – trotz aller internationaler Bemühungen – nach wie vor weit entfernt zu sein, nach dem Einmarsch türkischer Truppen in den kurdischen Teil des Landes vielleicht sogar weiter denn je.
Auch in der vergangenen Nacht habe er in Damaskus kaum schlafen können, erzählt der Kardinal, „denn man hörte den Lärm von Kanonenfeuer, in einigen Zonen der Peripherie auch von Maschinengewehren“. Große Sorgen bereiteten ihm die Nachrichten über „harte Zusammenstöße“ im „ländlichen Gebiet östlich von Damaskus” und in anderen Gebieten – mit einer Konfliktlinie, die seit dem militärischen Eingreifen der Türkei im Kurdengebiet nunmehr auch das nördliche Grenzgebiet einschließt.
Operation Olivenzweig
„Olivenzweig“ nennen die Türken ihre Operation, die mit dem Friedenssymbol allerdings nur wenig gemein hat. Seit dem 20. Januar gehen die türkischen Truppen gegen die kurdischen Kämpfer vor, die noch bis vor wenigen Tagen als unverzichtbare Verbündete der internationalen Allianz gegen die Terroristen des selbst ernannten Islamischen Staates galten. Immer mehr Opfer fordert die Attacke, für die die Stadt Afrin zum traurigen Sinnbild geworden ist. Es seien mittlerweile 800 „Terroristen“, die dort „neutralisiert“, also getötet, verletzt oder gefangenen genommen worden seien, ließ Präsident Erdogan verlauten.
Zivilisten zahlen den höchsten Preis
Doch wer den höchsten Preis für die Kampfhandlungen zahlt, und Kardinal Zenari wird nicht müde, dies immer wieder zu betonen, sind die unbeteiligten Zivilisten. Allein im nördlichen Gebiet seien in zwei Wochen 104 Menschen gestorben und 154 verletzt worden, gaben Krankenhäuser der Enklave Afrin bekannt. Dabei seien es nicht nur die Waffen, die Leben kosteten, erinnert Kardinal Zenari: „Wir befinden uns momentan im Winter, und in einigen Gegenden Syriens herrscht bittere Kälte. Dies verschlimmert ein Leiden, für das leider keine Lösungen in Sicht sind.“
UN fordern Waffenstillstand
Der UN-Chefberater für humanitäre Anliegen im Syrienkonflikt, Jan Egeland, fordert angesichts der sich verschlechternden Situation energisch einen erneuten befristeten Waffenstillstand für die nördliche Provinz Idlib, in der schwere Kampfhandlungen zwischen Oppositions- und Regierungstruppen zu verzeichnen sind. 1,2 Millionen Zivilisten, mehr als die Hälfte der örtlichen Bevölkerung, leben in dem Gebiet bereits als Flüchtlinge. Zwar hegt der Apostolische Nuntius nach wie vor Hoffnung auf einen Waffenstillstand. Doch er ruft die internationale Gemeinschaft zu raschem Handeln auf: „Versucht, alles Mögliche zu unternehmen, um wenigstens zu einem Ende der Gewalt und einem Waffenstillstand zu gelangen… und dann eine politische Lösung des Konflikts zu finden.“ (vatican news)