Messe zum Abschluss des Heiligen Jahres: „Jesus liebt weiter“

Heiliges Jahr 2015/16Es ist soweit: An diesem Sonntag um 9.58 Uhr hat Papst Franziskus die Heilige Pforte des Petersdoms geschlossen und somit das außerordentliche Jahr der Barmherzigkeit offiziell beendet. Nach einem letzten Erklingen der Hymne des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit und nach einem stillen Gebet hat der Papst selbst die Pforte geschlossen. Ein nächstes Mal wird die Tür für das Jubeljahr 2025 geöffnet werden – sofern nicht in der Zwischenzeit ein weiteres außerordentliches Heiliges Jahr ausgerufen wird. Im Beisein zahlreicher Würdenträger und etwa 70.000 Gläubiger und bei mildem Wetter feierte er anschließend den Abschlussgottesdienst des Heiligen Jahres auf dem Petersplatz. In einer Ansprache dankte er vor dem Angelusgebet ausdrücklich allen, die zum Gelingen des Heiligen Jahres beigetragen hatten.

Das „paradoxe“ Königtum Christi stellte der Papst in den Mittelpunkt seiner Predigt, die Kirche feiert am letzten Sonntag des Kirchenjahres das Hochfest Christkönig. Das Königtum ohne Macht und Ruhm, das am Kreuz hängt, der König der für dreißig Silberstücke verkauft ist. „Die Größe seines Reiches besteht nicht in der Macht nach Maßstäben der Welt, sondern gemäß der Liebe Gottes, einer Liebe, die alles erreichen und heilen kann“, so der Papst. Es sei eine Liebe, die „alles Leben umarmt und rettet“. „Er hat uns nicht verdammt, er hat uns auch nicht bezwungen, er hat nie unsere Freiheit verletzt, sondern er hat sich den Weg durch die demütige Liebe gebahnt, die alles entschuldigt, die alles hofft, die allem standhält“.

Diese paradoxe Herrschaft verwandle „Sünde in Gnade, Tod in Auferstehung, Angst in Vertrauen“, fuhr der Papst fort. Das alles wäre aber „umsonst, wenn wir ihn nicht persönlich aufnehmen und wenn wir nicht auch seine Art zu herrschen aufnehmen.“

Verwandelnde Herrschaft Christi

Drei Figuren aus dem Evangelium des Tages – die Kreuzigung Jesu – nahm der Papst zur Verständnishilfe dazu. Zunächst sei da das schaulustige Volk. „Es sind die gleichen Leute, die sich für die eigenen Bedürfnisse um Jesus gedrängt haben und jetzt Distanz halten“, so Franziskus. Es seien Menschen, die sein Königtum nicht annähmen und nicht zum Mitmenschen würden. Das wahre Volk hingegen sei gerufen, täglich Jesus mit dem eigenen Leben zu antworten.

„Es gibt eine zweite Gruppe, die sich aus verschiedenen Personen zusammensetzt: die führenden Männer des Volkes, die Soldaten und ein Verbrecher. Sie alle verspotten Jesus. Sie richten an ihn die gleiche Provokation: ‚Hilf dir selbst!’“ Diese zweite Gruppe ist in noch schlimmerer Versuchung als die erste, urteilt der Papst, es ist ein direkter Angriff auf die Liebe, ‚Hilf dir selbst!’, nicht den anderen, sondern dir selbst. Das Ich möge siegen mit seiner Kraft, mit seinem Ruhm, mit seinem Erfolg. Das ist die furchtbarste Versuchung, die erste und die letzte des Evangeliums.“ Jesus reagiere nicht und rechtfertige sein Königtum nicht, „Er liebt vielmehr weiter“.

Er liebt weiter

Gegen diese Versuchung gelte es anzukämpfen, gegen die Versuchung, vom Kreuz hinab zu steigen. „Die Anziehungskraft der Macht und des Erfolgs wird als ein leichter und schneller Weg für die Verbreitung des Evangeliums dargestellt und rasch wird dabei vergessen, wie das Reich Gottes wirkt. Dieses Jahr der Barmherzigkeit hat uns eingeladen, die Mitte wiederzuentdecken, zum Wesentlichen zurückzukehren“. Das Wesentliche, das sei für ihn eine gastfreundliche, freie, treue und missionarische Kirche, arm an Gütern und Reich an Liebe.

Die dritte Gestalt im Evangelium sei die des Verbrechers, vervollständigte der Papst seine Aufzählung. „Dieser Mensch hat einfach auf Jesus geschaut und dadurch an sein Reich geglaubt“, ohne sich zu verschließen. Dieser Mensch habe Barmherzigkeit erfahren. „Sobald wir ihm die Möglichkeit dazu geben, denkt Gott an uns. Er ist bereit, die Sünde vollständig und für immer zu tilgen, denn sein Gedächtnis zeichnet nicht das getane Böse auf und stellt nicht immer das erlittene Unrecht in Rechnung, wie es das unsere tut. Gott denkt nicht an die Sünde, er denkt an uns, an einen jeden von uns, seine geliebten Kinder. Und er glaubt, dass es immer möglich ist, neu zu beginnen und wieder aufzustehen.“

Barmherzigkeit geht weiter

Auch wenn die Heilige Pforte geschlossen werde, stehe die wahre Pforte der Barmherzigkeit immer offen, schloss der Papst seine Gedanken. „Viele Pilger haben die Heiligen Pforten durchschritten und jenseits lauter Berichterstattungen die große Güte des Herrn erfahren. Wir wollen dafür danken und uns daran erinnern, dass uns Barmherzigkeit zuteilwurde, damit wir die Gesinnung der Barmherzigkeit anlegen und auch wir zu Werkzeugen der Barmherzigkeit werden. Gehen wir diesen Weg weiter – gemeinsam.“ (rv)

Kardinal Kasper: „Die Barmherzigkeit war ziemlich vergessen“

Kardinal Walter KasperSie ist ein Gegenzeugnis zu dem, wie die Welt geworden ist: Barmherzigkeit. So charakterisiert Kardinal Walter Kasper den Schwerpunkt, den der Papst seinem Pontifikat in diesem Heiligen Jahr gegeben hat. Die Barmherzigkeit sei ein Name Gottes, betont der Papst, doch das bleibt nicht immer spannungsfrei. Wie sieht es etwa mit der Gerechtigkeit aus, besteht da nicht ein Widerspruch zur Barmherzigkeit? Wie passt das zueinander?, fragten wir Kardinal Kasper. Sind der gerechte und der barmherzige Gott nicht irgendwie unterschiedlich?

Kasper: „Das ist ein Einwand, den man oft hört. Gott ist aber nicht an unsere Gerechtigkeitsvorstellung gebunden. Er ist treu und gerecht seinem eigenen Wesen gegenüber, und das Wesen Gottes wird in der Bibel als ‚Liebe’ beschrieben. Gott kann also, wenn er sich selbst treu ist, gar nicht anders handeln als barmherzig zu sein. Die Barmherzigkeit ist die Art der Barmherzigkeit Gottes. Und Barmherzigkeit ist deswegen auch für uns Christen die Form wie wir Gerechtigkeit üben sollen. Ich brauche sozusagen Augen, einen Sinn oder eine Linse, um zu sehen, was der andere braucht und was somit gerecht und angemessen ist. So ist für einen Christen Barmherzigkeit die christliche Form der Gerechtigkeit einem anderen gegenüber.“

RV: Bereits Johannes Paul II. und dann auch Franziskus haben klar gesagt, dass Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sich nicht widersprechen, wie Sie ja gerade auch. Trotzdem gibt es Kritiker, die anmerken, Papst Franziskus würde die Gerechtigkeit der Barmherzigkeit unterordnen. Dem würden Sie widersprechen?

Kasper: „Ich würde so sagen: Die Gerechtigkeit ist das Minimum, das wir einem anderen schulden und was wir tun müssen. Die Barmherzigkeit geht weit darüber hinaus, aber sie unterbietet in keinem Fall die Gerechtigkeit, im Gegenteil. Die Barmherzigkeit öffnet mir die Augen für neue Situationen, die vielleicht unter Gesichtspunkten der Gerechtigkeit gar nicht berücksichtigt sind.“

RV: Schauen wir auf eine biblische Geschichte, das Gleichnis vom barmherzigen Vater. Da gibt es die Perspektive des älteren Bruders, in der sich viele wieder finden. Er tut immer das, was verlangt wird, trotzdem bekommt der andere eine Vorzugsbehandlung. Da steckt doch etwas von der Spannung Barmherzigkeit – Gerechtigkeit drin.

Kasper: „Ja, das steckt etwas von der Spannung drin und leider denken auch viele Christen so. Trotzdem: keiner kann von sich sagen, dass er gerecht sei und sündlos ist. Jeder ist auf die Barmherzigkeit angewiesen. Und das ist ja auch das Schöne und Große am Christsein, die Botschaft „du darfst neu anfangen“, immer haben wir bei Gott eine Chance.“

RV: Die Gerechtigkeit hat aber schon noch ihren Wert, sie ist nicht nur noch eine Rückfallposition?

Kasper: „Die Gerechtigkeit ist grundlegend. Eine Barmherzigkeit, die gegen die Gerechtigkeit verstoßen würde, wäre eine Pseudogerechtigkeit.“

„Jesus ist ein gerechter Richter. Aber der gerechte Richter, der für mich gestorben ist.“

RV: Ist es nicht auch etwas die Flucht vor der gerechten Strafe, wenn ich gleich an die Barmherzigkeit appelliere?

Kasper: „Vor der gerechten Strafe kann man nicht fliehen, aber Gott sei dank dürfen wir darauf vertrauen, dass am Schluss Gottes Barmherzigkeit siegt. Jesus ist nach unserer Vorstellung ein gerechter Richter, aber er ist der gerechte Richter, der für mich gestorben ist. Deswegen zählen am Ende die Werke der Barmherzigkeit, das, was wir anderen getan haben, nach der Gerichtsrede Jesu. Alles, was wir anderen getan haben, haben wir Jesus getan, er erkennt uns sozusagen am Schluss wieder als diejenigen, die ihm Gutes getan haben. Ich denke, man sollte die frohe Botschaft sehen und nicht neidisch sein, wenn Gott in seiner Barmherzigkeit größer ist. Wir sind darauf angewiesen.“

RV: Jeden Tag betet die Kirche die Psalmen und darin wird oft um Hilfe und Beistand gerufen. Mir scheint, dass wenn der Beter selber Opfer ist, wenn ihm also was angetan oder gedroht wurde, dann betet der Psalm „verschaffe mir Gerechtigkeit, O Herr“. Wenn der Beter aber selber Täter ist, Sünder, dann appelliert der Psalm an die Barmherzigkeit. Da ist die Psalmensprache schon ein wenig verräterisch, der eine scheint Vergeltung zu wollen, der andere will irgendwie aus der Schusslinie.

Kasper: „Da ist eine Spannung drin, aber die geht ja bei Jesus bis zur Feindesliebe. Schon Siegmund Freud sagt, dass das absurd ist, dass könne man gar nicht, den Feind lieben. Aber wie ich von Gott erwarte, dass er mir eine Chance gibt, so muss ich auch dem anderen eine Chance geben, so dass wir gemeinsam eine Zukunft und Hoffnung haben können. Sonst bewegen wir uns in einem Teufelskreis von Tun und Rache und wieder Rache. Das ist keine absurde Botschaft, wie Freud sagt, sondern es ist eine sehr vernünftige Botschaft mit diesem Kreislauf der Gewalt und sich gegenseitig eine Chance zuzubilligen.“

RV: Franziskus spricht oft von Barmherzigkeit, das wird jetzt aber auch von ihm verlangt. Etwa beim synodalen Prozess, wenn in Bezug auf zum Beispiel wiederverheiratete Geschiedene verlangt wird, dass die Kirche hier jetzt barmherzig sein müsse. Kann man Barmherzigkeit so einklagen?

Kasper: „Nein, einklagen kann man Barmherzigkeit natürlich nicht, das ist eine freie Zuwendung. Man kann es nicht einklagen, man muss aber selber etwas dafür tun. Bei den wiederverheirateten Geschiedenen ist eine Bußzeit notwendig, das muss geklärt werden, da muss aufgearbeitet werden, und dann ist in bestimmten einzelnen Fällen eine Wiederzulassung denkbar und möglich, jedenfalls sag das eine Mehrheit der Synode so.

Das ist keine einklagbare Sache, Barmherzigkeit von Gott her setzt natürlich voraus, dass ich nach Barmherzigkeit rufe. Das heißt auch, dass ich anerkenne, dass ich gesündigt habe und dass ich schuldig geworden bin. Sonst würde Gott mir ja seine Barmherzigkeit aufzwingen. Es ist auch ein Werk seiner Barmherzigkeit, dass er meine Freiheit Ernst nimmt. Die Bekehrung und Umkehr, die ja selbst wieder Gnade ist, ist voraus gesetzt.“

RV: Wenn man heute Theologie studiert oder Debatten etwa um die ökumenische gemeinsame Erklärung verfolgt, dann begegnet man Begriffen wie ‚Rechtfertigung’, ‚wie bekomme ich einen gerechten Gott?’ Martin Luthers, und so weiter. Wie bekommen wir denn nun die Barmherzigkeit in die Theologie hinein?

Kasper: „Es war ja die große Wiederentdeckung Luthers, dass die Gerechtigkeit Gottes keine passive, strafende ist sondern eine aktive, dass er uns „gerecht macht“, er befreit uns. Insofern ist in der Rechtfertigungslehre, wie wir sie etwa mit den Lutheranern gemeinsam entdeckt haben und bezeugen, eine Barmherzigkeits-Theologie im Hintergrund.“

„Die Theologie der letzten Jahrzehnte hatte die Barmherzigkeit ziemlich vergessen“

RV: Also kümmert sich Ihrer Meinung nach die Theologie heute angemessen um die Barmherzigkeit?

Kasper: „Ja gut, die Theologie der letzten Jahrzehnte hat sie ziemlich vergessen gehabt, das muss man zugeben; das ergibt sich ja auch, wenn man die Lehrbücher durchgeht. Das aber im Unterschied zur Volksfrömmigkeit oder der Liturgie. Die Theologie hat sie vernachlässigt und vergessen, und deshalb gab es auch eine gewisse Verwunderung, dass der Papst sie jetzt sozusagen wieder hervorholt und dadurch das Zentrum der Botschaft Jesu wieder ins Bewusstsein rückt.“

RV: Gilt das auch für Ihre eigene Theologie?

Kasper: „Ich muss gestehen, dass ich beim Schreiben meines Buches über die Barmherzigkeit noch mal gelesen habe, was ich selber geschrieben habe, und da kommt die Barmherzigkeit auch kaum vor. Das ist wahr, ich habe sie also auch übersehen! Das war in den letzten Jahrzehnten nicht drin, und es ist wichtig, dass das jetzt wieder zum Vorschein kommt.“ (rv)

Präsident des Migrantenrats fordert Stopp des Waffenverkaufs

Kardinal Antonio Maria Veglio„Migranten und Flüchtlinge sind eine Herausforderung – Antwort gibt das Evangelium der Barmherzigkeit“ – so lautet das von Papst Franziskus gewählte Motto für den 102. Weltflüchtlingstag, welcher am 17. Januar 2016 stattfinden wird. Das Drama der ankommenden Flüchtlinge, die an unseren Türen klopfen wird von Tag zu Tag lauter und die Schreie der Verzweiflung sind kaum zu überhören. Die verschlossenen Türen öffnen, das ist die Aufgabe der Welt und der Kirchen – vor allem im Zusammenhang mit dem ausgerufenen Jahr der Barmherzigkeit, welches am 8. Dezember 2015 startet. Daran erinnert eine aktuelle Aussendung des päpstlichen Migrantenrates, mit einem äußerst passenden Zitat der päpstlichen Bulle „Misercordiae Vultus“:

„Verfallen wir nicht in die Gleichgültigkeit, die erniedrigt, in die Gewohnheit, die das Gemüt betäubt und die verhindert etwas Neues zu entdecken, in den Zynismus, der zerstört. Öffnen wir unsere Augen, um das Elend dieser Welt zu sehen, die Wunden so vieler Brüder und Schwestern, die ihrer Würde beraubt sind.“

Papst Franziskus lädt dazu ein im Heiligen Jahr die Barmherzigkeit sprechen zu lassen und alle lokalen Kirchen sollen in Anbetracht des kommenden Weltflüchtlingstags Aufmerksamkeit generieren, Zeichen setzen und mit Initiativen die Nähe und Solidarität der Menschen demonstrieren. Der Präsident des Päpstlichen Rates Antonio Maria Vegliò warnt davor, dass wir Menschen uns an zu viel gewöhnen, auch an solche Extremsituationen mit den sterbenden Flüchtlingen vor unseren Füßen. Derzeit sei jedoch die Angst der Menschen spürbar – sie führt unweigerlich zu extremen Lösungen, die nur noch mehr Schaden anrichten:

„Diese Angst ist normal. Es ist ein reales Problem für jede Nation, nicht nur Italien. Und das ist normal, liegt in der menschlichen Natur, jeder lebt sein Leben, jeder in seinem goldenen Schloss, und dann kommen Menschen, die unsere Freiheit einschränken. Man fürchtet das Zusammenleben, aber Mauern bauen, das kann man nicht. Das will die Kirche nicht. Extreme Lösungen sind nie die Richtigen.“

Extreme Lösungen wie die Mauern in Ungarn, die scharfen Polizeikontrollen zwischen England und Frankreich. Die Kirche sieht den Handlungsbedarf und fordert ihn von internationalen Organisationen. Kardinal Vegliò‘ sieht hier Parallelen zu der Untätigkeit von Europa noch zu Zeiten von Muammar al-Gaddafi:

„Ich habe das Gefühl, dass man zu Laufen anfängt, wenn der Notfall bereits da ist, aber ohne vorher einen Plan gemacht zu haben. Diese Phänomen existierte schon zu Zeiten von Muammar al-Gaddafi. Er drohte damit zwei Millionen Migranten nach Europa zu ‚werfen‘, wenn er nicht die notwendige finanzielle Unterstützung von Europa erhielt. Aber Europa hat nicht viel getan und jetzt leben wir genau dieses Problem. Wir brauchen Politik und nicht nur Meinungen, die sagen –‚wir schmeißen alle raus‘ oder ‚wir nehmen alle auf‘.“

Lösungen müssen dort angesetzt werden, wo die Probleme starten, so der Kardinal. In den armen Länder müsse man gegen die Armut ankämpfen und wenn es um die Flüchtlinge geht, so muss man dem Krieg ein Ende setzen.

„Kriege macht man mit Waffen. Haben wir jemals an eine Kontrolle des Waffenverkaufs gedacht? Wir protestieren gegen die vielen Flüchtlinge, aber wer verkauft denn die Waffen? Das sind meistens die reichen Länder. Die Kirche muss nun alles tun was sie kann – sie kann auch nicht alles – aber zumindest ein Bewusstsein dafür erzeugen, dass die Situation noch lange nicht beruhigt ist.“ (rv)

Kardinal Pell: Jahr der Barmherzigkeit wird Jahr der Transparenz

Kardinal PellDas kommende Jahr der Barmherzigkeit wird strengen wirtschaftlichen Kontrollen unterworfen. Das hat Kardinal George Pell klargestellt, der Präfekt des von Papst Franziskus eingerichteten Wirtschaftssekretariates. Die Arbeit sämtlicher Komitees für das Jubiläum sei den neuen Kontrollmechanismen unterworfen, sagte Pell. „Zum ersten Mal im Vatikan werden wir drei- bis viermal im Jahr mittels Kostenvoranschlägen die Ausgaben kontrollieren."

Zugleich wies der Kardinal den Vorwurf zurück, im Pontifikat von Papst Benedikt XVI. sei nichts für die wirtschaftliche Transparenz im Vatikan getan worden. Papst Benedikt habe „ernsthaft versucht", die Lage zu bessern und dafür Fachleute wie Ettore Gotti Tedeschi oder Ernst von Freyberg an den Vatikan geholt. Das Wirken für Transparenz im heutigen Wirtschaftssekretariat baue „auf die Fundamente, die zu Zeiten von Papst Benedikt gelegt wurden".

Kardinal Pell bestätigte, dass mit der Ernennung von Kardinal Giuseppe Versaldi zum Präfekten der vatikanischen Bildungskongregation die Präfektur für Wirtschaftliche Angelegenheiten des Heiligen Stuhls de facto aufgelöst sei. Versaldi hatte diese Kurienbehörde seit 2011 geleitet. Die Präfektur für die wirtschaftlichen Angelegenheiten war nach dem II. Vatikanischen Konzil ins Leben gerufen worden. Sie zeichnete für die Koordination und Verwaltung der Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten des Heiligen Stuhls verantwortlich. Diese Zuständigkeit ging im 2014 gegründeten Wirtschaftssekretariat auf.

Pell äußerte sich bei einer Buchvorstellung im Vatikan. Der Autor Francesco Lozupone legte einen Sammelband mit Beiträgen zur wirtschaftlichen Verwaltung von Kirchengütern vor. (rv)

Kurienkardinal: „Recht und Barmherzigkeit gehören zusammen“

 Kardinal CoccopalmerioIm Recht gibt es Fälle, auf die Gesetze nicht anwendbar sind. Das sagt Kardinal Francesco Coccopalmerio, Leiter des Vatikanischen Justizministeriums, im Interview mit Radio Vatikan. Der Verantwortliche für die Gesetzestexte war gefragt worden, wie das große Thema des Pontifikates, die Barmherzigkeit, mit der Frage nach Recht und Gerechtigkeit zusammen passe. Dass die Barmherzigkeit im Gegensatz zum Recht gesehen oder interpretiert werde, sei falsch, so der Präsident des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte. „Recht und Spiritualität gehören zusammen".

In einer Morgenpredigt vor einiger Zeit hatte der Papst gesagt, wo es keine Barmherzigkeit gibt, gebe es auch keine Gerechtigkeit. „Gerechtigkeit üben ist im Grunde genommen ein Handeln aus Liebe," so Coccopalmerio. „Es bedeutet, auf andere zu antworten. Wir haben andere Menschen vor uns, die etwas brauchen. Ihnen zu begegnen und auf sie einzugehen, das ist Gerechtigkeit." Man könne nicht die Liebe von der Gerechtigkeit trennen oder die Gerechtigkeit von der Liebe.

Barmherzigkeit gegenüber dem Sünder

Barmherzig mit dem Sünder zu sein bedeute aber nicht, die Sünde zu akzeptieren, erläutert Coccopalmerio. Das sei auch Jesus schon vorgeworfen worden, stimme aber nicht. „Im Gegenteil, schauen wir auf die Ehebrecherin im Evangelium oder die Sünderin die Jesus die Füße wäscht, da sagt Jesus ihnen, nicht mehr zu sündigen. Aber der Blick Jesu geht nicht sofort auf die Sünde und die Verurteilung, sondern auf den Menschen." Das Sprechen von der Barmherzigkeit höhle das Verständnis von Fehler und Sünde nicht aus, „wir müssen sagen, dass es keine Rechtfertigung dessen gibt, was negativ ist. Es geht nur darum, einen Menschen anzunehmen, der unser Verständnis braucht."

Recht und Gesetz nicht immer anwendbar: Jurist muss auf Ausnahmefälle Rücksicht nehmen

Recht und Gesetz würden Verhalten vorschreiben, könnten aber auf keinen Fall alle möglichen Fälle berücksichtigen. Sie seien Ausdruck der Liebe, aber notwendigerweise generalisiert. „Manchmal muss man vom Recht absehen, weil der Mensch vor uns etwas braucht, was das Gesetz nicht vorausgesehen konnte." Ein wirklicher Jurist sei nicht jemand, der in jedem Fall das tue, was das Recht vorschreibe, sondern derjenige, der wisse, dass es Fälle außerhalb der Norm gebe, in denen das Gesetz keine Gültigkeit habe. „Er muss dann einen Sprung außerhalb des Gesetzes machen und sich fragen, was in diesem Augenblick das ist, was er für diese konkrete Person tun muss. Ein solcher Jurist ist einer, der das Recht weise anwendet."

Bischofssynode zu Ehe und Familie muss auf Barmherzigkeit basieren

Die Frage nach Recht und Barmherzigkeit stellt sich besonders dringlich mit Blick auf den Synodalen Prozess zu Ehe und Familie, den Papst Franziskus eingeleitet hatte, eine Versammlung der Bischofssynode hat sich im vergangenen Oktober bereits damit befasst. Die Synode sei aber nicht dazu zusammengetreten, um die Lehre der Kirche zum Thema Familie auf abstrakte Weise zu formulieren, so Kardinal Coccopalmerio. „Bei der Synode geht es um etwas anderes. Es geht darum, auf konkrete Bedürfnisse und konkrete Fragen zu antworten, die aus der Kirche und der Welt gestellt werden. Die Synode muss konkret werden, sie muss im Licht der Lehre solche Antworten geben. Der Papst hat als eines seiner Prinzipien des seelsorgerischen Leitens niemanden auszuschließen. Auch wenn jemand nicht so lebt, wie es unsere Lehre oder die Moral der Kirche vorsieht, muss die Synode diese Familien erreichen. Wir müssen uns fragen, was wir tun können, wie wir wirklich alle erreichen können. Ich denke, dass die Synode das bereits begonnen hat, dass es im Augenblick fortgesetzt wird und dass sie das sicherlich auch bei der Versammlung im Oktober tun wird." (rv)

Erste Synodenberatungen über Barmherzigkeit, Respekt und Naturrecht

Bernd HagenkordDie Versammlung der Bischofssynode nimmt Fahrt auf: Ab Montagmittag sind die Synodenteilnehmer an der Reihe, ihre Beiträge vorzutragen, sie haben jeweils vier Minuten und sind gehalten, möglichst frei zu sprechen. Unser Redaktionsleiter Pater Bernd Hagenkord, der den Beratungen der Synode hinter verschlossenen Türen folgt, fasst einige Eindrücke von Montagnachmittag und Dienstagmorgen für uns zusammen.

Das grundlegende Kapitel des Willens Gottes für die Familie war das Thema des Montagnachmittages; die Themen sind nach dem Vorbereitungsdokument geordnet, für jede Generalversammlung gibt es einen neuen Schwerpunkt. Immer wieder wurde in dieser Auftakt-Session betont, dass die Familie die Zelle der Gemeinschaft sei, der Gesellschaft, und damit auch der christlichen Kirche. Ihr komme deswegen eine grundlegende Bedeutung zu. Deswegen müsse sie auch in sozialen Zusammenhängen betrachtet werden, nicht als isolierte Größe. Sie sei der privilegierte Ort, wo nicht Konsum und Nutzen, sondern allein menschliche Beziehungen, Liebe und Hingabe zählten.

Worte und Zeugnisse

Mehrere Teilnehmer sprachen davon, dass die Sprache der Kirche nicht mehr gehört werde, und wenige würden ihre Ehe und Familie so beschreiben, wie die Kirche das tue. Um verstehbar zu sein, müsse man zunächst einmal zuhören. Das Konzil habe das vorgemacht: ehrliches, aber auch kritisches Hinhören. Wenn die Kirche der Welt nicht zuhöre, dann höre auch die Welt der Kirche nicht zu. Sprache sei aber nicht alles, fügte ein weiterer Synodenvater an: Wie Paul VI. es ausgedrückt habe, der moderne Mensch höre viel eher auf ein Zeugnis denn auf Worte. Deswegen seien es auch vor allem die Familien selbst, die zeigten, was eine christliche Familie sein könnte. Daneben brauche es eine verstärkte Katechese, die weniger theologisch und mehr biblisch geprägt sei.

Einige Male genannt wurden auch die Unterschiede zwischen der modernen Kultur mit ihrem Individualismus und Säkularismus – keineswegs ein rein westliches Problem – und den Werten des Evangeliums. Auf der einen Seite gelte es hier, die eigenen Werte hoch zu halten. Man müsse aber auch in der modernen Kultur das Positive sehen, etwa die Würde von Mann und Frau, die Ablehnung von Gewalt und den Respekt vor Kommunikation.

Ein wichtiger Begriff war von Anfang an die Barmherzigkeit. Die Ehe bleibe ein unauflösliches Sakrament, aber die Barmherzigkeit liefere einen Schlüssel, wie die Gebote zu verstehen seien, sagte ein Teilnehmer. Es gehe nicht um eine Sammlung von Regeln, sondern um die Liebe Christi, die sich zeige. Das gelte es mehr herauszustellen, auch in der pastoralen Praxis.

Respekt

Ein Vorschlag lautete, nicht-sakramentalen Ehen, also stabilen Beziehungen und anderen Formen des Zusammenlebens, mit mehr Respekt zu begegnen. Wenn Treue und Liebe gelebt würden, dann sollte zunächst das Gute daran wertgeschätzt werden. Außerdem brauche es eine vermehrte Wertschätzung der Sexualität in der Ehe: Man spreche viel zu sehr über außerehelichen Geschlechtsverkehr.

Naturrecht

Der Dienstagmorgen begann dann mit dem Gebet – der Terz – und der Erzählung eines Ehepaares über ihre Erfahrungen in der Familienpastoral: Beides, Gebet und Erzählung, brachten Fokus in die Beratungen.

Das erste Thema an diesem Dienstag war die Frage nach dem Naturrecht: Es gehöre zum Glauben dazu, wenn der Glaube seine Verbindung mit der Vernunft nicht aufgeben wolle. Naturrecht, darunter versteht man ganz allgemein gesagt die Tatsache, dass aus der Schöpfung, unserer Natur, moralische Folgen entstehen. Zum Beispiel daraus, dass der Mensch als Mann und Frau geschaffen ist. Die Vernunft kann dem nachgehen, auch ohne den Glauben. Naturrecht bilde so eine Brücke zu Andersglaubenden und Nichtglaubenden. Dieses Fundament war das Thema, um das die Beiträge dieses Morgens kreisten.

Aber auch das ist nicht einfach eine theologische Größe, Familie ist auch eine historische Größe, wie ein Teilnehmer sagte. Man dürfe sie in den Beratungen nicht nur abstrakt betrachten. Ehe sei außerdem nicht nur die Eheschließung, wie das Kirchenrecht und die Liturgie es nahelegten, sondern wenn sie Zeugnis sein wolle, müsse man die gesamte Wirklichkeit sehen. Ehe sei ein Weg und kein Zustand.

Ein wichtiger und oft genannter Punkt: Die Ehe-Vorbereitung. Für das Ordensleben oder als Priester werde man lange vorbereitet, wenn die Ehe ein Sakrament sei, brauche es hier neue Ideen und pastoralen Einsatz. Und: Wenn die Lehre der Kirche vom Leben handle, dürfe Verkündigung nicht nur als Regeln wahrgenommen werden. Mehrfach also die Aufforderung, die Sprache und vielleicht sogar den Fokus des Sprechens von der Familie zu ändern.

Die meisten Wortmeldungen hielten sich an die vorbereiteten Statements, Zeichen sorgfältiger Vorbereitung. Es wurde offen gesprochen, die Schwierigkeiten für Familien kamen klar zur Sprache: Armut, Migration, Gewalt, Ausbeutung des Menschen, die individualistischen Vorstellungen vom Menschen, aber auch die Frage nach wiederverheirateten Geschiedenen und die Frage, ob Jesus mit seiner Aussage, was Gott verbunden habe, dürfe der Mensch nicht trennen, wirklich Autorität zum Ausschluss gegeben habe – das alles wurde besprochen. Die Erfahrungen verschiedener Kulturen kamen dabei zur Sprache, Familie sieht nicht überall gleich aus und ist nicht überall den gleichen Gefahren und Herausforderungen ausgesetzt.

Einige Male wurde bereits jetzt auf die Zeit nach der Synode, auf das Jahr der Vorbereitung bis zur kommenden Synode vom Oktober 2015, hingewiesen. In diesem Sinn weisen die Beratungen bereits jetzt über sich hinaus.

Aus der Synodenaula Pater Bernd Hagenkord für Radio Vatikan. (rv)