Noch immer steht die Türkei unter Schock: Der Selbstmordanschlag Mitte Juli in der türkischen Grenzstadt Suruc tötete 32 Menschen und verletzte hundert weitere. In der gesamten Region sind seitdem die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden. Das merken auch die deutschen Bundeswehrsoldaten, die im Südosten der Türkei stationiert sind. Unweit der türkisch-syrischen Grenze ist die deutsche Luftwaffe seit 2013 im Einsatz und unterstützt die NATO-Mission Active Fence Turkey, kurz AF TUR. Mit dem Flugabwehrraketensystem Patriot schützen die Soldaten die Stadt Kahramanmaraş in Südostanatolien vor Luftangriffen aus Syrien. Kein Soldat, aber trotzdem mit dabei in der Millionenstadt Kahramanmaraş ist Joachim Folz: Er ist Militärseelsorger. Vor etwa sechs Wochen hat er seinen Koffer gepackt und ist in die Türkei geflogen. Marion Sendker hat ihn dort getroffen.
Seine Aufgabe ist es da zu sein. Und Militärdekan Joachim Folz ist da: In Kahramanmaraş, etwa 100 Kilometer vor der syrisch-türkischen Grenze, ist er allein für 260 deutsche Soldaten zuständig. Um an die Soldaten ranzukommen, hat der Dekan seine Tricks entwickelt.
Soldaten-Gottesdienst mit Musikgestaltung
"Zu Beginn des Kontingents gehört es immer dazu, Soldaten, die ein Instrument spielen, zu motivieren, auch den Gottesdienst musikalisch zu gestalten usw. also ganz unterschiedliche Zugangswege." Die Strategie kommt bei den Soldaten an: Aktuell unterstützen ihn vor allem Schlagzeuger, Gitarristen und Pianospieler im Gottesdienst. Auch Hauptmann Justin K. geht jeden Sonntag in die Messe – oder was davon übrig geblieben ist: „Das ist eine abgespeckte Form des Gottesdienstes. Eigentlich kann man den so charakterisieren, dass man sich trifft, eine Predigt hört und gemeinsam singt und anschließend gemeinsam Kaffee trinkt.“
Keine Eucharistiefeier – dafür aber ein ganz gemischtes Publikum an Singenden und Betenden. Denn auch Soldaten, die nicht getauft sind, nutzen das Angebot am Sonntag gerne. Konfessionen sind in dem Rahmen zweitrangig. „Wir benutzen momentan zum Beispiel für den Gottesdienst das neue evangelische Soldatengesangbuch, da es zu den Noten auch die Akkorde enthält. Wobei die Lutherübersetzung bei den Psalmen tatsächlich wirklich gewöhnungsbedürftig ist für einen Katholiken.“
Militärdekan lädt zu „Bier mit Gott“
Neben dem Treffen am Sonntag lädt der Militärdekan die Soldaten einmal pro Woche auf ein „Bier mit Gott“ ein: „Da wird dann einfach erzählt, was einen beschäftigt, ob das ein technisches Problem ist oder ein Telefonat mit er Familie ist, mit zu Hause und so weiter und so fort.“
Mehr noch als das offiziell gesuchte Gespräch zählen aber die lockeren und oft zufälligen Begegnungen im Kasernenalltag, erklärt der Seelsorger. „Ja gut, man ist ja sozusagen mit den Soldaten hier, man erträgt ja im dem Sinne auch den Alltag mit den Einschränkungen mit und somit ist es ja etwas, wo wir jetzt nicht von außen her etwas sagen, sondern aus der Mitte heraus versuchen, gemeinsam den Weg ach hier im Einsatz zu gehen. Also es ist jetzt nicht so, dass man hier unmittelbar eine Patentlösung parat hält. Manchmal geht es ja tatsächlich nur um das Aussprechen, was man vielleicht vor dem Kameraden nicht unbedingt machen will. Und wenn man ein Problem ausgesprochen hat, ist es oft so, dass es einem dann viel leichter geht.“
Seelsorger schweigt über Inhalte und organisiert Grillabende
Oft geht es um die Trennung von den Eltern, dem Partner und den Kindern. Das – und alles andere, was besprochen wird – bleibt beim Militärdekan. Der ist aber nicht nur Ansprechpartner für alle Lebenslagen, sondern sorgt auch mit Aktionen für Abwechslung im monotonen Auslandseinsatz. Gerade hat Folz zum Beispiel einen Ausflug nach Tarsus organisiert, dem Geburtsort des heiligen Apostels Paulus. Bei der Planung hat ihm Hauptmann Justin K. geholfen. Für ihn und seine Kameraden bietet die Militärseelsorge noch mehr als nur geistliche Betreuung: „Er hat auch finanzielle Mittel zur Verfügung um beispielsweise Veranstaltungen zu organisieren wie Grillfeste oder dergleichen, sodass man da auch ein bisschen Ablenkung vom Einsatz hat.“
So ein Grillfest hat dann keinen religiösen Bezug und überhaupt spielt Religion in der Militärseelsorge eher eine passive Rolle: „Wenn man den Pfarrer drauf anspricht, dann ist er bereit, entsprechende Themen zu diskutieren, aber wenn man nicht aktiv auf ihn zugeht – wenn man es wirklich nicht will, dann spürt man davon auch nichts.“
Wenige Soldaten sind praktizierende Christen
Nur wenige Soldaten sind getauft oder praktizierende Christen. Als Geistlicher fühlt sich Folz trotzdem nicht fehl am Platz: „Wir sind für alle Soldaten da! In den alltäglichen Begegnungen und bei allgemeinen Problemen ist der Mensch in der jeweiligen Situation entscheidend. Gleichzeitig gilt es, die Einstellung der nicht- oder andersgläubigen Soldaten seitens der Militärseelsorge zu respektieren. Es bedarf auch einer größeren Sensibilität in der Kommunikation, die Rede von Gott oder auch über die Kirche ist oft nicht mehr unmittelbar verständlich oder sogar negativ konnotiert. Vielfach braucht es in der Verkündigung dann Bilder aus dem Alltag, die die christliche Botschaft nachvollziehbarer machen – ähnlich wie die Gleichnisse Jesu selbst, dabei kommt es natürlich vor allem auf eine authentische Haltung des einzelnen Militärgeistlichen an.“
Alles kann, nichts muss. – Mit dieser Devise ist Folz für seine katholischen, evangelischen, muslimischen und atheistischen Soldaten da. Dazu ist er für insgesamt 12 Jahre von seiner Heimatdiözese freigestellt worden – die Hälfte der Zeit hat er mittlerweile hinter sich. Seine Bilanz zum Stellenwert von Religion in der Bundeswehr: „Religion wird generell weniger institutionell und mehr individuell gesehen oder gelebt. Trotzdem bietet die Unmittelbarkeit der Institution der Militärseelsorge vor allem im Auslandseinsatz dem Individuum wieder eine ungezwungene Möglichkeit der direkten Begegnung, ohne bestimmte Absichten auf beiden Seiten. Dabei ergeben sich dann durchaus Gespräche mit religiösen Themen oder es kommt sogar ein Soldat deshalb wieder zum Gottesdienst.“
Manche Soldaten lassen sich von Militärgeistlichen taufen
Viele Soldaten suchen die Gespräche mit dem Militärgeistlichen. Einige von ihnen hätten sich danach sogar taufen lassen, erklärt Folz. Das sind dann die kleinen Sternstunden im Berufsalltag eines Militärpriesters. Ansonsten verlange der Dienst viel Kraft. Folz bleibt kaum länger als ein paar Monate an einem Ort und muss sich immer wieder neu auf Situationen und Menschen einstellen. So anstrengend der Dienst für die Bundeswehr auch sein kann, so wichtig sei die Präsenz eines Geistlichen im Einsatz, findet er:
„Die Militärseelsorge ist Teil des kirchlichen Auftrages in der Welt und somit braucht es immer wieder Priester, die sich für diese Aufgabe begeistern lassen. Es ist sehr bereichernd im Sinne vielfältiger Möglichkeiten und abwechslungsvoller Tätigkeiten, aber auch fordernd in einem zunehmend säkularen Umfeld, die Präsenz der Kirche und damit die Botschaft des Evangeliums zu gewährleisten.“
Komplexer Kontrast von Friedensbotschaft und Tötungsauftrag
Die Friedensbotschaft Jesu Christi mitten im Militär, manchmal mitten im Krieg: Wie passt das zusammen, wie kann ein Militärpfarrer sonntags den Frieden predigen und montags den militärischen Einsatz oder gar den Krieg billigen?
Der Pazifismus ist aber hauptsächlich als radikal bürgerliche Bewegung in der Moderne entstanden und unterscheidet sich maßgeblich von der christlichen Lehre vom gerechten Krieg, die unter anderem auf den heiligen Augustinus zurückgeht und sich auf die Realitäten in dieser Welt gründet anstatt eine Utopie zu propagieren. Das Zweite Vatikanische Konzil bezeichnet den Soldaten übrigens ausdrücklich als einen „Diener der Sicherheit und der Freiheit“ und sagt, dass er – also der Soldat – durch seinen Dienst den Frieden festigt.
Gleichzeitig verlangt das 5. Gebot nicht zu töten. Im Berufsalltag eines Soldaten kommt es aber immer wieder zu Waffengewalt. Der Tod gehört im Einsatz zum Militär, wie die Munition in die Waffe. Wer einen anderen Menschen tötet, handelt nicht nur gegen das 5. Gebot, sondern auch gegen Christus ausdrückliche Aufforderung zur Feindesliebe.
"Diese Frage ist sehr populär, aber gleichzeitig äußerst komplex. Zunächst führt der Soldat einen Auftrag aus, der z.B. in Deutschland parlamentarisch – also von uns allen – legitimiert ist. Der Grund liegt dafür zumeist in einer Bedrohung von Menschenleben kann als „ultima ratio“ auch Waffengewalt angewandt werden. Wir sprechen in der Militärethik dann von der „responsibility to protect“, also von einer Schutzverantwortung in Bereichen, in denen z.B. die Menschenrechte verletzt werden und alle diplomatischen Bemühungen ohne Erfolg bleiben. Die Herausforderung der Feindesliebe bleibt natürlich bestehen."
„Das Leben in der Lage“ – wie es im Militärjargon heißt – hat ihn gelehrt, aus jeder Situation das Beste zu holen. Das gilt insbesondere für seine Tätigkeit als Militärdekan; für ihn ist der Job eine tägliche Herausforderung: „Momentan ist es mein Job und momentan versuche ich daraus tatsächlich das Beste zu machen. Als ich vorher in der Schule war, hab ich da versucht, das Beste zu geben. Das Entscheidende ist, dass man als Priester wirkt und alles andere, die Aufgaben die damit dann verbunden werden, können sich ja sowieso immer wieder verändern. Das Grundsätzliche ist die priesterliche Berufung und die umzusetzen in jeder Situation, in die man gestellt wird. Damit fällt einem vieles leichter im Leben. Man muss nicht deshalb unbedingt selber ständig etwas ändern wollen, sondern man versucht es als persönliche Herausforderung positiv zu sehen.“
Wie jeder Militärpfarrer hat Folz eine klare Auftragslage. Wie die Soldaten ihrem Souverän Gehorsam versprochen haben, hat auch Folz bei der Priesterweihe ein Gehorsamsversprechen abgelegt. Aus dieser Perspektive, sind sie sich gar nicht so unähnlich, der Soldat und der Priester. (rv)
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