Kirchenkrise: Neues Projekt soll „institutionelles Versagen“ der Bistümer aufarbeiten

WÜRZBURG – Wie geht es weiter in der Kirchenkrise in Deutschland? Die Generalvikare der 27 deutschen Diözesen haben sich in der vergangenen Woche in Würzburg getroffen, um darüber zu diskutieren.

Das teilte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) mit.

Im Zentrum standen Konsequenzen der Beratungen der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz aus der Missbrauchsstudie. Diese ist auf scharfe Kritik von medizinischen Experten, ehemaligen Opfern und Politikern gestoßen, wie CNA Deutsch berichtete.

Der DBK-Missbrauchsbeauftragte und Trierer Bischof Stephan Ackermann sowie der DBK-Sekretär und Jesuitenpater Hans Langendörfer „berieten mit den Generalvikaren über die Erklärung der Bischöfe zu den Ergebnissen der Studie“, so die Pressemitteilung.

„Übereinstimmend betonte die Konferenz, dass es nicht nur gelte, die Maßnahmen zu Intervention und Prävention weiterzuentwickeln, sondern auch das institutionelle Versagen aufzuarbeiten.“

Dazu habe auch das Thema „der innerkirchlichen Machtstrukturen sowie Fragen der Sexualmoral“ gehört, so die DBK. Bis zur nächsten Sitzung des Ständigen Rates Mitte November 2018 werde eine „Projektskizze“ vorgelegt, die wiederum „aus mehreren Teilprojekten besteht“.

Zusammen mit Bischof Ackermann sowie Pfarrer Manfred Bauer von der Glaubenskongregation diskutierten die Offiziale zudem „Fragen zur Vorgehensweise bei Verfahren in Fällen sexuellen Missbrauchs durch Kleriker, darunter auch die Frage der Einrichtung von interdiözesanen/ bistumsübergreifenden Sondergerichten“, so die Mitteilung.

Kritiker bemängeln, dass weiter völlig unklar ist, ob und wie die eigentlichen Gründe für sündhaftes Verhalten durch Bischöfe und Priester in Deutschland angepackt werden: Sexuelles Fehlverhalten, Missbrauch und systematische Vertuschung haben zudem noch zu keinem einzigen Rücktritt durch einen deutschen Verantwortlichen geführt. (CNA Deutsch)

Kinderschutz und Prävention: „Das ist und bleibt Chefsache“

Prävention und Hinschauen im Feld von sexueller Gewalt sind kein Selbstläufer, es braucht weiter Anstrengungen, das präsent zu halten: Bischof Stephan Ackermann spricht zum Abschluss des Kongresses zum Thema Kinderschutz im Internet über die Herausforderungen im Alltag der Kirche heute.

Papst Franziskus hatte in seiner Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses an der Päpstlichen Universität Gregoriana rhetorisch gefragt, ob die Kirche „in diesen Jahren denn nicht zu Genüge gelernt (hat), dass das Verstecken der Realität von sexuellen Missbräuchen ein äußerst schwerwiegender Fehler und Ursache vieler Übel ist?“. Pater Bernd Hagenkord hat Bischof Ackermann diese Frage weiter gegeben: Hat die Kirche genügend gelernt?

Ackermann: „Wir haben eine große Lerngeschichte hinter uns, das kann man in jedem Fall sagen wenn man auf die letzten sieben Jahre zurück schaut. Aber meine Erfahrung ist auch, dass die Fragen von Prävention und vom Hinschauen bei sexueller Gewalt kein Selbstläufer ist. Es gibt da Ermüdungserscheinungen, damit sinkt die Achtsamkeit ab. Diese Gefahr besteht und insofern ist die Frage des Papstes eine Frage der Gewissenserforschung, die Gefahr bleibt, dass wir etwas nicht wahrhaben wollen und nicht hinschauen.“

RV: Beim Kongress ging es um Kinderschutz im Internet, war das bisher in Ihrer Arbeit schon ein großes Thema?

Ackermann: „Natürlich war das schon Thema, aber nicht in der Breite, wie wir sonst auf das Thema sexualisierte Gewalt geschaut haben. Aber ich bin auch ganz bewusst zu diesem Kongress gekommen, damit man uns nicht vorwerfen kann, dass wir uns sechs, sieben Jahre lang vor allem mit dem Blick zurück beschäftigt haben, also mit der Aufarbeitung so wichtig die ist und weiter gehen muss, darüber aber die aktuellen Gefahrenpotentiale vergessen hätten.“

RV: Es sind bald acht Jahre, dass wir im deutschsprachigen Raum diese Debatte um sexualisierte Gewalt führen, wenn Sie nun auf dieser Erfahrung aufbauend in die Zukunft schauen, was sind die nächsten Herausforderungen, die sich stellen?

Ackermann: „Das ganze Feld bewegt sich ja weiter, kirchlich, aber auch außerhalb der Kirche. Es gibt neue Erkenntnisse, auch in der Wissenschaft, etwa was den Umgang mit Betroffenen angeht. Man kann nicht sagen, dass alles klar sei und wir einen Standard erreicht hätten, bei dem wir jetzt bleiben. Das ist eine permanente Weiterentwicklung. Eine Herausforderung besteht also darin, dabei zu bleiben und zu sehen, dass die Arbeit hier weiter geht.

Es gibt aber auch neue Felder, auf die wir schauen, ich nenne als Beispiel die Flüchtlingsarbeit. Viele sind in der Flüchtlingsarbeit aktiv und melden zurück, wie viele Kinder und Frauen sexuelle Gewalt erlitten haben und traumatisiert wird. Wir müssen auch das in den Blick nehmen. Das ist ein Feld, dass wir 2010 noch gar nicht im Blick gehabt haben. Hier geht es weniger um Missbrauch, der innerhalb der Kirche geschieht, als vielmehr darum, wo kirchliche Akteure Verantwortung wahrnehmen und jetzt achtsam sind auf diese Problematik.

Und dann geht es immer auch darum, die Achtsamkeit präsent zu halten, damit das nicht geschieht, was ich eben gesagt habe, nämlich dass die Aufmerksamkeit irgendwie wieder absinkt. Es ist eine Erfahrung, die mich erschrickt, die aber auf der anderen Seite nicht erstaunlich ist, weil neue Personen Verantwortung übernehmen. Die müssen sich erst einmal mit diesem Feld beschäftigen. Diejenigen, die die letzten Jahre mitbekommen haben und in Verantwortung waren, die wissen darum. Aber ich kann nicht voraussetzen, dass das einmal da ist und dann bleibt. Es muss immer wieder neu informiert werden und das ist eine dicke Herausforderung: die Präventionsarbeit auf Dauer zu stellen.“

RV: In der Kirche waren die mit Missbrauch befassten etwa in der Personalführung ganz zentral eingebunden. Ist das immer noch der Fall? Ist das immer noch ganz klar Teil der kirchlichen Personalpolitik? Oder sinkt auch das mittlerweile ab?

Ackermann: „Das braucht permanente Anstrengung, zu sagen ‚Das ist und bleibt Chefsache‘. Daran liegt es wesentlich, dass auch diejenigen, die auf diesem Feld aktiv sind wissen, dass das ganz klar gewollt ist und eine hohe Priorität hat. Aber ich sage ehrlich, dass das Anstrengung braucht. Und ich sehe auch die Gefahr, dass Dinge wieder absinken, weil man sie für normal und eingegliedert hält.“

RV: Das heißt, dass die rhetorische Frage des Papstes durchaus auch als Warnung gemeint ist.

Ackermann: „Genau, das würde ich auch sagen. Damit ist das Ausrufungszeichen gegeben, das auch in Zukunft zu realisieren. Damit hat er die Gefahr ausgedrückt, dass das wieder in den Hintergrund rückt, und damit wächst dann auch wieder die Gefahr, dass Missbrauch geschieht.“

Der Trierer Bischof Ackermann ist der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für den Umgang mit Missbrauchsfällen. (rv)

DBK-Missbrauchsbeauftragter: „Neue Phase hat begonnen“

Als „Meilenstein im Engagement gegen sexuellen Missbrauch" hat Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch, den internationalen Kongress „Auf dem Weg zu Heilung und Erneuerung" an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom bezeichnet: „Er zeigt, wie wichtig der Kirche die Beschäftigung mit diesem Thema ist. Der Papst macht damit klar, dass die Kirche die Aufarbeitung weltweit pro-aktiv und noch systematischer angehen will", wird der Missbrauchsbeauftrage in einer Presseaussendung der Deutschen Bischofskonferenz zitiert.

Im Gespräch mit dem Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan, Pater Bernd Hagenkord, berichtet Bischof Ackermann von seinen Eindrücken, die er bisher auf dem Kongress gewinnen konnte. Die hochrangig besetzte Tagung geht noch bis Donnerstag, 220 Vertreter von 110 Bischofskonferenzen aus aller Welt nehmen daran teil. Das Symposium war mit einer Botschaft des Papstes eröffnet worden, in der er mahnte, die Sorge um die Opfer zu einem Hauptanliegen der Kirche zu machen.

Hohes Niveau: Starke Beteiligung der Kurie

P. Hagenkord: Bischof Ackermann, was ist Ihr Eindruck nach den ersten beiden Tagen dieses Kongresses?

Bischof Ackermann: „Ich bin erstens davon beeindruckt, wie hoch die Resonanz auf den Kongress ist und dass wirklich alle Kontinente und sehr viele Bischofskonferenzen vertreten sind. Man spürt die hohe Professionalität und dass man auch voneinander profitieren kann. Es gibt – wenn wir an die USA, Irland oder England denken – ja auch Bischofskonferenzen, die mit der Aufklärungsarbeit in dem Sinn schon mehr Erfahrung haben, weil sie sich schon länger damit beschäftigen. Das ist spürbar und man spürt natürlich auch, dass in Rom und von Seiten der Kurie dem Ganzen große Aufmerksamkeit gewidmet wird und man auch durch Präsenz zeigt, wie wichtig das ist."

Es ist auffällig, wie viele hochrangige Vertreter des Vatikan dabei sind.

„Gestern Abend [Montag, Anm. d. Red.] waren sowohl der Präfekt der Glaubenskongregation, der Präfekt der Bildungskongregation und der Bischofskongregation anwesend. Kardinal Ouellet, der Präfekt der Bischofskongregation, war heute den ganzen Tag über präsent. Das zeigt, dass man das wirklich sehr ernst nimmt und das unterstützen will. Die Initiative geht von der Gregoriana aus, einer päpstlichen Universität, aber es ist doch etwas anderes, wenn es von der Kurie selbst kommt. Hier ist sehr deutlich die gegenseitige Unterstützung spürbar."

Beispiel Prävention: Lernen von anderen Ländern

Sie sind seit ziemlich genau zwei Jahren Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für den Umgang mit Missbrauchsfällen. Haben Sie in Ihrem Amt von anderen Ländern lernen können, etwa von den USA oder von Irland, wo die Diskussion schon seit 20 Jahren läuft?

„Schon als bei uns die ersten Anzeichen kamen, gab es Kontakt nach Irland. Aber vor allen Dingen auch schon davor, in der ganzen Frage der Heimkinderproblematik. Damals sind Mitarbeiter der Bischofskonferenz nach Irland gefahren und haben sich dort erkundigt. Im vergangenen Herbst war ich selbst in den USA, wir haben da Gespräche geführt, etwa mit der US-amerikanischen Bischofskonferenz. Ich war aber auch in der Erzdiözese New York. Was man dort lernen kann, ist alles zur Prävention. Die sind da weiter und machen das sehr strukturiert, etwa ein so genanntes ,Monitoring‘, also eine Kontrolle der ganzen Präventionsprogramme. Sie haben auch in den Diözesen zum Teil ehemalige Mitarbeiter des FBI, die sich dort sehr systematisch darum kümmern und schauen, ob Priester, Lehrer und Katecheten in den Präventionsprogrammen geschult werden, ob es entsprechende Bescheinigungen gibt. Was die systematische Umsetzung der Prävention angeht, können wir schon noch einiges lernen.
Wir können auch lernen, wie der Umgang mit den Tätern ist: Therapien und die Fragen nach einem möglichen weiteren Einsatz. Hier sind die US-Amerikaner weiter und hier können wir von ihnen lernen."

Bisherige Arbeit kann sich sehen lassen

Gibt es denn auch umgekehrt etwas, was Sie anderen Ländern oder Bischofskonferenzen weitergeben wollten?

„Ich glaube, dass die anderen Länder, was die Leitlinien und die Präventionsrahmenordnung angeht, lernen, dass wir schnell reagiert haben. Ich würde auch sagen, dass die Ansätze, die bei uns da sind, gut sind und ja auch mit den Normen des Vatikan überein stimmen. Wir haben die ja auch zum Kongress mitgebracht, sie sind in Englisch verfügbar. Wir können also sagen, dass wir das, was wir uns mit Mühe erarbeitet haben durch viele Gespräche auch mit Fachleuten von außerhalb der Kirche – etwa den Opferschutzverbänden – , hier einbringen. Und ich denke, das kann sich auch sehen lassen."

Sie sind jetzt zwei Jahre im Amt, was sind im Rückblick Augenblicke, die besonders waren, besonders gut oder besonders schlecht und dunkel?

„Ich fange einmal bei dem an, was gut war: Was mich wirklich bestärkt hat und was meine Aufgabe erleichtert hat, war die hohe Bereitschaft zur Zusammenarbeit von Fachleuten, die in der Opferarbeit schon seit längeren Jahren tätig sind, seien es Psychologen oder seien es eben auch in der Opferschutzarbeit engagierte Menschen. Die waren bereit, uns dabei zu helfen, Leitlinien und die Präventionsrahmenordnung zu erstellen. Die haben nicht gesagt, dass wir schauen sollen, wie wir alleine klar kommen, sondern gesagt haben, dass sie bereit sind, ihr Know-How einzubringen, und zwar auch mit dem kritischen Blick von außen. Es hat viele Kooperationserfahrungen gegeben, auch in den Bereich des Staates hinein. Bei all den Diskussionen und der Auseinandersetzung, die wir ja hatten, gerade zu Beginn auch mit der Bundesjustizministerin – in der Zusammenarbeit beim Runden Tisch war viel Gespräch und gegenseitige Bereicherung möglich!

Zu den dunklen und schmerzlichen Erfahrungen gehören natürlich die Begegnungen mit den Betroffenen. Ich habe zwei Begegnungen in einem größeren Kreis mit Betroffenen aus dem eigenen Bistum gehabt. Das zu hören und sich dem auszusetzen und auch zu wissen, dass ich als Bischof auf der Seite der Täter stehe, weil ich die Institution Kirche repräsentiere – das alles war schon sehr schmerzlich. Eine zugleich sehr gute und sehr schmerzliche Erfahrung war die Begegnung, die die fünf Betroffenen mit dem Heiligen Vater bei seinem Deutschlandbesuch hatten. Das war wirklich eine sehr dichte Begegnung. Wir hatten uns vorher schon zusammen gesetzt; dann war aber das Gespräch mit dem Papst von einer ganz besonderen Dichte, das haben ja auch die Gäste – so haben wir sie ja genannt – nachher auch bestätigt."

Bei so einem Symposion arbeitet man zusammen, aber es gibt auch die informellen Teile, die Pausen, die Kleingruppen. Können Sie dort über diese Erfahrungen sprechen, wird das nachgefragt von den anderen Bischöfen und Verantwortlichen?

„Ja, selbstverständlich. Ich glaube, dass Netzwerkarbeit ein ganz wichtiger Punkt bei diesem Kongress ist. So verstehe ich auch die Konzeption, dass es am Vormittag Vorträge gibt und am Nachmittag Arbeitsgruppen, die ja dann nach Sprachen gemischt sind oder nach Interessenslagen. Es gibt die Pausen zwischendrin und alle, die hierhergekommen sind, sind ja auf die eine oder andere Weise mit der Thematik befasst, und da ist schon ein großes Interesse, noch einmal zu hören, wie das bei uns ist, wie die Problemlage ist, sei es in Paraguay oder auf den Philippinen.
Es gibt natürlich kulturelle Unterschiede, das ist ganz klar, aber es gibt Vernetzung. Wir haben zum Beispiel einen guten Kontakt mit dem Bischof von Belfast, der mit uns im letzten Jahr in die USA gefahren ist. Wir versuchen, über die nationalen Grenzen hinweg voneinander zu lernen."

Der Kongress erfüllt also seine Aufgabe der internationalen Vernetzung und des Austausches über die Länder und Kulturen hinweg?

„Das glaube ich schon. Das ist natürlich ein ganz privilegierter Moment, so einen Kongress zu haben. Die Organisatoren helfen sehr, besonders bei der Vernetzung. Die Motivation ist sehr hoch, da ist der Kongress wirklich eine gute Chance."

Ordnungen gibt es, jetzt müssen sie auch wirken

Die vielleicht größte Gefahr in der Diskussion ist ja vielleicht das Historisieren, also das Sprechen über die Aufarbeitung damals, vielleicht auch in der Hoffnung, dass es endlich vorbei sei. Aber es bleibt eine Frage für das Heute – Sie selbst haben die Frage der Ausbildung angesprochen. Wie würden Sie sagen gehen wir jetzt mit diesen Fragen in die nähere Zukunft?

„Nach meinem Eindruck – das ist eine Wahrnehmung, mit der ich mich im Augenblick trage – treten wir in eine neue Phase der Beschäftigung mit dem Thema ein, sowohl was Aufklärung angeht, als auch was Prävention angeht. Die großen grundsätzlichen Fragen nach der Kooperation zwischen Staat und Kirche, nach der Verbesserung der Leitlinien, nach der Prävention, diese Grundsatzfragen sind über die Ordnungen, die wir erlassen haben, geklärt. Jetzt geht es darum, das umzusetzen und zu schauen, dass es auch wirksam umgesetzt wird. Es braucht immer wieder das Controlling, also zu schauen, ob das, was in den Ordnungen steht, in die Wirklichkeit kommt, und das auch bleibend und nicht nur in der Aufgewühltheit der vergangenen zwei Jahre. Das wird jetzt die große Aufgabe sein.
Und dann auch, insgesamt in der Gesellschaft das Thema bewusst zu halten. Ich verstehe schon, dass Leute fragen, ob man das Thema immer wieder anbringen muss, das gibt es natürlich auch im kirchlichen Zusammenhang. Ich selber kenne das ja auch, dass wenn der Bischof Ackermann auftritt, Leute mich mehr als Missbrauchsbeauftragten sehen denn als Bischof von Trier. Trotzdem liegt eine Gefahr darin zu sagen, dass das ein unangenehmes Thema ist. Natürlich muss man nicht jeden Tag darüber reden, trotzdem muss man der Gefahr wehren, dass es wieder absinkt und dann möglicherweise auch die Gefahr stärker ist, dass Täter wieder leichteren Zugang haben und Möglichkeiten, Straftaten zu begehen."

Es muss also im Alltag ankommen, in der Aufmerksamkeit eines Lehrers, eines Seminarleiters, eines Regens oder Spirituals.

„So würde ich das auch sehen. Es muss also zu den Programmen gehören, ob das für Lehrer ist, für Menschen in der Jugendarbeit, für Ehrenamtliche und Hauptamtliche, natürlich in der Priesterausbildung; so wie man andere Kurse absolviert wie etwa die Erste-Hilfe-Kurse, die ja auch im Grunde immer wieder aufgefrischt werden müssen. In dem Sinne bekommt es eine Normalität, sich damit auseinander zu setzen; Normalität in dem Sinn, dass das Thema wichtig ist. Je klarer es ist, dass es in die Ausbildungsprogramme und Schulungsprogramme hinein gehört, um so selbstverständlicher ist es und umso stärker wird dann auch die Sensibilität für das Thema gestärkt und auch die Bereitschaft, klar Grenzen zu ziehen, gewisse Dinge nicht zuzulassen und Kinder und Jugendliche zu stärken, so dass sie sagen können ‚hier ist eine Grenze, ich wehre mich’."

Klare Signale wichtig

Meine abschließende Frage: Was wäre für Sie ein Erfolg des Kongresses?

„Ein Erfolg wäre für mich, neue Perspektiven zu gewinnen und auf Lücken hingewiesen zu werden, die wir vielleicht haben. Es gibt ja auch blinde Flecken, wo wir vielleicht sagen müssen, dass wir uns damit noch nicht genug beschäftigt haben. Das etwas zu lernen wäre für mich wichtig. Dann aber auch, dass wir noch stärker Netzwerkarbeit betreiben unter den verschiedenen Verantwortlichen der Bischofskonferenzen. Drittens, dass noch einmal klar das Signal ausgeht, dass von Rom her und von der katholischen Kirche her das Problem pro-aktiv angegangen wird."

Herr Bischof Ackermann, herzlichen Dank für dieses Gespräch. (rv)

ÖKT: Ackermann kritisiert Missbrauchsdiskussion

Mit engagierter Beteiligung des Publikums wurde beim 2. Ökumenischen Kirchentag (ÖKT) in München über die Ursachen und Folgen von Missbrauch diskutiert. Bischof Stephan Ackermann zeigte sich „sehr erschrocken“ über den verengten Blick der auf dem ÖKT geführten Missbrauchdiskussion. Seiner Meinung nach seien die Debatten zum Thema zu sehr auf die Kritik an der Institution Kirche konzentriert. Die Opfer gingen stattdessen aus dem Blick verloren, so Ackermann.
Die deutschen Bischöfe wollen die Opferarbeit stärker bedenken. Die Oberhirten arbeiten mit Hochdruck an neuen Leitlinien, die bis zur Herbstvollversammlung überarbeitet werden sollen. Das kündigte Ackermann an.
„Und insofern werden wir bei den Leitlinien – und das kann man bereits jetzt sagen – auch stärker empfehlen, dass die Beauftragten in den Bistümern die Zugänge zu ihnen erleichtern. Frauen tun sich vielleicht selbst schon schwer bei einem männlichen Gesprächspartner. Das sehen wir beispielsweise bei der Hotline. Es muss auch jemand sein, der nicht amtlich mit der Kirche verbunden ist.“
Die Podiumsdiskussion am Freitagvormittag war aufgrund des großen Andrangs trotz der größten Messehalle, die man gewählt hatte schon eine Stunde vor Beginn überfüllt. Es wurde kritisiert, dass kein Opfer offiziell vertreten wurde.
„Den Vorwurf gab es bereits beim Runden Tisch. Hier bei der Podiumsdiskussion ist das Präsidium des Ökumenischen Kirchentages zuständig. Ich will nochmals betonen, dass wir beim Runden Tisch Experten eingeladen. Das sind Leute, die jahrzehntelang mit Opfern arbeiten. Sie bringen die Perspektive der Opfer ein. Daher ist so, auch wenn die Opfer nicht am Tisch sitzen, sie doch dabei sind.
Das Thema sexueller Missbrauch führte zu sehr emotional geladenen Statements. Zwischenrufe störten immer wieder die Redner.
„[Zwischenrufe: Es stimmt nicht, das ist eine Lüge!] Das schwierige ist, wie wir die Opfer gut an den Tisch bekommen. Es gibt jene, die lautstark artikulieren und möglicherweise auch zu Lasten anderer. Da ist es in der Tat schwierig, ein gutes Mittel zu finden. Ich selber habe angekündigt, dass ich mich mit Opfern aus meinem Bistum Trier treffen werde. Ich bin deshalb im Gespräch mit Psychologen, die mit Opfern arbeiten. Sie sagen mir, dass ein solches Treffen sehr sorgfältig geplant sein soll. Es kann ja nicht sein, dass sich Opfern gegenseitig versuchen zu übertrumpfen.“ (rv)

D: Hotline für Missbrauchsopfer

 

Ab diesem Dienstag gibt es eine Beratungshotline für Opfer sexuellen Missbrauchs in katholischen Einrichtungen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat sie an diesem Morgen vorgestellt. Bischof Stephan Ackermann, ihr Missbrauchs-Beauftragter, sagte in seiner Bischofsstadt Trier: „Wir wollen mit diesem Angebot die Opfer ermutigen, sich bei uns zu melden, gleich ob es sich um verjährte oder um aktuelle Fälle handelt. Wir wollen ansprechbar sein, wollen wissen, was erlitten wurde und den Betroffenen bei der Aufarbeitung beistehen. Das Thema sexueller Missbrauch darf nicht länger als gesellschaftliches Tabu behandelt werden – wir alle müssen lernen, offener darüber zu sprechen und die Opfer in den Mittelpunkt zu stellen." Die Hotline wird in Trägerschaft der Deutschen Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit der Lebensberatung im Bistum Trier realisiert.
Bischof Ackermann dankte den Opfern, die bisher den Mut gefunden haben, zu erzählen, was ihnen angetan wurde: „Sie tragen damit wesentlich dazu bei, dass wir als Kirche in Zukunft aufmerksamer hinschauen werden, was in unseren Einrichtungen, in unseren Schulen, Jugendgruppen und Kindergärten passiert. Ich sage ganz deutlich: Wir werden alles uns Mögliche dafür tun, dass sich sexueller Missbrauch in Einrichtungen der katholischen Kirche nicht wiederholen wird!"
Weiter appellierte der Bischof an „diejenigen, die als Täter schuldig geworden sind, sich zu ihren Taten zu bekennen. Nur so öffnet sich der Weg zu Wahrheit und Versöhnung."
Andreas Zimmer ist der Leiter des Arbeitsbereichs Beratungsdienste beim Bistum Trier. Er betonte vor den Journalisten: „Die Beratungen folgen dem Grundsatz, dass die Kontrolle über das Vorgehen bei den Anrufern bleibt. Wem sexuelle Gewalt durch sexuellen Missbrauch zugefügt wurde, der musste erleben, dass ein anderer ihm die Kontrolle genommen hat, als er ihn zum Opfer machte. Unsere Berater werden darauf achten, dass nur die Anrufer entscheiden, wie die weiteren Schritte aussehen. Wir wollen Türöffner sein und die Anrufer ermutigen, den nächsten Schritt zu gehen."
Die kostenlose Hotline ist dienstags, mittwochs und donnerstags von 13.00 Uhr bis 20.30 Uhr unter 0800-120 1000 erreichbar. (rv)

Ackermann: „Wir arbeiten mit Experten zusammen“

Die deutschen Bischöfe bekommen Beistand in Sachen „Missbrauchskandal“. Wie Bischof Stephan Ackermann in einem Interview mit uns sagt, hat er als Beauftragter der Bischofskonferenz für die Missbrauchsfällen bereits mehrere Unterstützungsangebote von außen erhalten. Ackermann befürwortet auch einen bundesweiten Runden Tisch zu diesem Thema, nichtsdestotrotz werden die Bischöfe auch andere Initiativen unterstützen wie beispielsweise die Begleitung von Opfern und den Kinderschutz.
„Manchmal klang es in der Öffentlichkeit so, als ob wir Bischöfe Befürchtungen oder Vorbehalte hätten, mit externen Fachleuten zu kooperieren. Das haben wir keinesfalls: Wir werden weiterhin mit Experten zusammenarbeiten. Wo es noch juristische Fragen zu klären gibt, da werden wir selbstverständlich juristischen Fachverstand von außen hinzuziehen. Natürlich sind wir bereit, an einem Runden Tisch mitzuarbeiten, wenn alle gesellschaftsrelevanten Gruppen mitmachen, die mit Jugend, Bildung oder Erziehung zu tun haben. Wir wollen aber nicht, wie Erzbischof Robert Zollitsch betont hat, einfach nur von der Justizministerin vorgeladen werden.“
Zur Erinnerung: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Erzbischof Robert Zollitsch, hatte während der DBK-Frühjahrsvollversammlung die Justizministerin und FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger scharf kritisiert. Sie halte der Kirche wahrheitswidrig vor, bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen nicht mit der staatlichen Justiz zusammenzuarbeiten. Darüber soll es demnächst ein Gespräch zwischen Zollitsch und Leutheusser-Schnarrenberger geben. (rv)